Читать книгу Macay-Saga 1-3 - Manfred Rehor - Страница 10
ОглавлениеHeimstadt
In Heimstadt fühlte sich Macay gleich zu Hause. Vieles erinnerte ihn an Mersellen auf dem Kaiserlichen Kontinent. Die Straßen waren mit Klopfstein gepflastert, auf dem die Räder der Eselskarren ein lautes, holperndes Geräusch machten. Die Häuser waren aus Stein gebaut und zwei Stockwerke hoch, mit Dächern aus Schiefer.
Macay folgte dem Bauern und seinen Knechten bis zum Marktplatz, wo reges Kommen und Gehen herrschte. Der Bauer lenkte seinen Wagen auf einen freien Platz, die Knechte luden ihre Säcke daneben ab und öffneten sie, und der Handel begann.
Auch Macay suchte sich einen ruhigen Flecken am Rand des Markts, von dem aus er das Treiben beobachten konnte. Er legte sein Hemd mit den Früchten auf den Boden und setzte sich im Schneidersitz dahinter. Vermutlich würde niemand die Dinger kaufen wollen, wuchsen sie doch wild und unbeachtet direkt vor den Toren der Stadt. Aber solange er Waren vorzuweisen hatte, fiel er nicht auf.
Die Menschen auf dem Markt waren einfach, aber sauber gekleidet, soweit sie nicht gleich als Knechte aus dem Umland zu erkennen waren. Es gab sogar einige, die teures Tuch und Schmuck trugen und mit dem Gehabe der wirklich Vornehmen über den Markt stolzierten. Meist ging hinter solchen Personen eine Dienerin, die den Korb mit den gekauften Sachen trug.
Insgesamt war auf dem Markt also kaum etwas, das Macay nicht aus Mersellen kannte. Ausnahme waren die vereinzelten Katzer und Echser. Die Echser schienen sich in dem Menschengewühl nicht wohl zu fühlen; sie kauften etwas und verließen den Markt sofort wieder. Die Katzer dagegen waren ganz in ihrem Element, sie liebten das Gedränge. Grinsend sah Macay, wie ein Katzmensch einem der vornehm tuenden Bürger die Geldbörse aus der Tasche stibitzte. Also gab es auch Diebe in Heimstadt. Alles wie Zuhause.
Abgelenkt durch den Taschendieb hatte Macay seine direkte Umgebung außer Acht gelassen. Er schreckte hoch, als plötzlich ein Mann vor ihm stand und ihn böse anstarrte.
„Früchte, Herr?“, fragte Macay unterwürfig. Er wusste nicht, was der Mann gegen ihn hatte, da war es besser, ihn nicht unnötig zu provozieren. „Besonders billig für Sie, Herr.“
„Ich habe dich noch nie hier gesehen, Kerl“, fuhr der Mann ihn an. „Los, zeige deine Händlerkarte.“
Daran hätte er denken müssen! Macay war wütend auf sich. Auch in Mersellen durfte sich niemand einfach so auf den Markt stellen und seine Waren feilbieten. Man musste eine Gebühr entrichten, die sich nach der Größe des Standes berechnete. Dann bekam man eine Quittung, die man jederzeit vorzeigen können musste, sonst wurde man vom Markt vertrieben - wenn man Glück hatte; wenn die Aufseher einen schlechten Tag hatten, konnten sie sogar Kerkerstrafen für Marktsünder verhängen.
„Die habe ich nicht bei mir, Herr“, log Macay.
„Verdammter Bauernbengel!“, schimpfte der Mann. Mit dem Fuß kickte er in einer wütenden Bewegung Macays paar Früchte beiseite.
Sie kullerten über den Boden und wurden gleich von Passanten aufgehoben, die Macay schadenfroh angrinsten. Ein blondes Mädchen sammelte einige ein, blieb dann allerdings stehen, um die Szene weiter zu beobachten.
„Los, verschwinde, bevor ich die Stadtwache auf dich hetze“, fuhr der Marktaufseher fort. „Und wenn ich dein Gesicht noch einmal auf dem Markt sehe, bist du fällig. Verstanden?“
„Ja, Herr.“ Macay griff sein Hemd und zog sich zurück, wobei er dem Aufseher mit vielen Verbeugungen dafür dankte, dass er ihn gehen ließ.
Zum Glück war für den Aufseher der Fall damit erledigt. Er wandte sich um und ging weiter. Das blonde Mädchen kam auf Macay zu, drückte ihm die Früchte in die Hand, die sie gesammelt hatte, lächelte ihn ermutigend an, ging dann aber auch weg, ohne ein Wort zu sagen. Macay war zu verblüfft, um zu reagieren. Als sie weg war, schüttelte er sein Hemd aus, zog es über und machte sich daran, die Stadt zu erkunden.
Macay streifte durch Bezirke mit großen Steinhäusern, in denen die besseren Leute lebten, und Bezirke mit elenden Hütten aus Holz, in denen die ganz Armen ihr Dasein fristeten. Der Armenbezirk war nur klein, verglichen mit Mersellen, wo er Zweidrittel der Stadt ausmachte. Dort hatte Macay mit Vater, Mutter und Schwester gelebt, bevor seine Eltern verschwunden waren. Vermutlich hatte man sie wegen einer Kleinigkeit in die Kerker des Kaisers gesteckt und sie waren dort gestorben, wie so viele Arme.
Macay wurde traurig, als er nun wieder an sie dachte, nachdem er so lange durch all die Abenteuer abgelenkt gewesen war. Wütend überlegte er, dass auch Mersellen eine Stadt sein sollte, in der - wie offenbar in Heimstadt - die Mehrheit der Bevölkerung ein gutes Auskommen und Arbeit hatte. Auch das Schicksal seiner Schwester Lillra lastete nun wieder schwer auf ihm. Würde er sie in Port Hadlan finden? Oder war sie längst in die Karolische Republik verschleppt worden?
