Читать книгу Reden - Lysias - Страница 22
ZEUGENAUSSAGEN
Оглавление21 Ihr habt nun sowohl von den Zeugen als auch von mir gehört, wie sich die Sache zugetragen hat. Ich möchte wohl, hohes Gericht, dass Simon den gleichen guten Willen hätte wie ich, so dass ihr, nachdem ihr von uns beiden die Wahrheit vernommen haben würdet, leicht ein gerechtes Urteil fällen könntet. Da er jedoch auf die Eide nichts gibt, die er geschworen hat, will ich versuchen, euch auch über die Lügen zu informieren, die er erzählt hat. 22 Er wagte zu behaupten, er habe dem Theodotos dreihundert Drachmen gegeben und sei einen Vertrag mit ihm eingegangen, ich aber soll dem Jungen nachgestellt und ihm abspenstig gemacht haben. Wenn das wahr wäre, hätte er leicht so viele Zeugen dafür beibringen können, wie er nur will, und die Sache den Gesetzen entsprechend durchfechten können. 23 Es zeigt sich jedoch, dass er zu keinem Zeitpunkt etwas derartiges veranlasste, sondern er wurde gewalttätig, schlug uns beide nieder, zog durch die Stadt, brach Türen auf und ging des nachts in die Zimmer von Bürgerfrauen. 24 Dies alles, hohes Gericht, solltet ihr als Beweis dafür heranziehen, dass er euch anlügt. Bedenkt auch, wie unglaubwürdig seine Aussagen sind. Sein ganzes Vermögen bezifferte er auf zweihundertfünfzig Drachmen. Da ist es doch erstaunlich, dass er sich einen Geliebten angeschafft haben will für mehr Geld, als er selbst besaß. 25 So weit treibt er es, dass es ihm nicht genügt, nur darüber zu lügen, dass er dem Jungen Geld gegeben habe, sondern auch, dass er es zurückerhalten habe. Ist es denn menschenmöglich, dass ich solch eine Tat begangen haben soll, wie er sie mir vorwirft, nämlich ihn um die dreihundert Drachmen betrügen zu wollen, dass ich dann aber, nachdem wir uns geprügelt hatten, ihm dieses Geld zurückgegeben hätte, ohne eine Bestätigung, dass die Sache damit bereinigt sei, und ohne jede Veranlassung von meiner Seite? 26 All das, hohes Gericht, ist reine Erfindung und nichts als ein Trick. Er behauptet, dem Jungen Geld bezahlt zu haben, damit es nicht so schlimm erscheint, wenn er sich so gewalttätig gegen ihn benimmt, ohne dass es einen Handel zwischen den beiden gegeben hat. Danach behauptet er, das Geld zurückbekommen zu haben, weil er es doch offenbar niemals eingeklagt hat und auch niemandem gegenüber je erwähnte.
27 Er behauptet, ich hätte ihn an seiner Haustür zusammengeschlagen und schwer verletzt. Tatsächlich aber hat er den Jungen über mehr als vier Stadien2, von seinem Haus gerechnet, verfolgt, ohne Anzeichen eines Schadens. Er lügt, obwohl mehr als zweihundert Menschen ihn sehen konnten.
