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Donnerstag, 7. November

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Jens Mander hatte sich wieder mal die Nacht um die Ohren geschlagen und an seinem Roman geschrieben; sein Hund schlief bis um acht friedlich auf einer Matte vor seinem Schreibtisch. Der Blick auf das Außenthermometer sagte ihm, dass die optische und die gefühlte Temperatur stark voneinander abweichen könnten und dass es kühler sein würde, als die strahlende Morgensonne verhieß.

Noch während er sich für den morgendlichen Hundespaziergang anzog, klingelte sein Telefon. „Polizeidirektion zwei, Abschnitt sechsundzwanzig“, bohrte sich eine Stimme aus dem Hörer in sein Ohr und bevor diese Stimme ihren Spruch weiter ablassen konnte, fiel Jens ihm sofort ins Wort:

„Guten Morgen Herr Reuter, was kann ich für Sie tun?“

Offensichtlich war Reuter überrascht, dass Jens ihn sofort erkannt hatte, denn erst nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Können Sie sofort in die Belziger Straße am Eingang zum alten Dorffriedhof kommen?“ Da Jens seinen Hund schon fast an der Leine hatte, erwiderte er, dass es prinzipiell kein Problem sei, aber er erst mit seinen Hund eine Runde machen müsse. „Reicht es in zirka einer Stunde?“

„Nein“, kam als Antwort aus dem Telefon. „Wir brauchen Sie sofort hier.“ Die Hintergrundgeräusche aus dem Telefon kamen jetzt nur mehr gedämpft aus dem Hörer, als halte Reuter die Hand über das Mikrophon. „Dann bringen Sie halt Ihren Hund mit. Wenn Sie jetzt losgehen, sind Sie in spätestens fünfzehn Minuten hier.“

Reuters Stimme hatte einen gestressten Unterton und da Jens Mander zwischenzeitlich neugierig geworden war, sagte er zu.

Raus aus dem Haus, über die Freiherr-vom-Stein-Straße in den Rudolph-Wilde-Park Richtung Hirschbrunnen, die Treppe hoch, über die Martin-Luther-Strasse, Richtung Rathaus Schöneberg, über die Dominicus Strasse auf den Kennedy-Platz und in die Belziger Straße - sein Hund hatte offensichtlich heute große Lust auf Laufen und so schafften sie den Weg wirklich in fünfzehn Minuten.

Vor dem Tor zum Friedhof stand ein Polizeibus mit eingeschaltetem Blaulicht; der Eingang war mit einen rot-weißen Band abgesperrt und trotz der frühen Stunde standen ein paar neugierige Passanten rum. Jens drängte sich durch die Neugierigen an das Sperrband, was mit seinem Hund an der Leine gar nicht schwer fiel. Es passierte ihm immer wieder, dass seine große Schweizer Sennhündin mit einem Rottweiler verwechselt wurde.

Jens zog seinen Presseausweis aus der Tasche, hielt ihn der Polizistin hinter der Absperrung unter die Nase uns sagte: „Herr Reuter erwartet mich.“

Jens Mander genoss die neidvollen Blicke der umstehenden Zuschauer und wie aufs Stichwort kam Reuter um die Ecke. Entweder hatte er die Szene beobachtet oder solche Auftritte, wie Jens soeben einen abgeliefert hatte, waren ihm nicht unbekannt, denn er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er Jens mit Handschlag begrüßte.

„Schön, dass Sie doch so schnell kommen konnten“, begrüßte er Jens und zu dessen Verblüffung kraulte er Ayla hinter den Ohren. Dann hob er das Band so weit an, dass Jens durchschlüpfen konnte und mit dem Hund an der Leine ging Jens hinter Reuter her; vorbei an neuen und alten Gräbern.

Vor einem Mausoleum mit einer Kuppel sah man Uniformierte und Männer in weißen Schutzanzügen an etwas rumhantieren, das er aber aus der Entfernung nicht erkennen konnte.

Etwa zehn Meter vor dem Eingang zum Mausoleum fing Ayla, die bisher schwanzwedelnd neben Jens lief, an zu bocken: sie wollte einfach nicht mehr weiterlaufen. Ein große Schweizer Sennenhund ist im Grunde durch nichts aus der Ruhe zu bringen, aber jetzt spürte sie etwas, das ihr nicht geheuer war. Sie setzte sich hin - einfach so. Jens drückte einem neben ihm stehenden Polizisten die Leine in die Hand und noch bevor der was dagegen sagen konnte, übernahm Reuter wieder die Regie und sagte zu dem Polizisten: „Pass mal auf den Hund auf.“

Sie gingen weiter und jetzt konnte Jens das schwarze etwas erkennen. Da lag ein Mensch, männlich, schwarze Bekleidung, schwarzes Haar, dunkle Hautfarbe und offenbar tot.

