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ALS NEUE VORSTELLUNGEN VON GLÜCK UND UNGLÜCK AUFZUBRECHEN BEGANNEN
Оглавление»Wir haben uns viel getraut!«
Hugo Portisch zum 40. Geburtstag des »Kurier«
Als der »Neue Kurier« 1954 im noch besetzten Nachkriegsösterreich erstmals erschien, waren wir in den Worten Wilfried Haslauers »in Erinnerung an das eigene Elend noch arm genug, um zu teilen«.
Viele der kommenden gesellschaftlichen Entwicklungen, die Um- und Abwertung der althergebrachten Vorstellungen von Anstand, Ehre und Moral zeichneten sich bereits damals deutlich ab. Die Kriegs- und Nachkriegszeit begann sich abzuleben. Neue Ansichten von Glück und Unglück, von Gut und Böse begannen den harten, eingefrorenen Kulturboden Europas aufzubrechen.
Doch der zunehmende Wohlstand ließ beklemmende Erinnerungen an die durch Österreich mitverursachte Katastrophe des Zweiten Weltkriegs verdrängen und vergessen. Ein aus Sicht der Spätgeborenen politisch nicht korrekter Abwehrmechanismus, der laut vielen Psychologen ein einigermaßen »normales« Leben nach traumatischen Ereignissen erst ermöglicht. Täter wie Opfer waren sich in jenen Jahren, wenn auch stillschweigend, darüber zumeist einig.
Viel lieber, da auch bequemer, wendete man sich gesellschaftlichen Sensationen zu. Ein Beispiel hierfür war die als »Märchenhochzeit« kolportierte Vermählung von Schah Mohammed Reza Pahlavi mit der 21-jährigen Architekturstudentin Farah Diba. Ihr kostbares, mit Juwelen und Perlen besticktes Seidenkleid aus dem Hause Dior in Paris hielt die österreichische »Society« von damals genauso in Atem wie die in Fürstenhäusern stattfindenden Hochzeiten, Begräbnisse, Geburten und Scheidungen es heute noch tun. Schon zu jener Zeit fielen mir dazu die Worte Lessings aus »Nathan der Weise« ein: »Nicht die Kinder bloß speist man mit Märchen ab.«
Aber nicht nur Farah Diba, deren Turmfrisur von der westlichen Damenwelt, ob schlank und rank oder klein und dick, von der Alm bis zu den Champs Élysées, kopiert wurde, auch die von der Klatschpresse geliebte und vom Schah wegen Unfruchtbarkeit schmählich verlassene Kaiserin Soraya, die Lady Diana der 1950er-Jahre, konnte sich des tiefen Mitgefühls der Allgemeinheit erfreuen. Da so viele eigene »Träume« durch verbrecherische Eroberungsfeldzüge und bestialische Konzentrationslager unerfüllt blieben, litt man an den unerfüllten Träumen hochgestellter Persönlichkeiten mit. Dass auch diese von den Medien erzählten Märchen und nicht nur das selbst Erlebte einen grausamen Kern haben, empfanden und empfinden viele vermutlich als ausgleichende Gerechtigkeit.
Und dann gab es damals neben den unverwüstlichen echten Prinzessinnen noch eine dritte, neue Headline-Königin: Brigitte Bardot. Ihr war es, im Unterschied zu den beiden anderen Damen, vergönnt, die Welt grundsätzlich umzuwälzen. Sie wurde zur Prinzessin, die (sich) auszog, um die Männer das Fürchten zu lehren; ihr gelang es, die Sexualität auf »Sex« zu reduzieren und den Sex in das Eigenschaftswort »sexy« zu verwandeln. Dieses allgegenwärtige Attribut »bekleidet« seither nicht nur Unterwäsche, sondern unter anderem auch Jalousien, die uns angeblich ein besseres Kuscheln im Schlafzimmer bescheren.
Was aber sind all diese Betrachtungen aus meiner Jugend ohne die Erinnerungen an jenen »Kurier«-Skandal vom 14. September 1957, dessentwegen der große Hugo Portisch, damals Chefredakteur, fast vom Schlag getroffen worden wäre, während seine Leser von homerischem Gelächter ergriffen wurden?
Deutschland stand vor den dritten Bundestagswahlen nach dem Krieg, bei denen der seit 1949 amtierende Bundeskanzler Konrad Adenauer zum zweiten Mal vom SPD-Kanzlerkandidaten Erich Ollenhauer herausgefordert wurde. Adenauer stand für die Fortsetzung des bisherigen Kurses, Ollenhauer forderte unter anderem, dass die Bundesrepublik aus der NATO und die DDR aus dem Warschauer Pakt austreten sollten, um eine Wiedervereinigung zu ermöglichen. Damit ging die SPD voll auf Konfrontationskurs zur bisherigen Deutschlandpolitik Adenauers, der im Wahlkampf wiederum einen Sieg der SPD als »das Ende Deutschlands« bezeichnete. Klug wie immer analysierte Portisch die Lage in einem Leitartikel, in dem zu lesen war: »In diesem Falle würde Deutschlands Weg in Europa eine scharfe Wendung nehmen. Warum also so lange scheißen?«
Ob der Schriftsetzer, der sich, wie man später hörte, nur mit einem Kollegen, der kurz seinen Platz verlassen hatte, einen Spaß machen wollte und dann vergaß, ihn auf seine »Hinzudichtung« aufmerksam zu machen, auch so gelacht hat wie wir? Nun, wir wollen hoffen, dass er dies Unglück ebenso gut überstanden hat wie unser aller geliebter Hugo Portisch.