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Rede II Grabrede für die im Korintischen Krieg gefallenen Athener
Оглавление1 Wenn ich meinte, ich sei imstande, verehrte Trauerversammlung, in einer Rede die Tapferkeit der hier ruhenden Männer würdigen zu können, so müsste ich mich über meine Auftraggeber beklagen, die mir für die Abfassung meiner Rede nur wenige Tage Zeit gaben. Da jedoch alle Zeit der Welt nicht ausreichen würde, um ihre Taten recht würdigen zu können, so denke ich, dass die Stadt in weiser Fürsorge für die hier auftretenden Redner so kurzfristig den Auftrag erteilt hat, weil sie meint, dass diese so am ehesten Nachsicht bei den Zuhörern finden werden. 2 Nun handelt meine Rede zwar von den Gefallenen, darf aber nicht in Vergleich gesetzt werden zu ihren Taten, sondern nur zu dem, was bereits früher ihnen zu Ehren gesagt wurde. Denn ihre Tapferkeit hat sowohl für die Dichter als auch für die Redner eine solche Fülle von Stoff geboten, dass, obwohl schon früher viel Edles über sie gesagt, vieles auch übergangen wurde, doch immer noch den Nachkommenden genug über sie zu sagen übrig bleibt. Sie kannten jedes Land, kein Meer war ihnen unvertraut; überall, bei allen Menschen preisen die, welche ihr eigenes Unglück beklagen, die tapferen Taten dieser Männer.
3 Lasst mich nun als erstes die alten Kämpfe unserer Vorfahren aufzählen, wobei ich die Sage als Quelle benutze. Denn es ist richtig, dass alle Menschen ihrer gedenken, sie in Gesängen preisen, bei der Erwähnung tüchtiger Männer sie nennen, sie bei Veranlassungen wie dieser ehren und den Lebenden durch die Taten der Verstorbenen ein Beispiel geben.
4 In alter Zeit lebten die Amazonen, Töchter des Ares. Sie wohnten am Fluss Thermodon, waren als einzige unter ihren Nachbarn mit Eisen bewaffnet und bestiegen als erste von allen Pferde. Da ihren Feinden dies fremd war, ereilten die Amazonen auf diese Weise unvermutet die Fliehenden und entkamen den Verfolgern. Man hielt sie wegen ihres Mutes eher für Männer, als dass man sie wegen ihrer Gestalt für Frauen gehalten hätte, denn was ihnen an Körperbildung gegenüber den Männern mangelte, das zeichnete sie an Mut aus. 5 Sie herrschten über viele Völker und hatten sich bereits durch ihre Taten ihre Nachbarn unterworfen, als sie Kunde erhielten vom großen Namen unseres Landes. Verführt durch die Aussicht auf großen Ruhm und die Hoffnung auf Erfolg, versammelten sie die streitbarsten Völker um sich und zogen gegen unsere Stadt. Da sie es aber mit tapferen Männern zu tun bekamen, wurde ihr Mut ihrem Geschlecht entsprechend, und in Widerspruch zu ihrem früheren Ruhm erschienen sie im Kampf mehr als Frauen, als sie es durch ihre Gestalt waren. 6 Ihnen allein war es nicht vergönnt, aus ihren Fehlern zu lernen und sich für die Zukunft besser zu beraten, auch nicht, nach ihrer Rückkehr ihr eigenes Versagen und den Ruhm unserer Vorfahren zu verkünden. Denn sie starben hier, und bestraft für ihre Torheit verschafften sie unserer Stadt unsterblichen Ruhm der Tapferkeit, ihr eigenes Vaterland aber machten sie durch ihr hier erlittenes Unglück namenlos. So verloren sie durch die unrechtmäßige Gier nach fremdem Land zu Recht ihre eigene Heimat.
7 Als Adrastos und Polyneikes auf ihrem Feldzug gegen Theben im Kampf besiegt worden waren, wollten die Bewohner von Theben die Toten nicht begraben lassen. Die Athener jedoch vertraten die Meinung, dass die Toten, falls sie ein Unrecht begangen hatten, durch ihren Tod bereits die größtmögliche Strafe erlitten hatten; den Göttern der Unterwelt werde aber das vorenthalten, was ihnen zustehe, und die Oberen Götter würden durch die Befleckung ihrer Heiligtümer entehrt. Deshalb sandten sie zunächst Herolde und ließen um die Erlaubnis für die Bestattung der Toten bitten, 8 denn bei ihnen galt die Meinung, dass es Sache tapferer Männer ist, an ihren lebenden Feinden Rache zu nehmen, aber nur Männer, die kein Selbstvertrauen haben, an den Leibern der Toten ihren Mut beweisen. Da sie sich aber nicht durchsetzen konnten, zogen sie gegen sie zu Felde. Sie taten dies, obwohl es vorher keinerlei Zwist mit den Leuten von Theben gegeben hatte. Sie taten es nicht, um den noch lebenden Argivern zu Gefallen zu sein, 9 sondern weil sie es für eine Pflicht hielten, den im Krieg Gefallenen die gebührenden Ehren zuteil werden zu lassen. Sie riskierten also den Kampf gegen einen der beiden Gegner, aber im Interesse beider, und zwar für die einen, damit sie niemals mehr durch eine Versündigung an den Toten noch größeren Frevel an den Göttern begehen sollten, für die anderen, damit sie nicht so in ihre Heimat zurückkehren müssten, der hergebrachten Ehren verlustig, der hellenischen Sitte beraubt und der gemeinsamen Hoffnung nicht teilhaftig. 10 So dachten sie, und obwohl sie sich bewusst waren, dass die Fügungen des Schicksals im Krieg allen Menschen gemeinsam sind, und obwohl die Zahl der Feinde groß war, wussten sie doch das Recht auf ihrer Seite, kämpften und waren siegreich. Und sie verlangten nicht, übermütig geworden durch ihr Glück, eine schwere Bestrafung der Thebaner, sondern stellten deren Freveltat ihre eigene Tugend gegenüber, nahmen als Siegespreis die Leichen der Argiver, derentwegen sie gekommen waren, und begruben sie in ihrem eigenen Land in Eleusis. So verhielten sie sich gegen die Gefallenen des ‘Zugs der Sieben gegen Theben’.
