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1.3 Psychotraumatologische Konstrukte und ihre psychodynamischen Ursprünge

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Die Liste an psychodynamisch geprägten Konstrukten, welche heute als Allgemeinplätze in der modernen Mainstream Psychotraumatologie bezeichnet werden können, ist lang. Khan führte 1963 seine Vorstellungen vom kumulativen Trauma aus, ein Begriff, der heute bei leichter Bedeutungsverschiebung viel verwendet wird. Ein weiterer Beitrag einer psychodynamisch orientierten Forscherin zur Klassifikation potenziell traumatischer Ereignisse, welcher Eingang in vermutlich jedes psychotraumatologische Lehrbuch gefunden hat, ist die Unterscheidung von einmaligen und sich wiederholenden, andauernden Ereignissen als Typ-I- und Typ-II-Traumata durch Leonore C. Terr (1991). Heute erleben wir die Aufnahme des vor gut 25 Jahren von Judith L. Herman (1992) ausgearbeiteten Konzepts der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung ins ICD-11 (Maercker et al., 2013). Die Bedeutung der psychoanalytischen Übertragungs-Gegenübertragungs-Konzeption für das Verständnis der Phänomene der sekundären Traumatisierung (z. B. Figley, 1995) braucht hier nur angedeutet zu werden. Straker und das Sanctuaries Counselling Team (1987) entwickeln aus ihrer klinischen Arbeit mit Opfern der Gewalt in den Townships Südafrikas das Konzept der kontinuierlichen PTBS. Dies beschreibt die Wirkung traumatischer Erfahrungen in einer Gesellschaft, in welcher solche Ereignisse in Abwesenheit schützender Instanzen zu einer alltäglichen Realität werden. Für die Möglichkeit einer Verarbeitung ist dabei des Weiteren wesentlich, dass das persönliche Umfeld ebenfalls betroffenen ist und traumatische Vorfälle nicht mehr als Verletzung der Normalität, sondern als normal wahrgenommen werden. Das Konzept wird heute insbesondere von Kaminer und ihren KollegInnen propagiert (Eagle & Kaminer, 2013). Als letztes Beispiel eines psychodynamischen Konstrukts sei das Stichwort Bindung aufgeworfen, welches sich als äußerst fruchtbar für die aktuelle empirische psychotraumatologische Forschung erwiesen hat (z. B. Bryant & Chan, 2017).

Diese selektive Auflistung einiger psychoanalytischer Beiträge, welche Verständnis und Behandlung von Traumafolgestörungen bis heute prägen, ließe sich beliebig fortsetzen. 130 Jahre lang entwickelten psychoanalytische ProtagonistInnen in engem und fruchtbarem Austausch mit VertreterInnen anderer Ausrichtungen die Psychotraumatologie, wie wir sie heute kennen. Nichts wäre also naheliegender, als anzunehmen, dass die Psychoanalyse eine geschätzte Stimme im Chor der aktuellen Psychotraumatologie ist. In scharfem Kontrast hierzu steht die weitgehend vollständige Marginalisierung des psychoanalytischen Beitrags durch die heutige Mainstream Psychotraumatologie. Neuere Ausabarbeitungen von Konstrukten, welche von PsychoanalytikerInnen entwickelt wurden, verzichten entweder vollständig auf Referenzierungen ihrer psychodynamisch orientierten Vorläufer, oder sie entkontextualisieren diese, so dass den jüngeren Generationen psychotraumatologischer ForscherInnen und KlinikerInnen eine Verbindung zur Psychoanalyse nicht mehr bekannt ist. Behandlungsrichtlinien sind auffallend bemüht, Ausdrücke wie psychodynamisch oder psychoanalytisch zu vermeiden (APA, 2017, Zugriff am 26.10.2018). An den großen Konferenzen der internationalen Fachgesellschaften finden sich bestenfalls vereinzelte psychodynamische Beiträge. Dass eine Gesellschaft wie die ISTSS heutzutage wie in ihrer Gründungszeit über eine Dekade hinweg mehrheitlich von psychoanalytischen PräsidentInnen geleitet würde, ist geradezu unvorstellbar geworden – ganz unabhängig davon, dass Schuldendominanz natürlich grundsätzlich als wenig wünschenswert einzuordnen ist.

Anhand seiner Übersicht über die Geschichte des Störungskonzepts schlussfolgert Van der Kolk (2007, S. 19, eigene Übersetzung):

»Die Disziplin der Psychiatrie hatte eine bewegte Geschichte mit der Vorstellung, dass die Realität die menschliche Psychologie und Biologie tief und nachhaltig verändern kann. Die Psychiatrie litt wiederholt unter ausgeprägten Amnesien, in welchen gut etabliertes Wissen plötzlich verloren ging, und der psychologische Effekt überwältigender Erfahrungen konstitutionellen oder intrapsychischen Faktoren allein zugeschrieben wurde. In Parallele zu den Intrusionen, der Verwirrung und dem Unglauben von Betroffenen, deren Leben urplötzlich von traumatischen Erfahrungen erschüttert werden, war die psychiatrische Disziplin wiederkehrend fasziniert vom Trauma, gefolgt von dickköpfigem Unglauben gegenüber der Relevanz der Geschichten unserer Patienten«.

Eine vergleichbare Amnesie gegenüber dem psychoanalytischen Beitrag zu ihrer Entwicklung – ergänzt um das weitgehende Desinteresse aktuellen Beiträgen gegenüber – ist der heutigen Mainstream Psychotraumatologie zu attestieren. Nach Einschätzung von Küchenhoff (2004, S. 822–823) ist dieser Beitrag in mindestens vier Bereichen zu suchen:

»1. Sie kann die Reaktionen der traumatisierten Person auf das Trauma in Abhängigkeit von der Lebenssituation und dem Alter als Schritte in seiner Verarbeitung kenntlich machen […]. 2. Sie kann aus den Verarbeitungsprozessen die Mittel für die psychotherapeutische und auch psychoanalytische Begleitung traumatisierter Menschen herausarbeiten. 3. Sie kann Beziehungserfahrungen vor dem Trauma und nach der Traumatisierung miteinander vergleichen und die Auswirkungen des Traumas auf die Beziehungsfähigkeit untersuchen. 4. Sie kann die zerstörerischen affektiv-kognitiven Effekte des Traumas und die Formen der Verarbeitung des Traumas auf die traumatisch veränderten Beziehungserfahrungen beziehen und so ein integrierendes Verständnis der Traumafolgen erarbeiten.«

Hierbei merkt Küchenhof in einer Fußnote an, dass sich die Psychoanalyse »von ihrem Alleinvertretungsanspruch in vielen psychiatrisch-psychologischen Bereichen verabschieden [muss], sie muß die Befunde der Nachbarwissenschaften von der Seele rezipieren und deutlicher sagen, was ihr spezifischer Beitrag sein kann, den andere nicht zu leisten vermögen.« Damit dieses Anliegen gelingen kann, sollen die im Folgenden anzuführenden psychoanalytischen Thesen systematisch und schulenübergreifend mit Ergebnissen der empirischen Forschung verbunden werden. Die weiteren Kapitel greifen dabei aus dem weiten Feld der Psychotraumatologie selektiv einige Themen heraus.

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