Читать книгу Wenn die Blätter sich rot färben - Louise Penny - Страница 7

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Nach dem Lunch ging Agent Lacoste in Gabris Pension, um sich um Zimmer für die Nacht zu kümmern, während Gamache die entgegengesetzte Richtung einschlug. Fürs Erste hatte es aufgehört zu nieseln, aber in den Wäldern und Hügeln rings um das Dorf hing Nebel. Die Leute kamen aus ihren Häusern, um Besorgungen zu erledigen oder in ihren Gärten zu arbeiten. Er lief die matschige Straße entlang, bog nach links und überquerte die Steinbrücke, die über das Flüsschen Bella Bella führte.

»Hunger?« Gamache öffnete die Tür zu dem alten Bahnhof und hielt die braune Papiertüte in die Höhe.

»Und wie, merci.« Mit wenigen Schritten stand Beauvoir neben ihm, nahm die Tüte und holte ein Sandwich mit Huhn, Brie und Pesto heraus. Außerdem befand sich noch eine Cola und pâtisserie darin.

»Und Sie?«, fragte Beauvoir, die Hand mit dem kostbaren Sandwich verharrte in der Luft.

»Danke, ich hab schon gegessen«, sagte Gamache und beschloss, Beauvoir mit einer Beschreibung seiner Mahlzeit zu verschonen.

Die Männer zogen zwei Stühle an den warmen bauchigen Ofen und verglichen ihre Notizen, während der Inspector aß.

»Bislang«, sagte Gamache, »haben wir keine Ahnung, wer das Opfer war, wer den Mann umgebracht hat, warum er im Bistro war und was als Tatwaffe benutzt wurde.«

»Die Tatwaffe ist noch nicht aufgetaucht?«

»Nein. Dr. Harris meint, es könnte eine Eisenstange gewesen sein, oder etwas in der Art. Jedenfalls etwas Glattes, Hartes.«

»Ein Schürhaken?«

»Möglicherweise. Wir haben Oliviers Schürhaken mitgenommen und ins Labor geschickt.« Der Chief Inspector hielt inne.

»Was ist?«, fragte Beauvoir.

»Ich finde es etwas seltsam, dass Olivier in beiden Kaminen ein Feuer angezündet hat. Es regnet zwar, aber besonders kalt ist es nicht. Und dass er es unmittelbar nach der Entdeckung einer Leiche getan hat …«

»Glauben Sie, dass einer der Schürhaken die Tatwaffe gewesen sein könnte? Und Olivier die Kamine angeschürt hat, damit er einen Grund hat, sie zu benutzen? Um mögliche Spuren darauf zu vernichten?«

»Das wäre möglich«, sagte der Chief Inspector vorsichtig.

»Wir lassen sie untersuchen«, sagte Beauvoir. »Aber selbst wenn einer davon die Tatwaffe gewesen sein sollte, heißt das nicht, dass Olivier der Mörder ist. Jeder könnte ihn genommen und den Mann damit erschlagen haben.«

»Das stimmt. Allerdings war es Olivier, der heute Morgen die Kamine angeschürt hat.«

Es war klar, dass er als leitender Ermittler jeden als Verdächtigen betrachten musste. Aber genauso klar war, dass ihm das nicht behagte.

Beauvoir winkte ein paar große Männer herein, die an der Tür standen. Die Ausrüstung für die Einsatzzentrale war eingetroffen. Lacoste kam und gesellte sich zu ihnen an den Ofen.

»Ich habe für uns Zimmer in der Pension reserviert. Übrigens habe ich Clara Morrow getroffen. Sie hat uns zum Abendessen eingeladen.«

Gamache nickte. Das war gut. Bei einem geselligen Beisammensein brachte man oft mehr in Erfahrung als bei einer Befragung.

»Olivier hat mir die Namen der Leute gegeben, die gestern Abend im Bistro gearbeitet haben. Ich werde sie mir gleich vornehmen«, berichtete sie weiter. »Außerdem sind ein paar Teams unterwegs, die das Dorf und die nähere Umgebung nach der Tatwaffe absuchen, mit einem besonderen Augenmerk auf Schürhaken oder etwas Ähnliches.«

Nachdem Inspector Beauvoir gegessen hatte, machte er sich daran, die Ermittlungszentrale einzurichten. Agent Lacoste zog los, um das Bistropersonal zu befragen. Mit einem gewissen Unbehagen sah Gamache sie gehen. Regelmäßig ermahnte er seine Mitarbeiter, nicht zu vergessen, was sie taten und wonach sie suchten. Nach einem Mörder.

