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BETRACHTUNGEN


ALTER IST NICHTS FÜR PHANTASIELOSE

»Ich bin zu alt, um nur zu spielen,

zu jung, um ohne Wunsch zu sein.«

Johann Wolfgang von Goethe

Leben bedeutet altern. Das eine ist ohne das andere undenkbar. Und dennoch sind »alt sein« und »älter werden« nicht dasselbe. Der Unterschied liegt in der Phantasie.

Alt sein heißt so viel wie nicht mehr gestört werden zu wollen, zu verharren, auf seinen althergebrachten Ideen und Meinungen zu bestehen, auch wenn diese längst als überholt gelten oder dem neuen Wissensstand nicht mehr entsprechen. Man ist nicht nur so alt, wie man sich fühlt, sondern so alt, wie man denkt. Wer sich immer öfters und immer heftiger weigert, über Erfahrungen und Meinungen anderer nachzudenken, ob alt oder jung, gibt sich als »alter« Mensch zu erkennen. Wer kennt sie nicht, die »Alten«, für die die erneuernde Kraft der Phantasie nur Störung der ruhenden Erstarrung ist?

Älter werden hingegen bedeutet, sich dieser Gefahren des Alters bewusst zu sein und sich, um nicht phantasielos zu werden, auf die Konfrontation mit der Phantasie anderer einzulassen. Denn nur so können wir unseren wie auch den Bedürfnissen und Anliegen anderer im letzten Lebensabschnitt gerecht werden. Wer sich mit zunehmendem Alter nur die Selbstverliebtheit der Jugend bewahrt, darf sich nicht wundern, wenn er im Alter mit dieser Selbstverliebtheit alleingelassen wird. Phantasielose Selbstverliebtheit ist nichts für in die Tage gekommene Menschen.

Phantasie als Lebensrezept bedeutet, den in jungen Jahren notwendigen Kampf um Selbst-Etablierung zu Gunsten menschlicher Hinwendung aufzugeben. Alles andere ist nicht nur phantasielos, sondern dumm und belegt ein Unvermögen zu begreifen, dass wir zu einem erfüllten Älterwerden der Zuwendung anderer bedürfen. In diesem Sinn bedeutet mir Älterwerden, dass ich mich nicht nur für mich und mein Leben, für das Gewesene, für die Toten, für das schon tausend Mal Gesagte und Behauptete, sondern ebenso für das Heute und Morgen meiner notgedrungen allmählich kleiner werdenden Welt interessiere.

Auch wenn man zu alt ist, um nur zu spielen, muss man im Wollen und Wünschen jung genug bleiben, um auch immer am Leben und an den Wünschen anderer teilzuhaben.

Martin Buber drückt das, was ich meine, unübertroffen kurz und klar aus: »Alt sein ist ja ein herrliches Ding, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt.«

Insofern brauchen wir mehr Phantasie, je »älter« wir werden.



Alter ist nichts für Phantasielose

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