Читать книгу Wenn die Blätter sich rot färben - Louise Penny - Страница 10

8

Оглавление

Das Abendessen näherte sich dem letzten Gang. Sie hatten Maiskolben mit Butter gegessen, frisches Gemüse aus Peters und Claras Garten und einen Lachs, der im Ganzen über Holzkohle gegrillt worden war. Angeregt plauderten die Gäste miteinander, während warmes Brot herumgereicht und Salat serviert wurde.

Myrnas ausladendes Blumenarrangement mit Stockrosen, Wicken und Phlox stand in der Mitte des Tischs, sodass man fast glauben konnte, man würde im Garten essen. Gamache bekam mit, dass Lacoste sich bei ihren Sitznachbarn nach den Parras erkundigte und dann zu Old Mundin überleitete. Der Chief Inspector fragte sich, ob ihren Gesprächspartnern bewusst war, dass sie vernommen wurden.

Beauvoir wiederum plauderte mit seinen Sitznachbarn über den Jahrmarkt und die Besucher. Gegenüber von Beauvoir saß Ruth und funkelte ihn an. Gamache fragte sich, warum sie das tat, aber eigentlich kannte Ruth keinen anderen Gesichtsausdruck.

Gamache wandte sich Peter zu, der Rucola, Endiviensalat und frisch geerntete Tomaten servierte.

»Ich habe gehört, dass das alte Hadley-Haus verkauft worden ist. Haben Sie die neuen Besitzer schon kennengelernt?«

Peter reichte ihm die Salatschüssel aus stark gemasertem Holz.

»Ja. Die Gilberts. Marc und Dominique. Seine Mutter wohnt auch bei ihnen. Sie kommen aus Quebec City. Ich glaube, die Mutter war Krankenschwester oder was in der Art. Schon lange in Rente. Dominique hat in Montréal in der Werbung gearbeitet, und Marc war Immobilienmakler. Hat ein Vermögen gemacht und sich vom Markt zurückgezogen, bevor er eingebrochen ist.«

»Da hat er Glück gehabt.«

»Oder er war schlau«, sagte Peter.

Gamache nahm sich Salat. Er roch das köstliche Dressing aus Knoblauch, Olivenöl und frischem Estragon. Peter schenkte ihnen Rotwein nach und reichte die Flasche die lange Tafel hinunter. Gamache musterte Peter, ob seine Bemerkung vielleicht eine Spitze enthielt, einen Subtext. Meinte Peter mit »schlau«, dass Marc Gilbert gerissen, hinterlistig war? Nein, Gamache hatte den Eindruck, dass Peter es genau so meinte, wie er es sagte. Als Kompliment. Peter Morrow zog selten über andere her, und er machte auch selten Komplimente. Er schien von diesem Marc Gilbert tatsächlich beeindruckt zu sein.

»Kennen Sie die Gilberts gut?«

»Sie waren ein paarmal zum Abendessen bei uns. Nettes Paar.« Für Peters Verhältnisse war das geradezu überschwänglich.

»Interessant, dass sie sich gerade das alte Hadley-Haus aussuchen, wenn sie so viel Geld haben«, sagte Gamache. »Es steht schon mindestens ein Jahr leer. Sie hätten hier in der Gegend doch etwas Besseres bekommen.«

»Uns hat es auch überrascht, aber sie sagten, dass sie etwas gesucht haben, das sie sich ganz zu eigen machen können. Sie haben das Haus praktisch entkernt. Außerdem gehört eine Menge Grund dazu, und Dominique will Pferde halten.«

»Ich habe gehört, dass Roar Parra die Reitwege frei macht.«

»Mühselige Arbeit.«

Während ihres Gesprächs war Peters Stimme immer leiser geworden, sodass die Männer inzwischen die Köpfe zusammensteckten, als hätten sie ein konspiratives Treffen. Gamache fragte sich, worüber sie konspirierten.

»Für drei Leute ist das Haus ziemlich groß. Haben die beiden Kinder?«

»Nein.«

Peters Blicke wanderte den Tisch hinunter, dann wieder zurück zu Gamache. Wen hatte er angesehen? Clara? Gabri? Unmöglich zu sagen.

