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Montag, 11. November
ОглавлениеDas Telefon klingelte um acht Uhr.
In all den Jahren, in denen er ein Doppelleben führte, hatte er sich gewissen Unarten angewöhnt und eine davon war, sich nur mit einem „Ja - bitte“ am Telefon zu melden.
„Polizeipräsidium Berlin, Abschnitt sechsundzwanzig - Reuter“, klang die bekannte Stimme aus dem Lautsprecher des iPhones. „Ich hole Sie in dreißig Minuten ab! Wenn‘s recht ist?“ Noch bevor Jens auch nur den Hauch einer Chance zu einer Erwiderung hatte, war das Gespräch beendet.
„Bullshit“, schimpfte Jens, sprang aus dem Bett, ging ins Bad, erledigte seine Morgentoilette und schlüpfte in seine Klamotten. Er wollte sich gerade eine Tasse Kaffee eingießen, als es an der Türe läutete. Jens meldete sich und mit einem „Ich komme gleich“, schlüpfte er in seine Weste, steckte sein Smartphone und die Zigarillos ein.
„Nur keine übertriebene Hast“, murmelte er, nahm seinen Schlüssel und verließ das Appartement.
Vor dem Haus stand der schwarze Passat; Reuter saß schon am Steuer, als Jens Mander sich auf dem Beifahrersitz niederließ.
„Moin moin - was ist denn so dringend, dass Sie zu nachtschlafender Zeit vor meiner Türe stehen?“ Jens versuchte den Kriminalobermeister zu provozieren. „Sagen Sie nicht, dass Ihnen schon wieder eine Leiche abhanden gekommen ist - das würde ich mehr als irritierend finden.“
„Müssen Sie mich eigentlich immer provozieren, Herr Mander?“, blaffte ihn Reuter an. „Ich habe immer noch keine Ahnung wer Sie sind, aber Sie sind kein Otto-Normalo. Der ist nämlich nach zwei Leichenfunden mit den Nerven fertig.
Ich habe Ihren Namen auf unserem Computer durch alle Datenbanken gejagt. Laut INPOL22 sind Sie freiberuflicher EDV-Berater, technischer Redakteur, Freizeit-Journalist; in zweiter Ehe verheiratet, fünf Kinder und einen Adoptivsohn. Sie wohnen abwechselnd in Berlin, wo Sie auch arbeiten und im Ruhrpott. Sie fahren ein BMW Cabrio und haben einen Schweizer Sennenhund. Und ....“ Reuter machte eine Pause.
„Von Neunundsiebzig bis Sechsundneunzig gibt es über Sie keine Daten - nichts - nada - njet. Keine PKW-Zulassung, keinen Strafzettel, keinen Eintrag ins Melderegister - absolut keine Daten.
Ich habe versucht, NADIS23 anzuzapfen, aber da halten sich die Jungs vom Nachrichtendienst bedeckt und rücken keine Informationen raus.
Also nochmals - wer und was sind Sie?“
Jens wollte die Frage wieder mit Schweigen kommentieren, aber besann sich dann doch eines Anderen.
„Vergessen Sie das Was - sagen wir einfach: ich gehöre zu den Guten und belassen Sie es dabei. Sie verschwenden keine Energien und für mich wird es einfacher, Ihnen zu helfen.“
Der Passat hatte inzwischen den Großen Stern überquert und fuhr in Richtung Moabit weiter, als Jens Mander seine Frage nach dem Ziel der Fahrt wiederholte. Sein Gefühl sagte ihm zwar, dass sie sich dem Gerichtsmedizinischen Institut der Charité in der Turmstraße näherten, aber er wollte Reuter nicht vorgreifen.
„Wir fahren in die Gerichtsmedizin“, rückte Reuter nach endlosen Minuten des Schweigens raus. „Wir haben einen Termin mit dem Pathologen.“
Jens Mander konnte eine gewisse Neugier nicht verbergen. „Gerichtsmedizin?“, fragte er mit ganz unschuldiger Stimme. „Geht es um die beiden Leichen?“
Reuter nahm sich Zeit für seine Antwort.
