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Im Gasthof herrschte lautes Durcheinander. Monvel drängte mit seiner Kompagnie zum Aufbruch, die Gäste der abendlichen Tanzveranstaltung strömten in den Speisesaal und verlangten nach dem Frühstück. Ribbing machte mit Carlotta seine Honneurs, stolzierte von Tisch zu Tisch. Lilljehorn wäre am liebsten Monvel ins Freie gefolgt, aber der war mit dem Beladen seiner Schlitten beschäftigt. Französische und schwedische Flüche drangen vom Tor des Gatters in die Stube. Ob Wagenknechte sich um die Vorfahrt drängten, oder ob die Pferde störrisch nicht ins Geschirr gingen – Lilljehorn wusste es nicht und wollte es nicht wissen. Erst als er sich mit dem siedend heißen Kaffee die Lippen verbrüht und seine Tasse zerbrochen hatte, sah er sich um und nahm an den Gästen eine merkwürdige Verwandlung wahr: Während er abends noch mit Carlotta allein unter Fremden getanzt hatte, kannte er nun beinahe jedes Paar, jedes Gesicht. Der grobe Bürgerrock hatte der seidenen Tracht des Adels Platz gemacht. Unter ihren Perücken erkannte er sie wieder, Name und Titel stellten sich ein. Hier die Grafen Horn, Vater und Sohn, dann Baron Bjelke, Graf Anckarström und Dutzend andere, denen man im Königsschloss, in der Oper oder in den feinen Salons der gehobenen Gesellschaft begegnete.

Natürlich hatte auch Carlotta ihr weißes Kleid mit den blassrosa Schleifen abgelegt und erschien jetzt in ihrem glänzenden Reisekostüm. Der Vorhang war gefallen, das Spiel von gestern zu Ende. Ihn hielt hier nichts mehr. Einem Knecht gab er den Auftrag, die wenigen Reiseutensilien in den Schlitten von Ribbing zu verstauen. Doch der war untröstlich, er habe mit Madame de Geer seine Aufwartung bei deren Eltern zu machen und könne dem Herrn Oberstleutnant den Umweg nicht zumuten. Aber es stehe ein bequemeres Fuhrwerk parat mit einer, so wiederholte der Bursche, um ja kein Wort zu verdrehen, höchst interessanten Gesellschaft. Lilljehorn fügte sich, dankbar, dass ihm die Peinlichkeit zu dritt erspart geblieben war, musste aber Carlotta zum Abschied die Hand küssen. Dann sah er sich noch einmal um, sah in den Tanzsaal, wo er diese Hände umfasst hatte, wo sie beide allein gewesen waren, alles in allem. Ein letzter Händedruck, dann riss er sich fort.

Draußen war nach der Abfahrt der Franzosen Ordnung eingekehrt. Schon auf dem Trittbrett des Schlittens wurde ihm bewusst, dass man ihn erwartet hatte. »Herr Oberstleutnant, es ist mir ein Vergnügen. Wir haben, meine ich, schon unsere Bekanntschaft gemacht. Maskenball März 91 bei Gräfin Fersen. Jedenfalls darf ich Ihnen meinen Vater und hier General Pechlin vorstellen.« Es war der junge Klaes Horn, der so munter drauflosplapperte, als ob sie die besten Duzfreunde wären.

Einen Maskenball bei den Fersens hatte er nie besucht. »Meine Herren«, erwiderte Lilljehorn, »ich danke Ihnen sehr, dass Sie mir aus einer Verlegenheit geholfen haben.« Weiter wusste er nicht, er fühlte sich im engen Schlitten, dessen Bedeckung geschlossen war, wie lebendig begraben. Den General mit dem ständig sarkastischen Lächeln kannte er wohl vom Hörensagen als Rebell und Verfechter der Adelsmacht im Reichstag. Der alte Horn, ein bulliger Mitfünfziger, sah abwechselnd zu seinem Sohn Klaes und zu Pechlin. Lilljehorn tat so, als ob er an der vorbeiziehenden Landschaft interessiert wäre, aber bald schon vereiste das Glas des Schlittens. Den drei Gesichtern vor ihm, die sich wie Larven vor der dunklen Bespannung des Schlittens abhoben, war er bis Stockholm ausgeliefert.