»Haben sie schon Freunde im Dorf gefunden?« Gamache richtete sich wieder auf und sprach in normaler Lautstärke weiter, steckte sich eine Gabel Salat in den Mund.

Wieder sah Peter den Tisch hinunter und sprach noch leiser. »Nicht so richtig.«

Bevor Gamache nachhaken konnte, stand Peter auf und fing an, den Tisch abzuräumen. Von der Spüle aus sah er zu seinen miteinander plaudernden Freunden. Sie waren sich nahe. Sie waren sich so nahe, dass sie die Hand ausstrecken und einander berühren konnten, was sie gelegentlich auch taten.

Peter nicht. Er stand abseits und sah zu. Er vermisste Ben, der früher in dem alten Hadley-Haus gelebt hatte. Als Kind hatte Peter oft dort gespielt. Er kannte es in- und auswendig. Sämtliche dunklen Ecken und Winkel, in denen sich Gespenster und Spinnen verbargen. Aber jetzt lebte dort jemand anderes und hatte es in etwas anderes verwandelt.

Bei dem Gedanken an die Gilberts spürte Peter, dass ihm leichter ums Herz wurde, wenigstens ein bisschen.

»Woran denken Sie?«

Peter zuckte zusammen, als er sah, dass Armand Gamache direkt neben ihm stand.

»Nichts Besonderes.«

Gamache nahm Peter den Quirl aus der Hand und gab die Schlagsahne und einen Tropfen Vanillearoma in die gekühlte Schüssel. Er schaltete das Gerät ein und beugte sich zu Peter. Seine Stimme wurde von dem Motorgeräusch übertönt, nur Peter konnte ihn hören.

»Erzählen Sie mir vom Hadley-Haus und seinen neuen Bewohnern.«

Peter zögerte, aber er wusste, dass Gamache nicht lockerlassen würde. Und mehr Diskretion konnte er nicht erwarten. Peters Worte gingen in dem Brummen und Schlagen fast unter und waren für niemanden, der weiter als zwanzig Zentimeter entfernt stand, zu verstehen.

»Marc und Dominique haben vor, ein Luxushotel mit Spa zu eröffnen.«

»Im alten Hadley-Haus?«

Gamache sah ihn derart verblüfft an, dass Peter beinahe lachen musste. »Es ist nicht mehr so, wie Sie es kennen. Sie sollten es sich mal ansehen. Es ist toll geworden.«

Der Chief Inspector fragte sich, ob eine Schicht Farbe und neue Armaturen den Teufel vertreiben konnten und ob die katholische Kirche davon wusste.

»Allen gefällt das nicht«, fuhr Peter fort. »Sie haben mit ein paar von Oliviers Angestellten geredet und ihnen besser bezahlte Stellen angeboten. Die meisten sind bei Olivier geblieben, aber er musste ihr Gehalt aufstocken. Die beiden reden nicht mehr miteinander.«

»Marc und Olivier?«, fragte Gamache.

»Sie halten sich nicht mal mehr zusammen in einem Zimmer auf.«

»Das ist in einem kleinen Dorf bestimmt unangenehm.«

»Eigentlich nicht.«

»Warum flüstern wir dann?« Gamache schaltete den Quirl aus und sprach in normaler Laustärke weiter. Nervös sah Peter wieder zum Tisch.

»Olivier wird sich bestimmt damit arrangieren, aber im Moment ist es besser, nicht die Sprache darauf zu bringen.«

Peter reichte Gamache einen Mürbeteigboden, den er in Stücke geschnitten hatte, und legte klein geschnittene, sattrot glänzende reife Erdbeeren darauf.

Gamache sah Clara aufstehen. Myrna folgte ihr. Olivier trat zu ihnen und stellte die Espressokanne auf den Herd.

»Braucht ihr Hilfe?«, fragte Gabri.

»Du kannst die Sahne verteilen. Auf dem Kuchen, Gabri«, fügte Peter hinzu, als Gabri zu Olivier trat, in der Hand einen Löffel Schlagsahne. Schon bald hatten die Männer eine kleine Erdbeerkuchenkette gebildet. Als sie fertig waren, drehten sie sich um, um den Nachtisch an den Tisch zu bringen, und erstarrten mitten in der Bewegung.

