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WIE DAS LEBEN SO SPIELT

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»Die Dinge sind nie so, wie sie sind. Sie sind immer das, was man aus ihnen macht.«

Jean Anouilh

Obwohl kein einziger meiner Jugendträume in Erfüllung ging, hat das Leben es gut mit mir gemeint. Ich wollte eine große Theaterschauspielerin sein, einen Mann heiraten, mit ihm eine Familie mit mindestens fünf Kindern gründen und zu guter Letzt mit ihm gemeinsam alt werden. Es ist nichts von dem eingetreten, aber trotzdem habe ich – alles in allem – ein glückliches Leben gehabt.

Das heißt aber nicht, dass ich keine Schicksalsschläge erlitt. Schwerste Erkrankungen blieben mir ebenso wenig erspart wie das über ein Jahr sich hinziehende qualvolle Sterben meiner großen Liebe Erhard Buschbeck und die schwere Demenzerkrankung meines zweiten Gefährten Michael Simon. Ich habe gelernt, dass alles Glück seinen Preis hat.

Wenn ich lese, dass man mich wie einen »Wirbelwind − schick gekleidet, der Gang flott, die Stimme herzlich bestimmt« wahrnimmt, dann bin ich froh, dass die Menschen nicht meine Bronchialprobleme, sondern nur mein äußeres Erscheinungsbild sehen. Dies hat mehr mit Willen und Disziplin als mit Wohlbefinden zu tun. Ich hielt mich immer an die Devise: Meine Freuden teile ich gerne mit anderen, meine Leiden gehören nur mir.

Wollen und Disziplin sind Voraussetzungen für ein sinnvolles Altern. Ohne diese gibt es keinen Weg zu einem vorgenommenen Ziel. Wer aber nicht an die Kraft von beiden glaubt, verhindert die Erhaltung oder Wiederfindung seines Selbstbewusstseins, und das in jener Lebensphase, in der die körperlichen Kräfte spürbar nachlassen.

Ich werde öfters gefragt, woher ich meine Kraft nehme. Nun, sie entspringt der Beantwortung dreier Fragen, die ich mir von Zeit zu Zeit stelle: »Was will ich?«, »Was ist dafür zu tun?« und »Was kann ich überhaupt noch leisten?« Die Antworten auf diese Schlüsselfragen öffnen mir immer wieder Herz und Augen für das, was mir (besonders) wichtig und (noch) möglich ist.

Doch das Wissen nützt nur wenig, wenn man zu seinen Mitmenschen keinen für sie richtigen Kontakt findet. Alter macht bekanntlich nicht immer milde, sondern auch ungeduldig und grantig. Dafür gibt es viele Gründe, auch wenn manche Psychologen neuerdings alten Grantlern einen höheren IQ als ihren netten Altersgenossen zusprechen. Tatsache ist: Keiner mag missmutige Alte und am wenigsten diese sich selbst.

Ich wollte nie einen Menschen kränken, habe es aber durch meine angeborene Ungeduld immer wieder getan. Sich dafür zu entschuldigen, ist dann das Mindeste, was man tun kann. Aber auch das Sich-Entschuldigen muss gelernt sein. Am besten man fängt bereits beim Kind damit an. Wichtig dafür ist, dass schon Kinder begreifen, dass das Sich-Kränken, aber auch das Kränken sowohl einen selbst als auch den anderen krank machen.

Darum habe ich mich zum Beispiel als Betriebsrätin am Burgtheater immer bemüht – mit mehr oder weniger Erfolg −, dass Kolleginnen und Kollegen, die in Pension geschickt oder gekündigt wurden, dies vom Direktor selbst bei einem längeren persönlichen Gespräch erfahren. Bedauerlicherweise gab und gibt es auch heute noch überall genügend Beispiele für unmenschlichen Umgang von Vorgesetzten mit ihren Abhängigen, fast immer aus Feigheit der Vorgesetzten vor dem traurigen Anblick der Betroffenen.

