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Der Weg nach Heimstadt

Am folgenden Tag ließ das gute Wetter sie im Stich. Eine alles durchdringende Feuchtigkeit nieselte vom Himmel. Im Laufe des Vormittags frischte der Wind auf. Immer dunklere Wolken erschienen am Horizont.

„Kein Problem hier auf dem Wasser“, erklärte Rall. „Wir haben keine Segel und der Fluss wird nie so vom Sturm aufgewühlt, dass man mit dem Floß nicht mehr fahren kann.“

„Wir werden sehen“, sagte Zzorg düster.

Macay sah ihn verwundert an. Doch Zzorg sagte nichts mehr. Er saß am Rand des Floßes und starrte das vorübergleitende Ufer an.

„Wir fahren jetzt in einen dichten Wald“, fuhr Rall fort. „Morgen erreichen wir fettes Weideland, wo Bauern ihre Höfe haben. Sie züchten Vieh, wenn auch nur in kleinen Stückzahlen, um nicht Raubtiere anzulocken.“

„Grellvögel, zum Beispiel.“

„Ja. Eine Rinderherde wäre ein gefundenes Fressen für sie. Aber Schafe, die über eine große Fläche verteilt weiden, oder einzelne Rinder locken sie nicht von ihren Felseninseln so weit aufs Festland. Die Bauern versorgen Heimstadt, wo viele Handwerker leben, und die Bergbausiedlungen im Gebirge. Es funktioniert ganz gut, die Gegend ist wohlhabend. Die Stadt beliefert den ganzen Kontinent mit Metallwaren. Es ist übrigens die einzige große Stadt auf dem Kontinent, alles andere sind Dörfer und kleinere Siedlungen. Nur die karolische Hafenstadt Port Hadlan kommt ihr an Größe nahe.“

Der Wind wurde zum Sturm und brachte erst heftigen Regen, dann Hagel mit sich. Ein Gewitter gesellte sich dazu, wütete aber weiter nördlich. Die drei Passagiere auf dem Floß krochen noch einmal unter die Decke, die sie vor den Grellvögeln geschützt hatte. Der Flößer blieb unbeirrt auf seinem Platz. Macay hatte sich inzwischen an den strengen Geruch der Ratten so gewöhnt, dass er ihn gar nicht mehr bewusst wahrnahm. Er fand es gemütlich unter der Decke, wo er warm und trocken lag und spürte, wie die Hagelkörner, die zum Glück nicht groß waren, auf seinen Rücken trommelten.

Ein lautes Krachen ließ ihn dann aber hochfahren und die Decke von sich werfen. Nicht weit vor dem Floß war ein großer Baum umgestürzt und quer über den Fluss gefallen. Der Baum reichte zwar nicht bis ans andere Ufer, versperrte aber doch dem Floß den Weg.

„Wurde er vom Blitz getroffen?“, schrie Rall gegen den Wind in Richtung Flößer.

Der zischte etwas und ließ sein Floß von der Strömung ein Stück weit von dem Hindernis wegtreiben, bevor er es zum Stillstand brachte.

„Was nun?“, fragte Macay. „Kann man die Ratten einfach am Ufer entlang marschieren lassen?“

„Im Notfall: ja. Aber die Wege an Land sind nicht so breit wie das Floß, man muss die Ratten also losbinden und sie alle an einem langen Seil befestigen, damit sie nicht abhauen. Das dauert einen halben Tag, mindestens. Aber der Zeitverzug ist nicht die eigentliche Gefahr.“

„Was sonst?“

„Wenn der Sturm so stark ist, dass er Bäume in den Fluss stürzen lässt, dann müssen wir mit Treibgut rechnen. Und ein Baumstamm, der uns in der Flut entgegen kommt, kann das halbe Floß totschlagen. Ich bin gespannt, was der Flößer nun unternimmt.“

Der stand jedoch zunächst nur da und starrte unter seiner Kapuze hervor auf den Fluss und das Hindernis. Dann drehte er sich plötzlich um. Zum ersten Mal sah Macay das entstellte Echsengesicht im Schatten der Kapuze, als der Flößer laut „Runter!“ brüllte und sich flach auf das Floß fallen ließ.