Endlich setzte Horn ein: »Gestern beim Ball«, er räusperte sich, doch sein Sohn blickte betreten zu Boden, »also gestern beim Ball gaben Sie und Carlotta ein schönes Paar ab, viel ­Esprit, ja, ich glaube, das ist das richtige Wort, Esprit. Und dieses Ungestüm beim Deutschen Tanz, Courage, mein Lieber. Und dann Monvel mit seiner Ohrfeige, Sie verstehen, keine Gelegenheit, ein vernünftiges Wort zu wechseln. Wie es der Zufall fügte, hatten sich mehrere Patrioten zu dieser harmlosen Unterhaltung auf dem Lande zusammengefunden, doch die Lage in unserer Heimat – unsere Gedanken, waren mitten unter diesen Zerstreuungen abwesend, jedes unserer Gespräche drehte sich um das Unglück unserer Nation.«

Jetzt streckte Pechlin seinen Kopf aus dem Pelzmantel hervor und bedeutete Horn zu schweigen. »Was Graf Horn sagen will – wir hätten uns auch gerne mit Ihnen unterhalten und wollen jetzt nur das Missverständnis ausräumen, wir hätten Sie von unseren Räsonnements ausgeschlossen. Sie genießen einen hervorragenden Ruf, auf Leute wie Sie müssen wir hören. Was in Frankreich passiert, ist Ihnen bekannt. Wie denken Sie darüber? Ist auf Ihr Regiment und auf die Artillerieeinheiten Verlass, wenn es zu einem Umsturz kommt? Gehorchen die Leute ihren Kommandanten bedingungslos?«

Das war er wieder, Pechlin, der nach der Machtübernahme durch Gustav geflohen und als einer der wenigen Aristokraten verhaftet worden war. Dann hörte man wenig von ihm, seine ausgedehnten Besitzungen in Alhult und sein Palais auf Blasieholmen durfte er aber behalten. Lilljehorn war auf einmal hellwach. Denn einer der Obersten, die ihre Einheiten dem König bei seinem Staatsstreich gegen den Reichstag zur Verfügung gestellt hatten, war der alte Graf Horn gewesen, jetzt Reisegefährte Pechlins. In welche Natternbrut war er da geraten: »Meine Herren, ich habe keinen Grund, an der Treue und der Loyalität meiner Garde dem König gegenüber zu zweifeln. Über Politik spreche ich mit Subalternen grundsätzlich nie.«

Pechlin zeigte kein Anzeichen von Missmut: »Nichts anderes haben wir von Ihnen erwartet. Aber ich bin mir sicher, wir werden noch des Öfteren miteinander reden.«

Horn ergänzte: »Ja, Herr Oberstleutnant, reden wir doch ganz privat. Sie sind in meiner Wohnung in der Kungsholmsgatan stets willkommen.«

Ferne Hufe auf gefrorenem Boden, dann Wiehern, Schnauben, Knarren von Lederzeug, am Ende gedämpfte Kommandorufe. Der Schlitten hielt. Lilljehorns geschultes Ohr schätzte die Stärke der wie aus dem nichts aufgetauchten Reiter auf eine halbe Schwadron. Er öffnete die Bedeckung und wurde von Major Hartmannsdorf begrüßt. »Herr Oberstleutnant, ich habe den Auftrag, Sie und die Herren Pechlin und Horn sicher nach Stockholm zu geleiten.« Der Major war gar nicht abgesessen und stob schon durch den pulvrigen Schnee davon. Den Rest der Fahrt schwieg Lilljehorn beharrlich. Wer hatte den Befehl gegeben, wieso wusste man, mit wem er fuhr? An seinen Werther wollte er denken, auch an Carlotta, aber es wollte ihm nicht gelingen.