11 In späterer Zeit, als Herakles von den Menschen dahingegangen war, waren dessen Kinder auf der Flucht vor Eurystheus. Sie waren bei allen Griechen geächtet. Diese schämten sich zwar dafür, fürchteten aber die Macht des Eurystheus. So kamen die Kinder in unsere Stadt und setzten sich als Schutzflehende auf die Altäre. 12 Als dann Eurystheus ihre Auslieferung verlangte, weigerten sich die Athener, denn sie hatten größere Achtung vor der Tapferkeit des Herakles, als Furcht vor der Gefahr für sich selbst, und sie wollten lieber mit dem Recht auf ihrer Seite für die Schwächeren kämpfen, als den Mächtigen zu Gefallen diejenigen ausliefern, denen diese Unrecht zugefügt hatten. 13 Als dann Eurystheus zusammen mit anderen, die zu jener Zeit auf der Peloponnes an der Macht waren, heranzog, gaben sie trotz der nahenden Gefahr ihren Entschluss nicht auf, sondern blieben bei ihrer Gesinnung wie vorher. Dabei hatten sie vom Vater der Kinder nie eine besondere Wohltat erhalten, und von ihnen selbst wussten sie nicht, wie sie später einmal als Männer sich erweisen würden. 14 Nur im Vertrauen auf das Recht, ohne vorherige Feindschaft gegen Eurystheus, um keines anderen Gewinns willen als ihres guten Rufs, nahmen sie einen so gewaltigen Kampf für jene auf sich, aus Mitleid für Menschen, denen ein Unrecht widerfuhr, und aus Hass gegen die Frevler. Sie wagten es, diese zurückzuhalten und wollten jenen beistehen. Sie waren der Meinung, dass es ein Zeichen von Freiheit ist, wenn man nichts gegen seinen Willen tut, ein Zeichen von Gerechtigkeit, wenn man den Bedrängten beisteht, ein Zeichen von Mut, wenn man für dieses beide, falls es nötig wird, kämpft und stirbt. 15 Beide Seiten hatten solchen Stolz, dass Eurystheus und sein Heer nicht einmal den Versuch machten, sich etwas von den Athenern freiwillig zu verschaffen; die Athener andrerseits hätten, selbst wenn Eurystheus sie angefleht hätte, es nicht für richtig befunden, dass er die Schutzsuchenden heraustreiben dürfe. So stellten sie sich mit ihrer eigenen Streitmacht zum Kampf und besiegten das Heer, das aus der ganzen Peloponnes herangekommen war. Den Söhnen des Herakles verhalfen sie nicht nur zur Sicherheit an Leib und Leben, sondern machten auch durch die Beseitigung der Furcht deren Geist frei, und um der Tapferkeit ihres Vaters willen bekränzten sie sie mit den Preisen ihrer eigenen Schlachten. 16 Diese Kinder waren um vieles glücklicher als ihr Vater. Denn der führte, obwohl er der ganzen Menschheit so viel Gutes erwies, ein mühevolles Leben im Kampf um Sieg und Ehre. Während er alle anderen für begangenes Unrecht züchtigte, war er nicht imstande, Eurystheus, der sein Feind war und sich gegen ihn verging, zu bestrafen. Seine Söhne aber erlebten dank unserer Stadt an demselben Tag ihre Rettung und die Bestrafung ihrer Feinde.