28 Er behauptet ferner, ich sei mit einer Topfscherbe bewaffnet vor sein Haus gekommen, ich habe ihm gedroht, ihn umzubringen, und das sei die vorsätzliche Körperverletzung. Ich meine nun, hohes Gericht, es ist leicht zu erkennen, dass er lügt, nicht nur für euch, die ihr gewohnt seid, solche Fälle zu untersuchen, sondern auch für jeden anderen. 29 Denn wer kann so etwas glauben, dass ich vorsätzlich bei Tag mit dem Jungen zu Simons Haus ging, um ihm aufzulauern, wo so viele Männer bei ihm versammelt waren? Da müsste ich wohl verrückt sein, wenn ich hätte versuchen wollen, als einzelner gegen so viele zu kämpfen, zumal ich ja wusste, dass er mich gerne an der Tür seines Hauses abgepasst hätte. In Wahrheit kam er in mein Haus und drang mit Gewalt dort ein, ohne auf meine Schwester und meine Nichten Rücksicht zu nehmen. Er wagte, mich zu suchen, und nachdem er herausgefunden hatte, wo ich aß, rief er mich heraus und schlug auf mich ein. 30 Und ich, der ich damals nichts unternahm, um nicht ins Gerede zu kommen, und der die Verrücktheit dieses Mannes als persönliches Missgeschick für mich ansah, soll nun, wie dieser Mensch behauptet, nach so langer Zeit versucht haben, die Sache wieder aufzurühren? 31 Wenn der Junge mit ihm gelebt hätte, könnte man in seiner Lüge vielleicht einen Sinn sehen, dass ich dann nämlich, getrieben von meiner Leidenschaft, mich törichter verhalten hätte als üblich. Nun ist es aber so, dass der Junge mit ihm nicht einmal reden wollte, er hasste ihn mehr als sonst jemanden auf der Welt, und er lebte nun einmal mit mir. 32 Könnt ihr denn glauben, dass ich zunächst zusammen mit dem Jungen aus der Stadt abreiste, um keine Händel mit diesem Menschen zu haben, dann jedoch wieder zurückkam und den Jungen in das Haus des Simon brachte, von dem ich den größten Ärger erwarten konnte? 33 Und obwohl ich ihm aufgelauert haben soll, sei ich dann ganz unvorbereitet erschienen, ohne Freunde, Diener oder sonst jemanden zu meiner Unterstützung, nur mit diesem Kind, das mir zur Hilfe nicht getaugt hätte, allenfalls dazu, auf der Folter gegen mich auszusagen, wenn ich tatsächlich ein Verbrechen begangen hätte? 34 So gewaltig soll meine Dummheit gewesen sein, dass ich bei meinen Nachstellungen gegen Simon ihn nicht dort abpasste, wo ich ihn allein hätte fassen können, entweder bei Tag oder bei Nacht, sondern dorthin soll ich gegangen sein, wo ich von besonders vielen Leuten zu sehen war und besonders leicht zusammengeschlagen werden konnte. Das ist gerade so, als hätte ich die Vorsätzlichkeit gegen mich gerichtet, damit ich so viel Gewalt als möglich von meinen Feinden erfahre.
35 Auch aus dem Verlauf des Kampfes selbst, hohes Gericht, ist leicht zu erkennen, dass er lügt. Als der Junge sah, was vorging, warf er seinen Mantel weg und rannte davon. Die Männer verfolgten ihn, während ich durch eine andere Straße weggegangen war. 36 Wer ist nun verantwortlich für die Geschehnisse, diejenigen, die wegrannten, oder ihre Verfolger? Nach meiner Meinung ist es offensichtlich, dass die Fliehenden Angst um ihr Leben hatten, die Verfolger aber eine Straftat begehen wollten. 37 Und dies ist nicht nur eine Wahrscheinlichkeit, während es sich tatsächlich anders abgespielt hat, sondern sie griffen sich den Jungen und führten ihn mit Gewalt auf der Straße weg. Als ich ihnen begegnete, rührte ich die Männer nicht an, sondern hielt nur den Jungen fest. Sie aber zogen ihn mit Gewalt fort und schlugen mich zusammen. Das wurde euch ja von den Leuten, die dabei gewesen waren, bezeugt. Es ist doch seltsam, dass ich diese Dinge vorsätzlich bedacht haben soll, bei denen diese Männer sich so schrecklich und ungesetzlich aufgeführt haben. 38 Was wäre wohl passiert, wenn die Voraussetzungen gerade umgekehrt gewesen wären bei diesen Vorgängen? Wenn ich mit vielen Freunden Simon entgegengetreten wäre, gegen ihn gekämpft und ihn zusammengeschlagen hätte und versucht hätte, jemanden zu verfolgen, festzuhalten und mit Gewalt zu entführen? Bereits jetzt, wo er all dies begangen hat, werde ich in diesen Prozess verwickelt, in dem es für mich um die Heimat und um mein ganzes Vermögen geht. 39 Der stärkste und augenscheinlichste Beweis von allen jedoch ist folgender: Der Mann, dem ich Unrecht getan und nachgestellt haben soll, wagte es, wie er sagt, vier Jahre lang nicht, Klage bei euch einzureichen. Jeder andere, der verliebt ist, dem das Objekt seines Begehrens genommen wird und den man verprügelt, wird voll Zorn versuchen, sich auf der Stelle zu rächen; dieser Mensch versucht es erst lange Jahre später.
