Читать книгу Alter ist nichts für Phantasielose - Lotte Tobisch - Страница 9

WIR ALLE TANZEN NACH EINER GEHEIMNISVOLLEN MELODIE

Оглавление

»Die menschlichen Wesen, Pflanzen oder der Staub, wir alle tanzen nach einer geheimnisvollen Melodie, die ein unsichtbarer Spieler in den Fernen des Weltalls anstimmt.«

Albert Einstein

Es gibt in jedem Leben das Unumgängliche. Der Versuch, es zu umgehen, ist vergebens, aber wir können es allenfalls mithilfe der erlernbaren Kunst, aus sauren Zitronen süße Limonade zu machen, zu unserem Wohl verwandeln.

So eine Unumgänglichkeit in meinem sehr abwechslungsreichen Leben ist der Wiener Opernball, den ich von 1980 bis 1996 organisierte. Trotz meiner Distanz zu derartigen Events möchte ich diese Jahre voller Starrummel, Demonstrationen, Stornierungen, Glanz und Schönheit nicht missen und es freut mich, wenn meine mit guter Laune versehene Arbeit heute noch geschätzt wird. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich auch noch zwanzig Jahre nach meinem Abgang mit diesem einzigartigen k. u. k. republikanischen Faschingsfest identifiziert werde. Unlängst las ich lachend in einer Zeitung: »Lotte Tobisch, Wiens Opernballikone« − das hätte meiner Mutter gefallen!

Während ich zeitlebens bemüht war, die Kirche im Dorf zu lassen, hat man mich aus mir nicht ganz nachvollziehbaren Gründen auf einen »Opernball-Altar« gesetzt. Somit ist der Opernball in meinem Leben unwiderruflich zu etwas Unumgänglichem geworden.

Daher möchte ich ein Beispiel geben, wie mit Derartigem umzugehen ist, und ohne Umschweife über den für mein öffentliches Leben nicht wegzudenkenden Opernball ein wenig sinnieren.

Meinen ersten Opernball besuchte ich 1956 mit Erhard Buschbeck, der einzig und allein mir zuliebe hinging. Da er ein noch größerer Ballmuffel als ich war, landeten wir nach der Eröffnung und einem Rundgang durchs Haus in der Opernkantine, wo wir unter anderem mit Judith Holzmeister, Carl Zuckmayer und seiner Frau Alice Herdan-Zuckmayer, Hilde Harvan, Gusti Wolf und der Witwe Berthold Viertels bis halb sechs in der Früh eine fröhliche Nacht verbrachten. Als meine Mutter davon erfuhr, fragte sie, weshalb und wozu wir denn überhaupt auf den Ball gegangen seien. Gusto und Watschen sind eben verschieden!

Für mich war der Opernball immer mehr Märchen als Realität. Deshalb versuchte ich von Anbeginn einerseits, dieses Märchen zu erhalten, und andererseits, es möglichst rasch mit einem in der Realität fassbar frischen Wind zu versehen. Voraussetzung dafür war für mich, dass man ihn zwar ernsthaft machen muss, ohne ihn aber allzu ernst zu nehmen. Verbissener Ernst hat im Theater nichts verloren − er macht aus dem Theaterspielen Theaterarbeit (ein für mich schreckliches Wort), wodurch der märchenhafte Zauber jeglichen Theaters verloren geht. Wer den Opernball nicht als einen Theaterabend unter vielen versteht, versteht auch nicht, dass das im Stil des romantischen Historismus erbaute Opernhaus dem Ball seine Seele für diesen Abend leiht.

Dass die gekrönten Häupter und großen Stars früher von sich aus auf den Ball kamen, ist eine von vielen Opernball-Mären. Prominente musste und muss man einladen, damit die Aschenputtel ihre Prinzen jedes Jahr von neuem finden. Der bekennende Nichttänzer Bruno Kreisky war zu meinem Bedauern der letzte österreichische Politiker, der den Ball als gesellschaftliche Plattform zu nützen verstand. Er hat diesen gesellschaftlichen Höhepunkt des Wiener Faschings mit Sicherheit nicht geliebt, aber als kluger Mann und Politikprofi wusste er, dass dieser merkwürdige k. u. k. Ball der Republik als größter österreichischer Treffpunkt für Wirtschaftstreibende, Politiker und Kulturschaffende zu seinem Geschäft gehörte. Und so lud er sich unter anderem den König von Spanien, die Kronprinzessin der Niederlande und Hollywoodstar Shirley MacLaine als Aufputz für sich, das Land und den Opernball ein. Das Fernsehen, die Presse und das Volk waren begeistert und wussten es ihm zu danken. Nachdem er sich ins Private zurückgezogen hatte, trat leider einzig und allein Baumeister Richard Lugner in seine »gesellschaftstänzerischen« Fußstapfen. Auch er ein Vollprofi mit einem Gespür fürs »G’schäft« und das Theater.

Viele mögen über ihn pikiert sein, doch ich glaube, dass dem Ball die mediale Lugnerisierung nicht wirklich schadet, weil »Mörtel« eben ein Ausdruck unserer lauten Event-Zeit ist. Letzten Endes ist der Opernball ein Faschingsfest, und da darf ein Clown dabei sein!

Aber nicht nur die Gästeliste, auch die formvollendete Balleröffnung und die darauf folgende Ballnacht unterliegen einer immer wieder neu zu komponierenden Choreographie. Ich finde es legitim, aus dem Ball herauszuholen, was herauszuholen ist, sofern der für diese Veranstaltung immanente Wiener Charme nicht durch plakativen Kommerz überdeckt und den penetranten Sehnsüchten der Boulevardpresse geopfert wird. Leichter gesagt als getan!

Im Wesentlichen hat sich der Ball denselben Gesetzen wie eine Theateraufführung zu beugen: Die Besucher der Veranstaltung zahlen, um sich im besten Sinne des Wortes mit Freunden zu unterhalten. Die Wiener tanzen gerne und wollen ihre Hetz. Spätestens beim Galopp nach der bei Alt und Jung beliebten Mitternachtsquadrille wird die Gesellschaft, die feine und die weniger feine, in ihren zumeist eleganten Abendroben und Fräcken gemeinsam ausgelassen, ja, beinahe bacchantisch. Diese »emsige wienerische Ausgelassenheit«, wie sie der aus Deutschland stammende einstige Burgtheaterdirektor Heinrich Laube in seiner »Reise durch das Biedermeier« beschreibt, findet man nirgendwo sonst auf der Welt, auch nicht bei den mit großem Erfolg im Ausland veranstalteten Wiener Opernbällen. Wien bleibt trotz der Globalisierung Wien!

Und wenn uns die einstige Kaiserstadt an der Donau auch im heutigen Österreich etwas mitzuteilen hat, dann jene von Albert Einstein so unvergleichlich schön formulierte Erkenntnis, dass wir alle hier auf Erden nach einer geheimnisvollen Melodie tanzen.


In der Kantine beim ersten Opernball nach dem Krieg 1956: Hilde Harvan, Erhard Buschbeck, Alice Herdan-Zuckmayer, Gusti Wolf, Carl Zuckmayer, Lotte Tobisch und Elisabeth Neumann-Viertel



Überreichung der Ehrenmedaille der Stadt Wien in Gold durch Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny am 1. Oktober 2007

Alter ist nichts für Phantasielose

Подняться наверх