Vor Jahren hatte der Chief Inspector einen seiner Männer verloren. Er war einem Mörder zum Opfer gefallen. So etwas durfte nie wieder passieren. Aber er konnte auch nicht ständig auf alle aufpassen. So wie Annie musste er sie irgendwann aus seiner Obhut entlassen.

Agent Lacoste führte die letzte Befragung dieses Tages durch. Die Bedienungen, die am Abend zuvor im Bistro gearbeitet hatten, hatten alle mehr oder weniger dasselbe ausgesagt. Nein, es sei nichts Ungewöhnliches vorgefallen. Es sei voll gewesen, wie üblich am Samstagabend, und erst recht am verlängerten Labour-Day-Wochenende. Dienstag fing die Schule wieder an, und alle, die den Sommer auf dem Land verbracht hatten, würden sich am Montag auf den Weg zurück nach Montréal machen. Also morgen.

Auch vier der Kellner würden am nächsten Tag an die Universität zurückkehren. Eine besonders große Hilfe waren sie nicht, weil sie wohl vor allem um einen Tisch mit hübschen jungen Frauen herumscharwenzelt waren.

Die fünfte Bedienung war eine Frau, deren Aussage brauchbarer war, weil sie auch für etwas anderes als Brüste Augen gehabt hatte. Das änderte allerdings nichts daran, dass es offenbar einfach nur ein normaler, wenn auch ziemlich betriebsamer Abend gewesen war. Keiner von ihnen erwähnte einen Toten, und Lacoste vermutete, dass selbst den jungen Männern eine Leiche nicht entgangen wäre.

Sie fuhr zu dem letzten Kellner. Er hatte die Verantwortung, wenn Olivier gegangen war, und war derjenige, der eine letzte Runde drehte und abschloss.

Das Haus lag am Ende einer langen Schotterstraße, die von der Hauptstraße abzweigte. Sie wurde von Ahornbäumen gesäumt, deren Laub zwar noch nicht die leuchtenden Herbstfarben angenommen hatte, aber ein paar waren schon orange und rot getupft. In einigen Wochen wäre diese Fahrt spektakulär, dachte Lacoste.

Sie stieg aus und blieb erstaunt stehen. Vor ihr lag ein Würfel aus Beton und Glas. Er wirkte hier ungefähr so fehl am Platz wie ein Zelt auf der Fifth Avenue. Er gehörte einfach nicht hierher. Als sie darauf zuging, bemerkte sie noch etwas anderes. Das Haus schüchterte sie ein, und sie fragte sich, warum. Sie mochte es lieber traditionell, wenngleich nicht altbacken. Ihr gefielen freigelegte Ziegelwände und Balken, aber sie hasste Chaos, wobei sie sich nach der Geburt der Kinder alle Ambitionen auf ein gepflegtes Zuhause abgeschminkt hatte. Inzwischen war es schon ein kleiner Triumph, wenn sie durch ein Zimmer ging, ohne auf etwas zu treten, das quietschte.

Ein Triumph war dieses Haus hier ganz sicher. Aber war es auch ein Zuhause?

Eine mollige Frau mittleren Alters öffnete die Tür. Sie sprach sehr gut Französisch, vielleicht ein wenig übergenau. Es überraschte Lacoste. Sie hätte erwartet, dass in diesem strengen Haus kantige Menschen lebten.

»Madame Parra?« Agent Lacoste hielt ihren Dienstausweis in die Höhe. Die Frau nickte, lächelte freundlich und trat einen Schritt beiseite, um sie hereinzulassen.

»Entrez. Es geht um das, was im Bistro passiert ist, oder?«, sagte Hanna Parra.

»Ja.« Lacoste beugte sich nach unten, um ihre verdreckten Stiefel auszuziehen. Sie fand es immer seltsam und peinlich. Das berühmte Mordermittlerteam der Sûreté, das in Socken Verdächtige vernahm.

Madame Parra forderte sie nicht auf, die Stiefel anzubehalten. Allerdings gab sie ihr ein Paar Hausschuhe aus einer Holzkiste an der Tür, in der lauter alte Schuhe lagen. Auch das überraschte Lacoste, die erwartet hätte, dass hier tadellose Ordnung herrschte. Strenge.

