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Freitag, 8. November

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Über Nacht war das Wetter gekippt. Es gab den ersten Nachtfrost in diesem Jahr und auf der Morgenrunde mit Ayla konnte man laut und deutlich die Kratzgeräusche der Eisschaber vernehmen.

Es gibt einen Spruch, dass Berlin niemals schläft und zwischen drei und vier Uhr nachts nur ruht. Heute galt dies aber nicht. War sonst das Rauschen von der Stadtautobahn und das Fahrgeräusch der S-Bahn im Park zu hören - heute lag eine fast tödliche Stille über dem Rudolf-Wilde-Park.

Ayla und Jens drehten ihre Runde durch den Park, liefen am Hundeauslauf vorbei und waren nach knapp zwei Stunden wieder zuhause. Es war inzwischen zehn Uhr geworden und Jens hatte seinen Guten-Morgen-Kaffee noch immer nicht gehabt. Ein rascher Blick in den Kühlschrank sagte ihm, dass es sinnvoll wäre, fürs Wochenende noch ein paar Einkäufe zu machen.

Aber zuerst ließ sich Jens aus dem Jura-Automaten eine Tasse Kaffee raus, setzte sich an sein MacBook und holte die abonnierte Onlineausgabe seiner Berliner Tageszeitung auf den Bildschirm. Ausnahmsweise blätterte er gleich zur Rubrik Berlin und war von der Schlagzeile absolut nicht überrascht: Leichenfund auf dem alten Dorffriedhof in Berlin-Schöneberg.

Zu zwei Fotos, eins zeigte das Mausoleum und das Zweite die versammelten Polizisten - einer mit einem Hund an der Leine, stand der Text, dass in den frühen Morgenstunden des siebten November von einem Spaziergänger die Leiche eines männlichen Ausländers gefunden wurde. Bisher habe die Identität nicht ermittelt werden können, aber er könnte aus dem vorderasiatischen Bereich stammen. Zu der Todesursache habe die Polizei keine Angaben machen können, aber man werde weiter berichten.

Jens zündete sich eine Zigarillo an und zog Rahuls Zettel aus dem Umschlag. M-Face Casting-Agentur Berlin stand auf dem Zettel, eine Internetadresse und eine Telefonnummer. Er startete den Internetbrowser und gab die Internetadresse ein. Die angezeigte Seite war die einer offensichtlich normalen Casting-Agentur. Viel Brimborium um „wie gut - wie beliebt - wie erfolgreich“ die Agentur sei und wer schon alles durch diese Agentur ins Film- und Model-Geschäft gebracht worden wäre.

Jens verglich die Telefonnummer auf dem Zettel mit der, die im Impressum als Kontakt angegeben war - sie war gleich. Bei der Nummer stand ein Name, den er sich notierte.

Nach einem Schluck aus der Tasse startete er am Monitor die Suchmaschine und gab bei Suchbegriff »m-face&Casting&berlin« ein. Millisekunden später hatte Jens eine volle Bildschirmseite mit Ergebnissen zu seinem Suchbegriff - insgesamt über tausend Stück. Die Ergebnisse, die schon anhand der Kurzbeschreibung nicht passten, ignorierte er, die anderen öffnete er zur Ansicht. Eine alte Regel für Suchmaschinen besagt, wenn man auf den ersten zwei Bildschirmseiten nichts Passendes findet, findet man auf den nachfolgenden Seiten auch nichts mehr.

So war es auch in diesem Fall. Also formulierte er den Suchbegriff neu: „beschwerden“ AND „casting“ AND „agentur“ AND „m-face“

Auch in diesem Fall brachte das Ergebnis nicht den gewünschten Erfolg. Jens fand auch in den Suchergebnissen nichts Auffälliges. Zwar fand er einige Einträge, die sich darüber beschwerten, dass sie abgelehnt wurden und einige, die sich über gezahlte Gagen oder Vermittlungsgebühren beschwerten.

Jens ging in die Küche um seine Tasse nochmals aufzufüllen. Ohne auf die Uhr zu schauen, wusste er dass es zwölf Uhr war. Die Freiheitsglocke4 im Turm des Schöneberger Rathauses hatte ihr Geläut angestimmt. Er nahm sich vor, nach dieser Tasse Kaffee und zwei weiteren Internetaufrufen seinen Einkauf zu erledigen.