Noch bevor Reuter was sagen konnte, sprach Jens das Offensichtliche aus: „Jo - der lag am Montag im Park. Fast genauso, wie er jetzt hier liegt.“

„So wurde die Leiche heute Morgen von einem Kirchgänger gefunden. Zum Glück hatte der sein Handy dabei - sofort die eins-eins-null gerufen und sich nicht vom Platz bewegt.“ Mit einer gehörigen Portion Sarkasmus in der Stimme fuhr er fort: „Sonst wäre die Leiche wahrscheinlich ein weiteres Mal aufgestanden und hätte sich woanders wieder hingelegt. Aber Leichen können nicht laufen und der ist schon so lange tot, dass die Leichenstarre durch die beginnende Verwesung wieder nachlässt. Insgesamt ist die Leiche in einem besseren Zustand, als sie eigentlich sein dürfte, wenn man davon ausgeht, dass der Tod in der Nacht zum Vierten eintrat. Außerdem hätte er auch so nicht laufen können - jemand hat ihm wortwörtlich den Kopf verdreht.“ Reuter machte eine kurze Pause um die Dramatik seiner Worte zu unterstreichen. „Um volle einhundertachtzig Grad.“

Reuter sah Jens an, während er weiter sprach: „Aber ein solcher Anblick ist Ihnen ja nichts neues - oder?“

„Wie meinen Sie das?“, erwiderte Jens. Er fixierte Jens Mander noch immer mit seinen Augen, als er wieder ansetzte: „Is‘ nur so‘n Gefühl. Für einen normalen Staatsbürger, der seine erste Leiche sieht, sind Sie nicht genug erschrocken, die Aussage vom Montag war druckreif und auf dem Revier haben Sie mich ganz schön abblitzen lassen.“

„Ach das dürfen Sie nicht so eng sehen“, erwiderte Jens und grinste. „Ich hab mich meinem Hund angepasst - wir sind beide durch nichts zu erschüttern. Mein Hund ist es von Natur aus und ich bin mit meinen knappen sechzig schon zu alt um mich noch über irgendwas aufzuregen.“

Er drehte seinen Kopf zur Seite, als sein Kollege Mäurer, den Jens bisher noch gar nicht bemerkt hatte, ihm etwas ins Ohr flüsterte.

Zu Jens gewandt, fing Reuter wieder an: „Wie wäre es zur Abwechslung mal mit ein paar Informationen?“

„Sorry, ich weiß auch nicht mehr. Aber ich kann ja mal meinen Adoptivsohn anrufen. Der kann ihn vielleicht identifizieren.“

Jens ging einen Schritt in Richtung der Leiche um sie sich näher anzusehen. Reuter hatte recht, ein Normalo tut das nicht und er hatte auch recht mit seiner Behauptung, dass Jens nicht das erste Mal eine Leiche sah. Aber das war eine andere Geschichte aus seiner Vergangenheit und die wollte ihm Jens nicht so direkt auf die Nase binden.

„Den haben wir noch nicht erreicht und das Restaurant hat noch nicht geöffnet. Aber eine Streife steht vor dem Laden und wartet auf ihn.“

„Also Herr Reuter, jetzt klopfen Sie aber mächtig auf den Putz“, antwortete Jens. „Erstens habe ich Ihnen seinen Name nicht genannt und zweitens wenn Sie mich nach seiner Anschrift und seiner Telefonnummer gefragt hätten...“, Jens ließ den Satz unvollendet, zog sein Smartphone aus der Tasche um aus den Kontakten Rahuls Nummer rauszusuchen.

„Ich stelle die Verbindung her und Sie sprechen mit ihm.“

Plötzlich hatte er jedes Interesse an Rahul verloren. „Nö - das brauchen wir nicht. Nach meinen Unterlagen öffnet das Lokal um elf Uhr. Es reicht, wenn wir dann jemand hinschicken und dann ist es besser, wir sprechen gleich mit den Inhabern.“

Ayla hatte inzwischen ihre Starre überwunden und zerrte so stark an der Leine, dass sie der Polizist fast nicht mehr halten konnte. Jens ging die paar Meter in Richtung seines Hundes und da hatte sein Hund nichts Besseres zu tun, als mit ihm »Wiedersehensparty« zu feiern.