Macay starrte verwundert den zu seinen Füßen liegenden Flößer an, als direkt neben ihm ein Pfeil in den Rücken einer der Ratten fuhr. Macay ließ sich ebenfalls fallen, während Rall in die Knie ging und seinen Bogen spannte. Doch Rall sah kein Ziel im Blätterwerk des umgestürzten Baumes. Zzorg blieb aufrecht stehen und ließ einen Feuerball auf die Baumkrone über dem Fluss los, in der sich der Bogenschütze offenbar versteckt hatte. Ein Pfeil zischte haarscharf an ihm vorbei. Das Feuer, das in der Baumkrone für einen Moment hell aufloderte, wurde schnell erstickt. Die Blätter waren nass, und den Rest erledigte der Regen, der nun den Hagel wieder abgelöst hatte.

Das Floß trieb mit der Strömung weg von der gefährlichen Stelle, als es von einem weiteren Pfeil getroffen wurde. Diesmal starb eines der beiden Leittiere, auf deren Rücken der Flößer sonst stand. Das löste unter den Ratten Panik aus und führte zu unkontrollierten Bewegungen, die das Floß rotieren ließen. Rall konnte nicht mehr zielen.

Dann war das Floß außer Schussweite. Der Flößer stand auf und nahm seine Position an der Spitze wieder ein, wobei er jedoch nur einen Fuß auf die noch lebende Leitratte stellte, den anderen auf dem Floß ließ. In dieser Spreizstellung gelang es ihm, das Floß ans nördliche Ufer des Flusses zu dirigieren, wo es liegenblieb.

Er zischte laut und erregt, während er die tote Leitratte untersuchte. Wütend schnitt er sie los und warf ihren Kadaver an Land. Dann fauchte er Zzorg an, ohne darauf zu achten, dass der sein Gesicht sehen konnte, und marschierte in den Wald hinein.

„Er will die Ratte rächen“, übersetzte Zzorg verblüfft. „Wir müssen ihm folgen. Alleine rennt er in sein Unglück. Wir wissen ja nicht einmal, wer es da auf uns abgesehen hat.“

„Die Kaiserlichen, wer sonst“, sagte Macay. Er zog das Schwert aus der Scheide, nahm seinen Rucksack vom Floß und war bereit, dem Flößer zu folgen.

Nach kurzem Zögern taten es ihm Rall und Zzorg nach. Gemeinsam gingen sie hinter dem Flößer her durch den ufernahen Wald nach Westen zu dem umgestürzten Baum.

Es war ein kurzer Marsch, wobei der Flößer keinerlei Vorsicht walten ließ. Der Tod der Ratte hatte ihn so in Rage versetzt, dass ihm alles egal war. Er bahnte sich den Weg durch das Unterholz des Waldes, bis der gestürzte Baum zu sehen war. Dann blieb er stehen.

Der Baum war nicht vom Sturm umgeworfen, sondern gefällt worden. Jemand hatte mit einer Axt den mächtigen Stamm fachkundig und präzise umgehauen und genau über den Fluss fallenlassen. Ängstlich sah Macay sich um. Er erwartete, jeden Moment einen Trupp kaiserlicher Soldaten aus dem Dunkel des Waldes kommen zu sehen. Aber es blieb alles ruhig.

Der Flößer ging weiter auf den Baum zu und kletterte auf den umgefallenen Stamm. Kaum stand er dort, kam ein Pfeil aus der Baumkrone, die vor ihm über dem Fluss hing. Der Pfeil durchschlug glatt die Brust des Flößers und warf ihn auf den Rücken. Im nächsten Moment kam auch schon der nächste Pfeil, der Macay streifte, aber zum Glück an seiner kräftigen Lederrüstung abglitt. Nun schoss auch Rall Pfeile ab und Zzorg ließ einen weiteren Feuerball los. Macay ging in Deckung. Er hatte keine Fernwaffe und konnte folglich bei diesem Kampf nicht helfen.