»Ich will mit Ihrem Sohn sprechen.«

»Havoc.«

Havoc. Der Name hatte Inspector Beauvoir amüsiert, aber Agent Lacoste fand nichts Lustiges daran. Auf seltsame Weise schien er zu diesem unterkühlten, spröden Haus zu passen. Nur ein solcher Ort konnte Chaos standhalten.

Bevor sie losgefahren war, hatte sie Erkundigungen über die Parras eingezogen. Das hatte ihr zwar nur ein grobes Bild vermittelt, aber es war dennoch nützlich. Die Frau, die sie durch die Diele führte, war in Saint-Rémy in der Kommunalverwaltung, und ihr Mann Roar erledigte grobe Arbeiten für die Besitzer einiger größerer Anwesen hier in der Gegend. Mitte der achtziger Jahre waren sie aus der Tschechoslowakei nach Québec geflohen, wo sie sich am Rand von Three Pines niedergelassen hatten. In der Gegend gab es eine große und einflussreiche tschechische Gemeinde, Menschen, die auf der Flucht gewesen waren, bis sie fanden, wonach sie suchten. Freiheit und Sicherheit. Hanna und Roar Parra hatten Three Pines gefunden.

Und hier hatten sie dann Havoc gezeugt.

»Havoc!«, rief seine Mutter in den Wald, und der Hund nutzte die Gelegenheit und schlüpfte zur Tür hinaus.

Nachdem sie noch ein paarmal gerufen hatte, erschien ein kleiner, kräftiger junger Mann. Sein gerötetes Gesicht zeugte von harter Arbeit, und seine dunklen Locken waren verwuschelt. Als Lacoste ihn lächeln sah, wusste sie, dass die anderen Kellner im Bistro keine Chance bei den jungen Frauen gehabt hatten. Er würde jede kriegen. Auch ihr Herz flog ihm auf der Stelle zu, und sie rechnete schnell nach. Sie war achtundzwanzig, er einundzwanzig. In fünfundzwanzig Jahren würde das nicht mehr auffallen, auch wenn ihr Mann und ihre Kinder da vielleicht anderer Meinung waren.

»Wie kann ich Ihnen helfen?« Er bückte sich und zog seine grünen Gummistiefel aus. »Ach klar, es geht um den Mann, den sie heute Morgen im Bistro gefunden haben. Entschuldigung. Blöde Frage.«

Während sie redeten, gingen sie in die schickste Küche, die Lacoste je gesehen hatte. Statt des obligatorischen Fertigmöbelhufeisens befand sich hier an der hinteren Wand des hellen Raums eine Küchenzeile. Es gab eine lange Arbeitsplatte aus Beton, die Gerätschaften waren aus Edelstahl, darüber schwebten Regalbretter, auf denen präzise das reinweiße Geschirr gestapelt war. Die Unterschränke hatten eine dunkle Laminatfront. Das Ganze wirkte retro und gleichzeitig hypermodern.

Anstelle einer Kücheninsel stand in der Mitte des Raums ein Esstisch mit einer mattierten Glasplatte und Teakholzstühlen, augenscheinlich alt. Als sich Lacoste setzte, stellte sie fest, dass sie erstaunlich bequem waren, und sie fragte sich, ob die Antiquitäten aus Prag stammten. Dann fragte sie sich, ob Leute tatsächlich mit Teakholzstühlen über eine Grenze flohen.

Gegenüber lag eine Fensterwand, die über Eck ging und einen wunderbaren Blick auf Felder und Wälder und einen Berg dahinter bot. In der Ferne sah sie einen weißen Kirchturm und eine Rauchfahne. Three Pines.

Im Wohnbereich standen sich vor den riesigen Fenstern zwei Sofas gegenüber, zwischen ihnen ein niedriger Tisch.

»Tee?«, fragte Hanna, und Lacoste nickte.

Die beiden Parras passten nicht in diese beinahe sterile Umgebung, und während sie warteten, bis der Tee gezogen hatte, fragte sich Lacoste, was mit dem fehlenden Parra war. Dem Vater, Roar. Vielleicht hatte er dem strengen Haus seinen Stempel aufgedrückt. Vielleicht war er derjenige, der sich nach unterkühlter Klarheit, nach geraden Linien, beinahe leeren Räumen und ordentlichen Regalen sehnte.

