Читать книгу ADHS in Schule und Unterricht - Manfred Döpfner - Страница 16

1.5 Verlauf während der Schulzeit

Оглавление

Mit der Einschulung fokussiert die Problematik vor allen Dingen auf den Lern- und Leistungsbereich. Die Stabilität des Störungsbildes ist über das Grundschulalter hinweg sehr hoch. In den ersten Schulklassen ist es möglich, dass die Symptomatik zwar bereits klar erkennbar ist und in Teilen auch als problematisch erachtet wird, zugleich aber in Abhängigkeit der kognitiven Ressourcen des Schülers, der Ausprägung der Symptomatik und der Abwesenheit von Komorbiditäten, v. a. von Sozialverhaltensauffälligkeiten, noch recht gut kompensiert wird. Eine hohe erzieherische Struktur zu Hause und in der Schule sowie die enge Kooperation miteinander tragen erfahrungsgemäß in dieser Phase hierzu erheblich bei. Im umgekehrten Fall kommt es dagegen häufig zu einer raschen Zunahme der Problematik bereits in der frühen Schulzeit. Diese zeigt sich dann je nach Subtyp der Störung unterschiedlich.

Der vorwiegend unaufmerksame Subtyp zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Arbeitsgeschwindigkeit immer langsamer wird mit der Folge einer immer stärker werdenden Arbeitsbelastung des Schülers und der nachfolgenden Entwicklung sekundärer emotionaler Auffälligkeiten, z. B. in Form von Schulangst, depressiven Symptomen als auch, dass psychosomatische Beschwerden in den Vordergrund treten, bis hin zur völligen Blockade der Kinder und Schulverweigerung (Solanto, 2000).

Der Mischtyp sowie der hyperaktiv-impulsive Subtyp werden dagegen v. a. im Sozialverhalten auffällig in Form von Unterrichtsstörungen, Opposition gegenüber den Lehrkräften sowie vermehrt impulsiv aggressivem Verhalten gegenüber Mitschülern (Saylor & Amann, 2016) mit der Folge mangelnder sozialer Integration in der Gleichaltrigengruppe, sei es als Reaktion auf das erlebte Leistungsversagen, sei es primär durch die Kernsymptomatik bedingt.

Subtypen übergreifend kommt es gegenüber unauffälligen Kindern vermehrt zu Klassenwiederholungen, Unterrichtsausschluss sowie Schulverweisen. Es erfolgt häufiger ein Wechsel in Förderschulen, entweder für Lern- oder Erziehungshilfe (Fischer, Barkley, Edelbrock & Smallish, 1990). Insgesamt ist die Schullaufbahn von Kindern mit einer ADHS trotz in der Regel normaler Intelligenz noch weniger erfolgreich als bei lerngestörten Kindern. Dieser Zusammenhang gilt umso mehr, je stärker die ADHS ausgeprägt ist. Im Sozialverhaltensbereich dominieren Konflikte mit der Gleichaltrigengruppe die Problematik. Es muss betont werden, dass die Konzentrationsprobleme und die Impulsivität häufig auch zu einer verzerrten Wahrnehmung von Konfliktsituationen mit entsprechenden sozialen Fehlreaktionen führen. Hieraus entsteht für sie ein verhängnisvoller Teufelskreis, weil die Klassenkameraden hierauf mit Ablehnung und Zurückweisung reagieren. Entsprechend sind Kinder mit einer ADHS häufig in einer Außenseiterposition.

Kinder vom unaufmerksamen Subtypus sind häufig weniger integriert, weil sie als verlangsamt von der Gleichaltrigengruppe wahrgenommen werden oder weil sie situationsunangemessen oder nicht schnell genug reagieren können. Bei Kindern mit einer ADHS, die zusätzlich eine Störung des Sozialverhaltens aufweisen, kommt es durch impulsive Verhaltensweisen zu einem fließenden Übergang zu verbalen oder körperlich aggressiven Handlungen. Bei diesen Kindern sind die Sozialverhaltensprobleme umso stärker ausgeprägt, je früher sie auftreten, in der Regel bereits im Kindergarten (Fischer, Barkley, Fletcher & Smallish, 1993; Saylor & Amann, 2016). Gerade diese Subgruppe von Kindern trägt ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Delinquenzentwicklung sowie einer Persönlichkeitsstörung im Erwachsenenalter, zum Beispiel einer antisozialen, narzisstischen oder paranoiden Unterform (Barkley, Fischer, Smallish & Fletcher, 2004; Miller et al., 2008).