Weitere Pfeile kamen aus dem Blattwerk mitten im Fluss, aber der Abstand, in dem sie aufeinanderfolgten, ließ darauf schließen, dass es sich nur um einen Schützen handelte. Zzorg und Rall kletterten nun ebenfalls auf den Stamm, nachdem Zzorg noch einmal einen Feuerball abgeschossen hatte.

Doch der scheinbar tödlich getroffene Flößer kam ihnen zuvor. Er stand auf, riss sich den Pfeil aus der Brust und sprang in einem Riesensatz den Baumstamm entlang zum Versteck des Bogenschützen.

Bevor Zzorg und Rall ihm folgen konnten, ertönte ein markerschütternder Schrei. Ein Körper fiel vom Baum herunter und klatschte in die Fluten des Pil.

Der Flößer kam zurück, blutend und schwankend, aber offenbar zufrieden mit seiner Tat. Wortlos ging er an Zzorg und Rall vorbei, kletterte mühsam von dem umgestürzten Baumstamm herunter und wankte davon. Seine drei Passagiere folgten ihm.

An der Anlegestelle des Floßes angekommen, grub der Flößer mit bloßen Händen ein Loch in den Waldboden, in den er den Kadaver der großen Ratte bettete. Dann schüttet er das Loch zu und streute ein paar Blätter darüber, die er von den herunterhängenden Ästen der Bäume abriss.

Mit zischenden Lauten sagte er etwas zu Zzorg, der sich abwandte, um das Gesicht des Geächteten nicht noch einmal zu sehen. „Er kann ohne zweites Leittier nicht weiterfahren. Er wird hier in der Nähe einen Unterschlupf bauen und versuchen, ein neues Paar Leittiere zu fangen. Das kann mehrere Tage dauern.“

„Sag ihm, wir bedauern den Tod der Ratte“, sagte Rall. „Ich will versuchen, ihm bei seinen Wunden zu helfen.“

Der Flößer schüttelte energisch den Kopf. „Heiler kann nicht helfen“, zischte er kaum verständlich in Menschensprache. „Wunden verschwinden bald. Weg frei, geht zu Fuß weiter.“

„Was soll das heißen, Weg frei?“

Diesmal antwortete der Flößer wieder in der Sprache der Echsen und Zzorg musste übersetzten: „Es war nur ein Mann, der uns aufgelauert hat. Ein gefährlicher Mann, zumindest für uns.“

„Wer soll das gewesen sein?“, fragte Macay. „Ein einzelner Mann, der einen Baum fällt, um uns in einen Hinterhalt zu locken. Wer ist so verrückt?“

Rall schlug sich an die Stirn. „Ein zweiter Kopfgeldjäger! Wir haben einen im Dschungel erledigt, aber ein zweiter scheint uns bis hierher gefolgt zu sein. Dann hat er uns überholt, vielleicht mit einem Pferd, und diese Falle gebaut.“

„Das kann sein“, gab Macay zu. „Aber das muss schon ein verdammt zäher Jäger sein, der uns so lange nicht aus den Augen lässt.“

„Du scheinst eine wertvolle Beute zu sein, mein Junge“, erwiderte Rall.

Sie überprüften ihr Gepäck und machten sich bereit zum Abmarsch Richtung Westen. Als sie sich von dem Flößer verabschieden wollten, war der zwischen den Bäumen verschwunden und blieb unauffindbar.

„Was ist denn nun wieder in ihn gefahren?“, wollte Macay von Zzorg wissen.

Zzorg lachte: „Die Geldgier. Er fürchtet, dass wir einen Teil des Goldes zurückverlangen, weil er uns nicht ganz bis nach Heimstadt gebracht hat.“

„Da hat er nicht Unrecht“, sagte Rall. „Aber wir haben nicht die Zeit, nach ihm zu suchen. Gehen wir los.“

Nach zwei Tagen lichtete sich der Wald und das Wetter wurde besser. Bei gelegentlichem Sonnenschein erreichten sie die Weidegründe östlich von Heimstadt.