In den Handwerkergassen waren die meisten Werkstätten nach vorne offen. So konnte jeder Passant den Handwerksmeistern bei ihrer Arbeit zusehen. Fasziniert beobachtete Macay, wie ein Schreiner einen reichverzierten Stuhl anfertigte. Der Schneider ein Haus weiter war damit beschäftigt, ein Hochzeitskleid zu nähen. Der Schuster reparierte Stiefel und der Bäcker ließ frische Brote in die Körbe gleiten, die unter einem Sonnenschutz standen.
Der Geruch hätte Macay beinahe dazu verführt, einfach zuzugreifen und mit der Beute wegzurennen, wie er es in Mersellen oft genug getan hatte, wenn der Hunger ihn trieb. Aber hier in dieser fremden Stadt wäre das zu gefährlich gewesen. Solange er nicht wusste, wie streng die Stadtwachen aufpassten und ob - wie in manchen Gegenden Mersellens - die anderen Passanten auf der Seite des Diebes waren, war es besser, wenn er ehrbar blieb.
Zwei Gebäude in der Stadt waren besonders auffällig: das Rathaus am Marktplatz, das groß genug war, um gleich drei Städte daraus zu regieren, und ein riesiges, düsteres Bauwerk an der südlichen Stadtmauer. Vor beiden Gebäuden standen bewaffnete Wachen. Das Rathaus war durch ein glänzendes Schild als solches gekennzeichnet, aber vor dem Bau an der Südmauer befand sich kein Hinweis darauf, was es sein könnte.
Langsam wurde es dunkel und für Macay stellte sich die Frage, wo er schlafen konnte. Zweifellos gab es auch in Heimstadt Ecken, in denen die Obdachlosen und Herumtreiber ihre Nächte verbrachten, aber selbst wenn er sie gefunden hätte, wäre Macay nicht dort geblieben. Er wusste nämlich aus Mersellen, dass die Wachleute in diesen Ecken häufig Razzien durchführten, weil sie sicher sein konnte, dort den einen oder anderen Gauner zu entdecken. Eine andere Möglichkeit war, in einem Gasthaus ein Zimmer zu mieten, aber dafür hätte Macay erst einmal Geld klauen müssen. Es war unsinnig, das Risiko einzugehen, nur um in einem Bett schlafen zu können. Macay beschloss also, auch nachts durch die Stadt zu stromern und weitere Eindrücke zu sammeln.
In den ersten Stunden der Nacht machte Macay einige Beobachtungen, die für die Rettung von Rall von Belang sein konnten: Der Taschendieb, den er auf dem Markt beobachtet hatte, war erwischt worden; er wurde in das Gebäude an der Südmauer gebracht, das folglich das Gefängnis war. Die Wachen gingen nicht sehr sanft mit ihrem Gefangenen um. Der Katzer war an den Händen gefesselt und wurde unterwegs getreten und geschlagen.
Später sah Macay, wie das östliche Stadttor verschlossen wurde und eine Nachtwache oben auf der Stadtmauer Position bezog. Andere Wächter patrouillierten zu zweit durch die Straßen, was Macay für eine übertriebene Sorgfalt in einer abgeschlossenen Stadt hielt. Aber er bemerkte nach einiger Zeit, warum dem so war: Es war einiges los in der nächtlichen Stadt. Die Lokale blieben bis in den frühen Morgen geöffnet.
Macay zog von Kneipe zu Kneipe. Einmal konnte er von Betrunkenen etwas zu Essen schnorren, so dass sein knurrender Magen Ruhe gab. Er hörte aufmerksam den Kneipengesprächen zu. Viele der Trinker waren Leute aus den Bergen, die zu Besuch in der Stadt weilten, sei es um neue Ausrüstung zu kaufen, sei es um Abnehmer für ihr Erz zu finden. Es waren raue Kerle, aber gutmütig. Frauen waren nur wenige darunter.
In einer etwas gepflegteren Gaststätte belauschte Macay eine Runde Zecher, die sich über die Zustände in der Stadt unterhielten. Ein Mann mit einem großen Schnurrbart führte das Wort: „Diese verdammten Katzen machen uns das Leben jeden Tag schwerer“, behauptete er, und seine Saufkumpane nickten. „Genauso wie die Echsen. Ich will nichts gegen die Echsen gesagt haben, es sind brauchbare Helfer in den Bergwerken, im Gegensatz zu den Katzen. Aber hier in der Stadt haben sie doch verdammt nichts verloren!“
„Ganz meiner Meinung“, stimmte ihm einer zu. „Die Echsen sollen unten im Süden bleiben, wo es zu heiß für einen vernünftigen Menschen ist, und die Katzen ganz oben im Norden. Wozu haben sie schließlich ihren Pelz? Aber der Rest des Nebelkontinents, der sollte uns gehören.“
„Alles kein Problem“, tönte ein Dritter, „wenn der Kaiser Wort hält und uns die Zaubermittel schenkt, mit deren Hilfe wir mehr Kinder bekommen und uns frei bewegen können, ohne Angst vor der Natur dieses verfluchten Kontinents haben zu müssen. Dann sollst du mal sehen, wie schnell es hier vor Menschen wimmelt.“
„Halt den Mund! Das mit dem Kaiser ist geheim. Und außerdem: Wenn der Kaiser diese Zaubermittel hat, dann schickt er uns seine Armee auf den Hals, gefolgt von Hunderttausenden von Siedlern. Dann ist es vorbei mit unserer Ruhe.“
„Wohl wahr“, gab der mit dem Schnurrbart zu. „Außerdem hat der Kaiser Bedingungen an die Herausgabe der Zaubertränke geknüpft, die nicht leicht zu erfüllen sein werden.“
„Ach was, den ersten dieser Aufrührer haben sie bereits in der Nähe der Stadt gefangen genommen und ins Gefängnis geworfen. Die anderen beiden fangen sie bestimmt auch bald. Und dann ist schon die Hälfte der Forderungen des Kaisers erfüllt.“
„Tja. Aber die andere Hälfte. Die mit dem Alten Wald ...“
„Ruhe jetzt!“, fuhr der Wirt dazwischen. „Ich bekomme Ärger, wenn ihr hier über Politik redet und Dinge ausplaudert, die eigentlich niemand wissen sollte. Trinkt lieber aus, ich will schließen.“
„Ach was, Geheimnisse; die ganze Stadt weiß doch Bescheid“, maulte einer der Männer.
