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ОглавлениеKapitel 17 - Leyla
Na, du bist ja richtig verknallt in Milan“, grinste Leylas Mutter. Leyla fuhr herum und verlor beinahe das Gleichgewicht. Sie saß in der Hocke vor Alpha, der sich gerade hingebungsvoll die Brust kraulen ließ.
„Was?“, entfuhr es ihr und fühlte sich seltsam erwischt.
„Ich red mit dem Hund, nicht mit dir“, erwiderte ihre Mutter gespielt vorwurfsvoll. Erleichtert stieß Leyla Luft aus.
„Ach so“, sagte sie dann gedehnt. „Und wie genau kommst du darauf?“
„Er saß den ganzen Vormittag am Gartenzaun und wollte unbedingt rüber. Irgendwann ist Frau Rattner, Milans Mutter, rübergekommen und hat gefragt, ob der Kleine zu ihnen dürfte“, erklärte ihre Mutter und Leyla verdrehte lachend die Augen.
„Das muss wahre Liebe sein“, murmelte sie und vergrub ihre Nase in Alphas Fell. Lächelnd sog sie Milans Geruch ein und unterdrückte ein sehnsüchtiges Seufzen. Sie würde nicht zulassen, dass Milan eine große Rolle in ihrem Leben spielen würde und vor allem nicht eine dermaßen große. Gerade, als sie aufstehen wollte, krachten Abby und Amor gegen sie. Diesmal verlor Leyla endgültig das Gleichgewicht und kippte seitwärts auf den Boden, wo sie lachend liegenblieb. Völlig rücksichtslos trampelten die beiden auf ihr herum und schafften es schließlich, Alpha dazu zu animieren, mitzuspielen. Vergnügt zogen sie zu dritt von dannen, während Leyla, immer noch lachend, auf dem Boden lag. Sie war froh, dass durch die drei Welpen Leben ins Haus gekommen war. Als sie sich langsam beruhigte und nach Atem rang, schloss sie die Augen – und erschrak, als sie sie wieder öffnete und Amy ihr direkt entgegenblickte, die Pfote ein wenig erhoben, als hätte sie gerade prüfen wollen, ob Leyla noch lebte. Sie grinste und schlang schließlich die Arme um den Hals des Tieres. In das Fell der Schäferhündin murmelte sie: „Ach, Amy, ich hab dich so lieb, mein Schatz.“
Der Hund gab einen zufriedenen Laut von sich.
Ausnahmsweise joggte sie nicht durch den Park, sondern spazierte ganz gemütlich. Neben ihr lief Amy, die von ihren Welpen verfolgt wurde. Leyla hatte verzweifelt versucht, die drei zu Hause zu lassen, weil sie sich sicher war, dass der Weg zu lang und anstrengend sein würde, doch sie blieb erfolglos. Also hatte sie sie mitgenommen und hielt jetzt drei Leinen in der Hand. Abby und Amor spielten wie immer miteinander, hielten nur hin und wieder an, um hier und dort zu schnuppern oder gebannt einem Vogel hinterherzuschauen. Alpha hingegen drängte sich genau zwischen Amy und Leyla, versuchte, jedes noch so kleines bisschen Wärme abzustauben, das er kriegen konnte. Inzwischen war es Anfang Dezember und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Schneeflocken fallen würden. Leyla warf einen kurzen Blick in Richtung Alpha und lächelte. Es erstaunte sie jedes Mal aufs Neue, wie sehr er sich verändert hatte, seit er das erste Mal auf Milan getroffen war. Seitdem war er vollkommen ruhig und zurückhaltend, so kam es ihr zumindest vor. Es war aber auch gut möglich, dass sie sich das nur einbildete. Sie dachte gerade darüber nach, Alpha von der Leine zu lassen, da sie davon überzeugt war, dass er sowieso nicht abhauen würde, als er unerwartet nach vorne schoss und losrannte. Irritiert blickte Leyla ihm hinterher und umklammerte die Leinen, denn auch Abby und Amor, die ihren Bruder bemerkt hatten, rannten jetzt los, liefen um die Wette und schienen sich gegenseitig anzufeuern. Das Mädchen hatte Mühe, die drei festhalten und zerrte verzweifelt an den Leinen, um den Wurf wieder unter Kontrolle zu bringen. Erst als Amy einmal kurz bellte, blieben die drei stehen und schauten sie irritiert und ein wenig beschämt an. Amy trabte zu ihren Welpen und leckte allen einmal kurz über den Kopf, dann wartete sie, bis Leyla sie eingeholt hatte.
„Danke, Amy“, sagte sie und lächelte ihre Hündin an. Vermutlich spielte ihre Wahrnehmung ihr einen Streich, aber sie hatte den Eindruck, als würde sie ihr zuzwinkern.
Ein paar Meter weiter begriff Leyla, warum Alpha so plötzlich losgelaufen war. Dort stand die Bank, auf der Milan immer saß. Nur, dass Milan diesmal fehlte. Ein wenig besorgt zog sie die Augenbrauen zusammen. Denn auch, wenn sie den Jungen nicht wirklich kannte, wusste sie genau, dass er, egal bei welchem Wetter, hier saß, jeden Tag, zu genau dieser Uhrzeit. Dass er jetzt nicht an seinem Stammplatz aufzufinden war, ließ sie ein wenig unruhig werden. Für einen Moment blieb sie einfach stehen, um sie herum vier Hunde, von denen sie drei erwartungsvoll anblickten. Nur Alpha lief auf und ab, ebenso nervös wie sie selbst, und fiepte ein wenig, als spürte er, dass da etwas nicht stimmte.
„Kommt“, sagte sie tonlos und drehte sich mit einem Ruck um.
