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Frankfurt am Main –
Fries, Steffan und die „verbissenen Nazigegner“ der Polizei

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„Lill: Um Himmels willen! Am Radio dürfen sie nicht drehn, das hat die Wirtin streng verboten. […] Nur Deutschlandsender oder Berlin darf gespielt werden. – Walter: Aha! Angst vor Gustav Siegfried I., was? – Lill: Ja, es kann doch was passieren in einem Lokal. – Walter: Und wenn hier kein Lokal wäre?“

Günther Weisenborn, Die Illegalen91

Man würde gern wissen, was der Wirt dachte. Oder war es eine Wirtin? Ein Paar, gut möglich. Die Wirtsleute der Konspiration. Sie müssen vieles gewusst haben. Diejenigen, die sich jahrelang im Hinterzimmer trafen, waren entschlossene Regimegegner. Sie wurden bestens versorgt, mit Bier oder im Frankfurter Bahnhofsviertel auch mit Apfelwein. Hochverrat aus Sicht der Diktatur. Die Wirtsleute brachten sich damit in höchste Gefahr. Sie ermöglichten das beinahe Unmögliche.

Die Zentrale des illegalen Leuschner-Netzes im Westen verortet der Zeitzeuge Emil Henk „in Frankfurt“.92 Für die Topografie der Widerstandsorganisation ist diese Aussage von zentraler Bedeutung. Insbesondere im Frankfurter Bahnhofsviertel liefen viele Fäden zusammen. Deshalb war es tragisch, dass am 29. Januar 1944 gerade dort eine Fliegerbombe einschlug, wo sich die Mitglieder des Leuschner-Netzes aus dem Rhein-Main-Gebiet seit Jahren trafen.

Von den zehn Menschen, die im Keller unter dem Hotelrestaurant „Zimmermann“ in der Kronprinzenstraße 52 (heute Münchener Straße) Schutz gesucht haben, sind sieben sofort tot. Einer der Überlebenden ist der aus dem Saarland stammende Kriminalbeamte Christian Fries, einer der Drahtzieher der Untergrund-Organisation im Rhein-Main-Gebiet. Fries wird jedoch schwer verletzt und muss mehrere Monate pausieren:

„Hierdurch erlitt der in vollem Gang befindliche Aufbau der Organisation eine Unterbrechung. Ich konnte jedoch erst nach meiner Ausheilung im Mai 1944 die Arbeit wieder aufnehmen. Jedenfalls war beim Eintreten des Ereignisses am 20. Juli 1944 die Organisation aktionsfähig und hätte dies unter Beweis gestellt, wenn das Attentat auf Hitler geglückt wäre.“93

Fries’ Büro im Frankfurter Polizeipräsidium, wo er sich vor allem mit Wettbetrügern beschäftigte, blieb jedoch Anfang 1944 zunächst einige Wochen leer, obwohl Fries zu diesem Zeitpunkt längst eine regionale Schlüsselfigur des Leuschner-Netzes war, wie er nach Kriegsende berichtet: „ Im Jahr 1943 erhielt ich von Steffan, der engster Mitarbeiter des ermordeten Leuschner war, den Auftrag, in Frankfurt/M. eine antifaschistische Organisation zu schaffen, die bei einem bestimmten Ereignis in Aktion treten sollte.“94

Die Angehörigen der Gruppe, die für Fries die Basis der geplanten Umsturzaktion in der Mainmetropole bilden sollten, waren für ihn „verbissene Nazigegner“. Diese Entschlossenen trafen sich bereits seit 1937 unentdeckt in einem Hinterzimmer des nun ausgebombten Hotelrestaurants. Man zerbrach sich den Kopf darüber, was gegen den braunen Terror getan werden konnte. Doch es wurde nicht nur geredet, sondern auch gehandelt. Um Juden zu retten oder von Verfolgung bedrohte politische Freunde zu warnen, nutzte die Gruppe um Fries Kontakte zur Gestapo, etwa zu dem Gestapo-Beamten Gottholf Fengler. Viele Teilnehmer der konspirativen Zusammenkünfte im Frankfurter Bahnhofsviertel waren ehemalige oder noch aktive Polizeibeamte – wohl der Kern einer bislang wenig beachteten „Widerstandszelle im Frankfurter Polizeipräsidium“.95

Die Fries-Gruppe war keineswegs isoliert. Ihre Kontakte reichten weit über die Region hinaus – ins Ruhrgebiet, nach Holland und bis nach Berlin, wo die Planungen für das „bestimmte Ereignis“ liefen, das schließlich am 20. Juli 1944 stattfand. „Ständiger Teilnehmer an diesen Zusammenkünften wurde der frühere SPD-Abgeordnete und jetzige stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz, Jakob Steffan, nachdem er nach acht Jahren aus dem Konzentrationslager entlassen worden war“, berichtet Fries unmittelbar nach Kriegsende.96

Zu den führenden Köpfen des zivilen Widerstands im Umfeld des 20. Juli 1944 im Rhein-Main-Gebiet gehörte der Rheinhesse Jakob Steffan, der zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine lange politische Biografie zurückblicken konnte: Von Juli bis November 1932 SPDReichstagsabgeordneter für den Wahlkreis Hessen-Darmstadt, saß er von 1927 bis zur NS-Machtergreifung zugleich als Abgeordneter des „Volksstaates Hessen“ im Landtag. Im Jahr 1932 verübten Unbekannte in seinem Heimatort Oppenheim am Rhein einen Sprengstoffanschlag auf sein Gartenhaus.97 Nach 1933 verfolgten ihn die Nationalsozialisten unerbittlich. Frankfurt am Main, Darmstadt und Mainz – das waren allein im Jahr 1933 die Haftstationen des Jakob Steffan. Es folgten mehr als zwei Jahre Gefängnis in der hessischen JVA Butzbach. Danach wurde er als politischer Gefangener ohne Haftpause ins KZ Dachau überstellt. Steffan überlebt die jahrelange Qual. Erst am 20. Juli 1940 wurde der Haftbefehl gegen ihn unter strengen Meldeauflagen endgültig aufgehoben.