40 Dass ich also, hohes Gericht, für keinen der Vorfälle verantwortlich zu machen bin, halte ich für genügend bewiesen. Mit Streitigkeiten, die aus solchen Vorfällen entstehen, ergeht es mir aber folgendermaßen: Obwohl ich unter Simons Gewalttätigkeit zu leiden hatte und von ihm ordentliche Schläge auf den Kopf bekam, wollte ich ihn nicht anklagen. Ich hielt es für schlimm, wenn wegen einer Streiterei um einen Knaben jemand in die Lage kommen sollte, aus seiner Heimat vertrieben zu werden. 41 Außerdem konnte ich keinen Vorsatz erkennen bei einer Verwundung, wenn jemand einem anderen eine Wunde zufügt, ohne ihn dadurch töten zu wollen. Was wäre das für ein Narr, der lange vorher sich überlegt, wie er einem seiner Feinde eine Wunde zufügen kann? 42 Es ist ja offenbar, dass nicht einmal unsere Gesetzgeber daran dachten, diejenigen aus der Heimat zu verbannen, die sich in gegenseitigen Händeln die Köpfe einschlugen; da hätten sie viele ins Exil schicken müssen. Nur für Leute, die jemanden hinterlistig verwundeten in der Absicht, ihn zu töten, dann aber es nicht schafften, ihn umzubringen, für solche Leute wurden diese schweren Strafen festgesetzt, weil man der Meinung war, dass bei so viel Ränke und Vorsätzlichkeit Strafe angebracht sei. Auch wenn ihre Tat erfolglos blieb, galt sie für die Betreffenden so, als sei sie vollbracht. 43 In dieser Art habt ihr schon oft in früheren Zeiten über die vorsätzliche Körperverletzung geurteilt. Es wäre ja schlimm, wenn in allen Fällen, wo jemand in Trunkenheit oder Streitlust, beim Spiel, bei einer Schmährede oder beim Streit um ein Mädchen verletzt wird – Fälle, die jeder bereut, wenn er wieder zu Verstand gekommen ist –, wenn ihr in all diesen Fällen so schwere und nachhaltige Strafen aussprechen würdet wie etwa die, Bürger aus ihrer Heimat zu verbannen.
44 Ich wundere mich ganz besonders über die Gesinnung dieses Mannes. Nach meiner Meinung kann jemand nicht zugleich ein Liebender und ein Denunziant sein, denn der erstere gehört zu den Menschen mit Herzenseinfalt, der letztere zu den besonders skrupellosen. Ich wünschte, es wäre mir möglich, euch die ganze Schlechtigkeit dieses Mannes aufzuzeigen, damit ihr erkennt, dass es viel mehr der Gerechtigkeit dienen würde, ihn vor Gericht um sein Leben kämpfen zu lassen, als andere Bürger in die Gefahr zu bringen, dass sie ihre Heimat verlieren. 45 Ich will jedoch all diese Dinge übergehen. Eines müsst ihr jedoch nach meiner Meinung unbedingt hören, daran will ich erinnern, als Beweis seiner frechen Verwegenheit: In Korinth, wo er erst ankam, als die Schlacht gegen unsere Feinde bereits geschlagen und der Feldzug von Koronea3 beendet war, war er verfeindet mit dem Kommandeur Laches; er versetzte ihm im Streit einen Schlag. Als dann das Bürgerheer in voller Stärke vorrückte, wurde er auf Befehl der Feldherrn als einziger aller Athener wegen Insubordination und Schurkerei aus der Armee ausgestoßen.
46 Ich könnte noch viel anderes über diesen Menschen berichten, da jedoch das Gesetz es nicht erlaubt, vor euch Dinge anzuführen, die mit diesem Fall nichts zu tun haben, bitte ich euch, nur dies noch zu bedenken: Es waren diese Männer, die sich mit Gewalt Einlass in mein Haus verschafft haben. Es waren diese, die uns verfolgt haben. Es waren diese, die uns auf der Straße gewaltsam fortgezerrt haben. 47 Dies müsst ihr bedenken und dann eine gerechte Abstimmung treffen. Lasst es nicht zu, dass ich gegen jedes Recht aus meinem Vaterland verbannt werde, für das ich viele Gefahren auf mich genommen und viele öffentliche Ausgaben bestritten habe. Weder ich noch einer meiner Vorfahren haben dem Land jemals einen Schaden zugefügt, wir haben ihm aber viel Gutes erwiesen. 48 Deshalb verdiene ich gerechterweise euer Mitleid und das der anderen, nicht nur in Bezug auf das, was Simon mir zufügen will, sondern auch, weil ich durch diese Geschichte gezwungen wurde, in einem derartigen Prozess aufzutreten.