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Kapitel 15 - Leyla

Abends lag Leyla noch lange wach, dachte über den vergangenen Tag nach. Es war ein seltsames Gefühl gewesen, Milan mit nach Hause zu nehmen. Einen Jungen, der so fremd war und doch irgendwie vertraut. Unruhig wälzte sie sich hin und her, schloss die Augen, nur um sie einen Moment später wieder aufzureißen. Vor ihrem inneren Auge tauchte ständig sein Gesicht auf. Das dunkelblonde Haar, das sein Gesicht einrahmte. Die braunen Augen, die so leer und doch irgendwie voller Leben wirkten. Die eng stehenden Augenbrauen. Das kleine Muttermal, das unter der linken Augenbraue versteckt und eigentlich nur richtig zu sehen war, wenn er den Kopf in den Nacken legte. Die schiefe Nase, die irgendwie zu klein wirkte, als hätte man sie ihm erst später ins Gesicht gesetzt, ungeachtet dessen, ob sie zum Rest passte. Der leicht schiefe Mund. Das Kinn, das eine tiefe Grube hatte. Die Gesichtsform, die so rund und doch irgendwie kantig wirkte. Nichts an Milans Gesicht schien zum Rest zu passen und trotzdem hatte man den Eindruck, dass es genau richtig war, so, wie es nun mal war. Unwillkürlich fragte Leyla sich, ob andere das von ihr auch dachten. Was sie generell von ihr dachten, wenn sie sie sahen.

„Ley, steh auf! Es ist Dienstag!“, rief ihre Mutter durchs Haus. Leyla hatte inzwischen die Theorie aufgestellt, dass ihre Mutter fast nur noch so mit ihr kommunizieren konnte – indem sie durchs ganze Haus rief. Stöhnend drehte sie sich nochmal um, sie hasste den Dienstag.

Nach fünf Minuten quälte sie sich schlecht gelaunt aus dem Bett und begab sich mürrisch ins Bad, wo sie vollkommen unmotiviert Zähne putzte, sich die Haare bürstete und umzog. Danach ging es ihr ein wenig besser, sie fühlte sich wacher. Dennoch, für ein ernstgemeintes Lächeln reichte es bisher noch nicht.

Erst, als ihr unten an der Treppe der ganze Wurf entgegenpurzelte, lachte sie – und damit war das Lächeln für den Tag geboren. Es beizubehalten, war für sie nicht besonders schwer. Positiv zu sein war ihre Grundeinstellung, trotz ihrer Andersartigkeit – oder vielleicht auch genau deswegen. Natürlich gab es auch für sie Momente, in denen sie eher negativ dachte, aber das war selten der Fall und darüber war sie sehr froh, besonders, wenn sie sich ihre Mitmenschen ansah.

„Ma, wo ist Alpha?“, fragte sie ihre Mutter, als sie am Frühstückstisch saßen und ihr auffiel, dass einer der Welpen fehlte.

„Der steht am Zaun und schaut die ganze Zeit zu den Nachbarn rüber. Frag mich nicht, warum“, erwiderte ihre Mutter, während sie kaute.

Leyla grinste. „Da wohnt Milan. Ich befürchte, Alpha ist besessen von ihm.“

Überrascht riss ihr Gegenüber die Augen auf. „Der Junge, der gestern da war? Das ist unser Nachbar?“

Leyla nickte, während sie in ihren Toast biss. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr, sprang erschrocken und fluchend auf, sammelte eilig ihre Sachen zusammen und zog sich hektisch die Schuhe an.

„Verdammt, ich komm zu spät!“, fluchte sie immer wieder vor sich hin.

Pünktlich mit dem Klingeln huschte sie ins Klassenzimmer und setzte sich neben ihre beste Freundin Rebecca, die eigentlich nicht wirklich ihre beste Freundin war, lediglich in der Schule. Leyla war ein klassischer Einzelgänger, zu groß war die Angst, dass ihr etwas über ihre Synästhesie rausrutschen könnte. Sie schämte sich nicht unbedingt dafür, aber die Reaktionen aus ihrer Kindheit schreckten sie immer noch immens davon ab, ein Wort darüber zu verlieren.

„Wie schaffst du das nur?“, fragte Rebecca kopfschüttelnd. „Du kommst immer gerade so pünktlich zum Klingeln und wirst trotzdem nie erwischt.“

Leyla grinste und meinte nur schulterzuckend: „Ich schätze, das nennt man Glück.“

„Unverschämt viel Glück“, erwiderte Rebecca und lachte. Dann beugte sie sich verschwörerisch zu ihr rüber und wollte gerade etwas sagen, als Herr Zunke hereinkam, die Tür lautstark hinter sich zufallen ließ und seine alte, abgewetzte Ledertasche ebenso laut auf den Tisch knallte, während er prüfend den Blick durch die Klasse schweifen ließ.