»Wissen Sie, wer der Tote war?«, fragte Hanna und stellte eine Tasse Tee vor Agent Lacoste. Auch ein weißer Teller mit Keksen erschien auf dem blank polierten Tisch.

Lacoste dankte ihr und nahm einen Keks. Er war weich und warm und schmeckte nach Rosinen, Hafermehl und einem Hauch braunem Zucker und Zimt. Er schmeckte nach Zuhause. Auf der Teetasse winkte ein lächelnder Schneemann, der in einem roten Anzug steckte. Bonhomme Carnaval. Eine Figur aus dem alljährlichen Winterkarneval in Quebec City. Sie nahm einen Schluck. Der Tee war stark und süß.

So wie Hanna selbst, dachte Lacoste.

»Nein, wir wissen noch nicht, wer er war«, sagte sie.

»Wir haben gehört«, Hanna zögerte, »dass er keines natürlichen Todes gestorben ist. Ist das wahr?«

Lacoste dachte an den Schädel des Mannes. »Nein, es war kein natürlicher Tod. Er wurde ermordet.«

»Du lieber Gott«, sagte Hanna. »Wie schrecklich. Und Sie haben keine Ahnung, wer es war?«

»Das werden wir sicher bald. Aber zunächst muss ich alles über den gestrigen Abend wissen.« Sie wandte sich an den jungen Mann ihr gegenüber.

In dem Moment war von der Hintertür eine Stimme zu hören, die etwas in einer Sprache rief, die Lacoste nicht verstand, aber für Tschechisch hielt. Ein stämmiger kleiner Mann trat in die Küche und klopfte mit seiner Strickmütze gegen seine Jacke.

»Roar, kannst du das nicht in der Diele machen?«, sagte Hanna auf Französisch, und trotz des leisen Tadels freute sie sich ganz offensichtlich, ihn zu sehen. »Die Polizei ist hier. Wegen der Leiche.«

»Welche Leiche?«, Roar wechselte ins Französische, auch er hatte einen leichten Akzent. Er klang besorgt. »Wo? Hier?«

»Nicht hier, Dad. Sie haben heute Morgen im Bistro eine Leiche gefunden. Einen Mann, der ermordet wurde.«

»Ermordet, sagst du? Jemand wurde letzte Nacht im Bistro ermordet?«

Sein Erstaunen war unübersehbar. Wie sein Sohn war er untersetzt und muskulös. Seine dunklen Haare waren ebenfalls lockig, wurden aber bereits grau. Lacoste schätzte ihn auf Ende vierzig.

Sie stellte sich vor.

»Ich kenne Sie«, sagte er. Der Blick aus seinen erstaunlich blauen Augen war scharf und durchdringend. »Sie waren schon mal in Three Pines.«

Er hatte ein gutes Gedächtnis für Gesichter, dachte Lacoste. Die meisten Leute erinnerten sich an Chief Inspector Gamache. Vielleicht noch an Inspector Beauvoir. An sie oder das andere Fußvolk erinnerten sich die wenigsten.

Dieser Mann sehr wohl.

Er schenkte sich eine Tasse Tee ein und setzte sich. Auch er wirkte in diesem perfekten, modernen Raum etwas fehl am Platz. Dennoch schien er sich wohlzufühlen. Er sah aus wie ein Mann, der sich so gut wie überall wohlfühlte.

»Sie haben bisher noch nichts von dem Fund der Leiche gehört?«

Roar Parra biss in einen Keks und schüttelte den Kopf. »Ich hab den ganzen Tag im Wald gearbeitet.«

»Bei dem Regen?«

Er zuckte die Achseln. »Ja und? So ein bisschen Regen bringt einen nicht um.«

»Anders als ein Schlag auf den Kopf.«

»Ist er so gestorben?« Als Lacoste nickte, fragte Parra: »Wer war er?«

»Das weiß man nicht«, sagte Hanna.

»Aber Sie vielleicht«, sagte Lacoste. Sie zog ein Foto aus der Tasche und legte es mit der Vorderseite nach unten auf den harten, kalten Tisch.