17 Viele Gelegenheiten gab es, bei denen unsere Vorfahren einmütig für das Recht kämpften. Bereits der Anbeginn ihres Lebens war rechtmäßig, denn sie waren nicht, wie die meisten anderen, von überall her zusammengekommen und hatten ein fremdes Land besetzt, aus dem sie andere vertrieben hatten. Sie waren Ureinwohner und hatten das Land, das sie besaßen, als Mutterland und Heimat. 18 Als Erste und Einzige zu jener Zeit vertrieben sie die Gewaltherrscher aus ihrem Land und führten die Demokratie ein, denn sie waren der Überzeugung, dass die Freiheit für alle der größte Garant der Eintracht ist. Dadurch, dass sie allen den gleichen Lohn für bestandene Gefahren in Aussicht stellten, lebten sie als Bürger mit freiem Sinn. 19 Durch ihre Gesetze ehrten sie die Guten und bestraften die Schlechten. Nach ihrer Meinung entsprach es der Art wilder Tiere, mit Gewalt übereinander zu herrschen; den Menschen aber komme es zu, das Recht durch Gesetze zu regeln, mit Worten zu überzeugen und beiden durch die Tat zu gehorchen, mit dem Gesetz als Herrscher und dem Wort als Lehrer.
20 Und so, von edler Abstammung und edler Gesinnung, haben auch die Vorfahren der hier bereits begrabenen Männer viele herrliche und staunenswerte Taten vollbracht, und ihre Nachkommen hinterließen überall unsterbliche, große Denkmäler ihrer Tapferkeit. Denn sie allein führten für ganz Griechenland den Kampf gegen Myriaden von Barbaren. 21 Der Großkönig von Asien, nicht zufrieden mit der Macht, die er besaß, hoffte, auch noch Europa unterjochen zu können und schickte ein Heer von fünfhunderttausend Mann. Weil die Barbaren nun glaubten, wenn sie unsere Stadt entweder zu ihrem freiwilligen Verbündeten gemacht oder sie mit Gewalt genommen hätten, dann würden sie leicht Herr über die anderen Griechen werden, landeten sie bei Marathon. Sie wähnten, dass wir [Griechen] am wenigsten Bundesgenossen hätten, wenn sie den Kampf begännen, solange Griechenland noch untereinander über die Frage zerstritten sei, auf welche Weise die Eindringlinge abzuwehren seien. 22 Auch schätzten sie durch frühere Erfahrungen unsere Stadt so ein, dass sie glaubten, wenn sie zunächst gegen eine andere Stadt zögen, würden sie es mit jenen und mit den Athenern zu tun bekommen, denn Athen würde bereitwillig den Angegriffenen zu Hilfe kommen. Wenn sie aber zuerst hierher kämen, würde kein einziger Grieche es mehr wagen, anderen beistehen zu wollen und wegen anderer eine offene Feindschaft mit ihnen zu riskieren. 23 So dachten sie. Unsere Vorfahren aber erwogen die Gefahren des Krieges nicht lange. Sie waren überzeugt, dass ein ruhmvoller Tod unsterblichen Nachruhm hinterlässt. Sie fürchteten nicht die Menge der Gegner, sondern vertrauten mehr ihrer eigenen Tapferkeit. Und voll Scham, dass die Barbaren in ihrem Land waren, hielten sie sich nicht damit auf, bis ihre Bundesgenossen es erfahren hatten und zu Hilfe eilen konnten. Auch wollten sie ihre Errettung nicht anderen zu verdanken haben, sondern wünschten, dass ihnen die übrigen Griechen diese verdankten. 24 So gingen sie in einmütiger Gesinnung in den Kampf, wenige gegen viele. Denn der Tod, so meinten sie, ist allen gemeinsam, die Tapferkeit jedoch kommt nur wenigen zu; des Todes wegen besitzt man das Leben nur als geliehenes Gut, die Erinnerung an die Kämpfe aber hinterlässt man als etwas Eigenes. Sie meinten ferner, wenn sie nicht in der Lage seien, einen Feind allein zu besiegen, würden sie dies auch nicht mit Bundesgenossen schaffen; und als Besiegte würden sie nur kurze Zeit vor den anderen untergehen, als Sieger aber auch die anderen befreien. 25 Sie waren tapfere Männer, schonten ihren Leib nicht, hingen nicht am Leben, wenn es um die edle Gesinnung ging, und hatten mehr Respekt vor ihren eigenen Gesetzen als Furcht vor den gefährlichen Feinden. Sie stellten gleich [an der Grenze ihres Landes1] zur Ehre Griechenlands ein Siegesdenkmal über die Barbaren auf, die aus Habsucht in ein fremdes Land eingefallen waren. 26 In so kurzer Zeit beendeten sie die Schlacht, dass dieselben Boten, die den anderen die Ankunft der Barbaren in unserem Lande zu vermelden hatten, auch gleich den Sieg unserer Vorfahren verkündeten. Keiner der anderen musste also die bevorstehende Gefahr fürchten, sondern während sie die Nachricht hörten, konnten sie sich zugleich über ihre Freiheit freuen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass über diese alten Taten so, als ob sie neu wären, berichtet wird, und auch heute noch die Tapferkeit dieser Männer bei allen Menschen als Beispiel zum Nacheifern angesehen wird.