Obwohl durch Prügel während der Haft in seiner Sehfähigkeit stark beeinträchtigt, war Steffans Widerstandsgeist ungebrochen. In der Mainzer Zentrale der Gestapo, in der er sich regelmäßig melden musste, lernte er den Kriminaloberassistenten Anton Huf und den Kriminalsekretär Peter Eisenhauer kennen, die ihn mit Informationen zu geplanten Verhaftungen verfolgter Personen versorgten. So konnte er mehrere gefährdete Personen vor der Festnahme bewahren, wie etwa den Mainzer Bischof und ehemaligen hessischen Zentrumsabgeordneten Albert Stohr sowie die Jüdin Bertel Huhn aus Guntersblum und deren Tochter Erika. Bertel Huhn war die Ehefrau des rheinhessischen Arztes und Widerstandskämpfers Ernst Huhn.

Informanten in der Gestapo zu haben war vielerorts überaus wertvoll für die Konspiration. Auch die Oppositionellen in der Frankfurter Polizei verfügten über solche Informanten in wichtigen Institutionen des Regimes. Einer von ihnen war Gottholf Fengler. Der Gestapo-Mann Fengler und Christian Fries, der Kopf der Frankfurter Widerstandsgruppe in der Polizei, die überregional bestens vernetzt war, arbeiteten eng zusammen. „Wir gehörten dem sogenannten Leuschnerkreis an. Ein gewisser Kettel, Führer der SPD und Gewerkschaftsfunktionär, der unter dem Namen Camphausen auftrat, leitete die ganze Sache sozusagen. Wir waren alle ausgerichtet und hatten unsere Weisungen für den 20. Juli 1944, wenn die Sache geglückt wäre“, schreibt Fries später.98

Mit dem Scheitern des Staatstreichs gegen Hitler wurden die zivilen Widerstandsstrukturen, die Leuschner in vielen deutschen Städten aufgebaut hatte, um die militärische Erhebung des 20. Juli 1944 zu unterstützen, nicht mehr unmittelbar aktiv.

Das „mit am besten organisierte Gebiet“ der zivilen Struktur des Widerstands kurz vor dem 20. Juli sei „der Bereich zwischen Kassel und Heidelberg“ gewesen, vermerkt der Zeitzeuge Emil Henk 1946. Als politischer Leiter der westdeutschen Zentrale des Leuschner-Netzes in Frankfurt am Main fungierte der Rheinhesse Ludwig Schwamb, wie Emil Henk ebenfalls Mitglied des Kreisauer Kreises. Er wurde am 23. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet. Verantwortlich für die in der Mainmetropole geplanten praktischen Widerstandsaktionen, insbesondere im Polizeibereich, war laut Henk „Kriminalrat Fries, der sich seinen Stab von Mitarbeitern schuf“.

Nach dem Krieg beschreibt Fries, welche Rolle seiner Widerstandsgruppe bei einem geglückten Attentat in Frankfurt am Main zugedacht war: „Für das Eintreten des angekündigten politischen Ereignisses war vorgesehen: a) Sofortige Fühlungnahme und Zusammengehen mit anderen antifaschistischen Gruppen, b) Besetzung des Rundfunks, c) Ausschaltung der Gestapo.“99 Für die Aktion gegen die Gestapo hätte wohl eine komplette MG-Kompanie der Frankfurter Polizei zur Verfügung gestanden. „Ungefähr 40 Personen waren auf diese Weise bereits erfasst.“100 Die Namen des Spionageabwehrchefs der Frankfurter Gestapo, Kriminalrat Ernst Schmidt, sowie des Polizeimeisters Otto Kasper oder des ehemaligen Leiters der Politischen Polizei, Ferdinand Mührdel, erwähnt Fries nicht. Diese drei Frankfurter Polizisten leisteten ebenfalls Widerstand. Mührdel etwa gelang es, noch bevor er am 1. März 1933 aus dem Polizeidienst entlassen wurde, mehr als 40.000 Akten von gefährdeten Personen zu vernichten. Besonderen Mut bewies auch Kaspar. Während der NS-Zeit war es Aufgabe der Polizei, anhand der Melderegister jüdische Familien ausfindig zu machen, die nicht der jüdischen Gemeinde angehörten und somit auch nicht in deren Verzeichnissen auftauchten. Kaspar fälschte die Einträge in der Meldekartei und verhinderte mit seiner mutigen Tat, dass die jüdische Familie Senger in ein Konzentrationslager deportiert wurde.101

Fries nennt in einem Dokument vom April 1947 weitere Namen und Anschriften von zum Umsturz bereiten Polizisten und fügt hinzu: „Die vorstehend aufgeführten Polizeibeamten sind sämtlichst über das Polizeipräsidium Frankfurt am Main erreichbar.“102

Das Frankfurter Polizeipräsidium war also in der Topografie des Leuschner-Netzwerks im Rhein-Main-Gebiet ein zentraler Ort. Eine schlagkräftige Gruppe von Polizeibeamten stand dort bereit, um bei einem geglückten Hitler-Attentat die Gestapo zu entmachten und „den Rundfunk schon in den ersten Stunden zu besetzen“.103 Das Attentat scheiterte, aber die zum Aufstand bereiten Polizisten arbeiteten unentdeckt weiter.

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