Jens drehte sich nochmals zu Reuter um und fragte ganz scheinheilig: „Brauchen Sie mich noch?“

„Nö“, kam als knappe Antwort, „wir wissen ja, wo Sie wohnen.“

Jens verließ den Friedhof durch den Eingang an der alten Dorfkirche. Nach der durchgearbeiteten Nacht war er hundemüde und so machte er sich auf den Weg nach Hause und ins Bett.

Es war schon spät, als es an der Türe klingelte. Noch im Halbschlaf schnappte er sich seinen Bademantel, Ayla war schon vor ihm an der Türe und auch Jens machte sich auf den Weg. Es klingelte nochmals, aber da war Jens schon an der Türsprechanlage. „Hallo - wer stört“, sprach er in den Hörer und hörte nur ein, „Ich bin‘s“. Jens drückte auf den Türöffner, öffnete die Wohnungstüre und ging dann zurück in die Küche um sich eine Tasse Kaffee aus dem Automaten zu ziehen, während er Rahul seinem Schicksal überließ. Rahul wurde von Ayla heiß und innig geliebt und der hatte auch schon seine Erfahrungen mit tierischen Wiedersehensparties. Jens brauchte sich während der nächsten fünf Minuten nicht um die Beiden kümmern.

Mit seiner Tasse in der Hand setzte er sich auf das Sofa, griff zu seiner Zigarillobox und zündete sich eine an.

„Wenn ihr beide mit der Begrüßung fertig seid - ich bin hier“, rief er in Richtung Flur. Durch einen Blick auf die Uhr erfuhr Jens, dass es sechzehn Uhr war.

„Shit“, brummelte Jens, „der ganze Tag ist versaut.“

Rahul hatte jetzt auch das Sofa erreicht und Jens forderte ihn zum Hinsetzen auf.

„Wie geht es Dir? Hast Du heute keinen Dienst? Wie geht es der Mutter meiner ungeborenen Enkel?“

Es begann wieder das gleiche Ritual wie es auch am Telefon stattfand und nach fünf Minuten kam Rahul dann endlich zur Sache.

„Heute war die Polizei im Restaurant, sie haben Mahavir gefunden“. Jens kommentierte die Information mit einem kurzen „Ich weiß“ und sah Rahul fragend an.

Während Rahul darauf wartete, dass Jens mehr sagte, gab Jens die Nummer vom Schweiger und beobachtete Rahul. Rahul war sichtlich nervös und obwohl sonst durch nichts aus der Ruhe zu bringen, rutschte er unruhig auf dem Sofa hin und her. Nachdem Rahul zu der Einsicht kam, dass von Jens keine rhetorische Hilfe zu erwarten war, fing er mit dem Erzählen an.

„Die haben den Geschäftsführer mitgenommen.“

Jens nickte wieder.

„Sie haben Mahavir, unseren Koch, gefunden“, wiederholte Rahul.

Jens entschied, dass es jetzt doch an der Zeit war, sich verbal zu äußern. „Okay und wo?“, stellte er als Frage in den Raum, wohl wissend, wie es weiter gehen würde.

„Er ist tot, wahrscheinlich ermordet, auf dem Friedhof.“

„Ich weiß“, erwiderte Jens. „Ich war mit der Polizei da und ich habe ihn gesehen.“

Von dem Vorfall am Montag sagte Jens erst mal nichts. Rahul war zwar nicht dumm, aber in dem Moment war er so gestresst, dass er nicht mal auf die logische Frage kam, warum Jens am Fundort der Leiche war.

„Ich hab ihn anhand der Fotografie identifiziert, die Du mir geschickt hattest.“

Obwohl Jens und Rahul schon so lange freundschaftlich und familiär miteinander verbunden waren, redete Rahul Jens immer noch mit Sie an.

„Mein Chef lässt fragen, ob Sie helfen könnten?“, fragte Rahul und erhielt nur ein „Schaung mer mal, aber dann musst Du mir schon mehr erzählen“, als Antwort.

In den nächsten zehn Minuten erzählte Rahul die Geschichte von Mahavir.

Mahavir sei ein entfernter Verwandter von Rahuls Chef. Um ihn nach Deutschland zu bringen, habe ihn seine Familie für drei Jahre als Koch angeboten. In dieser Zeit wollte er sich die notwendigen achttausend Euro sparen, um danach mit einem Studentenvisum in Deutschland studieren zu können. Nach seiner Einreise vor zwei Monaten bezog er ein Zimmer in der Wohnung über dem Restaurant und da sollte er auch die ganzen drei Jahre bleiben. Ein Teil dessen, was er offiziell als Lohn bezahlen würde, sollte nach Indien überwiesen und der andere Teil auf ein Sperrkonto fürs Studium einbezahlt werden.

Nun war das, was Rahul da erzählte, für Jens nichts Neues.

