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Knapp eineinhalb Stunden, nachdem er weggefahren war, kam der falsche Polizist wieder in Seifritz’ Haus an. Es war inzwischen 5.30 Uhr und noch immer dunkel. »Läuft alles wie am Schnürchen«, beschied er seinem Komplizen mit leicht schwäbischem Akzent. »Jetzt kommt’s nur darauf an, ob die Millionen fließen.«

Seifritz verlangte Auskunft darüber, wohin Marion gebracht worden war.

»Keine Sorge. Sie ist an einem sicheren Ort. Ihr wird nichts geschehen«, bekam er zur Antwort. »Sie müssen nur tun, was wir wollen.«

Zum wiederholten Mal unternahm der erschöpfte und übermüdete Bankchef den Versuch, den Gangstern klarzumachen, dass der geforderte Betrag von fünf Millionen D-Mark kaum zu beschaffen sein würde. Im Tresor des Geldinstituts lagere deutlich weniger. Auch wäre es auffällig, wenn frühmorgens bei der Landeszentralbank, von der es eine Filiale in Göppingen gab, ein solcher Millionenbetrag geordert werde.

»Das ist Ihr Problem«, warf ihm der zivil Gekleidete vor. »Sind Sie nun Bankdirektor oder nicht?«

Schon in der Nacht hatte Seifritz darüber nachgegrübelt, ob er überhaupt befugt wäre, Geld der Bank als privates Lösegeld für seine Tochter zu verwenden. Aber wenn nicht … daran wollte er gar nicht denken. Er konnte in dieser Situation ja unmöglich mitten in der Nacht den Landrat als den allerobersten Chef der Kreissparkasse um Rat bitten. Wie es überhaupt schwierig sein würde, den Überfall geheimzuhalten, wenn er mit den beiden Gangstern noch vor Geschäftsbeginn im Hause auftauchen würde. Außerdem kam er allein ohnehin nicht an Geld. Er brauchte dazu den Hauptkassierer, und die Übergabe müsste im Tresorraum im streng abgeriegelten dritten Untergeschoss vonstattengehen. Dort lieferten die Geldtransporte nach einer Sicherheitsschleuse die Geldtaschen ab.

Wieder die quälende Angst: Wenn im Lauf der nächsten Stunden jemandem in der Bank etwas verdächtig erschien oder jemand Alarm schlug, dann würde er seine Tochter nie mehr wiedersehen. Er spürte von Minute zu Minute, wie ihn die Ungewissheit und die Sorge um das Mädchen zermürbte. Er musste das Geld besorgen. Aber durfte er das wirklich? Konnte er eigenmächtig den Geiselnehmern Millionen aushändigen, die ihm gar nicht gehörten? Es fiel ihm zunehmend schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Er fühlte sich müde, erschöpft und ausgelaugt. Die schlaflose Nacht forderte ihren Tribut.

Wieder vergingen qualvolle eineinhalb Stunden. Um 7 Uhr – inzwischen war der Himmel hell geworden – waren die beiden Gangster, denen er im Wohnzimmer gegenübersaß, unruhiger geworden. Der falsche Polizist nickte seinem Komplizen zu, was dieser als Zeichen für den Aufbruch deutete. »Sie fahren«, forderte er den Bankdirektor auf. Seifritz wischte sich trotz des frühen Morgens Schweiß von der Stirn. Er müsse sich noch frisch machen und etwas anderes anziehen, erklärte er, denn er könne unmöglich in diesem Zustand in der Bank auftauchen.

Bewacht von einem der Räuber rasierte er sich flüchtig, warf sich Wasser ins Gesicht und putzte die Zähne. Beim Blick in den Spiegel erschrak er über sein Äußeres. Die Spuren der Horrornacht waren deutlich zu sehen.

»Wir gehen ganz unauffällig raus«, erklärte der falsche Polizist. Und immer wieder die Drohung, zwar ruhig ausgesprochen, aber unmissverständlich: »Denken Sie an Ihre Tochter.«

Die Wohnstraße lag noch immer still in der Frische des kühlen Märzmorgens, als sie das Haus verließen. Der falsche Polizist hielt seine Uzi – die kompakte Maschinenpistole eines israelischen Herstellers – in der Aktentasche verborgen, was ihm beim Einsteigen hinten links in den Mercedes 280 SE einige Verrenkungen abverlangte. Sein Komplize hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Seifritz steckte mit zitternder Hand den Zündschlüssel ins Schloss und fuhr los. Hinter den Fenstern einiger der benachbarten Villen brannte zwar Licht, aber nirgendwo hatte jemand bemerkt, dass soeben eines der größten Bankraub-Verbrechen Deutschlands in die entscheidende Phase ging.

Die Gentlemen-Gangster

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