27 Danach aber kam Xerxes, der Großkönig von Asien. Er verachtete Griechenland, wurde aber in seinen Hoffnungen betrogen. Er fühlte sich beschimpft durch die früheren Geschehnisse, empfand Schmerz über das Unglück, zürnte den Verantwortlichen – er hatte noch kein Unheil kennengelernt und hatte keine Erfahrung mit tapferen Männern. Zehn Jahre lang bereitete er sich vor, dann kam er mit zwölfhundert Schiffen und einer solchen Anzahl von Fußvolk, dass es eine größere Aufgabe wäre, auch nur die Völker aufzuzählen, die mit ihm zogen. 28 Der beste Beweis für ihre ungeheure Menge ist folgender: Obwohl es ihm möglich gewesen wäre, sein Landheer an der Meerenge des Hellespont mit tausend Schiffen von Asien nach Europa übersetzen zu lassen, lehnte er dies ab, weil er nach seiner Meinung dadurch zu lange aufgehalten würde. 29 Er verachtete die Gesetze der Natur, die göttliche Ordnung und den menschlichen Verstand, und so schuf er eine Straße über das Meer und eine Schiffspassage durch das Land, indem er den Hellespont überbrücken und den Berg Athos2 durchgraben ließ. Niemand widersetzte sich, die einen unterwarfen sich ihm gezwungenermaßen, die anderen wurden freiwillig zu Verrätern ihres Landes; denn die einen waren nicht stark genug, sich zu verteidigen, und die anderen ließen sich durch Geld bestechen. Beides, Gewinnerwartung und Furcht, bestimmte ihre Handlungen. 30 In dieser Lage für Griechenland bestiegen die Athener ihre Schiffe und fuhren zum Kap Artemision, um sich zu verteidigen, während die Spartaner und etliche der Bundesgenossen zu den Thermopylen zogen in der Meinung, bei der Enge des Platzes sei es ihnen möglich, den Durchgang zu halten. 31 Die Kämpfe fanden zur gleichen Zeit statt. Die Athener siegten in der Seeschlacht, die Spartaner aber ließen es zwar an Mut nicht fehlen, täuschten sich aber sowohl in der Zahl derer, die sie zum Schutz des Landes erwartet hatten, als auch derer, gegen die sie kämpfen sollten. Sie kamen um, nicht von den Feinden besiegt, aber alle fanden sie an dem Platz, wo sie sich aufgestellt hatten, kämpfend den Tod. 32 Nachdem auf diese Weise die Spartaner Unglück erlitten, die Feinde sich des Durchgangs bemächtigt hatten, zogen diese gegen unsere Stadt. Unsere Vorfahren waren, als sie das den Spartanern zugestoßene Unglück erfahren hatten, ratlos wegen der bestehenden Lage. Sie wussten, dass dann, wenn sie den Barbaren zu Land entgegentreten, diese mit tausend Schiffen landen und die verlassene Stadt einnehmen würden; wenn sie aber selbst ihre Kriegsschiffe bestiegen, würde ihre Stadt vom Landheer erobert werden. Zu beidem, einem Angriff gegen die Feinde und einer hinreichenden Wachmannschaft in der Stadt, waren sie nicht stark genug. 33 Sie hatten also die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, entweder ihr Vaterland zu verlassen, oder sich den Barbaren anzuschließen und gemeinsam mit ihnen die übrigen Griechen zu unterjochen. Da vertraten sie die Meinung, dass die Freiheit mit Ehre, Armut und Flucht besser sei als die Knechtung des Vaterlands mit Schmach und Reichtum. Sie verließen um Griechenlands willen ihre Stadt, um nacheinander mit jedem der beiden Heere zu kämpfen, aber nicht mit beiden zur gleichen Zeit. 34 Ihre Kinder, Frauen und Mütter brachten sie nach Salamis in Sicherheit und sammelten auch die Flotte ihrer Bundesgenossen. Wenige Tage später trafen sowohl das Landheer als auch die Flotte der Barbaren ein. Wer wäre bei ihrem Anblick nicht in Furcht geraten, welch großer und gefahrvoller Kampf stand der Stadt bevor, um der Freiheit Griechenlands willen! 35 Wie waren die Gefühle derjenigen, die ihre Freunde in den Schiffen sahen, da ihre eigene Rettung und der Ausgang des bevorstehenden Kampfes ungewiss war, wie derjenigen, die im Begriff waren, für ihr Liebstes zu kämpfen, für die wertvollen Preise3 auf Salamis! 36 Von allen Seiten waren sie von einer solchen Menge von Feinden umgeben, dass ihnen der vorhersehbare Tod das geringste Übel von allen schien, das größte Unglück aber das Schicksal der in Sicherheit Gebrachten, das sie im Falle eines Sieges der Barbaren zu erwarten hatten. 