Er und seine Kumpane tranken aus und bezahlten ihre Rechnungen. Das dauerte einige Zeit, weil sie sich nicht mit dem Wirt einig waren über das, was sie getrunken hatten. Derweil schlich sich Macay wieder aus der Gaststätte hinaus. Dabei bemerkte er, dass in einer Ecke des Raumes, tief im Schatten versteckt, ein weiterer schweigender Zuhörer gesessen hatte. Er trug einen dunklen Überhang mit Kapuze, der ihn fast völlig unsichtbar machte.
Draußen versteckte sich Macay und beobachtete, wie dieser Gast herauskam. Etwas an dessen Gestalt irritierte Macay, deshalb folgte er ihm, während die Morgendämmerung über die Mauerkronen heraufzog.
Es war nicht leicht, den Unbekannten zu verfolgen. Er verschmolz fast mit seiner Umgebung. Wäre Macay nicht ein gewiefter Gassenjunge aus Mersellen gewesen, er hätte ihn bald verloren. Aber Macay blieb dran, bis der Unbekannte in eine kleine Sackgasse einbog und verschwand.
Als sich Macay enttäuscht umdrehte, stand die Person direkt hinter ihm und versperrte ihm den Weg heraus aus der Sackgasse.
„Was willst du?“, wurde er flüsternd gefragt.
„Äh, nichts“, antwortete Macay. „Ein Irrtum. Lass mich gehen.“
„Hoppla, dich kenne ich doch“, sagte der Unbekannte. Mit einer Handbewegung warf er die Kapuze des Umhangs zurück. Vor Macay stand das blonde Mädchen, das auf dem Markt die Äpfel für ihn aufgesammelt hatte. „Du kannst mich Saika nennen.“ Das Mädchen, etwa in Macays Alter, sah in abwartend an.
Macay fühlte sich in die Enge getrieben. Er machte sich bereit, zu kämpfen. Nicht, weil er Saika als Bedrohung betrachtete. Von ihr ging nicht diese gewisse Ahnung von Gefahr aus, die er aus Begegnungen mit unangenehmen Menschen in seiner Heimatstadt so gut kannte. Aber er musste hier heraus, seine Bewegungsfreiheit wiedergewinnen.
Saika schien das zu fühlen, denn sie lächelte und gab den Weg aus der Sackgasse frei. Sie lehnte sich an die Wand des einen Gebäudes. „Du bist neu in der Stadt“, sagte sie.
„Kann sein.“ Macay ging langsam an ihr vorbei, als sie plötzlich die Hand ausstreckte und ihn zurück hielt. Er verstand: Sie wollte nicht, dass die Situation sich umkehrte und er am Eingang zu der Sackgasse stand.
„Du bist einer von den drei Verrätern, die vom Bürgermeister gesucht werden.“
„Ich weiß nichts von drei Verrätern.“
„Warum schleichst du dann nachts durch die Stadt und belauschst Gespräche in den Kneipen?“
„Ich habe nichts Besseres zu tun. Immerhin verstecke ich mich nicht, wie du unter diesem Umhang. Mich konnte man in der Kneipe sehen, aber dich hat vermutlich keiner bemerkt.“
„Ich will nicht bemerkt werden. Und für dich wäre es auch besser, du bliebest unsichtbar. Noch hat es sich in der Stadt nicht überall herumgesprochen, dass ein Junge, ein Katzer und ein Echser gesucht werden. Aber du kannst sicher sein, in wenigen Tagen wird jeder, der neu hier auftaucht, zunächst im Gefängnis landen. Bis er seine Unschuld bewiesen hat oder für immer.“
„Und warum?“
„Das musst du selber wissen.“ Saika sah zum Himmel, dann horchte sie auf die Geräusche der erwachenden Stadt. „Es wird Zeit, zu verschwinden.“
„Wohin gehst du?“
„Ich? Nirgendwo hin.“ Saika zog ihren Umhang aus, faltete ihn zusammen und steckte ihn in eine Tasche, die sie umgehängt trug. „Fertig. Ich bin schon verschwunden. Jetzt bin ich wieder die junge Saika, die jeder in der Stadt kennt. Niemand wird auf die Idee kommen, ich wäre im Schutz eines Tarnumhangs nachts durch die Kneipen gezogen. So einfach geht das. Bei mir. Bei dir haben wir ein größeres Problem.“
„Du kennst nicht zufällig einen Ort, wo ich mich ausruhen könnte?“
„Ich kenne viele Verstecke. Aber keines, zu dem ich dich bringen würde. Ich habe einen anderen Vorschlag. Der alte Elkmar sucht einen Austräger für den ‚Stadtboten‘. Das ist unsere Zeitung hier in Heimstadt. Er stellt sie selber her und druckt sie auf der einzigen Druckerpresse auf dem Nebelkontinent. Aber er ist nicht gut zu Fuß. Ich bin sicher, wenn du sagst, Saika habe dich geschickt, dann wird er dich einstellen. Du wirst nicht viel verdienen, aber fürs Essen wird es reichen, und er hat einen Verschlag, in dem du schlafen kannst.“
Macay verstand sofort, was Saikas Hintergedanke war: „Wer einer Arbeit nachgeht, kann kein gesuchter Verbrecher sein“, sagte er. „So denken die Leute nun einmal. Das ist in meiner Heimat nicht anders. Die Wachen kontrollieren vor allem diejenigen, die herumlungern und nichts zu tun haben.“
„Genau. Schlaues Kerlchen.“
„Als was arbeitest du?“, wollte Macay wissen.
„Ich bin Näherin. Sieht man das nicht?“ Sie drehte sich schwungvoll einmal um ihre Achse, um ihre Kleidung zur Geltung zu bringen. Sie bestand aus einer weiten Hose und einem ebenfalls weit geschnittenen Wams aus beigen und hellgrünen Streifen.