„Jo - und um eine Besonderheit in diesen beiden Fällen.“
Den Rest der Fahrt absolvierten sie schweigend. Reuter fuhr auf den Innenhof und stellte seinen PKW auf einem freien Parkplatz ab. Ohne ein Wort zu sagen betrat Reuter das Gebäude durch einen Seiteneingang. Offensichtlich kannte sich Reuter in dem Gebäude aus und nach ein paar Minuten standen sie vor geschlossenen Bürotüren. Reuter klopfte und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
Mit einem knappen „Grüß Gott“ begrüßte er den anwesenden Weißkittel. „Jens Mander“, er deutete auf seinen Begleiter, „der die beiden gefunden hat.“
Jens beeilte sich eines gleich richtig zu stellen. „Jens Mander - freier Journalist - und ich habe nur die zweite Leiche gefunden.“
Der Weißkittel sah sich nicht bemüßigt, sich vorzustellen und auch Reuter schien aus dem Namen ein Geheimnis machen zu wollen.
„Okay - ich hab‘s kapiert“, meinte Reuter und hatte wieder sein unverschämtes Grinsen im Gesicht. „Also Doc, was gibt es so wichtiges, dass es nicht in den Obduktionsbericht passt und auch nicht durch das Telefon wollte?“, Reuter zwinkerte Mander zu.
„Also ganz einfach - es gibt nichts.“ Der Weißkittel machte jetzt ein betrübtes Gesicht. „Beide Leichen weisen die gleiche Art von Verletzungen auf - Strangulation und Distorsion des vierten und fünften Halswirbels. Aber das war nicht die Todesursache, diese Verletzungen waren den beiden kurz nach dem Eintritt des Todes beigebracht worden - quasi nach dem letzten Atemzug. Wir haben ein Screening auf alle bekannten Drogen und Gifte durchgeführt - negativ. Unsere ACA-Analyzer24 sind heiß gelaufen; wir haben jeden Test gemacht, der uns bekannt ist - alles negativ. Magen und Darminhalte geben auch nichts her und Einstichstellen von Injektionsnadeln haben wir auch nicht gefunden; nicht zwischen den Fingern, den Zehen, unter keinem Finger oder Fußnagel. Auch im Bereich der Nackendistorsionen waren keine Veränderungen des Gewebes zu finden, von dem man auf eine Injektion hätte schließen können.“
Der Weißkittel ging um seinen Schreibtisch und setzte sich auf seinen Bürostuhl.
„Das einzige, von dem wir momentan ausgehen können, ist die zwingende Annahme, dass in beiden Fällen der Tod nicht auf natürlichem Weg eingetreten ist.
Wenn Du mich fragst Reuter, dann geht hier ein ganz linkes Ding ab. Wenn ich das mal so völlig unwissenschaftlich sagen darf, dann waren die beiden mit einer Daumenfessel an beiden Händen fixiert und mit einem dünnen Seil irgendwo festgebunden.
Aber das ist momentan reine Spekulation.
Ich habe einen Satz Präparate per Kurier zu einem Kollegen in die Staaten geschickt, aber noch keine Ergebnisse erhalten.“
Der Weißkittel holte tief Luft und seufzte dann laut.
„Ach ja, falls es Dich interessiert Reuter: der Fundort und der Ort, an dem der Tod eingetreten sein muss, sind nicht identisch. Den Leichenflecken nach zu urteilen, wurde der erste Tote mehrfach, der zweite aber nur einmal umgelagert.“
Reuter und Mander hatten aufmerksam zugehört, sich aber jeglichen Kommentars enthalten und so herrschte jetzt ein bedrücktes Schweigen im Raum.
Mit den Worten „Hier hast Du den vorläufigen Obduktionsbericht für die Akten“, überreichte der Weißkittel Reuter einen schmalen Aktendeckel. „Tod durch multiples Organversagen unbekannter Genese mit postmortalem Trauma25 im HWS26-Bereich durch Fremdeinwirkung! Damit kannst Du zumindest mal Deinen Job weitermachen. Ich bleib dran!“
„So und jetzt schwirr ab, ich habe gleich eine Vorlesung“ und in Richtung Jens grummelte er ein „Guten Tag Herr ?? Mander war doch der Name?“ Dann verschwand er wie ein Geist und ließ die beiden Besucher im Büro zurück.