Dort, nur von Kerzen beleuchtet, standen Claras Werke. Genauer gesagt drei Staffeleien mit großen Leinwänden. Gamache wurde beinahe schwindlig, als hätte er eine Zeitreise in die Epoche von Rembrandt, da Vinci, Tizian gemacht. Als man Kunst entweder bei Tageslicht oder Kerzenschein betrachtet hatte. Hatte man so die Mona Lisa das erste Mal gesehen? Die Sixtinische Kapelle? Im sanften Feuerschein? Wie Höhlenzeichnungen.

Er trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und trat näher an die drei Staffeleien heran. Die anderen Gäste folgten ihm, magnetisch angezogen von den Bildern. Die Kerzen um sie herum flackerten. Sie spendeten mehr Licht, als Gamache gedacht hätte, aber vielleicht gaben Claras Bilder auch ihr eigenes Licht ab.

»Ich habe natürlich noch mehr, aber die drei sind das Herzstück der Ausstellung in der Galerie Fortin.«

Keiner hörte ihr zu. Alle starrten nur auf die Leinwände. Gamache trat einen Schritt zurück und nahm die Szene in sich auf.

Drei Porträts, drei ältere Frauen, erwiderten seinen Blick.

Auf dem einen Bild war eindeutig Ruth dargestellt. Es war das Bild, das Denis Fortins Aufmerksamkeit geweckt und ihn dazu veranlasst hatte, Clara eine der seltenen Einzelausstellungen anzubieten. Was in der gesamten Kunstwelt von Montréal bis Toronto, von New York bis London Aufsehen erregte. Alle redeten von dem neuen Talent, dem Schatz, der in den Eastern Townships entdeckt worden war.

Und da war er, genau vor ihnen.

Clara Morrow hatte Ruth als alte, vergessene Jungfrau Maria gemalt, wütend, dement. Die Ruth auf dem Porträt war voller Verzweiflung und Verbitterung. Weil ihr Leben hinter ihr lag, weil sie so vieles versäumt hatte. Wegen all der tatsächlich erlittenen, der eingebildeten, der selbst verschuldeten Verluste, wegen all des Verrats. Mit ausgemergelten Händen umklammerte sie einen groben blauen Schal. Er war von einer knochigen Schulter gerutscht, und die Haut hing herab wie ein Lappen, der an einem Haken baumelte.

Und dennoch strahlte das Porträt, ein winziger Lichtpunkt füllte den gesamten Raum. Er war in ihren Augen. Die verbitterte, verrückte Ruth starrte in die Ferne, sie starrte auf etwas Entferntes, das sich näherte. Eher eingebildet als real.

Hoffnung.

Clara hatte den Moment eingefangen, in dem Verzweiflung in Hoffnung umschlug. Den Moment, in dem das Leben begann. Sie hatte es geschafft, Gnade einzufangen.

Das Bild verschlug Gamache den Atem, und er merkte, wie seine Augen anfingen zu brennen. Blinzelnd wandte er sich ab, als würde er das helle Strahlen des Bildes nicht ertragen. Auch alle anderen im Raum waren wie gebannt, ihre Gesichter vom Kerzenschein weichgezeichnet.

Das nächste Porträt stellte unverkennbar Peters Mutter dar. Gamache hatte sie kennengelernt und nie mehr vergessen. Clara hatte sie frontal von vorne gemalt. Anders als Ruth starrte sie nicht in die Ferne, sondern auf etwas Nahes. Zu Nahes. Ihre weißen Haare waren zu einem lockeren Knoten geschlungen, ihr Gesicht ein Netz weicher Linien, so als wäre eine Glasscheibe gesprungen, aber nicht in Scherben gegangen. Sie sah weiß und rosig aus, gesund und reizend. Sie trug ein gelassenes, zartes Lächeln, das bis zu ihren sanften blauen Augen reichte. Gamache meinte fast, Puder und Zimt zu riechen. Und dennoch fand er das Porträt zutiefst verstörend. Und dann entdeckte er es. Die leichte Drehung der Hand nach außen. So als griffen die Finger aus der Leinwand heraus. Nach ihm. Er hatte den Eindruck, dass diese sanfte, reizende ältere Frau ihn berühren wollte. Und wenn sie das tat, dann würde er ein nie gekanntes Leid erfahren. Dann würde er jenen verlassenen Ort kennenlernen, wo nichts existierte, nicht einmal Schmerz.