Elegant, musste Macay zugeben, aber auch auffällig. Doch Saika durfte auffallen, sie lebte ja rechtmäßig in dieser Stadt.
„Schön“, behauptete er, aber nicht gerade in überzeugendem Ton. Gespräche über Frauenkleider waren nicht sein Ding, auch wenn er sich mit seiner kleinen Schwester oft darüber gestritten hatte, ob sie ihre paar Kreuzer für ein hübsches Tuch oder ein Stück Wurst ausgeben sollte.
„So, geh jetzt zu Elkmar. Wir sehen uns später wieder.“
„Wann und wo?“
„Ich werde dich schon finden“, sagte Saika. Sie beschrieb ihm den Weg zu Elkmars Haus und ließ ihn vorausgehen.
Als Macay sich nach ein paar Schritten noch einmal umdrehte, weil er fragen wollte, wo sie wohnt, war Saika verschwunden.
In einer Gasse nahe dem zentralen Brunnen der Stadt befand sich das Haus des Druckers Elkmar. Wie so viele andere Handwerker hatte auch Elkmars Haus ein großes Tor nach vorne, das morgens geöffnet wurde. So konnte ihm jeder bei seiner Arbeit zusehen. Es gab keine Geheimnisse in Heimstadt. Jedenfalls nicht, was die Tätigkeit der Handwerker betraf.
Elkmars Werkstatt war ein großer Raum, in dem eine schwere, eiserne Druckerpresse stand. Daneben gab es unzählige Kästen mit Bleilettern, mit deren Hilfe Elkmar den zu druckenden Text in Spiegelschrift setzte. Macay blieb zunächst eine Weile vor der Werkstatt stehen und sah zu, wie Elkmar einen Text setzte, dann die Schablone in die Druckmaschine spannte und unter erheblicher körperlicher Anstrengung ein Dutzend Papiere bedruckte. Elkmar war ein hagerer, älterer Mann, dem schon am frühen Morgen der Schweiß herunterlief bei seiner Arbeit. Außerdem hinkte er, wenn er in seiner Werkstatt hin und her ging. Nachdem er die Papiere aus der Presse geholt hatte, prüfte er das Ergebnis seiner Arbeit, war damit zufrieden und legte sie beiseite zum Trocknen.
Macay ging zu ihm. „Guten Morgen. Saika hat mir erzählt, dass Sie einen Helfer suchen, der den ‚Stadtboten‘ austrägt.“
Elkmar musterte ihn von oben bis unten, bevor er mürrisch antwortete: „Und du willst dieser Helfer sein, nehme ich an.“
„Warum nicht?“
„Du siehst frech aus. Ich mag keine frechen Jungs. Aber wenn Saika dich schickt, kannst du nicht ganz verdorben sein. Du bekommst drei Silberstücke im Monat und kannst drüben in dem Verschlag schlafen. Jedes Vergehen und jedes vorlaute Wort gegen mich kostet dich ein Silberstück deines Lohns. Also überlege dir gut, ob du dir die Arbeit zutraust.“
„Klar“, antwortete Macay. Unter normalen Umständen wären diese Bedingungen eine Zumutung gewesen, aber ihm kam es ja in erster Linie nicht auf den Verdienst an. „Zumindest kann ich es versuchen.“
„Dann binde dir diese Schürze um und mache mit den Tüchern dort die Druckmaschine sauber. Die Lager schmierst du anschließend mit Fett, das ist drüben in der Kruke, und wenn du damit fertig bist, trägst du diese Steckbriefe ins Rathaus.“ Elkmar zeigte auf die Papiere, die er gerade gedruckt hatte.
Macay konnte lesen, das hatte ihm seine Mutter beigebracht, denn Schulen gab es im Kaiserreich nur für die Kinder der Wohlhabenden. Er beugte sich über die Blätter und las vor: „50 Goldstücke Belohnung. Gesucht werden zwei Verräter, die unserer Stadt großen Schaden zufügen wollen.“ Es folgte eine kurze, nichtssagende Beschreibung von Zzorg und Macay, die auf jeden anderen jungen Mann oder erwachsenen Echsenmenschen auch zutreffen konnte.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Macay, dass Elkmar ihn beobachtete. Daher tat er so, als interessiere ihn der Steckbrief nicht weiter. „Ich tue alles, was Sie sagen“, sagte er, „aber bei der Maschine müssen Sie mir helfen. Ich könnte sonst beim Reinigen etwas beschädigen, weil ich mich mit solchen Sachen nicht auskenne.“
„Sehr vernünftig, junger Mann“, lobte Elkmar. „Man muss auch seine Grenzen kennen. Fangen wir also an.“
Gemeinsam putzten sie nun eine Stunde lang die Maschine, schmierten die Lager neu und probierten dann aus, ob alles funktionierte. Macay war fasziniert, denn er hatte noch nie ein Gerät mit Zahnrädern gesehen, geschweige denn dessen Funktion erklärt bekommen. Als alles fertig war, hatte er eine Menge schwarzer Flecken an Hemd und Hose. Elkmar meinte nur, das sei eben das Kennzeichen von Druckern, er solle sich nichts daraus machen.
Anschließend ging Macay mit den gedruckten Steckbriefen zum Rathaus. Elkmar hatte ihm erklärt, in welches Zimmer er gehen und wie viel das Rathaus für den Druckauftrag bezahlen sollte. Es war erstaunlich, dass Elkmar keine Bedenken zu haben schien, sein neuer Helfer könnte mit dem Geld abhauen. Saikas Name schien wirklich sehr viel zu bewirken.
Das imposante Gebäude hatte Macay schon am Vortag gesehen. Nun ging er geradewegs darauf zu. Am Eingang hielt ihn der Wachmann auf. Es war ein mulmiges Gefühl, mit den eigenen Steckbriefen unter dem Arm vor der Wache zu stehen.