Während Mander sich auch weiterhin mit Kommentaren zurück hielt, konnte man bei Reuter eine gewisse Gereiztheit bemerken. „Scheiße - Scheiße. Was soll das denn?“, grummelte Reuter, klemmte sich den Aktendeckel unter den Arm und verließ mit Jens im Schlepptau das Büro, marschierte mit stampfenden Schritten zum Ausgang und zum Auto.
Als sie beide im Auto saßen, fragte Reuter: „Was halten Sie von der Sache?“
Jens Mander hatte altersbedingt, er ging stramm auf die Sechzig zu, schon einiges erlebt. Hinzu kam, dass er was das Töten betraf schon immer ausgefallene Ideen hatte.
Jens Mander gab sich einsilbig, obwohl er eine vage Idee hatte. „Keine schöne Sache. Und ich verstehe immer noch nicht, warum Sie mich hier dabei haben wollten. Letztlich kannten Sie die doch den Befund schon vorher.“
„Sind Sie so begriffsstutzig oder tun Sie nur so?
Ich wollte mit Ihnen reden; unter vier Augen und ohne unliebsame Zuhörer. Vertraulichkeit gegen Vertraulichkeit. Abgemacht?“
„Dann Reuter, fangen Sie mal an. Sie haben mich ja schon überprüft. Diese Chance hatte ich mangels Möglichkeit nicht“, antwortete Mander. „Sie haben momentan einen Wissensvorsprung und den sollten wir doch mal ganz schnell ausgleichen.“
„Ich glaube, wir waren mal für den gleichen Verein tätig. Nur dass es bei mir einige Jahre später war“, fing Reuter an zu erzählen.
„Ich war bei der Marine und in Wilhelmshaven stationiert - Z1227. Nach ein paar Jahren hat man dann bei mir gewisse investigative Fähigkeiten entdeckt. In der Weberei in München Haar erhielt ich eine Druckbetankung mit allem nötigen und unnötigen Wissen. Dann wurde ich an das Amt für Wehrkunde weitergereicht und war zuletzt in der Hauptstelle für das Befragungswesen am Hohenzollerndamm in Berlin. Als neunundneunzig die ORG28 auf den Betrüger Rafid Ahmed Alwan29 reinfiel und so in den Ausbruch des Irak-Kriegs verstrickt wurde, kündigten viele Kollegen. Auch ich beantragte damals meine Entlassung. Über den BerufsFörderungsDienst30 bekam ich eine Ausbildungsstelle bei der Polizei und Kriminalpolizei.“
Reuter machte eine Pause.
„So, da wären wir“, meinte er. Dieser Ausruf könnte sich sowohl auf das Ende seiner Geschichte wie auch auf das Ende der Fahrt bezogen haben, denn der Passat stand vor dem Wohnhaus von Jens Mander.
„Meine Kollegen wissen nichts von meiner Arbeit für den Dienst und ich möchte auch, dass es so bleibt. Es wird sowieso schon genug getuschelt“, schloss Reuter endgültig seine Beichte.
Jens Mander schwieg. Was hätte er auch sagen sollen? „Hallo Kollege“ oder „da haben wir was gemeinsam?“
Jens war nach seinem Ausscheiden ausdrücklich zu absolutem Stillschweigen verpflichtet worden. Und er wollte sich auch daran halten, denn rückblickend war Jens Mander auf diesen Teil seiner Vergangenheit nicht besonders stolz. „Schmutzige Jobs erfordern schmutzige Methoden“ war ein Leitspruch in seiner Ausbildung in Grafenwöhr gewesen und schmutzige Methoden kannte Jens Mander viele.
Aber Jens wollte die Offenheit von Reuter zumindest soweit erwidern, wie es ihm möglich war und so antwortete er: „Ich darf nicht drüber sprechen, das müssen Sie akzeptieren.“ Dann ergriff Mander die Initiative.
