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Die Ästhesiologie des Geistes und der Sinn der Sinne
ОглавлениеPlessner sucht die „Sinnengesetze der Sinnlichkeit“1 zu ergründen und, in diesen Gesetzen des Verschränktseins von Geist und Sinnen, den Weg kenntlich zu machen, der das Konjunktum res cogitans – res extensa überwinden soll.
Immanuel Kant hatte – darin den Rationalismus des kausativen Schemas der „Affektion“ zwischen Subjekt und Objekt überwindend – in seiner kritischen Philosophie mit der Einführung des Schemas2 als Brücke zwischen einer Eigengesetzlichkeit der Sinnlichkeit gegenüber Verstand und Vernunft3 eine neue Beziehung zwischen intuitivem und kognitiven Geltungsbereich4 gestiftet und das „Geheimnis der gegenständlichen Beziehung des Bewusstseins“5 durch die Sinne auf eine neue Basis gestellt. Damit rückte die Anschauung ins Zentrum der erkenntnistheoretischen Betrachtung. Denn die Gesetze, nach denen sich ein Gegenstand dem Bewusstsein gegenüber formiert, mussten nun – als innere oder äußere – notwendig zum Sinn der Gegenständlichkeit selbst gehören, darstellbar in Raum und Zeit oder allein in der Zeit. Damit auch gewann die Vorfindbarkeit des Gegenstandes an Klarheit, beließ jedoch dessen materiale Herkunft im Dunkeln. Das Äußerste, was der kantische Schematismus zu leisten im Stande war, war die rein formale, begriffliche Verbindung des Denkens mit der gegenständlichen Welt, während qualitative Inhalte, wie sie die Sinne mitteilen, darüber keinen Eingang finden konnten. In Die Einheit der Sinne unternimmt Plessner nun den Versuch, diesem Missstand Abhilfe zu schaffen, und er erklärt den von der philosophischen Tradition bevorzugten Erkenntnisgegenstand – die Frage nach der Wahrheit – zum Spezialfall eines weitaus umfassenderen Erkenntnisinteresses, in dem die Mannigfaltigkeit der Sinne und ihrer geistigen Funktionen in die Aufgabe der Erkenntnis der Welt für das Lebewesen Mensch einbezogen werden.
Jeden Typus des Verstehens gilt es zu beachten, nicht nur das begriffliche Erkennen. Denn die Beziehung des Geistes auf ein Objekt im Interesse der Wahrheit ist ein Spezialfall der Beziehung des Geistes auf Inhalte im Interesse des Sinnverständnisses überhaupt.6
Ort dieses Erkenntnisgeschehens sei der Körperleib, welcher in seiner Sinnesorganisation wie seiner Geschichtlichkeit von der Geistdurchdrungenheit selbst Zeugnis ablege und als solcher in spezifischer Weise belebt erscheine. Die Organisationsweise der Sinne beim Lebewesen Mensch zeugt für Plessner von der „Verbindungsweise von Körper und Seele zum objektiven Sein der Dinge, wenn auch freilich nicht zu ihrem absoluten Sein, weil die Sinnesqualitäten die möglichen Modi der Materie sind.“7
Die Sinne binden das Lebewesen Mensch in sein Milieu ein, und zwar als Mittler zwischen diesem und der Person, die er sei. Die Ästhesiologie des Geistes ist demnach der „Versuch einer Strukturtheorie von der menschlichen Person, und zwar zunächst ihrer Fundamentalbeziehung zur Umwelt.“8