„Ich bin der Druckerhelfer und soll das hier abliefern“, erklärte Macay, so forsch er konnte. Er wurde ohne Nachfrage durchgelassen. Hoffentlich las auch der zuständige Stadtangestellte nicht zu genau die Beschreibung der Gesuchten.
Im Rathaus herrschte eine beängstigende Stille, verglichen mit der rührigen, lärmenden Stadt draußen. Macays Schritte hallten durch die leeren Gänge, während er das Zimmer suchte, in dem er die Drucke abliefern sollte. Hier befand er sich Zentrum des Gegners. Irgendwo in diesem großen Bau hatte der Bürgermeister sein Büro. Vielleicht saß er gerade dort und beriet sich mit anderen, mit welchen Fallen man Ralls Gefährten fangen könnte. Es wäre toll, wenn ich ihn dabei belauschen könnte, dachte Macay, aber wie?
Das Zimmer, zu dem er sollte, lag im Erdgeschoss, aber Macay nutzte die Gunst der Stunde, ging die breite, steinerne Treppe hoch und sah sich im Obergeschoss um. Wie alle Gebäude in Heimstadt war auch das Rathaus zweistöckig. Oben lagen sogar Teppiche in den Gängen, und die Türen waren mit Symbolen aus Metall geschmückt, die vermutlich den Rang des jeweiligen Beamten darstellten. Vor einer besonders prächtig geschmückten Tür blieb Macay stehen und überlegte, ob er es riskieren sollte, einen Blick hineinzuwerfen.
Plötzlich gingen die Flügeltüren auf und Macay sah sich einer ganzen Gruppe von Menschen gegenüber. In ihrer Mitte stand ein dicker Mann, dessen Doppelkinn fast so groß war wie sein restliches Gesicht.
Der Dicke starrte auf Macay hinunter, der gut zwei Kopf kleiner war, und Zornesadern schwollen an seiner Schläfe an. „Wache!“, brüllte er. „Ein Eindringling!“
Ein Wachmann kam angerannt und richtete seinen Speer auf Macay. „Was befehlen Sie, Herr Bürgermeister?“, fragte er.
„In den Kerker mit ihm!“
Der Bürgermeister wollte weitergehen, aber Macay rief, so laut er konnte: „Entschuldigen Sie, Herr Bürgermeister, ich bin der Helfer vom Drucker Elkmar. Ich soll diese Papiere abgeben und habe nur das richtige Zimmer nicht gefunden.“
Der Wachmann riss ihm die Zettel aus der Hand und gab sie an den Bürgermeister weiter, der sie überflog. „Ah, ja. Wichtige Sache. Wache, bring ihn hinunter in die Amtsstuben, wo er die Steckbriefe abgeben kann, und dann wirf ihn hinaus.“
„Jawohl, Herr Bürgermeister.“ Der Wachmann packte Macay hart an der Schulter, um ihn vor sich her die Treppen herunterzuschieben.
„Moment noch“, rief der Bürgermeister hinter ihnen her. „Kommt noch einmal zu mir.“
Von dem Wachmann wurde Macay wieder vor den Bürgermeister gestoßen. Der musterte ihn misstrauisch. „Ich habe dich in der Stadt noch nie gesehen“, sagte er. „Die Beschreibung auf dem Steckbrief könnte durchaus auf dich zutreffen. Wer bist du, wo kommst du her?“
„Ich bin Helfer bei Elkmar, Herr“, sagte Macay mit unterwürfigem Ton. Bewusst vermied er es, seinen Namen zu nennen. Auch wenn der nicht auf dem Steckbrief stand, kannte ihn der Bürgermeister vielleicht. „Vor zwei Wochen kam ich von einem Bauernhof im Osten und Elkmar hat mir eine Stelle angeboten. Hier verdiene ich mehr als ein Knecht auf dem Land.“
„So. Das wird sich ja nachprüfen lassen. Wache, Sie begleiten ihn nachher zurück zum Drucker und erkundigen sich dort, ob seine Angaben stimmen. Rückmeldung dann umgehend an mich, verstanden?“
„Jawohl, Herr Bürgermeister.“
Nun befand sich Macay in einer schwierigen Situation. Elkmar würde wohl kaum für ihn lügen. Wenn er aber jetzt weglief, wussten alle, wer er war. Dann hatte er keine Chance mehr, eine Möglichkeit für die Befreiung von Rall auszukundschaften. Vorerst entschied er sich dafür, zu schweigen. Er kehrte mit dem Wachmann zurück ins Erdgeschoss und lieferte die Steckbriefe ab. Das Geld, das man ihm dafür gab, steckte er ein, dann ging er in Begleitung des Wachmanns durch die Stadt zurück zur Druckerei.
Elkmar staunte nicht schlecht, als sein neuer Helfer in Begleitung eines Bewaffneten daher kam. „Was zum Teufel hast du angestellt?“, herrschte er Macay an.
„Vermutlich nichts“, antwortete der Wachmann beruhigend. „Der Herr Bürgermeister möchte nur wissen, ob dieser Bengel derjenige ist, der zu sein er vorgibt. Stimmt es, dass er seit zwei Wochen Helfer bei euch ist?“
Macay spannte die Muskeln, um sofort verschwinden zu können.
Doch Elkmar antwortete ruhig: „Ja. Noch ist er es. Aber wenn er noch einmal von der Wache aufgegriffen wird, ist er die längste Zeit mein Helfer gewesen.“
„Macht euch keine Sorgen, Drucker, es ist alles in Ordnung.“ Der Wachmann salutierte und verließ die Druckerwerkstatt.
„Gerade noch mal gutgegangen“, sagte Elkmar.
„Ja. Danke. Warum haben Sie für mich gelogen?“
„Weil Saika dich geschickt hat“, erklärte Elkmar. Mehr zu sagen war er nicht bereit.
Den Rest des Tages arbeitete Macay eifrig mit bei den Vorbereitungen für den Druck der nächsten Ausgabe des ‚Stadtboten‘. Abends bekam er von Elkmar etwas zu essen, dann fiel er todmüde in dem Verschlag hinter der Werkstatt auf den Strohsack und schlief auf der Stelle ein.