Amy, Abby und Amor folgten ihr unaufgefordert, nur Alpha musste ein weiteres Mal gerufen werden, doch er blieb trotzdem noch einmal kurz stehen, wandte den Kopf Richtung Bank und hielt seine zitternde Schnauze in den Wind.
„Alpha, jetzt komm schon!“, rief Leyla entnervt und bereute es sofort. Alpha hatte keine Schuld daran, dass Milan nicht da war, dass sie sich Sorgen machte und sich über sich selbst ärgerte. Dafür war nur eine Person verantwortlich und das war sie ganz allein.
„Los jetzt, wir gehen nach Hause. Euer Essen wartet!“
„Ma, ich bring nur kurz die Hunde vorbei, ich muss noch was erledigen!“, rief sie, während sie in der Tür stand und die Hunde reinschob. Sie war sich nicht sicher, aber sie meinte, dass ihre Mutter „Okay“ rief. Sollte sie sich geirrt haben, würde sie sich auf dem Handy melden. Amy, Abby und Amor ließen sich widerstandslos in die Wohnung bugsieren, doch Alpha weigerte sich und ließ sich demonstrativ auf die Hinterbeine plumpsen. Leyla blickte ihn streng an, stemmte die Hände in die Hüften – eine Haltung, die sie eigentlich nur von wütenden Müttern, die mit ihren kleinen Kindern schimpften, kannte – und seufzte schließlich.
„Du weißt, wo ich hinwill, was?“
Der Welpe winselte schwanzwedelnd und Leyla gab sich geschlagen.
„Okay, gut. Komm mit.“ Der kleine Rüde sprang auf und lief sofort rüber zum Nachbarhaus, wo er vor der Tür stehen blieb und bellte, als wollte er Leyla dazu antreiben, sich schneller zu bewegen. Oder er wollte sich einfach nur ankündigen, da war sie sich nicht sicher. Allerdings wunderte es sie, dass er vor der Tür stehen blieb und nicht direkt auf die Terrasse stürmte, irgendwie hatte sie das erwartet. Kopfschüttelnd kam sie bei ihm an, nahm ihn auf den Arm und gerade, als sie auf die Klingel drückte, öffnete sich die Tür.
„Oh, hallo. Bist du Alphas Frauchen?“, fragte eine Frau überrascht.
Leyla musterte sie, das musste Milans Mutter sein. Die kleine, schiefe Nase hatte er definitiv von ihr und sie war sich sicher, dass sie weitere Ähnlichkeiten finden würde, hätte sie mehr Zeit gehabt. So aber sagte sie nur: „Ja, Leyla, hallo. Ich dachte, ich und Alpha kommen Milan mal besuchen.“ Freundlich strahlte sie Frau Rattner an.
„Er wird sich freuen, komm rein!“
Sie trat zur Seite und ließ Leyla ins Haus. Kaum hatte sie den Flur betreten, fing Alpha an, zu zappeln. Langsam setzte sie ihn ab.
„Ist doch okay, oder?“, fragte sie, obwohl sie sich schlecht vorstellen konnte, dass das nicht okay war.
Ihre Nachbarin nickte.
„Er ist in seinem Zimmer, einfach den Flur entlang die zweite Tür links. Viel Spaß!“
Sie zwinkerte, was Leyla etwas aus dem Konzept brachte, trotzdem bedankte sie sich höflich und machte sich auf den Weg zu Milans Zimmer. Alpha lief ihr eilig voraus, fast so, als kannte er den Weg schon. Plötzlich ging die Tür, die direkt neben ihr war, auf und ein großer junger Mann stand vor ihr.
„Tschuldigung“, murmelte er, fuhr sich durch die blonden, rötlich schimmernden Haare und schien noch etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber und drückte sich stattdessen ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei. Leyla entging der Geruch nach Zigaretten und Alkohol nicht, versuchte aber, nicht weiter darüber nachzudenken. Sie vermutete, dass das Milans Bruder war – falls er überhaupt einen hatte. Ihr fiel auf, dass sie kaum etwas über ihn wusste, abgesehen davon, dass er blind und ihr Nachbar war. Und Alpha ihn über alles liebte. Der Hund hatte inzwischen Milans Zimmertür erreicht und kratzte nun winselnd daran.
„Alpha!“, zischte Leyla, hatte Angst, dass die Tür tiefe Kratzer abbekommen würde.
Kaum hatte sie geklopft, schwang die Tür auf.
„Hey, Milan, ich bin’s, Leyla. Und ich hab Alpha mitgebracht.“
Da war sie wieder, diese Unsicherheit, die in ihrer Stimme mitschwang. Am liebsten hätte sie sich in den Hintern gebissen.
Milan lächelte erfreut und sagte dann sanft: „Hey.“
Kleine, schimmernde Seifenblasen tauchten auf und sofort fühlte sie sich um Welten besser. Sie kämpfte gegen den Drang an, ihm um den Hals zu fallen und „Gott sei Dank, dir geht’s gut“ rufen, so erleichtert war sie, ihn zu sehen. Erst jetzt bemerkte sie, welche Angst sie gehabt hatte, dass ihm etwas passiert war.
„Kommt rein“, meinte Milan, machte, wie seine Mutter zuvor, einen Schritt zur Seite, schloss dann die Tür hinter ihnen und lief zielstrebig zum Bett, wo er sich niederließ.
„Setz dich ruhig dazu“, lächelte er und klopfte leicht neben sich. Alpha sprang wie selbstverständlich auf seine andere Seite, kletterte dann auf seinen Schoß und machte sich dort breit. Leyla lachte und setzte sich auch neben Milan.