37 Wahrlich, in dieser ausweglosen Lage hielten sie sich oftmals an der Hand und beklagten verständlicherweise ihr Geschick. Sie wussten ja, dass sie selbst nur wenige Schiffe hatten und sahen die große Zahl der feindlichen. Es war ihnen klar, dass ihre Stadt verlassen war, ihr Land verwüstet und von Barbaren überlaufen, dass ihre Tempel verbrannt waren und Schrecken aller Arten ihnen bevorstanden. 38 Sie hörten den Schlachtgesang der im Nahkampf aneinandergeratenen Griechen und der Barbaren, Ermunterungsrufe von beiden Seiten und die Schreie der Sterbenden. Das Meer war voll von Leichen, eine Menge von Wrackteilen der eigenen und der feindlichen Schiffe stürzte durcheinander. Lange Zeit war die Seeschlacht unentschieden. Bald schienen sie gesiegt zu haben und gerettet zu sein, bald besiegt und dem Untergang geweiht. 39 Gewiss meinten sie auch in ihrer Furcht, vieles zu sehen und vieles zu hören, was es nicht gab. Welche flehentlichen Bitten wurden da an die Götter gerichtet, welche Opfer gelobt! Wie hatten sie Mitleid mit ihren Kindern, Sehnsucht nach ihren Frauen, Mitgefühl mit ihren Vätern und Müttern, wenn sie daran dachten, welche Leiden diese bei einem unglücklichen Ausgang der Schlacht zu erwarten hatten. 40 Welcher der Götter hätte ihnen bei dieser Größe der Gefahr sein Mitleid verweigert, welcher der Menschen sie nicht beweint? Und wer hätte sie nicht wegen ihres Mutes bewundert? Ja, diese Männer übertrafen alle Menschen an Tapferkeit, sowohl bei ihren Entschlüssen als auch bei den Gefahren des Krieges. Sie verließen ihre Stadt, bestiegen ihre Schiffe, und obwohl sie nur wenige waren, setzten sie ihr Leben ein und stellten sich zum Kampf gegen die Massen aus Asien. 41 Durch ihren Sieg in der Seeschlacht zeigten sie allen Menschen, dass es besser ist, mit wenigen für die Freiheit zu kämpfen als mit vielen Untertanen eines Königs für die eigene Knechtschaft. 42 Sie erbrachten den größten und schönsten Beitrag für die Freiheit Griechenlands, mit Themistokles als Feldherrn, dem tüchtigsten Mann im Reden, Denken und Handeln, mit mehr Schiffen als alle Bundesgenossen zusammen und mit den erfahrensten Männern. Wer auch von den anderen Griechen hätte es an Gesinnung, Menge und Tapferkeit mit ihnen aufnehmen können? 43 So gewannen sie also zu Recht und unangefochten den ersten Preis von Griechenland für die Seeschlacht, erhielten verdientermaßen eine Belohnung, die dem Kampf entsprach, und bewiesen den Barbaren aus Asien, wie echt und urkräftig ihre Tapferkeit war.
44 Dadurch, dass sie sich in der Seeschlacht so bewährt, dass sie den größten Teil der Gefahren auf sich genommen hatten, machten sie, vermittels der Tapferkeit jedes Einzelnen, die Freiheit zum Gemeingut auch für die übrigen. Danach aber zogen die Peloponnesier eine Mauer durch den Isthmos. Sie dachten nur an ihre eigene Sicherheit, glaubten, sie hätten dann keine Gefahr vom Meer her zu erwarten, und meinten, sie könnten nun ruhig zusehen, wie die anderen Griechen unter die Herrschaft der Barbaren kämen. 45 Die Athener aber gaben ihnen voll Ärger den Rat, bei dieser Gesinnung sollten sie gleich um die ganze Peloponnes herum eine Mauer errichten. Denn wenn die Athener, von den anderen Griechen im Stich gelassen, auf die Seite der Barbaren wechseln müssten, dann würde es diesen nicht an tausend Schiffen mangeln, und den Peloponnesiern würde ihre Mauer am Isthmos nichts nützen. Dann hätte der Großkönig gefahrlos die Herrschaft zur See. 46 So belehrt und in der Erkenntnis, dass sie unrecht gehandelt hatten und schlecht beraten waren, dass dagegen die Athener im Recht waren und ihnen einen sehr guten Rat gaben, kamen die Peloponnesier zur Unterstützung nach Plataiai. Obwohl hier die meisten der Bundesgenossen wegen der Übermacht der Feinde in der Nacht aus ihren Stellungen weggelaufen waren, schlugen die Spartaner und die Tegeaten die Barbaren in die Flucht, die Athener aber und die Plataier besiegten im Kampf alle diejenigen Griechen, die ihre Freiheit aufgegeben und sich der Sklaverei unterstellt hatten. 47 An jenem Tag brachten sie ihre früheren Kämpfe zu einem krönenden Abschluss. Sie sicherten die Freiheit Europas, sie gaben in allen Kämpfen einen Beweis ihrer eigenen Tapferkeit, sowohl allein als auch mit anderen, zu Land und zur See, gegen Barbaren und gegen Griechen. Und so wurden sie von allen, sowohl von ihren Kameraden im Kampf als auch von ihren Gegnern, für würdig befunden, in Griechenland die Führung zu übernehmen.
