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In der Sprache wird das Ausdrücklichkeitsverhältnis des Menschen ausdrücklich
ОглавлениеDa die exzentrische Positionsform die Mitweltlichkeit des Menschen bedinge, ist dieser für Plessner ein „ζῷον πολιτικόν“1 und damit werde auch eine Form der Ausdrücklichkeit in der Kommunikation untereinander notwendig. Doch noch wesentlicher scheint ihm der Zusammenhang zwischen exzentrischer Lebensform und Expressivität auf die Notwendigkeit der Lebensführung und Lebensgestaltung des Menschen hinzuweisen. Mit der Tatsache, dass der Mensch in seiner Mitte stehe – abständig zu sich – und sich damit auch wiederum auf sich selbst zurückbeugen könne und müsse, und dazu auch noch in dieser Vermittlung er selbst es sei, der dies vollziehe, werde er einer Welt gewahr: „Der Mensch lebt in einem Umfeld von Weltcharakter.“2
In diesem Umfeld mit Weltcharakter schaffe er. Er reiche mit seinem Sprechen und Handeln in das Umfeld hinein. Seine Erfindungen könnten jedoch nur dann Bestand haben, wenn sie ihren Zweck unabhängig von ihm erfüllten: „Der Mensch kann nur erfinden, soweit er entdeckt.“3 Er entdecke, dass der Hammer seinen Zweck erfüllt, dass diese oder jene Form der gesellschaftlichen Organisation Erfolg habe etc. Er entdecke aber auch, dass seine Intentionen fehl gehen können, dass neue Versuche notwendig werden und hinterlasse so die Spur seiner Geschichte.
Der Prozess, in dem er wesenhaft lebt, ist ein Kontinuum diskontinuierlich sich absetzender, auskristallisierender Ereignisse. […] In der Expressivität liegt der eigentliche Motor für die spezifisch historische Dynamik menschlichen Lebens.4
Sprache sei ein Bestandteil der allgemeinen Expressivität des Menschen, aber ein wesentlicher, und nicht zu Unrecht werde sie als eines seiner herausragenden Merkmale genannt. In ihr selbst bilde sich die Struktur der Beziehung der Immanenz mit der Wirklichkeit ab.
Sie [die Sprache] macht das Ausdrucksverhältnis des Menschen, in dem er mit der Welt lebt, zum Gegenstand von Ausdrücken.5
Insofern sei sie eine besondere, eine zweite oder potenzierte Form innerhalb der verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten. Sprache werde wahrhaft zum Zeugen der in ihrer Mitte stehenden exzentrischen Lebensform. Denn in ihr bzw. in den Bedeutungen werde die oben gezeichnete Struktur selbst sichtbar. Sprache bestätige die exzentrische Perspektive des Menschen, seine ort- und zeitlose Position.
In der seltsamen Natur der Aussagebedeutungen ist die Grundstruktur vermittelter Unmittelbarkeit von allem Stofflichen gereinigt und erscheint in ihrem eigenen Element sublimiert.6
Im dritten und letzten anthropologischen Grundgesetz, dem „Gesetz des utopischen Standortes“7, lotet Plessner das Widerspiel von Transzendenz und Nichtigkeit aus. Er schlägt dabei Religion auf die Seite der Transzendenz und die Kultur zum Geist. Dann konstatiert er beiden eine absolute Feindschaft8. Er begründet dies mit der Tatsache, dass der Geist sich notwendig „gegen die Einheit der Welt zu richten“9 habe. Denn mit der exzentrischen Lebensform reiße eine Kluft auf zwischen Heimat und Geborgenheit, einer Vorstellung von Mitwelt, in der das Individuum als Individuum aufgehe, und der Form eines Individuums, welches um seine Zufälligkeit, um seine Ersetzbarkeit, „sein Stehen im Nirgendwo“10, seinem utopischen Standort wisse. Dieses so geartete Individuum müsse sich gegen den Weltengrund richten, dem schwankenden gelockerten Sein Raum geben und die Kontingenz austragen. Es kann und muss den Gedanken des Atheismus denken.
Bewußtsein der Individualität des eigenen Seins und der Welt und Bewußtsein der Kontingenz dieser Gesamtrealität sind notwendig miteinander gegeben und fordern einander.11