„Was wissen wir im Moment?
Wir haben zwei Leichen indischer Abstammung; beide weisen die gleichen Verletzungen auf, die aber nicht die Todesursache sind.
Von einem kennen wir den Namen, seine letzte Anschrift und da müssten wir auch noch etwas mehr erfragen können. Der zweite Tote ist noch nicht identifiziert.“ Jens machte eine Pause, sah Reuter an und schickte sofort die Frage hinterher: „Warum eigentlich nicht, der ist doch Ausländer und da hat ihn doch sicher die Bundespolizei bei der Einreise registriert. Und..“ Jens unterbrach seinen Monolog erneut. „... Wenn er legal eingereist ist, müsste er doch auch bei der Ausländerbehörde registriert sein.“
Mander hatte den Eindruck, dass Reuter immer noch Informationen zurück hielt. Deshalb sprach er auch nicht weiter.
Mit einem „Sorry“ rückte Reuter nach einem kurzen Moment des Zögerns mit weiteren Informationen raus. „Tut mir leid, aber das stimmt so nicht; der zweite Tote ist auch identifiziert. Pandit Nehru.“ Er lachte kurz. „Ist kein Scherz, der heißt wirklich so. Wir haben‘s über die Botschaft in Neu Delhi nachgeprüft. Eingereist mit einem Besuchervisum - Einladung - und verbürgt durch die Inhaber des Restaurants, in dem der erste Tote als Koch tätig war.“
Jens konnte seine Überraschung nicht verbergen und kommentierte Reuters Worte mit einem herzhaften „Bullshit“. Er hatte schon immer das ungute Gefühl, dass in dem Restaurant nicht ganz legale Sachen abgingen, aber aus Rücksicht auf Rahul, der dort seinen Lebensunterhalt verdiente, war er seinem Verdacht nie großartig nachgegangen.
„Was heißt hier Bullshit?“, ging Reuter sofort auf Manders Ausruf ein. „Das ist gequirlte Scheiße. Wir haben zwei Leichen und keine Ahnung, in welche Richtung wir ermitteln sollen. Das Restaurant ist derzeit die einzige Verbindung zwischen den beiden Leichen.
Wir haben den Laden überprüft, aber außer ein paar Unregelmäßigkeiten wegen Visa-rechtlichen Sachen, Verstöße gegen das Ausländergesetz und Arbeitsrechtliche Bestimmungen hatten wir nichts gefunden. Die Lebensmittelkontrolle hätte den Laden fast mal zugesperrt. Auch die Kollegen von der Drogenfahndung hatten den Laden schon mal unter die Lupe genommen - leider erfolglos.“ Reuter lehnte sich frustriert im Fahrersitz zurück.
„Wenn wir nicht bald einen Ansatz finden, steigt uns der Chef aufs Dach und das bedeutet Stress ohne Ende. Kollege Mäurer ermittelt im Ausländermilieu, aber da ist mit einem Durchbruch auch nicht zu rechnen.“
Jens hasste das Gefühl, wenn er für eine Recherche so gar keinen Anfang fand und sich immer nur im Kreis drehte. Vielleicht war das auch der Grund, warum er sich zu einer Vermutung hinreißen ließ: „Sagen Sie Ihrem Weißkittel, er soll mal einen vergleichenden DNA-Test bei den beiden durchführen. Ich habe da so ein merkwürdiges Bauchgefühl, dass es da doch eine Verbindung gibt.“
Reuter blickte Jens erstaunt an. „Wie kommen Sie da drauf? Verwandtschaft? Die Botschaft hat das verneint.“
„Is‘ nur so ein Bauchgefühl - nichts bestimmtes“, erwiderte Mander.
Reuter hatte es plötzlich eilig und drängte zum Aufbruch, was Mander nicht ganz ungelegen kam.
In seinem Appartement angekommen zündete sich Jens zuerst mal eine Zigarillo an während er eine Tasse Kaffee aus dem Kaffeeautomaten zog. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es inzwischen dreizehn Uhr war.