Insofern ich eine Lebensdevise habe, dann lautet diese: Vorsicht, Nachsicht, Rücksicht. Im Alter werden Vorsicht und Nachsicht bei anderen wichtiger. Es ist ja nicht mehr nötig, auf sich selbst Rücksicht zu nehmen. Man kann im Alter mehr riskieren und sich mehr erlauben, und das ist der Wahrheit dienlich. Das Schlimmste, was mir im Augenblick infolge verschiedener unliebsamer undiplomatischer Äußerungen passieren könnte, ist, dass ich auf den einen oder anderen offiziellen Glückwunsch zu meinem 90. Geburtstag verzichten werde müssen. Das wäre schade, aber wie sagt schon Nestroy: Es ist noch jeder gestorben, ich werde es auch überleben.

Das Leben ist ein Geben und Nehmen, auch wenn manche sich eher aufs Nehmen konzentrieren. Interessanterweise gibt es aber Studien, die besagen, dass Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit einer beruflichen Karriere durchaus nützen können. Schon der alte Goethe sagt:

Mann mit zugeknöpften Taschen,

Dir tut keiner was zulieb:

Hand wird nur von Hand gewaschen;

Wenn du nehmen willst, so gib!

Aber mit dem Geben und Nehmen ist es noch nicht getan. Und um ehrlich zu sein: Mir wäre es auch zu wenig. Das Mehr an Zeit, welches das Alter mit sich bringt, ist auch eine Chance, sich neu zu erfinden. Der Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft nimmt kontinuierlich zu und damit auch die Betätigungsfelder, um aktiv zu bleiben. Wer diese Möglichkeit nicht nützt, soll nicht anderen die Schuld geben, wenn für ihn das Altern ein inhaltsloses Dasein ist.

In meinem Leben sind Neugierde und Engagement die Triebfedern, welche mich in Gang halten, mir ermöglichen, dass ich trotz des Nachlassens meiner Kräfte nicht stillstehe, die Bequemlichkeiten überwinde und neue Erfahrungen mache. Berufstätige müssen arbeiten, wir Älteren dürfen es. In der Neugierde liegt das große Potenzial. Sie schafft Innovationskraft, die wir zu unserem und dem Wohl anderer in Taten umsetzen sollten. Neugier ist vielleicht der Katze Tod, aber uns Älteren kann sie weiterhelfen.

Abschließend möchte ich noch festhalten, dass ich trotz aller Miseren in keiner anderen Zeit leben will als der heutigen, weil keine andere Epoche den Menschen eine so lange Lebenserwartung mit einer noch nie da gewesenen Lebensqualität bis ins hohe Alter ermöglicht. Der viel kritisierte Sozialstaat hat sich hier wahrlich ein Denkmal gesetzt.

Man nehme das Leben, wie es ist, und sich selbst nicht allzu wichtig. Ich finde es überaus spannend, der Jugend in ihren Bestrebungen zuzusehen und sie zu begleiten. Doch ich möchte trotzdem heute nicht mehr jung sein, schon deshalb nicht, weil ich in der zukünftigen Zeit »verhungern« würde. Mein offenbares Defizit an zielgerichtetem Ehrgeiz, mein Desinteresse an verbrieftem und versiegeltem Erfolg oder Gewinn hat mich ja immer ein bissel »aus der Zeit herausgefallen« leben lassen. Nach »professionellen Lebensamateuren« – im wahrsten Sinne des Wortes – wie ich es bin, wird in der Spezialisten- und Expertenzukunft keine Nachfrage mehr sein, auch wenn sie noch so geschickt, unermüdlich, fleißig und verlässlich sind.

Dennoch wär es schön, 200 Jahre weiterzuleben, um zu sehen, wie sich alles entwickelt.

Eines aber weiß ich sicher: Sollte ich wider Erwarten noch einmal auf die Welt kommen, gehe ich in die Politik. Verschlafene Volksvertretungen wie heute, die andauernd im eigenen Saft ungenießbare Kompromisse kochen, würde ich sofort ordentlich salzen, pfeffern und aufmischen!

Wir Alten können die Welt vielleicht noch ein wenig besser machen, aber verändern kann sie nur die Jugend.


Meine große Liebe Erhard Buschbeck


Glückliche Tage mit Michael Simon


Mein lieber israelischer Freund Lior Lederer

Alter ist nichts für Phantasielose

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