48 In der Folgezeit aber entstand durch Missgunst auf die Stellung der Athener und durch Neid auf ihre Taten ein Krieg unter Griechen. Alle waren sie übermütig, und eine kleine Beschwerde genügte als Anlass. In einer Seeschlacht eroberten die Athener von den Aigineten und deren Bundesgenossen siebzig Kriegsschiffe. 49 Da die Athener gleichzeitig Ägypten4 und Aigina belagerten, waren ihre waffenfähigen Männer in der Flotte und im Landheer gebunden. Die Korinther nun und ihre Bundesgenossen, die meinten, sie könnten in ein wehrloses Land einfallen oder das Heer von Aigina abziehen, zogen in voller Stärke aus und eroberten Geraneia5. 50 Obwohl nur ein Teil des athenischen Heeres in der Ferne, der andere ganz in der Nähe war, konnten sich die Athener nicht entschließen, diese Männer kommen zu lassen. Im Vertrauen auf ihren eigenen Mut und voll Verachtung für den heranziehenden Feind wollten die älteren Männer und die noch nicht waffenfähigen Jünglinge aus eigener Kraft den Kampf bestehen; 51 die einen vertrauten ihrer schon bewiesenen Tapferkeit, die anderen ihrer Natur. Die einen hatten ihren Wert ja schon vielfach bewiesen, die anderen aber ahmten jene nach. Während die Älteren zu befehlen wussten, verstanden die Jüngeren, die Befehle auszuführen. 52 Unter dem Oberbefehl des Myronides zogen sie ins Gebiet der Megarer und besiegten im Kampf die ganze Kriegsmacht. Mit Truppen, die teils bereits entkräftet, teils noch nicht erstarkt waren, schlugen sie diejenigen, die sich vermessen hatten, in ihr Land einzufallen, und trugen den Kampf auf fremdem Land aus. 53 Sie errichteten ein Siegesdenkmal für dieses Ereignis, das für sie so rühmlich, für den Feind schmählich war. Einem Teil dieser Männer schwand bereits die körperliche Kraft, dem anderen Teil fehlte sie noch, zusammen aber erreichten sie die größte Tapferkeit, und mit dem schönsten Ruhm bedeckt gingen sie zurück in ihr Land, die einen, um sich weiter ausbilden zu lassen, die anderen, um auch fernerhin mit ihrem Rat zu dienen.
54 Es ist nun keine kleine Aufgabe für einen einzigen, die von vielen Männern bestandenen Kämpfe einzeln aufzuzählen, und das, was in der ganzen Zeit geschah, an nur einem Tag wiederzugeben. Denn welche Rede, welche Zeit oder welcher Redner würden genügen, die Tapferkeit aller hier6 liegenden Männer zu würdigen? 55 Unter größten Anstrengungen, in den bemerkenswertesten Kämpfen und durch die ehrenvollsten gefährlichen Unternehmungen machten sie Griechenland frei und begründeten die Größe ihres Vaterlands. Siebzig Jahre lang hielten sie die Herrschaft zur See und sorgten für Ruhe und Frieden unter den Bundesgenossen. 56 Sie hielten es nicht für richtig, dass einige wenige die vielen versklaven, sondern erzwangen gleiches Recht für alle. Sie versuchten nicht, die Bundesgenossen zu schwächen, sondern machten auch sie stark, und ihre eigene Macht stellten sie auf eine solche Basis, dass der Großkönig nicht mehr nach fremdem Land trachtete, sondern sogar von seinem eigenen abtrat und für das übrige fürchten musste. 57 Keine Kriegsschiffe kamen in jener Zeit mehr aus Asien, kein Tyrann erhob sich unter den Griechen, keine griechische Stadt wurde von den Barbaren unterjocht. Solche Besonnenheit und Furcht bewirkte ihre Tapferkeit bei allen Menschen. Deswegen ist niemand als sie würdig, Beschützer der Griechen und Führer der Stadtstaaten zu sein.
58 Aber auch im Unglück zeigten sie Haltung. Als die Flotte am Hellespont zugrunde ging,7 sei es durch die Schuld der Befehlshaber, sei es durch den Willen der Götter, was nicht nur für uns, sondern auch für die anderen Griechen das größte Unglück war, da zeigte sich wenig später, dass auf der Stärke unserer Stadt auch die Rettung für Griechenland beruhte. 59 Andere hatten die Oberherrschaft übernommen,8 und eine Macht, die sich vorher nicht aufs Meer gewagt hatte, besiegte die Griechen zur See9 und segelte nach Europa. Sie unterjochten griechische Städte,10 und Tyrannen kamen an die Macht, manche schon nach unserem Unglück.11 andere erst nach dem Sieg der Barbaren. 60 So geziemte es sich damals für Griechenland, an diesem Grab als Zeichen der Trauer die Haare zu scheren und die hier Liegenden zu beklagen, denn zugleich mit diesen Tapferen war auch die Freiheit zu Grabe getragen worden. Hellas wurde unglücklich, solcher Männer beraubt, der Großkönig von Asien dagegen glücklich, weil er über andere Anführer verfügen konnte. Hellas drohte nach diesem Verlust die Knechtschaft, er aber wollte, nachdem er andere Strategen hatte, den Plänen seiner Vorfahren nacheifern.