Sie war abstoßend. Und doch fühlte er sich unwillkürlich zu ihr hingezogen, wie jemand, der Höhenangst hatte und vom Abgrund angezogen wurde.

Die dritte alte Frau konnte er nicht einordnen. Er hatte sie noch nie gesehen und fragte sich, ob sie Claras Mutter war. Sie kam ihm vage bekannt vor.

Dann sah er sie sich genauer an. Clara malte die Seele der Menschen, und er wollte wissen, was in dieser Seele steckte.

Sie wirkte glücklich. Neugierig blickte sie über die Schulter und lächelte etwas an. Etwas, das ihr sehr wichtig war. Auch sie trug einen Schal, dieser war aus alter, grober tiefroter Wolle. Sie wirkte wie jemand, der Reichtum gewohnt und plötzlich verarmt war. Und doch schien es ihr nichts auszumachen.

Interessant, dachte Gamache. Sie war in die eine Richtung unterwegs und sah in die andere. Hinter sich. Ihn überkam eine überwältigende Sehnsucht. Am liebsten hätte er einen Sessel zu dem Porträt gezogen, sich eine Tasse Kaffee eingeschenkt und es den Rest des Abends betrachtet. Den Rest seines Lebens. Es war verführerisch. Und gefährlich.

Er riss sich davon los und sah zu Clara, die im Dunkeln dastand und ihre Freunde dabei beobachtete, wie sie ihre Werke betrachteten.

Auch Peter sah herüber. Mit unverhohlenem Stolz.

»Bon Dieu«, sagte Gabri. »C’est extraordinaire

»Félicitations, Clara«, sagte Olivier. »Meine Güte, diese Bilder sind brillant. Hast du mehr davon?«

»Du willst doch nur wissen, ob ich auch eins von dir gemalt habe, oder?«, fragte sie lachend. »Non, mon beau. Nur Ruth und Peters Mutter.«

»Wer ist das?« Lacoste deutete auf das Bild, das Gamache so in seinen Bann geschlagen hatte.

Clara lächelte. »Das sag ich nicht. Das müssen Sie erraten.«

»Bin ich das?«, fragte Gabri.

»Ja, Gabri, das bist du«, sagte Clara.

»Ehrlich?« Zu spät bemerkte er ihr Lächeln.

Das Seltsame war, dachte Gamache, dass es Gabri tatsächlich ähnlich sah. Erneut betrachtete er das Bild im sanften Kerzenschein. Es war keine körperliche Ähnlichkeit, sondern eine seelische. Die Figur wirkte glücklich. Aber da war noch etwas. Und das passte nicht so ganz zu Gabri.

»Also, wer bin ich?«, fragte Ruth und hinkte näher an die Gemälde heran.

»Mensch, du alte Säuferin«, sagte Gabri. »Die da natürlich.«

Ruth musterte ihr genaues Ebenbild. »Glaub ich nicht. Sieht mehr wie du aus.«

»Alte Schachtel«, murmelte Gabri.

»Alte Schwuchtel«, erwiderte sie murmelnd.

»Clara hat dich als Jungfrau Maria gemalt«, erklärte Olivier.

Ruth beugte sich vor und schüttelte den Kopf.

»Jungfrau?«, flüsterte Gabri Myrna zu. »Ins-Knie-Ficken gilt also nicht?«

»Apropos«, Ruth sah zu Beauvoir. »Hast du ein Blatt Papier, Peter? Ich merke gerade, dass mir eine Idee für ein Gedicht kommt. Oder meinst du, es wäre zu viel, wenn man ›Arschloch‹ und ›Armleuchter‹ im selben Satz verwendet?«

Beauvoir zuckte zusammen.

»Schließ die Augen und denk an England«, riet Ruth Beauvoir, der tatsächlich gerade an ihr Englisch dachte.