Der ‚Stadtbote‘ war eine vierzehntägig erscheinende Zeitung, die nur aus acht Seiten bestand. Da diese Seiten auch noch recht klein waren, zumindest im Vergleich zu den Zeitungen, die Macay in Mersellen gesehen hatte, konnte man sie bequem falten und in die Tasche stecken. Trotzdem war sie die wichtigste - weil einzige - gedruckte Zeitung des ganzen Kontinents und wurde folglich nicht nur in Heimstadt gelesen, sondern auch durch Reisende in alle Himmelsrichtungen verteilt. Das erklärte die enorme Auflage von zweihundert Exemplaren.
Die aktuelle Ausgabe beschäftigte sich mit den Plänen des neuen Bürgermeisters. Diese Pläne bestanden aus lauter Versprechungen über eine wundervolle Zukunft, die aber nur eintreten werde, wenn die Feinde der Stadt besiegt würden.
„Den Artikel hat der Bürgermeister selbst geschrieben“, erklärte Elkmar, während er den Text setzte. „Deshalb stelle ich in großen Lettern seinen Namen darüber, damit die Leser das wissen. Darunter drucke ich einen Kommentar von mir, in dem ich die Frage stelle, ob es wirklich eine rosige Zukunft verheißt, sich mit den Kaiserlichen einzulassen.“
„Lässt der Bürgermeister es zu, wenn Sie eine andere Meinung drucken als seine?“, fragte Macay verwundert.
„Er wird Gift und Galle spucken, wenn er das liest. Aber ich bin der einzige Drucker auf dem Nebelkontinent. Wenn er mich einsperrt, gibt es niemanden mehr, der die Druckmaschinen bedienen kann.“
„Ich glaube, ich könnte es, wenn ich Ihnen noch ein paar Tage zusehe“, sagte Macay unbedacht.
Elkmar lachte. „Nein, keinesfalls. Ich achte streng darauf, niemandem die wirklich wichtigen Arbeitsschritte zu zeigen. Auch dir nicht. Du wirst in ein paar Tagen die ganze Maschine reinigen können, und auch Seiten drucken, die ich dir vorgebe. Aber bei der kleinsten Störung musst du kapitulieren. Ohne mich läuft nichts. Das weiß Dickmann. Wenn ich weg bin, wer soll dann all die vielen Verordnungen und Formulare drucken, die das Rathaus Tag für Tag braucht?“
Das leuchtete Macay ein. So lange Elkmar ein Monopol hatte, brauchte er sich um seine Sicherheit nicht zu sorgen.
Der politische Teil nahm die ersten zwei Seiten der Zeitung ein, Kleinanzeigen die letzten zwei. Diese vier Seiten wurden auf die ersten Bögen Zeitungspapier gedruckt. Das Papier bekam die Druckerei aus einem Ort weit im Norden, wo Katzmenschen gelernt hatten, es aus den Bäumen der riesigen Wälder herzustellen.
In den Anzeigen wurden hauptsächlich gebrauchte Waren angeboten, Möbel, Kleider und Geschirr. Außerdem gab es eine ganze Menge Arbeitsangebote von Bauern, die für die Ernte Knechte benötigten, und von Minenbesitzern in den Bergen, die offenbar händeringend Arbeiter suchten. Auf dem Nebelkontinent gab es entschieden zu wenige Menschen.
„Ja, das Land hier heißt nicht jeden willkommen“, sagte Elkmar, als Macay ihn darauf ansprach. „Mein steifes Bein habe ich ihm zu verdanken und mehr Narben, als einem Mann gut tun.“
„Wie ist das passiert?“
„Ich stamme aus Karolien“, erzählte Elkmar. „Bin wegen einer Dummheit zu zehn Jahren Zwangsdienst auf karolischen Kriegsschiffen verurteilt worden und geflohen, als unser Schiff im Hafen an der Westküste des Nebelkontinents vor Anker lag. Hielt mich eine Zeitlang in der Hafenstadt versteckt, bevor ich mit zwei Katzmenschen, denen ich einen Gefallen getan hatte, den Weg ins Landesinnere antrat. Wie alle Menschen konnte ich nicht wissen, ob der Nebelkontinent mich hier leben lässt oder nicht. Deshalb blieb ich immer mit den Katzern zusammen. Bis wir die Berge überquert hatten und nur noch eine Tagesreise von Heimstadt entfernt waren. Da nie etwas passiert war, wurde ich unvorsichtig.“
Macay schrak zusammen, als Elkmar unvermittelt sein rechtes Hosenbein hochzog und darunter ein völlig vernarbtes Bein zu sehen war.
„Das ist der Preis, den ich dafür zu zahlen hatte“, fuhr Elkmar fort. „Meine Begleiter entfernten sich auf der Jagd von unserem Lager. In solchen Fällen bin ich sonst immer mitgegangen. An jenem Morgen war ich aber wegen der schweren Tage, die hinter mir lagen, zu faul und bin einfach liegengeblieben. Eine halbe Stunde später begann sich das Land gegen mich zu wenden. Ameisenkolonnen krabbelten an mir hoch, das war das Erste, was ich bemerkte. Sie suchten schmerzempfindliche Stellen und bissen mich. Vögel schossen aus dem Himmel herunter und versuchten, mir die Augen auszuhacken, Ratten kamen aus ihren Löchern und bissen mir Stücke aus dem lebendigen Fleisch. Ein Busch ließ seine Zweige zu Peitschen werden und schlug nach mir aus. Und dann ...“ Elkmar unterbrach sich, seine Stimme zitterte ein wenig. Er schluckte schwer, fuhr dann aber fort: „... tat sich die Erde auf. Ein Morrow kam heraus. Er griff nach mir, schnappte nach mir mit hundert Krallen und tausend Mäulern. Mein ganzer Körper war eine Wunde, als meine Gefährten, von meinen Schreien zurückgerufen, zu mir gerannt kamen. Sofort hörte der Spuk auf. Wenige Sekunden länger und ich wäre tot gewesen.“
Macay hatte atemlos zugehört. „Dann können Sie also Heimstadt nicht ohne Begleitung verlassen?“, fragte er, als Elkmar seinen Bericht beendet hatte.