„Noch zwei weitere Tagesreisen“, erklärte Rall, „dann sind wir in der Stadt. Von hier aus ist das Wandern kein Problem mehr. Es gibt Bauernhöfe, in denen man übernachten kann, und die Wege sind eben und führen geradewegs zu unserem Ziel.“

Am späten Nachmittag sahen sie die ersten Getreidefelder. Die Straße, der sie folgten, war von Obstbäumen gesäumt. In der Ferne ragte eine große Scheune in die Höhe, die zu einem Bauernhof gehören musste. Dorthin wandten sie sich.

Pünktlich bei Sonnenuntergang erreichten sie den Hof. Hunde kamen ihnen bellend entgegen, ließen sich aber schnell überzeugen, dass ihre Besucher keine Gefahr darstellten.

Der Bauernhof bestand aus einem halben Dutzend Gebäuden, die im Kreis um einen Platz standen. Es waren Lagerschuppen, Scheunen und zwei Wohnhäuser, wie das Licht hinter deren Fenstern zeigte.

Das Bellen der Hunde hatte die Leute vorgewarnt. Sie traten aus der Tür, um zu sehen, wer da kam. Sie hielten Knüppel und Mistgabeln in den Händen. Dass sie bewaffnet waren, verwunderte Macay nicht, denn in dieser zwar schönen, aber gefährlichen Umwelt musste man wohl immer mit dem Schlimmsten rechnen. Doch auch ihre Mienen waren feindselig.

Einer hatte sogar ein rostiges Schwert, offenbar war er der Besitzer des Hofes. „Verschwindet!“, schrie er. „Wir wollen mit euch Gesindel nichts zu tun haben.“

„Wir sind harmlose Reisende ...“, begann Rall, wurde aber von einem jungen Knecht unterbrochen, der nach vorne stürmte und versuchte, den Katzer mit seiner Mistgabel aufzuspießen. Rall wich geschickt aus. „Was soll das?“, fragte er. „Wir haben euch doch nichts getan.“

„Man hat uns vor euch gewarnt“, sagte der Bauer. „Glaubt nicht, wir wären wehrlos. Zieht eures Weges und wir werden euch in Ruhe lassen. Wir sind weder hinter der Belohnung her, noch haben wir vor, euch an den Bürgermeister zu verraten. Aber wenn ihr nicht gleich weg seid, dann ist es eure eigene Schuld.“

„Belohnung? An den Bürgermeister verraten?“, fragte Rall. „Verratet doch uns erst einmal, worum es hier geht?“

Die Bauersleute hatten genug vom Reden, sie stürmten mit ihren Waffen los. Macay zog sein Schwert und war bereit, sein Leben zu verteidigen, doch Rall rief: „Nein! Wir verschwinden.“

Sie rannten davon, bis sie mit einem Blick über die Schultern sahen, dass ihnen die Menschen aus dem Hof nicht mehr folgten.

„Wir haben es nicht nötig, ein paar Bauern umzubringen, die uns mit Tagedieben verwechseln“, erklärte Rall. „Pech gehabt. Suchen wir uns einen gemütlichen Platz zum Übernachten. Dort drüben steht ein Heuschober.“

Das windschiefe Holzgebäude war gut eine Viertelstunde Gehweg entfernt und wurde genutzt, um Stroh als Zufütterung für die Weidetiere zu lagern. Hier machten sie es sich bequem und aßen von ihren Vorräten und dem Obst, das sie unterwegs gepflückt hatten.

Die Sonne war fast untergegangen, als ein Geräusch sie hochschreckte. Aus einer dunklen Ecke der Scheune kam ein Katzer hervor, der gleich die Hände hob. „Ich bin unbewaffnet“, sagte er.

Macay musterte den Unbekannten. Es war ein hagerer Kerl mit einem vermutlich durch einen Unfall gekappten Schwanz. Er trug die einfache Bekleidung eines Erntehelfers: Latzhose und Hemd, beides ziemlich löcherig.

„Mein Name ist Micka“, fuhr der Katzer fort. „Ich arbeite drüben auf dem Menschenhof. Wenn sie mich lassen, jedenfalls. Diese Leute sind nicht sehr nett zu einem, erst recht, wenn man ein Katzer ist.“

„Das haben wir bemerkt“, sagte Rall. „Was willst du?“

„Ich glaube, ihr seid Leute ganz nach meinem Herzen“, antwortete Micka und kam näher. „Es ist eine Belohnung auf euren Kopf ausgesetzt. Ich darf mir gegenüber diesen fetten Bauern nichts erlauben, nicht einmal eine freche Antwort, ohne meine Arbeit zu verlieren. Aber sie sollen mich nicht umsonst jahrelang gedemütigt haben.“

„Eine Belohnung? Wer und weshalb?“, fragte Rall, ohne auf Mickas Begründung einzugehen.