Der erste Aufruf war eine Spezialseite für Firmeninformationen. Jens Mander hatte sich vor Jahren wegen einer Recherche mal registriert und so gab er seinen Benutzernamen, sein Passwort, den gesuchten Firmennamen ein und bestätigte die Abfrage, dass die für die Auskunft anfallenden Kosten von zehn Euro von seiner Kreditkarte abgebucht werden dürfen.

Einige Sekunden später bekam er die Daten angezeigt.

Name, Rechtsform, Anschrift, Steuernummer und alles was sonst zu einer Firma gehört, deren Bonität und InfoScore wurden angezeigt und waren auf den ersten Blick auch nicht auffällig. Dann holte er sich vom elektronischen Bundesanzeiger die letzten drei veröffentlichten Bilanzen. Auch in den Dokumenten fand Jens Mander nichts, was auf irgendwelche geschäftlichen Probleme hingewiesen hätte.

„Bullshit“, sagte er so laut, dass Ayla, die auf ihrer Matte vor seinem Schreibtisch schlief, erschrocken den Kopf hob und ihn anblickte. Als richtiger Hundemensch hatte Jens gleich ein schlechtes Gewissen und so murmelte er: „Is‘ ja gut, nichts passiert“, in Richtung seines Hundes.

Nach fast vier Stunden Arbeit, die Uhr seines iPhone zeigte dreizehn-dreißig hatte er immer noch keinen Ansatz und das frustrierte ihn. Also schaltete Jens seinen Rechner aus. Er kontrollierte noch seinen Bestand an Zigarillos und befand, dass der für das ganze Wochenende ausreichend war und machte sich auf den Weg.

Der Supermarkt im U-Bahnhof Innsbrucker Platz hatte auch am Samstag bis zweiundzwanzig Uhr geöffnet, aber so lange wollte Jens mit dem Einkaufen dann doch nicht warten. Der Einkauf war schnell erledigt; schneller als der Spaziergang, den er anschließend noch mit seinem Hund machte und so war es schon fast siebzehn Uhr, als er sich wieder an sein MacBook setzen konnte.

Die einzige Quelle, die Jens bisher noch nicht angezapft hatte, war FakeBox5, das Social Network. Er öffnete seinen Passwortsafe und kopierte sich die Zugangsdaten für den Entwickler-Account auf den Desktop seines Rechners.

Jens meldete sich bei FakeBox an. Diesen Zugang hatte er mal für einen Auftrag bekommen, nach Beendigung des Projekts hatten die Verantwortlichen vergessen, den Account wieder zu löschen und so hatte Jens als registrierter Entwickler relativ einfach Zugang zu den Datenbanken. Das pikante an diesem Zugang war, dass über diese Art des Zugangs die Polizeibehörden und die Geheimdienste die FakeBox Datenbanken ebenfalls für ihre Nachforschungen benutzen konnten.

Als erstes formulierte Jens eine Datenbankabfrage nur auf den Firmennamen. Die Ergebnisse von einigen tausend Datensätzen speicherte er auf seinem lokalen Rechner. Während der nächsten zwei Stunden verfeinerte und variierte er die Suchanfrage, bis am Ende zwölf Datensätze übrig blieben.

Zwölf Datensätze - zwölf Benutzer, das war das Ergebnis seiner Arbeit.

Dann erstellte er ein kleines Programm, das die Chroniken dieser zwölf Benutzer auf seinen Rechner kopierte und beendete die Verbindung zu FakeBox.

„Da hast Du heute Abend was zum Lesen“, murmelte Jens, „hoffentlich schlaf ich nicht dabei ein.“ Er wollte gerade mit dem Lesen beginnen, als es an der Türe klingelte. Ayla war natürlich schon vor Jens an der Türe und als er sein „Wer stört?“ in den Hörer der Sprechanlage donnerte, vernahm er das bekannte „Ich bin‘s, Rahul.“

Jens drückte den Türöffner, öffnete die Wohnungstüre und fasste Ayla am Halsband. Ayla machte sich schon für die Willkommensparty fertig um Rahul zu begrüßen. Der aber machte Ayla einen Strich durch die Rechnung. Er drückte Jens eine Plastiktüte in die Hand und war mit den Worten „Ein Freund wartet im Auto“ gleich wieder verschwunden.