Auch im Jugendlichenalter ist die Stabilität der Störung noch erheblich, sie liegt zwischen 30 und 70 % (Steinhausen und Sobanski, 2010). Es kann allerdings ein deutlicher Symptomwandel beobachtet werden, da die motorische Hyperaktivität deutlich nachlässt. Die Impulsivität und die Aufmerksamkeitsstörung sind allerdings nach wie vor vorhanden, z. T. allerdings bereits in teilkompensierter Form, d. h., dass die Symptomstärke nachlässt. Neben den immer noch bestehenden Schulleistungsproblemen liegen weiterhin vermehrt Störungen des Sozialverhaltens und delinquente Handlungen vor mit einer Prävalenz von 25 bis 50 %. Ab dem mittleren Jugendalter besteht ein erhöhtes Risiko für einen Substanzmissbrauch (Alkohol und Drogen, vor allem Cannabis) (Frölich & Lehmkuhl, 2006; De Alwis, Lynskey, Reiersen & Agrawal, 2014). Den bisher vorliegenden Studien zufolge besteht auch ein moderat erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Internet- oder Computerspielsucht im Jugend- und Erwachsenalter beim männlichen Geschlecht (Frölich, Lehmkuhl & Döpfner, 2009; Wang, Yao, Zhou, Liu & Zeng-tao, 2017). In dieser Altersgruppe treten zunehmend auch affektive Störungen, d. h. Depressionen und interpersonelle Beziehungsstörungen, in den Vordergrund, dies umso mehr, je stärker die Symptomatik noch ausgeprägt oder je weniger erfolgreich die Behandlung bisher verlaufen ist (Steinhausen, 1995; Barkley et al., 2004).Fraser et al. (2018) beobachteten in ihrer Studie, dass von ADHS betroffene Jugendliche depressive Symptome bei sich selbst in geringerem Ausmaße als erfüllt einschätzen als ihre Eltern. Aus diesem Grunde wird der Befragung der Eltern eine große Bedeutsamkeit beigemessen.

Leider besteht zugleich in dieser Altersgruppe trotz der zunehmenden Bedeutung weiterer psychischer Störungen eine geringe Bereitschaft zur Fortsetzung der medikamentösen oder verhaltenstherapeutischen Behandlung. Die Abbruchrate in der Psychopharmakotherapie steigt in diesem Alter erheblich an (Adler & Nierenberg, 2010).

Inwieweit eine im Kindes- oder Jugendalter festgestellte ADHS im Erwachsenenalter fortbesteht, hängt auch von der Betrachtungsebene ab. Im klinischen Verlauf von ADHS bis in das junge Erwachsenenalter hinein ist zu beobachten, dass die sogenannte syndromatische Remission, also die Rückbildung der Symptomatik, bei 60 % der Betroffenen zustande kommt, d. h., dass in diesen Fällen nach den angelegten diagnostischen Kriterien die Diagnose nicht mehr gerechtfertigt wäre. Zugleich ist festzustellen, dass sowohl die sogenannte symptomatische Remission, also das Zurückgehen einzelner Kernsymptome des Störungsbildes, als auch die funktionale Remission, d. h. das erreichte psychosoziale Funktionsniveau, längst nicht so hoch zu veranschlagen sind. Mit anderen Worten liegen in der Mehrzahl der Fälle immer noch erkennbare Restsymptome der ADHS mit den entsprechenden funktionalen Beeinträchtigungen und ihren Folgen vor (Biederman, Mick & Faraone, 2000). Erwachsene mit einer ADHS haben im Vergleich zu Gesunden eher schlechtere Bildungsqualifikationen und ein geringeres berufliches Leistungsvermögen sowie Einkommen. Sie sind auch länger finanziell von ihren Eltern abhängig (Altszuler et al., 2016).


Abb. 1.1: Remission der ADHS in Abhängigkeit von der Definitionsebene (Biederman et al., 2000, S. 817)

ADHS in Schule und Unterricht

Подняться наверх