„Niemals. Manchmal gehe ich mit Freunden vor das Tor und genieße die freie Luft im Wald und auf den Wiesen, aber die Angst hat mich nie wieder verlassen. Ich fühle mich nur noch in den Mauern dieser Stadt wohl. Hier werde ich bleiben, bis ich sterbe.“
„Man sagt, der Kaiser habe ein Gegenmittel.“
„Man sagt, der Kaiser sei unsterblich. Na, und? Lügen. Ich glaube nicht, dass irgendein Elixier genügt, um die Wut des Nebelkontinents zu besänftigten. Da bedarf es schon ganz anderer Mittel.“
„Welcher denn?“, fragte Macay neugierig.
„Es gibt Gerüchte, uralte Sagen, in denen es heißt, die Wut des Kontinents könne im Herzen der Welt gelindert werden. Das ist ein mystischer Ort, der unter dem Gebirge liegen soll. Vielleicht stößt eines Tages ein Bergwerk darauf, dann werden wir wissen, ob es stimmt. Aber bis dahin -“
Elkmar wurde unterbrochen durch einen jungen Mann, der vor dem offenen Tor der Werkstatt stehenblieb und ihn auffordernd anstarrte. Macay kam es vor, als hätte er dessen Gesicht irgendwo schon einmal gesehen, aber er konnte sich nicht erinnern, wann und wo.
„Macay, du hast für den Rest des Tages frei“, sagte Elkmar. Er winkte den jungen Mann zu sich. Sie setzten sich in eine Ecke und begannen, leise miteinander zu reden.
Macay lungerte noch eine Weile in der Werkstatt herum, konnte aber kein Wort der Unterhaltung aufschnappen und machte sich schließlich auf den Weg, um die Stadt weiter zu erkunden.
Als Macay eine Stunde später zur Druckerei zurückkehrte, war der junge Mann weg und Elkmar eifrig dabei, den Rest der Zeitung zu setzen.
„Ah, Macay, gut, dass du kommst. Ich bin gleich fertig, dann machen wir einen Probedruck. Wenn alles in Ordnung ist, können wir morgen früh die zweiten Bogen drucken. Dann muss die Zeitung noch geschnitten und gefaltet werden, und morgen Nachmittag kannst du anfangen, sie hier in Heimstadt den Kunden zuzustellen.“
Elkmar war gutgelaunt und summte sogar ein Lied bei der Arbeit. Fasziniert sah Macay zu, wie die Finger des Druckers nur so über die vielen Kästen mit den Buchstaben flogen, um sie in der richtigen Reihenfolge zu einem Text anzuordnen.
„Ja, da staunst du“, sagte Elkmar, als er fertig war. „Gelernt ist gelernt. Damals, als ich die Maschine für ein Vermögen aus Karolien besorgt hatte, waren nur wenige Lettern dabei. Ich musste persönlich neue Gussformen herstellen und einem Echser im Gebirge beibringen, wie er aus Blei die Lettern gießen kann. Echser sind bei allem gut, was mit Hitze zu tun hat. Seitdem versorgt er mich damit. Denn ohne Buchstaben kein Text, wie ich immer sage.“
„Wie sind Sie zu diesem Vermögen gelangt, nachdem Sie als Flüchtling schwer verletzt in Heimstadt angekommen sind?“
„Durch meiner Hände Arbeit“, behauptete Elkmar, aber Macay hatte das Gefühl, der alte Drucker würde ihn zum ersten Mal belügen. „Los, leg einen Bogen ein, wir machen den Probedruck.“
Macay tat, wie ihm geheißen. Sie stellten einen Druck des zweiten Zeitungsbogens her.
„So, Macay, jetzt kommt dein Teil: Lies den Artikel durch und sage mir an, wo ich ihn korrigieren soll.“
„Ich? Sicherlich wissen Sie besser als ich, wie man die Worte richtig schreibt.“
„Darum geht es doch nicht. Lies ihn dir erst einmal durch.“
Macay nahm den noch druckfeuchten Bogen und starrte ihn staunend an. Da er die spiegelverkehrten Buchstaben während des Setzens nicht hatte lesen können, sah er nun zum ersten Mal, worum es in dem Zeitungsartikel ging: „Überfall auf Eszger!“, stand in fetten Lettern als Überschrift. Und darunter, nur wenig kleiner gedruckt: „Zzorg und Rall siegreich im Kampf gegen die Kaiserlichen.“
Macay warf Elkmar einen Blick zu, doch der Drucker war bereits mit dem Säubern seiner Maschine beschäftigt. Also machte sich Macay daran, den Artikel zu lesen. Darin wurde erzählt, die Kaiserlichen hätten grundlos den Ort Eszger angegriffen und viele Einwohner getötet. Doch es gelang, unter Führung des Echsenmagiers Zzorg die Kaiserlichen so lange in Gefechte zu verwickeln, bis ein großer Teil der Bevölkerung in die Wälder fliehen konnte. Dann sei Rall zu Hilfe geeilt und habe, unterstützt durch einen jungen Menschen, einen Dämon getötet, der von den Kaiserlichen in Eszger hinterlassen worden war. Eszger werde nun wieder aufgebaut. Zzorg und Rall seien mit ihrem menschlichen Freund weitergezogen und könnten bei ihren Wanderungen vielleicht auch Heimstadt einen Besuch abstatten.
Elkmar konnte die Geschichte nur von dem Mann haben, der ihn besucht hatte. Vermutlich ein Bewohner Eszgers, der nach Heimstadt gekommen war. Das würde auch erklären, warum Macay dessen Gesicht bekannt vorkam. „Tolle Geschichte“, sagte Macay möglichst unverfänglich. „Passiert so etwas öfters?“
„Nein. Deshalb wird es für erhebliche Aufregung in der Stadt sorgen. Hast du Fehler darin gefunden?“
„Keine“, behauptete Macay. „Aber warum werden Zzorg und Rall so als Helden herausgestrichen? Sind sie etwas Besonderes?“
„Lies weiter. Auf der zweiten Seite, im Kasten“, forderte Elkmar ihn auf.
