Читать книгу zwo-eins-zwo - Ludwig Schlegel - Страница 17

Donnerstag, 14. November

Оглавление

Ohne Wecker schlief Jens Mander fast den ganzen Vormittag und erwachte erst gegen elf Uhr. Am Abend zuvor war er erschöpft zu Bett gegangen; den ganzen Tag hatte er nur geraucht und Kaffee getrunken und nun hatte er einen Bärenhunger.

Wenn ich nicht bald einkaufen gehe, habe ich keinen Kaffee mehr, dachte Jens, zog eine Tasse Kaffee aus seinem Automaten und setzte sich wieder an seinen Computer um seine Mails zu lesen. Günni hatte zwischenzeitlich eine Liste mit Flugnummern, Namen und Flugdaten geschickt. Die Liste umfasste die Buchungen der letzten neunzig Tage, die Moskau als Ziel oder als Zwischenstopp hatten. In einem zweiten Teil hatte sein Kumpel auch noch die Buchungen mit Ziel Minsk angefügt; das weißrussische Minsk war der Zwischenstopp für Moskauflüge.

„Günni - Du gerissener Hund“, brummte Jens vor sich hin und machte sich wieder an die Arbeit. Aus seinen gesammelten Unterlagen hatte er eine Liste von Freunden der m-Face-Casting erstellt, um sie nun mit Günnis Aufstellungen abzugleichen.

Als erstes eliminierte Jens jene Buchungen, bei denen Abflug in Berlin und Rückflug nach Berlin nicht mehr als sieben Tage auseinander lagen. Seit seinen Nachforschungen wusste er, dass es nahezu ausgeschlossen war, einen Organspender in einer Woche reisefertig zu machen. Selbst wenn man auf den Zustand des Spenders keine besondere Rücksicht nehmen würde, wäre so eine OP nicht unter einer Woche zu machen. Außerdem, so vermutete Jens, wäre es dem Geschäft abträglich, wenn zu viele Leichen von Spendern auftauchen würden.

Im zweiten Schritt sortierte er jene Fluggäste aus, die mehrfach die Ziele angeflogen hatten, denn die waren als Spender genauso unwahrscheinlich wie die Gäste, die ihren Flug mit einer Kreditkarte bezahlt hatten.

Über blieben elf Namen, die er jetzt mit seiner Liste aus FakeBox und Twitter abglich.

Gopal Chadda, Kamal Singh und Samant Khan waren die Namen, die letztlich alle Bedingungen erfüllten: es waren indisch-pakistanische Namen, sie waren einmal nach Russland und zurück geflogen, die Flüge waren bei der Buchung bar bezahlt worden und die Reise dauerte vierzehn Tage. Besonders interessant war, dass bei zwei Flügen ein Alexander Müller mit an Bord war.

Jens Mander griff zum Smartphone und wählte Rahuls Nummer in der Hoffnung, dass der gerade nicht zu beschäftigt war. Rahul meldete sich auch sofort. Ohne sich an das übliche Ritual zu halten, legte Jens gleich los.

„Rahul, was sagen Dir die Namen?“ und zählte die drei gefundenen Namen auf.

Aus dem Lautsprecher kam erstmal nichts außer ein betroffenes Schweigen. Dieses Schweigen dauerte fast eine Minute und Jens wollte schon fragen, ob Rahul vor lauter Schreck aufgelegt habe, als Rahul dann doch noch mit der Bitte zu hören war, ob er nicht in einer Stunde zurückrufen dürfe. „Sag jetzt nur Ja oder Nein. Kannst Du nicht reden? Bist Du nicht alleine?“

Von Rahul kam nur ein zögerliches „Ja“ über die Leitung und Jens erinnerte nochmals an den versprochenen Rückruf, bevor er das Gespräch beendete.

„Bingo“, murmelte er. „Da ist was oberfaul.“

Aus den FakeBox-Journalen wusste Jens, dass Gopal Chadda und Samant Khan aus dem indischen Neu Delhi und Kamal Singh aus Khulna in Bangladesch stammten. Alle drei arbeiteten schon längere Zeit beim „indischen Paten“ in dessen verschiedenen Restaurants, Gopal Chadda als Barmann, Kamal Singh und Samant Khan als Köche.

Jens Mander zog die Journale der drei Kandidaten nochmals zurate um sie auf zusätzliche Gemeinsamkeiten zu untersuchen. Er fand aber nichts, was ihm hätte weiterhelfen können. Während Jens Mander vor sich hin grübelte, kam von Rahul eine SMS, dass er sich erst nach seinem Dienst melden würde und so beschloss Jens auf den Anruf von Rahul zu warten.

Da sein Kühlschrank ziemlich leer und sein Hunger groß war, machte er sich auf den Weg in den nahegelegenen Supermarkt, um ein paar Lebensmittel einzukaufen.