Gamache ging zu Peter, der noch immer die Werke seiner Frau betrachtete.

»Wie geht es Ihnen?«

»Fragen Sie mich, ob mir danach ist, ein Rasiermesser zu nehmen und sie in Fetzen zu schneiden und zu verbrennen?«

»So in der Art.«

Ein solches Gespräch führten sie nicht zum ersten Mal, seit sich abzeichnete, dass Peter vielleicht in naher Zukunft seinen Platz als bester Künstler in der Familie, im Dorf, in der Provinz für seine Frau würde räumen müssen. Peter hatte oft damit gerungen, und den einen oder anderen Kampf hatte er verloren.

»Selbst wenn ich wollte, könnte ich sie nicht bremsen«, sagte Peter. »Aber ich will es gar nicht.«

»Es gibt einen Unterschied zwischen jemanden bremsen und jemanden unterstützen.«

»Die Bilder sind so gut, dass selbst ich es nicht mehr leugnen kann«, sagte Peter. »Sie beeindruckt mich.«

Die beiden sahen zu der molligen kleinen Frau, die nervös ihre Freunde musterte und offensichtlich keine Ahnung hatte, welche Meisterwerke sie da geschaffen hatte. »Arbeiten Sie gerade an etwas?« Gamache deutete mit dem Kopf auf die geschlossene Tür zu Peters Atelier.

»Das tu ich immer. Ein Holzscheit.«

»Ein Holzscheit?« Das klang nicht gerade nach einem großen Einfall. Peter Morrow war einer der erfolgreichsten Künstler des Landes, und das hatte er erreicht, indem er banale Alltagsgegenstände nahm und sie akribisch genau abmalte. Sodass man sie nicht mehr als die Gegenstände, die sie waren, erkennen konnte. Er ging ganz nah an sie heran, dann vergrößerte er einen Teil und malte ihn.

Seine Arbeiten wirkten abstrakt. Dass sie das nicht waren, befriedigte Peter ungeheuer. Sie waren die ins Extreme gesteigerte Wirklichkeit. So wirklich, dass man sie nicht erkannte. Und jetzt war eben ein Holzscheit dran. Er hatte einen von dem Stapel neben dem Kamin genommen, und der wartete in seinem Atelier auf ihn.

Der Nachtisch wurde aufgetragen, Kaffee und Cognac eingeschenkt, und die Gäste spazierten herum, während Gabri Klavier spielte. Gamache konnte sich kaum von den Bildern losreißen. Besonders von dem Porträt der Unbekannten. Die seinen Blick erwiderte. Clara gesellte sich zu ihm.

»Mein Gott, Clara, das sind die größten Kunstwerke, die jemals ein Mensch geschaffen hat.«

»Meinen Sie?«, fragte sie in geheucheltem Ernst.

Er lächelte. »Sie sind brillant, das wissen Sie. Sie müssen vor nichts Angst haben.«

»Wenn es so wäre, dann wäre ich keine Künstlerin.«

Gamache zeigte auf das Bild. »Wer ist das?«

»Ach, nur jemand, den ich kenne.«

Gamache wartete, aber Clara wollte nicht mit der Sprache herausrücken, was ihr überhaupt nicht gleichsah, und er beschloss, es auf sich beruhen zu lassen. Sie ging weg, und Gamache blickte unverwandt auf das Porträt. Dabei veränderte es sich. Vielleicht lag es auch an dem wechselnden Licht. Aber je mehr er es anstarrte, desto deutlicher hatte er das Gefühl, dass Clara noch etwas in dem Bild versteckt hatte. So wie Ruth’ Porträt das einer verbitterten Frau war, die Hoffnung fand, enthielt auch dieses etwas Unerwartetes.

Eine glückliche Frau, die in der nahen und mittleren Distanz Dinge erblickte, die ihr Freude bereiteten, Zufriedenheit schenkten. Doch ihre Augen schienen plötzlich noch etwas anderes zu erfassen. Etwas in der Ferne. Das auf sie zukam.

Gamache nippte an seinem Cognac und betrachtete das Bild. Und schließlich begriff er, welches Gefühl sie gerade überkam.

Furcht.

Wenn die Blätter sich rot färben

Подняться наверх