Macay tat es und las folgenden Artikel unter der Überschrift: „Zzorg und Rall.“
„Allen Bewohnern des Nebelkontinents, die schon länger hier leben, sind diese Namen ein Begriff. Doch allen Neubürgern zur Erklärung hier noch einmal ein paar Worte über die beiden heldenhaften Gestalten:
Zzorg ist ein Echsenmann aus dem tiefen Süden unseres Kontinents. Er wurde als Krieger erzogen und erkundete später während seiner Wanderjahre die Welt. Dabei entdeckte und entwickelte er seine Fähigkeiten in der Feuermagie. Obwohl er kein geborener Magier ist, erlangte er einen Grad an Beherrschung der Feuermagie, der sehr selten ist. Sein Können als Kämpfer und Magier setzte er vielfältig zum Schutz der Bewohner des Nebelkontinents ein.
Rall ist ein Katzmensch, der in einem Dorf wenige Tagereisen nördlich von Heimstadt geboren wurde. Von einem der ersten kaiserlichen Elitetrupps, die den Nebelkontinent durchstreiften, wurde das Dorf in Ralls Jugend zerstört - versehentlich, wie später behauptet wurde. Rall bildete sich zu jener Zeit gerade zum Heiler aus, wurde aber durch dieses Erlebnis, bei dem seine Eltern und alle seine Verwandten starben, so erschütterte, dass auch er begann, die Kampfkünste zu studieren. Viele Jahre lang durchstreifte er den Norden, bis er ein ausgezeichneter Heiler und Kämpfer war.
Bei der Belagerung der Katzmenschen-Siedlung Ragorr durch Hunderte tollwütig gewordener Trollbären - die Tollwut soll vom Kaiserlichen Kontinent bei uns eingeschleppt worden sein - trafen Zzorg und Rall zum ersten Mal zusammen. Nachdem die riesigen Bären in einem schrecklichen Kampf besiegt waren, beschlossen die beiden, künftig gemeinsam die Geheimnisse des Nebelkontinents zu erforschen. Ihrer Abenteuer sind so viele, dass wir sie hier nicht auflisten können. Jeder, der eine Weile unter uns lebt, hat von ihren Taten gehört.
Vor einigen Jahren nun verschwand Rall auf mysteriöse Weise. Zzorg suchte lange nach seinem Partner, gab aber schließlich auf und zog alleine weiter. Es wurde allgemein vermutet, Rall könnte, wie anderen Katzer auch, als Zwangsarbeiter in den Lassach-Feldern der Kaiserlichen gelandet sein, wo immer Bedarf an Arbeitskräfte herrscht.
Es ist ein Glück für alle Bewohner des Nebelkontinents, diese beiden Helden nun wieder vereint zu wissen, denn es gibt noch viele Gefahren, bei deren Bewältigung wir ihre Hilfe dringend benötigen werden.
Nachtrag: Vom Bürgermeisteramt wurde kürzlich ein Steckbrief herausgegeben, in dem nach einem Echsenmann und einem jungen Menschen gesucht wird. Gerüchte behaupten, mit dem Echsenmann sei Zzorg gemeint. Alle, die ihn von früher kennen, wissen, dass er niemals ein Verbrechen begehen würde. Wir hoffen, dieser Irrtum klärt sich schnell auf. Dann können wir vielleicht bald schon Zzorg und Rall in den Mauern unserer Stadt willkommen heißen!“
„Beeindruckend, nicht wahr?“, brach Elkmar schließlich Macays Schweigen.
„Ja, wirklich. Was ist, wenn das mit dem Steckbrief kein Irrtum ist und der Bürgermeister wirklich Zzorg verhaften will?“
„Eine schwierige Situation. Es gibt Neubürger in der Stadt, die weder Zzorg noch Rall von früher kennen, und es gibt Alteingesessene, die den Versprechen des Kaisers glauben und bereit sind, für seine Elixiere auch ihre Freunde zu verraten. Aber Zzorg und Rall sind bewährte Kämpen, denen wird sicherlich etwas einfallen, sollten sie von den Häschern des Bürgermeisters gestellt werden.“
„Im Steckbrief war nur von einem Echsenmann und einem Menschen die Rede ...“ Macay unterbrach sich und überlegte, wie er seine Gedanken möglichst unverfänglich formulierte, bevor er fortfuhr. „... wo ist dann Rall?“
„Ich verstehe, was du meinst.“ Elkmar machte ein ernstes Gesicht. „Das könnte darauf hindeuten, dass Rall bereits im Gewahrsam des Bürgermeisters ist, nicht wahr? Oder möglicherweise sogar tot. Eine schlimme Situation. Sehr schlimm. Man sollte wirklich Erkundigungen einziehen. Weißt du, in so einer Stadt bleibt normalerweise nichts geheim. Aber seit der Bürgermeister mit seiner Clique die Herrschaft übernommen hat, dringen immer weniger Gerüchte aus seinem inneren Zirkel an mein Ohr.“
„Vielleicht können Sie einen Artikel schreiben, in dem sie fragen, ob jemand Rall in der Stadt gesehen hat?“, schlug Macay vor.
„Ich glaube, diese Ausgabe des ‚Stadtboten‘ wird schon genug Bewegung in die Stadt bringen. Die Bürger werden über die Ereignisse in Eszger diskutieren, und wenn man da ein offenes Ohr hat, fällt bestimmt die eine oder andere Bemerkung ab, die für uns interessant sein könnte.“
„Für uns?“, fragte Macay überrascht.
„Ja, schließlich bist du jetzt mein Helfer. Ich rede natürlich von Informationen, die für die Zeitung wichtig sind.“
„Ach, so.“