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EIN NACHWORT ALS VORWORT Lotte Tobisch zum Abschied vom Opernball 1996 von SPIEGEL-Korrespondentin Inge Santner-Cyrus

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»Die Welt ist nicht heil, drum lasst uns eine Nacht lang heile Welt spielen.«

Lotte Tobisch

Den alten Geheimrat aus Weimar hätte sie hell entzücken können. Mit Felix Salten, Arthur Schnitzler, Egon Friedell hätte sie im Café diskutieren können. Einem Adolf Loos hätte sie erzählen können, dass der Mensch zum Wohlfühlen ein klein wenig Kitsch braucht. Und wahrscheinlich hätte sie’s sogar schaffen können, den Wolferl Amadeus Mozart mediengerecht mit Antonio Salieri zu versöhnen.

Auf den ersten Blick scheint Lotte Tobisch von Labotýn in der feinsinnigen Welt von gestern daheim. »Opernball-Lady« nannten sie die Journalisten, ohne eine Sekunde nachzudenken. Was sie tut, tut sie mit Stil. Wenn sie lacht, glaubt man den Flügelschlag des Doppeladlers zu hören.

Ein Teil ihrer Familie ist etwa so alt wie das Haus Habsburg. Laut Chronik lässt sie sich ins Jahr 1229 zurückverfolgen. Gelehrte, Großindustrielle, hohe Staatsbeamte und Erbhofbauern gehörten dazu, ebenso der Goethe-Intimus Jacob Michael Reinhold Lenz.

Als Wienerin aus bestem Hause hatte Lotte Tobisch beste Schulen besucht, Tausende Bücher gelesen, so altmodische Tugenden wie Anstand, Disziplin, Mitleid, Wahrhaftigkeit geübt. Nie trug sie knappe Jeans und kurzes Haar. Auf die Insel würde sie Kamm, Seife und Bibel mitnehmen.

Dennoch war sie schon in blutjungen Jahren konsequent emanzipiert. Nicht zur Freude ihrer Eltern nahm sie Schauspielunterricht beim legendären Raoul Aslan. Mit 17 ging sie auf und davon, brach mit allen Konventionen und wollte primär eines: unabhängig sein. Statt standesgemäß einen Gräfinnentitel zu heiraten, entschied sie sich für die Liebe mit dem um fast vier Jahrzehnte älteren Erhard Buschbeck, damals Vizedirektor und Chefdramaturg am Burgtheater. Die Verbindung hielt bis zu Buschbecks schwerem Tod 1960 und schockierte die sogenannte Wiener Gesellschaft. Tobisch-Freunde wussten es freilich besser. Er kenne überhaupt nur zwei ganz große Liebesgeschichten, urteilte Fred Hennings, »die von Romeo & Julia und die von Erhard & Lotte«.

Widersprüche gehörten halt zu ihrem Leben, meint Lotte Tobisch heute zu wissen. Sie löst sie nicht auf, sie versöhnt sie einfach, bis sie zusammenpassen wie Herz und Verstand. Ihre charmante Wohnung unterm Dach eines Ringstraßenhauses ist vollgestopft mit Kunst und Kram, die gleichrangig nebeneinander existieren. Auch in ihrer Karriere sorgte sie mit robuster Frohnatur für menschliche Dimensionen.

Jugendträume von Starruhm in Duse-Format hielten sie nicht lange auf. Durchaus zufrieden spielte sie relativ kleine Rollen, eine bildschöne Maria Theresia in der Volksoper zum Beispiel, korrespondierte zwischendurch mit Theodor Adorno und setzte der langweiligen Literaturkritik des ORF etliche Glanzlichter auf. Den Job einer Betriebsrätin am Burgtheater betrachtete sie als bestens vereinbar mit ihrer noblen Herkunft. Links und Rechts, Rot und Schwarz sind für sie keine Wertkategorien.

Als sie 1980 zur Opernballleiterin ernannt wurde, begann sie mit einer symbolischen Geste. Sie räumte das altmodische Arbeitszimmer ihrer Vorgängerin komplett aus und stellte neue Büromöbel hinein. Dann machte sie sich daran, den Traditionsball

»ein bisserl abzustauben«, ein bisserl in die Gegenwart zu rücken. Aber eben nur ein bisserl. Die 176 Debütantinnen sollten aus allen Bundesländern und Schichten der Bevölkerung kommen, doch ein glitzerndes Krönchen tragen und den tollen Triumph der Realität durchkreuzen, Motto: »Die Welt ist nicht heil, drum lasst uns eine Nacht lang heile Welt mimen.«

15 Mal gestaltete Lotte Tobisch auf ihre ganz individuelle Manier die Festivität der Nation. Sie kümmerte sich schlichtweg um alles, stritt mit Anti-Ball-Demonstranten (»ich verstehe ja, was ihr wollt«), bügelte die gekränkten Seelen der abgewiesenen Komitee- und Logenbewerber wieder glatt und roch sogar durchs Telefon, ob ein Prinz auch wirklich echt war. Jetzt, zu Österreichs Millennium und ihrem eigenen 70. Geburtstag, macht sie Schluss.

Die Opernbälle der Zukunft mögen perfekt organisiert und gemanagt sein. Das erquickend damenhafte Fluidum dieser zugleich klugen und eleganten Grenzgängerin zwischen zwei Welten wird ihnen fehlen.


Beschwingter Abgang 1996 als Organisatorin des Wiener Opernballs

Alter ist nichts für Phantasielose

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