»Ich?«, sagte Roar schnaubend. »Ich wusste ja nicht mal, dass es einen Toten gibt.«

»Mir wurde gesagt, Sie hätten diesen Sommer einen Fremden im Dorf gesehen.«

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Das tut nichts zur Sache. Jemand hat mitbekommen, wie Sie darüber redeten. War das denn ein Geheimnis?«

Parra zögerte. »Eigentlich nicht. Ich hab ihn nur einmal gesehen. Vielleicht zweimal. Nicht wichtig. Reine Blödheit. Ich hab mir eingebildet, einen Mann gesehen zu haben.«

»Blödheit?«

Er lächelte unvermittelt. Das erste Lächeln, seit er gekommen war, und es verwandelte sein ernstes Gesicht. Seine Wangen legten sich in Falten, und einen Moment lang leuchteten seine Augen.

»Ja, Blödheit. Damit kenn ich mich aus, schließlich hab ich einen Jungen durch die Pubertät gebracht. Wahrscheinlich bedeutet es nichts, aber ich erzähl’s Ihnen trotzdem. Das alte Hadley-Haus hat neue Besitzer. Vor einigen Monaten hat ein Paar es gekauft. Sie renovieren gerade und haben mich beauftragt, einen Stall zu bauen und ein paar Wege zu räumen. Ich soll auch den Garten herrichten. Gibt viel zu tun.«

Das alte Hadley-Haus, erinnerte sie sich, war ein heruntergekommener viktorianischer Kasten auf einem Hügel über Three Pines.

»Ich dachte, ich hätte jemand im Wald gesehen. Einen Mann. Plötzlich hatte ich das Gefühl, bei der Arbeit beobachtet zu werden, aber dann dachte ich, dass ich mir das nur einbilde. So ein Gefühl kann einen da oben leicht befallen. Manchmal hab ich mich schnell umgedreht, um zu sehen, ob da wirklich jemand war, aber da war nie jemand. Bis auf das eine Mal.«

»Was ist passiert?«

»Er ist verschwunden. Ich habe gerufen und bin ihm sogar in den Wald hinterhergelaufen, aber er war weg.« Parra hielt inne. »Vielleicht war er ja nie da.«

»Aber eigentlich glauben Sie das nicht, oder? Sie glauben, dass da wirklich jemand war?«

Parra sah sie an und nickte.

»Würden Sie ihn wiedererkennen?«, fragte Lacoste.

»Vielleicht.«

»Ich habe hier ein Foto des Toten, das heute Morgen aufgenommen wurde. Es ist kein schöner Anblick«, warnte sie ihn vor. Parra nickte, und sie drehte es um. Alle drei sahen es an, musterten es eingehend, dann schüttelten sie den Kopf. Sie ließ es auf dem Tisch neben dem Keksteller liegen.

»Gestern Abend war alles wie sonst? Nichts Ungewöhnliches?«, fragte sie Havoc.

Er erzählte ihr das Gleiche wie die anderen Kellner. Viel los, gutes Trinkgeld, keine Zeit, um auch nur durchzuschnaufen.

Fremde?

Havoc überlegte, dann schüttelte er den Kopf. Nein. Ein paar Sommergäste und Wochenendausflügler, aber alles bekannte Gesichter.

»Was haben Sie getan, nachdem Olivier und Old Mundin gegangen waren?«

»Das Geschirr weggeräumt, eine schnelle Runde gedreht, alle Lichter ausgemacht und zugesperrt.«

»Sind Sie sicher, dass Sie zugesperrt haben? Heute Morgen war die Tür nicht abgeschlossen.«

»Ja. Ich sperre immer zu.«

In die Stimme des jungen Mannes hatte sich eine leichte Unruhe geschlichen. Das war normal, wie Lacoste wusste. Die meisten Menschen, auch völlig unschuldige, wurden nervös, wenn sie von einem Mordermittler befragt wurden. Aber Lacoste hatte noch etwas anderes bemerkt.

Sein Vater hatte ihn angesehen und den Blick dann schnell abgewandt. Lacoste fragte sich, wer Roar Parra wirklich war. Er arbeitete im Wald. Er mähte Wiesen und kümmerte sich um Gärten. Aber was hatte er davor gemacht? Viele Menschen fühlten sich vom Frieden eines Gartens angezogen, nachdem sie die Brutalität des Lebens kennengelernt hatten.

Hatte Roar Parra Gewalt erfahren? Hatte er sie selbst ausgeübt?

Wenn die Blätter sich rot färben

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