„Fehlt Matthias schon wieder?“, fragte er dröhnend, durchdringend und alle verstummten. Es war keine Frage, aber es hätte ohnehin niemand geantwortet, dafür hatten sämtliche Schüler viel zu sehr Angst vor ihm.

„Also ja“, beantwortete er sich seine eigene Frage und ging dann gelangweilt die Anwesenheitsliste durch, ehe er Aufgaben zur Stillarbeit verteilte. Das war seine Vorstellung von perfektem Unterricht: Die Schüler arbeiteten alle gewissenhaft still vor sich hin, während er vorne mal wieder irgendwelche Überraschungstests, mit denen er die Geschichtsnoten einiger Klassen ruinieren wollte, korrigierte.

Seufzend ging Leyla die Aufgaben durch und war bereits beim Lesen komplett überfordert. Sie wusste nicht mal genau, wovon überhaupt die Rede war, geschweige denn, wie sie es ihrem Lehrer, der die höchsten Ansprüche der Welt zu haben schien, recht machen sollte. Trotz allem würde sie es versuchen. Dumm rumsitzen und sich später die Antworten aus dem Internet zusammenrecherchieren brachte ihr nichts und außerdem musste sie sich beschäftigen, wollte nicht immer wieder an Milan denken und daran, dass Alpha wohl genauso oft an den Jungen dachte wie sie selbst. Gerade, als sie ihr Buch aufschlagen wollte, schob Rebecca ihr einen Zettel hin.

Wie wars?, stand darauf.

Wie war was?, kritzelte Leyla schnell und schob den Zettel wieder zurück. Sie hatte keine Ahnung, wovon Rebecca redete und wollte sich auch nicht unbedingt darum kümmern. Unnötiges Geplänkel würde sie kaum davon ablenken, an Milan zu denken.

Gestern, kam die Antwort zurück.

Gestern? Was meinst du? Genervt schob Leyla den Zettel wieder zu Rebecca rüber.

„Dein Date!“, flüsterte Rebecca, scheinbar entsetzt darüber, wie ihre Sitznachbarin nicht verstehen konnte, was sie gemeint hatte. Herr Zunke räusperte sich lautstark und warf einen missbilligenden Blick in ihre Richtung. Leyla tat, als hätte sie nichts mit der Sache zu tun und starrte stur ins Buch. Für den Rest der Stunde sah sie nicht mal zu Rebecca rüber.

Während des Unterrichts war es einfach, Rebecca zu ignorieren – sie wusste, dass Leyla ein ziemlich strebsamer Mensch war. Dafür wurde die Pause umso schwieriger.

„Jetzt komm schon, erzähl!“, drängte das brünette Mädchen und Leyla verdrehte genervt die Augen.

„Da gibt’s nichts zu erzählen“, antwortete sie mürrisch.

„Das glaub ich dir nicht! Nie im Leben! Jetzt sag schon. Wie heißt er? Wie alt ist er? Wo habt ihr euch kennenge … ?“

„Rebecca“, fuhr Leyla ihre sozusagen-beste-Freundin an, „woher weißt du überhaupt davon?“

Irgendwie fühlte sie sich seltsam verwundbar, seit sie erfahren hatte, dass Rebecca von Milan wusste. Aus irgendeinem Grund hatte sie gehofft, ihn geheimhalten zu können. Nicht, weil sie sich schämte, sondern aus dem einfachen Grund, da sie ihn mochte und jemand wie Rebecca das niemals nachvollziehen könnte.

„Von Tina, die weiß es von Lars und der weiß es von Charlotte. Sie war gestern mit Simon unterwegs und da haben die beiden euch gesehen.“

Am liebsten hätte Leyla gelacht. Es wunderte sie kein bisschen, dass Charlotte, das Klatschweib schlechthin, sowas mitbekam. Für einen Moment überlegte sie, zu fragen, wer Simon war, aber im Endeffekt kannte sie die Antwort: Charlottes neuer Freund. Charlotte brüstete sich gerne damit, dass sie schon wieder einen Typen am Start hatte und wie toll sie doch war und so weiter und so weiter. Leyla konnte sie nicht ausstehen.

„Also, erzählst du mir jetzt, wie’s war?“, setzte Rebecca zu einem erneuten Versuch an.

„Nein“, erwiderte Leyla und hatte plötzlich schlechte Laune. Die Angst, dass man ihr Milan wegnehmen könnte – und dass, obwohl er ihr gar nicht gehörte, nicht mal annähernd –, machte sich in ihrem Herzen breit, schwoll kontinuierlich an wie ein Luftballon, bis sie sich in jeder Faser ihres Körpers breitgemacht hatte. Das gefiel ihr ganz und gar nicht.

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