Mamsell an Polizeiminister Sivers

Herr Minister, die Orakel verheißen nichts Gutes. Gestern waren zwar nur unbedeutende Gäste zu meiner Séance geladen, aber im Kaffeesud erkannte ich den Schrei aus einem offenen Mund. Man beginnt schon über unheilvolle Vorzeichen zu sprechen. Sie glauben, ich fantasiere, aber ich hätte Ihnen nicht geschrieben, wenn ich nicht auch Nachrichten erhalten hätte, wie sie beunruhigender nicht sein könnten.

Ohne Annoncen in den Stockholmer Zeitungen fand in der Schenke des Frederik Fagerberg im Solnaer Forst eine Art Ball statt, für den man sogar Monvel als Tanzmeister engagiert hatte. Mein Informant erklärt nun, alle Gäste seien am besagten Abend incognito erschienen, harmlose Bürger auf den ersten Blick, tatsächlich aber einflussreiche Mitglieder des Reichstags. Irgendwann geriet das Fest außer Kontrolle. Oberstleutnant Lilljehorn kam offensichtlich Madame de Geer zu nahe, vielleicht von ihrem Auftreten als deutsches Liebchen entflammt. Sie jedoch zeigte ihm die kalte Schulter und verbrachte die Nacht mit Graf Ribbing. Danach grölte ein betrunkener Schauspieler aus Monvels Truppe jakobinische Parolen, er wurde von Monvel geohrfeigt, der Tanz ging vorzeitig zu Ende.

Über die Gespräche selbst hat mein Informant nichts in Erfahrung gebracht. Nur so viel: General Pechlin, die beiden Grafen Horn, Ribbing und Baron Bjelke steckten andauernd ihre Köpfe zusammen. Mein Informant fürchtet, enttarnt zu werden, ich soll ihn abziehen. Mittlerweile hat er vom Schicksal des Wagenknechts erfahren, er ist in Sorge. Es wird immer schwieriger, verlässliche Leute einzuschleusen. Ich selbst fühle mich beobachtet, aber ich kenne Wege, die niemand geht. Meine inständige Bitte: Sorgen Sie dafür, dass der Unteroffizier bei meiner nächsten Séance tatsächlich erscheint. Durch gezielte Indiskretionen sollte es gelingen, die Neugier der feinen Gesellschaft zu wecken. Dort laufen die Fäden zusammen.

Polizeiminister Sivers an Graf Armfelt

Exzellenz, ich bitte Sie, darauf Bedacht zu nehmen, dass trotz der patriotischen Stimmung, die unser edler Landesherr im Theater zu entfachen vermochte, mir meine Fliegen etwas anderes ins Ohr summen. Der Tote im Friedhof von St. Jakobi war Opfer eines gezielten Mordes, der Schlag wurde direkt gegen die Polizei geführt. So viel kann ich Ihnen brieflich mitteilen. Es ist von höchster Bedeutung, auf Ew. Majestät einzuwirken, nur unter dem Schutz meiner Leute in Gesellschaft zu erscheinen. Meine Informanten berichteten von einem Ball im Solnaer Forst, in dem sich führende Mitglieder des Reichstags und jakobinisch gesinnte Schauspieler incognito getroffen haben. Ich kenne die Namen.

Am Hof können wir niemandem mehr wirklich trauen. Möge Exzellenz erwägen, dieses Billett unverzüglich zu vernichten.

Champagner bekommen Sie beim Moskowiten Semjonow. Die Qualität soll sein wie früher.

Mamsell an Seine königliche Hoheit Herzog Carl

Königliche Hoheit, da ich das Vergnügen habe, Sie als Mann von vorurteilsfreier Gesinnung zu kennen, ist es mir eine Ehre, Sie zu meiner nächsten Séance am 3. Januar in meine Wohnung in der Johannesgatan 23 einzuladen. Ihre Anwesenheit als Prinz unseres edlen Hauses wird meine Gäste inspirieren, sich ohne Argwohn den Mächten der Geisterwelt hinzugeben.

Ergebenst Ulrica Arfvidsson

Unter Masken

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