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Die Ortlosigkeit des Menschen

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Das Tier unterbreche sein vom Trieb bestimmtes Tun nicht. Es kann nicht innehalten, um den Kopf zu heben und in die Ferne zu schauen. Das Tier kann seinen Blick nicht in die Ferne richten. Es sieht die Ferne nicht, sieht nicht den Horizont und die Leere des vor ihm weit ausgebreiteten Raumes. Das Tier sehe Einzelnes für sich1, Typisches im Verbund mit seinem Trieb und damit bleibe ihm auch der Aufstieg in die Kategorie verwehrt.

Das Tier lebe aus seiner Mitte heraus, in seine Mitte hinein, aber es erlebe sich nicht als Mitte. Der Gesamtkörper sei noch nicht vollkommen reflexiv geworden2. Wenn das positionale Moment – „das Hindurch der Vermittlung“3 – zur Grundlage der nächst höheren Stufe werde, gewinne das positionale Moment zu sich selbst Abstand.

Sein Leben aus der Mitte kommt in Beziehung zu ihm, der rückbezügliche Charakter des zentral repräsentierten Körpers ist ihm selbst gegeben.4

Die Rückbezüglichkeit der positionalen Mitte als erweiterter Ausdruck seiner ihm selbst eigenen Natur gewinnt der Beschreibung des lebendigen Seins eine neue Dimension: Das sich selbst rückbezüglich habende, geschlossen und zentralistisch organisierte Lebewesen habe sich selbst und „darin ist es Ich“5. Es sei nun vollständig aus sich selbst herausgestellt und nicht mehr objektivierbar, ein absoluter Subjektspol, die „Spaltung in Außenfeld, Innenfeld und Bewusstsein vollzogen.“6 Es sei keine weitere Steigerung der Ausdrücklichkeit der angelegten Strukturen mehr möglich. Das Äußerste ist nun erreicht: „[…] ortlos außer aller Bindung in Raum und Zeit, und so ist der Mensch.“7

Im Vollzug der Mitte vermittele das Tier die Pole des Körperseins und Körperhabens im ständigen Hindurch. Ohne diese Zentrizität durchbrechen zu können, werde sie dem Menschen rückbezüglich erlebbar und verliere damit die Absolutheit des Vollzugs im Hier und Jetzt, gelange an einen Ort, der nirgendwo mehr ist, hinter sich selbst. Das „Stehen in sich“8 sei Fundament seines Stehens geworden. Diese letzte weitere Lockerung des lebendigen Seins dem Sein selbst gegenüber habe ihren Endpunkt erreicht, da es ab jetzt nur noch ein unendlich fortsetzbares Hinter-sich-Kommen9 geben könne. Das Leben des Menschen sei aus der Mitte und zugleich aus ihr heraus „exzentrisch. Exzentrizität ist die für den Menschen charakteristische Form seiner frontalen Gestelltheit gegen das Umfeld.“10

Lebendiger Körper zu sein und im Körper zu sein und außerhalb des Körpers zu sein beschreibe die exzentrische Positionalität des Menschen. Er sei damit Körper, Seele und exzentrischer Blick, der beides erfasse, er sei Individuum und Subjekt seines Erlebens, seiner Wahrnehmung und seiner Initiative.

Ein Individuum, welches positional derart dreifach charakterisiert ist heißt Person. Es ist das Subjekt seines Erlebens, seiner Wahrnehmungen und seiner Aktionen, seiner Initiative. Es weiß und es will. Seine Existenz ist wahrhaft auf Nichts gestellt.11

Der Mensch scheine das einzige Lebewesen zu sein, das seinen Blick auf jenes Nichts richten kann, und er erblicke darin eine Welt – jene Leere seines Herzens von der Scheler zu berichten wusste12. Dies ist der Endpunkt der kontinuierlichen Vermittlung zwischen res extensa und res cogitans, Plessners Antwort auf das von Descartes radikal geschiedene Sein. Unter dem Gesichtspunkt des ontologisch Werdens der Grenze treibt die Ontologie des Lebendigen bis zu ihrem absoluten Gegenüber, dem Leben und dem Tod, dem Nichts entgegen. Begreift man die Stufen des Organischen als eine ansteigende Ebene, so ist der Sinn für das Negative, das Nichts – dem Untergrund aller dinglichen Wahrnehmung der Welt –, zu verstehen als die Vorstellung eines sich beständig fortschiebenden und sich schließlich auflösenden Horizontes eines lebendigen Wesens mit aufrechtem Gang und erhobenem Haupt, eine in diesem Wesen angelegte und angemessene Art des Seins. Es handelt sich um kein Irren, keine Abartigkeit oder Krankheit einer wie auch immer vorgestellten gesunden Natur, welchen Lebens auch immer. Der Blick erhobenen Hauptes in die Ferne erreicht den Horizont, doch die Ferne reicht darüber hinaus. Der seinen Blick im Auge habende Mensch weiß darum. Die Ferne selbst ist ein Horizont ohne Weiteres, ohne Etwas. Vermittelt die Betrachtung des Horizonts als Grenze noch ein Dahinter, so verschwindet in der Ferne die Grenze selbst und zurück bleibt die Leere. Der Blick weitet sich, bis selbst die Ferne entschwindet und sich in ein Nichts auflöst, dann nämlich, wenn der Blick kein Etwas mehr ergreifen kann, aber der Blickstrahl immer weiter hinauszielt. Der horos selbst verblasst, und es eröffnet sich dem Menschen eine unendliche Weite, eine unendliche Ferne in ein Nichts. Der Übergang vom Sein zum Nichts im Blick ist kein Gegensatz, sondern ein Immer-Weiter-Sehen in die Leere hinein. Unbegreiflich für das Auge, das nach Halt am Gegenständlichen sucht – doch augenscheinlich wahr.

In der Verfeinerung – nicht im Abtrag – des Stufengedankens Plessners besteht die Nagelprobe für seine Ontologie des Lebendigen, die auch und gerade mit Hilfe der Naturwissenschaft und nie gegen sie gelingen kann.

Der Idee einer wohl dialektischen, jedoch unhegelianischen Vermittlung des Baues der Stufen des Organischen – also ohne Aufhebung in der Vermittlung13 – mit Rückbindung auf einem von der Erfahrung bestimmten Lebensbegriff14 und dem Übersteigen im Sinne eines Ausdrücklich-Werdens des Organismus gilt die ganze Aufmerksamkeit und fußt die Innovationskraft der Plessnerschen Gedanken.

Transzendierende Immanenz

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