Rahul erzählte weiter, dass Mahavir mit dieser Vereinbarung nicht so ganz glücklich war; hätte er doch die ganze Zeit über kein eigenes Geld verfügt. Eine Woche nach seiner Ankunft wäre auch schon der erste Brief aus Indien da gewesen, in dem seine Familie wegen Geld gefragt hätten und eine Woche danach habe er angefangen jeden damit zu nerven, wie man ganz schnell zusätzliches Geld verdienen könne.

Rahul machte eine Pause, die wieder Jens für eine Frage nutzte.

„Na und? Ist da was draus geworden?“

Jens hatte nicht die Erwartungshaltung, dass Rahul ihm die volle Wahrheit sagen würde, aber er wusste auch, dass Rahul ihn nicht belügen würde.

„In einer Zeitung stand“, fuhr Rahul mit seiner Erzählung fort, „dass für einen Film Leute gesucht werden. Einmal die Woche für zwölf Stunden. Ich habe für Mahavir bei der Filmfirma angerufen und einen Termin gemacht und wir sind dann an seinem freien Tag gemeinsam hingefahren. Er wurde sofort genommen. Im Restaurant haben wir erzählt, dass er an seinem freien Tag bei einem Freund Deutsch lernt.“

Jens war heute bewusst unhöflich. Hatte er für Rahul sonst immer ein Glas Eiswasser auf den Tisch gestellt oder ihm ein Glas Tee oder ‘ne Tasse Kaffee angeboten, machte er heute keine Anstalt da was zu machen.

„Und weiter?“, drängte Jens. „Rück mit dem Rest der Story raus.“

Rahul sah Jens etwas irritiert an.

„Wie meinen Sie das?“, fragte er.

„Da fehlt doch noch was.“

Jens lehnte sich zurück und wartete auf den Rest der Geschichte. Es dauerte dann doch fast eine Minute, bis Rahul sich zu einer Entscheidung durchgerungen hatte.

„Zum ersten Treff habe ich Mahavir mit dem Auto gefahren. Er musste schon um sechs Uhr da sein. Und ich habe ihn auch wieder abgeholt.“

Rahul machte wieder eine Pause.

„Dann beim zweiten Mal wollte er das nicht mehr und meinte, er würde auch so den Weg finden. Man hat mir aber erzählt, dass Mahavir mit einem Mercedes-Transporter abgeholt worden sei. Am Abend wäre Mahavir aber zu Fuß gekommen und sofort auf sein Zimmer gegangen, ohne noch mal ins Lokal reinzuschauen.“

„Na und?“, fragte Jens. „Das ist doch nichts Schlimmes. Zwölf Stunden als Komparse - das schlaucht schon gewaltig.“

„Aber ... aber ... aber ...“, fing Rahul plötzlich an zu stottern. „Als am Tag darauf die Frau des Geschäftsführers sein Zimmer lüften wollte, fand sie fünfhundert Euro unter seinem Kissen.“

„Tante Neugier? Hat sie mal wieder gestöbert?“

„So dürfen Sie das nicht sehen, Mr. Jens“, nahm er sie sofort in Schutz. „Sie meint es ja nur gut. Außerdem hat sie von Mahavirs Vater die Verantwortung übertragen bekommen.“

„Papperlapapp, sie musste mal wieder alles wissen.“

„Sie hat dann Mahavir zur Rede gestellt und gefragt, woher das Geld käme, was Mahavir damit erklärte, dass er das Geld beim Wetten gewonnen habe.

Die darauf folgenden freien Donnerstage von Mahavir verliefen unauffällig. Er wurde abgeholt und kam am Abend zu Fuß wieder.

Am letzten Donnerstag wurde er wieder von dem schwarzen Mercedes abgeholt, dieses Mal aber am Abend auch wieder gebracht. Mahavir kam dann auch noch mal ins Restaurant und im Vorbeigehen steckte er mir etwas in die Tasche. Ich konnte leider nicht reagieren, da ich gerade fünf Portionen Essen auf einem Tablett balancierte. In der Hektik hatte ich es auch vergessen und als ich spät am Abend dazu kam, das Zugesteckte zu untersuchen, stellte ich fest, dass es ein Briefumschlag mit zehn Fünfhundert-Euro-Scheinen war.“

„Da kann ich nur sagen - guter Deal, den Mahavir da gemacht hat. Aber erzähl weiter.“

„Nachdem das Restaurant geschlossen hatte, ging ich noch mit in die Wohnung und wollte mit Mahavir sprechen. Ich klopfte mehrmals an die Türe und als keine Antwort kam, trat ich einfach ein. Im Zimmer war kein Mahavir, der Schrank war ausgeräumt und die Reisetasche war weg.“

„Bullshit“, sagte Jens nur. „Wie ging es dann weiter?“

„Der Barmann, der das Zimmer nebenan bewohnt sagte, dass Mahavir nach oben in die Wohnung kam und ohne ersichtlichen Grund zu stänkern anfing“, erzählte Rahul weiter.