Während Jens Mander sich über sein Abendessen hermachte, plante er in Gedanken seine weiteren Schritte. Danach setzte er sich an seinen Mac und begann die Chroniken zu lesen.

FakeBox war eigentlich ein faszinierendes Medium: da geben Menschen Informationen von sich preis, die sie nur ihren intimsten Freundinnen und Freunden erzählen würden. Doch jeder der mit dem Medium umgehen kann, sei es legal oder illegal, kann diese geheimsten Geheimnisse mitlesen. Es gibt aber auch Menschen in FakeBox, die ihre wahre Identität verschleiern um sich als die Besten, die Größten und die Schlauesten darzustellen, so dass man sich fragt, warum man in seriösen Recherchen noch nicht auf diese Intelligenzbestien gestoßen war.

Sei‘s drum. Es war nicht seine Aufgabe, die Sinnhaftigkeit von FakeBox zu analysieren und so nahm er sich ein Protokoll nach dem anderen vor. Nebenbei machte er sich Notizen, sprang von einem zum anderen Profil, verglich und verwarf seine Notizen wieder.

Nach mehreren Stunden Recherche im Internet, er wollte gerade aufhören und mit seinem Hund die Nachtrunde machen, stieß er auf eine Seite, bei der seine Alarmglocke heftigst bimmelte: kein Impressum, nur eine Seite mit einer Weiterleitung auf eine neue Seite.

Jens folgte den Verknüpfungen und hatte schon mindestens ein dutzendmal die Seite gewechselt, als er schließlich auf der Internetseite einer russischen Domain landete.

Jens ließ sich den Text der Internetseite von Google6 übersetzen. Die Übersetzung war so grottenschlecht, dass er den Text mit Unterstützung eines Wörterbuchs nachbearbeiten musste. Aber auch dann musste er sich den Inhalt noch zusammenreimen: für ein internationales Filmprojekt in Berlin wurden weltweit junge Männer im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren gesucht und in Deutschland wird die Firma durch die m-Face-Casting7 Berlin vertreten.

Das allein wäre noch sich nichts Anrüchiges gewesen; weltweit werden solche Castings tausendfach im Internet ausgeschrieben. Was ihn aber in eine gewisse negative Grundstimmung versetzte war der Umstand, dass die m-Face-Casting auf ihrer Internetseite die russische Firma nicht als offiziellen Partner verlinkt hatte.

Jens Mander startete auf seinem MacBook einen neuen Desktop, bemühte erneut seine Benutzerkennung um sich bei FakeBox in die Datenbank zu hacken und formulierte eine neue Abfrage: Anzeige aller Benutzer, die der russischen Castingfirma folgen. Auch diese Ergebnisse speicherte er auf seinen Rechner. Mit der nächsten Abfrage eliminierte er die FakeBox-Benutzer, die ihren Wohnsitz nicht in Deutschland hatten und begann sofort mit der Kontrolle.

„Bingo“, raunte Jens. „Da ist ja unser toter Koch. Lesen wir doch mal sein Journal und vielleicht kriegen wir noch ein paar Fotos.“

Anschließend schrieb Jens aus der Tabelle die Benutzernamen aller Follower, die als Wohnort Berlin eingetragen hatten. Dann beendete er den Zugriff auf FakeBox und schaltete seinen Rechner aus.

Aus den Kontaktdaten der russischen Internetseite hatte Jens Mander sich schon vorher die Name, Anschrift und die Namen der Geschäftsleitung der russischen Partnerfirma notiert. Dann begann er seine Recherchen auszuweiten. In einer Suchmaschine für Personen begann er alle Namen zu überprüfen. Er notierte sich in einer Tabelle die Namen und Ergebnisse der Suchmaschine. In zwei Fällen erteilte er einen Suchauftrag, dessen Ergebnis er vermutlich an einem der nächsten Tage in seinem eMail-Postfach vorfinden würde.

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