61 Aber ich bin mit dieser Klage um ganz Griechenland abgeschweift. Es ist unsere Aufgabe, jener Männer sowohl privat als auch öffentlich zu gedenken. Sie flohen die Knechtschaft, kämpften für das Recht, machten sich alle zu Feinden, weil sie einen Aufstand für die Demokratie wagten, und kamen schließlich in den Piräus zurück.12 Sie wurden nicht vom Gesetz gezwungen, sondern von ihrer Natur getrieben. In neuen Kämpfen ahmten sie die alte Tapferkeit ihrer Vorfahren nach. 62 Durch Einsatz ihres Lebens wollten sie die Stadt wieder zum Gemeingut für alle machen. Sie wählten den Tod eines freien Mannes statt eines Lebens in Knechtschaft. Sie schämten sich wegen ihres Unglücks nicht weniger, als sie den Feinden zürnten, und wollten lieber in ihrem eigenen Land sterben als in der Fremde leben. Als Bundesgenossen hatten sie nur ihre Eide und Verträge, als Feinde zusätzlich zu den vorherigen auch noch ihre eigenen Mitbürger. 63 Dennoch erschraken sie nicht vor der Menge ihrer Gegner. Sie setzten ihr Leben aufs Spiel und errichteten ein Siegesdenkmal über ihre Feinde. Zeugen ihrer Tapferkeit sind für sie die nahe diesem Denkmal liegenden Gräber der Spartaner13. Aus der Erniedrigung erhoben sie unsere Stadt wieder zur Größe, aus den Parteienkämpfen ließen sie Einigkeit entstehen, und die niedergerissenen Mauern bauten sie wieder auf. 64 Die Rückkehrer zeigten eine Gesinnung, die den Taten der hier Liegenden ebenbürtig war; sie richteten ihre Aufmerksamkeit nicht auf die Rache an den Feinden, sondern auf die Errettung der Stadt, und da sie weder zurückstehen wollten, noch Vorrechte für sich wünschten, ließen sie an ihrer Freiheit sogar diejenigen teilhaben, die die Knechtschaft gewollt hatten, obwohl sie selbst diese Knechtschaft verachteten. 65 Durch große und herrliche Taten führten sie den Beweis, dass das frühere Unglück der Stadt weder durch ihre Feigheit noch durch die Tapferkeit der Feinde entstanden war. Denn wenn sie trotz der Parteienkämpfe untereinander und trotz der Anwesenheit der Peloponnesier und der anderen Feinde imstande waren, in die eigene Stadt zurückzukehren, so wird klar, dass sie bei einmütiger Haltung leicht in der Lage gewesen wären, den Kampf gegen sie aufzunehmen.
66 Jene Männer werden also wegen ihrer Kämpfe im Piräus von allen Menschen gepriesen. Es ist aber angebracht, auch der hier liegenden Fremden14 rühmend zu gedenken, die unserem Volk zu Hilfe kamen und für unsere Rettung kämpften. Für sie war die Tapferkeit ihr Vaterland, und sie beendeten ihr Leben auf diese edle Weise. Dafür hat sie die Stadt betrauert und öffentlich bestattet und gab ihnen für alle Zeit die gleichen Ehren wie ihren Bürgern.
67 Die Männer, die heute beigesetzt werden, kamen den Korinthern, die von ihren alten Freunden beleidigt worden waren, zu Hilfe und wurden ihre neuen Bundesgenossen. Sie hatten nicht die Gesinnung der Spartaner. (Diese neideten den Korinthern ihren Reichtum. Unsere Männer aber hatten Mitleid mit den Bedrängten und gedachten nicht mehr der früheren Feindschaft, sondern hielten die neue Freundschaft für wichtiger.) So bewiesen sie aller Welt ihre eigene edle Haltung. 68 Um Griechenland groß zu machen, hatten sie den Mut, nicht nur für ihre eigene Rettung zu kämpfen, sondern für die Freiheit ihrer früheren Feinde15 sogar zu sterben. Denn sie kämpften mit den Bundesgenossen der Spartaner für die Befreiung von diesen. Als Sieger gaben sie jenen die gleichen Ehren, wie sich selbst. Im Falle einer Niederlage aber hätten sie den Bewohnern der Peloponnes die sichere Knechtschaft hinterlassen16.