„Ausbeuter, Leuteschinder, Sklaventreiber - so bezeichnete er den Chef und die Chefin. Der würde nur an sich denken und sich an seiner Arbeitskraft seiner Mitarbeiter bereichern.“ Und er, Mahavir, habe davon die Nase voll.

Rahul war es sichtlich unangenehm, diesen Teil der Geschichte zu erzählen. Er hätte so etwas nie freiwillig zugegeben, aber beide kannten die Wahrheit hinter Mahavirs Gefühlsausbruch. Rahul umschrieb diese Verhältnisse immer mit dem „indischen Herz“, während Jens es mit „du bist immer der Diener deines Herrn“, bezeichnete. Ein intimer Kenner der indischen Kultur hatte Jens mal gesagt: „Wenn Dir in Indien einer was Gutes tut, erwartet er von Dir eine lebenslange Dankbarkeit.“

„Mahavir ging wieder in sein Zimmer und der Barmann guckte im Fernsehen das Kricketspiel weiter an. Was soll ich jetzt machen? Ich habe keinem was von dem Geld gesagt.“

Was Rahul da von Jens wollte, war eigentlich eine Sache der Polizei. Bei Mord und Totschlag konnten nach seiner Erfahrung die »Oberförster« ganz schön biestig werden. Um die Anspannung bei Rahul etwas abzubauen, ging Jens wortlos in die Küche und holte ihm ein Glas Eiswasser aus dem Spender. Dann beschloss er, da er immer noch im Bademantel war, sich anzuziehen. Das Ganze dauerte rund fünf Minuten und diese Zeit nutzte Jens zum Nachdenken. Ja, einmischen und helfen oder nein, ablehnen - das war die Frage. Der Schreiberling in ihm witterte den Stoff für eine gute Story, aber ein kleiner Mann in seinem Ohr warnte ihn vor den Folgen dieser Hilfe. »Jede gute Tat wird sofort bestraft«, war so ein Spruch, den seine Mutter in einer solchen Situation aussprach.

Aber im Grunde hatte Jens gar keine andere Option, als sich des Problems anzunehmen: Rahul war irgendwie an der ganzen Sache beteiligt und da musste Jens die Geschichte auch zu seiner Geschichte machen.

Rahul saß zusammengesunken in seiner Ecke auf dem Sofa, als Jens angezogen wieder aus dem Bad kam.

„Okay Rahul - ich schau mal, was ich machen kann“, sagte Jens und setzte sich neben ihn auf das Sofa. „Ich brauch aber noch ein paar Informationen - wie heißt die Filmfirma, wenn‘s geht Anschrift, Telefonnummer und einen Namen; Typ, Farbe und Kennzeichen des Mercedes und die vollständigen Personendaten von Mahavir.“

Offensichtlich hatte Rahul sich auf diese Fragen schon vorbereitet. Er zog aus der Innentasche seiner Jacke einen Briefumschlag und reichte ihn Jens. Darin enthalten ein paar Kopien - Pass, Visum, internationale Geburtsurkunde und ein handschriftlicher Zettel mit den Angaben zur Filmfirma und Auto sowie die fünftausend Euro.

„Das Geld nimm mal wieder mit und verwahre es bei Dir zuhause. Die anderen Sachen behalte ich“, sagte Jens. „Heute ist es schon zu spät und am Wochenende erwische ich eh niemand, also kann ich erst am Montag aktiv werden. Aber Du kannst Deinem Chef sagen, dass ich mich drum kümmern werde.“

Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, strahlte Rahul und umarmte Jens und vor lauter Erleichterung brachte er nur ein „Danke“ raus.

Nachdem er sein Anliegen an den Mann gebracht hatte, unterhielten sie sich noch ein paar Minuten über Persönliches und als Jens merkte, dass Rahul verstohlen auf die Uhr sah, fragte er ihn, ob er denn noch arbeiten müsse. Rahul bejahte das und so gab Jens ihm einen Vorwand, seinen Besuch zu beenden, indem er behauptete, dass es jetzt Zeit für Aylas Abendrunde sei.

Rahul verabschiedete sich mit dem Versprechen, Jens auf seinem Heimweg noch eine Portion indisches Essen vorbeizubringen.

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