Jens wohnte seit mehr als drei Jahren in der Freiherr-vom-Stein-Straße und war nicht zuletzt wegen seiner Hündin im Kiez kein Unbekannter. Er war aber auch ein guter Beobachter und hatte ein elefantöses Gedächtnis. Deshalb bemerkte er sofort, nachdem er das Haus verlassen hatte und die Innsbrucker Straße in Richtung Bayerischer Platz ging, dass in der Parkharfe zwischen den beiden Richtungsfahrbahnen der Straße ein PKW abgestellt war, der da nicht hin gehörte und das er hier auch noch nicht gesehen hatte. Ein schwarzer Mercedes Vicano mit einem Berliner Kennzeichen - dem Berliner Kennzeichen, das er bereits kannte.

Ohne seine Erfahrung wäre Jens das Fahrzeug wahrscheinlich nicht aufgefallen. Und wenn, dann hätte er sich sicher anmerken lassen, dass ihm das Auto aufgefallen war. So aber ließ er sich nichts anmerken und während er weiter ging, war nur an seiner Augenbewegung zu erkennen, dass er das Fahrzeug beobachtete.

Im Auto saßen zwei Männer. Auf Grund des Blickwinkels und der Entfernung konnte er nur die helle Hautfarbe und dunklen bis schwarzen Haare erkennen und dass beide dunkel-graue oder schwarze Bekleidung trugen. Jens verwarf sofort seinen Plan mit dem Einkaufen.

„Mal schaung wie gut die beiden sind“, dachte er und ging in Richtung Badensche Straße weiter. Um den beiden im Mercedes die Möglichkeit für eine Verfolgung zu geben, verlangsamte er seinen Schritt. So erreichte er die Ampel über die Badensche Straße zu einem Zeitpunkt, als sie gerade auf Rot umschaltete.

Während er auf die nächste Grünphase wartete, zeigte der das Bild eines Fußgängers, der gelangweilt an der Ampel stand, vorbeifahrenden Autos hinterher blickte und auf das nächste Grün wartete. Leider war keine spiegelnde Fläche in der Nähe, weshalb er seine möglichen Verfolger nicht direkt beobachten konnte.

Die Ampel schaltete auf Grün und Jens ging los. „Wenn die Jungs gut sind, dann ist einer direkt hinter mir und der zweite folgt ihm mit einigen Abstand“, dachte er. „Wenn ich jetzt einen Haken schlage oder unerwartet stehen bleibe, geht der Erste an mir vorbei und der zweite rückt auf.“

Während seiner zweiten Ausbildung in der Weberei in Haar wurde Jens auch beigebracht, wie eine Observation geplant und durchgeführt wird, aber auch, wie man sich einer Überwachung erfolgreich entziehen kann.

Nachdem er die Straße überquert hatte, ging Jens nach rechts, auf der linken Straßenseite der Badenschen in Richtung Martin-Luther-Straße. Bei diesem Manöver hatte er die Möglichkeit einen unauffälligen Blick auf seine Verfolger zu werfen. Offensichtlich hatten zwei Männer in grauen Hosen und dunkelblauen Jacken, sowie eine Frau in einen dunkelblauen Jogginganzug mit ihm die Straße überquert. „Aha - ein Dreierteam“, dachte Jens, der einfach mal annahm, dass er verfolgt wurde.

An der Einmündung der Salzburger Straße wechselte Jens wieder in aller Gemütsruhe die Richtung und setzte gemütlich seinen Weg auf der Salzburger Straße in Richtung Bayerischer Platz fort. Er hatte sich überlegt, dass das Eiscafé am Bayerischen Platz eine gute Möglichkeit sei, seinen potentiellen Verfolgern ein paar Steine in den Weg zu werfen; zumindest bot sich hier die Gelegenheit, das Team zu identifizieren.

Mario, der Kellner und die meiste Zeit auch der Chef des Eiscafés begrüßte Jens mit einer herzlichen Umarmung und machte sich dann sofort ans Werk seinen Super Cappuccino zu zaubern. Da das Café leer war, suchte sich Jens einen Platz, von dem aus er durch die großen Fenster die Salzburger Straße und einen Teil des Bayerischen Platzes beobachten konnte.

„Anfänger“, dachte Jens, als er die beiden Männer und die Frau ausmachte, die er schon an der Badenschen Straße gesehen hatte. Die Frau stand an der Ecke des Deutsche-Bank-Gebäudes, einer der Männer ging in Richtung der Treppe zur U-Bahn und der zweite Mann marschierte in Richtung der Ampel über die Grunewaldstraße.