69 Bei denen nun war die Lage derart, dass ihnen das Leben beklagenswert und der Tod erwünscht war. Unsere Männer aber sind als Lebende und als Tote zu beneiden. Sie wurden in der edlen Gesinnung ihrer Vorfahren erzogen, und im Mannesalter wahrten sie deren Ruhm und bewiesen ihre eigene Tapferkeit. 70 Viele herrliche Verdienste erwarben sie sich um ihr Vaterland, das von anderen verursachte Unglück machten sie wieder gut, und den Krieg führten sie weit entfernt von ihrer Heimat. Sie beendeten ihr Leben so, wie es sich für wackere Männer zu sterben geziemt. Sie vergalten ihrer Heimat die Wohltaten ihrer Erziehung und hinterließen bei ihren Erziehern stolze Trauer. 71 Deshalb geziemt es sich, dass die Lebenden ihren Verlust empfinden und sich selbst ebenso bejammern, wie sie deren Angehörige für das Leben, das noch vor ihnen liegt, bemitleiden. Denn welche Freude bleibt diesen noch, nachdem solche Männer begraben sind? Diese hielten nichts für wichtiger als die Tapferkeit und gaben so ihr Leben hin. Sie machten ihre Frauen zu Witwen, ließen ihre Kinder als Waisen zurück, ihre Geschwister, Väter und Mütter ohne Stütze. 72 Trotz dieser schweren, unglücklichen Umstände beneide ich ihre Kinder, die noch zu jung sind, um zu verstehen, welche edlen Väter sie verloren haben. Ich bemitleide aber ihre Eltern, die zu alt sind, um ihr Unglück vergessen zu können. 73 Denn was kann schmerzlicher sein, als Kinder zur Welt zu bringen, aufzuziehen und sie bestatten zu müssen, im Alter körperlich hinfällig zu sein, aller Hoffnungen beraubt, ohne Angehörige und ohne Hilfe dazustehen, bemitleidet zu werden von Leuten, von denen man vorher beneidet wurde, und den Tod mehr zu wünschen als das Leben! Denn je tapferer die Männer waren, umso größer ist die Trauer für die Hinterbliebenen. 74 Wann können sie je aufhören zu trauern? Etwa dann, wenn die Stadt im Unglück ist? Aber dann werden sich verständlicherweise auch alle anderen an die Gefallenen erinnern. Oder bei öffentlichen Erfolgen? Da haben sie doch allen Grund zu trauern, wenn die eigenen Kinder tot sind, und die Lebenden die Früchte von deren Tapferkeit genießen. Oder etwa bei persönlicher Not, wenn sie sehen müssen, wie ihre früheren Freunde sie in ihrer bedrängten Lage meiden, und ihre Feinde sie in ihrem Unglück verhöhnen? 75 Ich glaube, dass wir den hier Liegenden unsere Dankbarkeit nur erweisen können, indem wir ihre Eltern ebenso in Ehren halten wie sie selbst, ihre Kinder ebenso liebreich behandeln, als wären wir selbst ihre Väter, ihren Frauen ebenso hilfreich zur Seite stehen, wie sie es zu Lebzeiten taten. Wen können wir mit gutem Grund mehr ehren als die hier liegenden Männer? 76 Wen unter den Lebenden können wir zu Recht mehr ehren als ihre Angehörigen? Sie haben sich an der Tapferkeit dieser Männer in gleichem Maße wie die anderen erfreut, das Unglück ihres Todes aber haben sie als Verwandte allein zu tragen.
77 Indessen bin ich mir nicht sicher, ob man ein solches Geschick beklagen soll. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir alle sterblich sind. Was also soll man betrübt sein über deren Schicksal, das wir längst erwartet haben, oder an den Widrigkeiten der Natur so schwer tragen? Wir wissen, dass der Tod allen Menschen bevorsteht, den Besten und den Schlechtesten. Die Schlechten verachtet er nicht, die Guten bewundert er nicht; alle behandelt er gleich. 78 Wenn es möglich wäre, dass die den Kriegsgefahren Entronnenen auf immer fortleben könnten, dann wäre es für die Lebenden angebracht, die Toten immerfort zu betrauern. Nun unterliegt aber die menschliche Natur Krankheiten und Alter, und die Gottheit, die unser Schicksal bestimmt, ist unerbittlich. 79 Deshalb muss man diejenigen für die glücklichsten Menschen halten, die im Kampf für die größten und schönsten Ziele, so wie diese Männer, ihr Leben endeten. Sie überließen ihr Geschick nicht dem Zufall, sie warteten nicht auf den natürlichen Tod, sondern wählten sich den schönsten. Das Andenken an sie verwelkt nicht; die Ehre, die ihnen widerfährt, wird von allen gepriesen. 80 Betrauert werden sie nur wegen ihrer sterblichen Menschennatur; wegen ihrer Tapferkeit jedoch werden sie als Unsterbliche gepriesen. Sie werden vom Staat bestattet, und ihnen zu Ehren veranstaltet man Wettkämpfe der Stärke, der Weisheit und des Reichtums, weil man die im Krieg Gefallenen der gleichen Ehren für Wert hält wie die unsterblichen Götter und Heroen. 81 Ich für meinen Teil preise sie glücklich und beneide sie wegen ihres Todes. Ich glaube, dass nur für diejenigen unter allen Menschen es besser war, geboren zu werden, die trotz ihres menschlichen Leibes durch ihre Tapferkeit ein unsterbliches Andenken ihrer selbst hinterlassen haben. Dennoch aber müssen wir unsere altehrwürdigen Sitten befolgen und in Bewahrung unseres ererbten Gesetzes die Männer beklagen, die jetzt bestattet werden.