Da Jens der einzige Gast im Café war, begann Mario ein Gespräch mit Jens. Er erkundigte sich nach Jens‘ Frau, wo er den Hund gelassen habe und warum er in der letzten Zeit so selten da gewesen sei. Jens gab ihm bereitwillig Auskunft; seine Frau sei bei der Tochter, ebenso der Hund und er, Jens, habe jede Menge zu arbeiten.

„Von nichts kommt nichts“, meinte Jens und egal wo man hingehen würde, überall würde ihm nur das Geld aus der Tasche gezogen. Auf die Gegenfrage von Jens, wie es denn Mario, dessen Frau und den Kindern gehe, eröffnete der ihm, dass er Mitte Dezember für sechs Wochen nachhause fahren würde und es wäre eh‘ das letzte Mal für so einen Urlaub, da seine Große im nächsten Jahr in die Schule kommen würde.

Der Frau aus dem Observationsteam schien es zu langweilig geworden zu sein, oder sie hatte eine Anweisung erhalten, denn sie überquerte die Salzburger Straße, betrat das Eiscafé und setzte sich auf einen Stuhl in der Nähe des Ausgangs.

Vor solchen Fehlern hatten ihn seine Ausbilder immer gewarnt. „Wenn Du observierst, dann bleibe unsichtbar, sonst bist Du verbrannt - wertlos für eine weitere Verfolgung. Außer, Du willst dem Objekt wissen lassen, dass Du es verfolgst.“

Jens hatte inzwischen seinen Cappuccino getrunken, kramte aus seiner Hosentasche einen Fünf-Euro-Schein heraus, stand auf und ging an den Tresen. Mit den Worten „Der Rest ist für Dich. Grüße Deine Frau und meine Kinder und arbeite nicht mehr solange“, drückte er Mario den Schein in die Hand und mit einem „Mach‘s gut. Ich komme jetzt wieder öfter“, verabschiedet sich Jens und verließ das Café in Richtung Grunewaldstraße.

Jens hatte geplant, beim Betreten des Supermarkts an der Martin-Luther-Straße die Observanten nochmals zu überprüfen. Während er umständlich mit dem Einkaufswagen hantierte, sah er sich unauffällig um und da waren sie wieder und diesmal war auch der Mercedes dabei. Zum einen beunruhigte es ihn, dass er verfolgt wurde. Aber es beruhigte ihn auch, dass er keiner paranoiden Phantasie aufgesessen war.

„Wer die Gefahr kennt, kommt nicht darin um“, dachte sich Jens und schob seinen Einkaufswagen durch die Regalreihen und erledigte seinen Einkauf. Als er zwanzig Minuten später den Supermarkt mit seiner vollen Einkaufstasche wieder verließ, war das Observationsteam verschwunden.

Zuhause angekommen verstaute er seinen Einkauf im Kühlschrank, machte sich ein paar Stullen mit Leberwurst und setzte sich wieder an seinen Computer und checkte sein Postfach. Von Christian war immer noch keine Nachricht eingegangen, dafür fand er eine Nachricht von seiner Frau vor, in der sie sich darüber beklagte, dass er sich nicht bei ihr gemeldet habe. Da er immer noch auf den Rückruf von Rahul wartete, entschloss er sich ein längeres Telefonat mit ihr zu führen.

Es war kurz vor dreiundzwanzig Uhr als endlich der Anruf von Rahul kam. Rahul entschuldigte sich wortreich und kam überraschenderweise sehr schnell zum Thema.

„Ja, ich kenne die drei. Gopal Chadda ist der Neffe von meiner Chefin. Er und die beiden anderen arbeiten im einem Restaurant in der Akazienstraße“, erklärte Rahul. Seine ihm angeborene oder noch besser anerzogene Höflichkeit verbot ihm die Nachfrage, warum Jens das wissen wolle.

Bevor Jens seine nächste Frage stellte, zog er die Liste der Flugdaten zu rate. „Hatte Gopal Chadda im Februar dieses Jahres Urlaub und wenn ja, wie lange?“

Sogar durch‘s Telefon konnte man Rahuls Verblüffung bemerken, denn seine nächsten Worte waren auf Hindi. Menschen, die überrascht werden, fallen immer in ihre Muttersprache zurück.

Als Rahul seinen Lapsus bemerkte, kam nur ein „Ja“ über die Leitung. Jens ließ ihm keine Chance zum Nachdenken und setzte sofort nach: „Wie lange hatte er Urlaub, wo war er und ist Dir nach seiner Rückkehr etwas Besonderes an ihm aufgefallen?“

Leider konnte Rahul nicht viel zu den letzten Fragen sagen und so leitete Jens das Gespräch zu den etwas privateren Dingen, bevor er sich mit den liebsten Grüßen für Lalita verabschiedete.

zwo-eins-zwo

Подняться наверх