„Wer? Die Kaiserlichen. Weshalb? Ihr sollt ihnen etwas Wertvolles gestohlen haben und nun euren Beutezug durch das Inland fortsetzen.“

„Die Kaiserlichen!“, riefen Rall und Macay gleichzeitig.

Zzorg zischte aggressiv: „Seit wann haben die Kaiserlichen im Innern des Nebelkontinents etwas zu sagen?“

„Ihr scheint lange nicht mehr hier gewesen zu sein.“

Rall gab das durch ein Nicken zu. Er war Gefangener im Arbeitslager der Kaiserlichen gewesen und Zzorg hatte weit im Süden bei seinen Artgenossen gelebt.

„Der Kaiser hat einen Boten nach Heimstadt geschickt. Er ist an den Erzen aus dem Gebirge und den Handelswaren interessiert, die in der Stadt hergestellt werden.“

„Und die Menschen von Heimstadt sind bereit, sich für Gold an ihn zu verkaufen?“

„Nicht nur für Gold. Für ein Elixier seines Hofalchimisten.“

„Ein Zaubertrank? Wie lächerlich. Was soll er bewirken? Neuen Haarwuchs, Unsterblichkeit oder Glück in der Liebe?“, höhnte Rall.

„Kindersegen“, antwortete Micka schlicht. „Die Kaiserlichen behaupten, sie hätten ein Mittel gegen die Unfruchtbarkeit vieler Menschen auf dem Nebelkontinent gefunden. Sie sind bereit, es uns zu geben, fordern als Gegenleistung aber Handelsbeziehungen zu schlechten Konditionen und Zusammenarbeit auf allen Gebieten.“

„Und die Menschen von Heimstadt sind dazu bereit?“

„Sie haben den alten Bürgermeister, der dagegen war, abgesetzt und den fetten Daniel Dickmann gewählt. Er tut alles, was die Kaiserlichen von ihm verlangen, weil er seit fünf Jahren verheiratet ist und seine Frau noch kein Kind bekommen hat.“

„Und er glaubt, ein Wässerchen vom Kaiser kann das beheben. So ein Dummkopf! Die geringe Kinderzahl gehört zum Nebelkontinent wie die Steinfresser und die Sümpfe entlang der Küste!“

„Der Kaiser hat als Beweis einige Proben überbringen lassen. Sie haben gewirkt, bei Menschen, Katzern und Echsern.“

„Heimstadt hat sich also an des Kaisers Rockzipfel gehängt“, fasste Rall zusammen. „Das ist in der Tat nicht gut für uns. Wir werden die Stadt meiden. Das ist zwar lästig und mit einem Umweg verbunden, aber es wird gehen.“

„Ich empfehle euch, nach Süden auszuweichen“, sagte Micka. „Im Norden von Heimstadt sollen sich kaiserliche Stoßtrupps befinden, die euch auflauern. Wenn ihr dem Weg folgt, der eine halbe Tagesreise von hier nach Süden abzweigt, seid ihr ziemlich sicher. Ihr könnt die Weggabelung nicht verfehlen. Dort steht ein großer Baum, dessen Stamm um einen Felsen herumgewachsen ist.“

„Ich kenne die Stelle“, sagte Rall. „Vielen Dank für deine Hilfe.“

„Gern geschehen. Viel Glück!“ Micka winkte ihnen zu und verschwand im Dunkel der Scheune.

Misstrauisch ging Macay vor die Tür und sah sich um. Er entdeckte Micka, der in nördlicher Richtung davon ging. „Glauben wir ihm?“, fragte er, als er wieder bei Rall und Zzorg war.

„Das Verhalten der Bauern beweist, dass seine Geschichte stimmt“, antwortete Rall. „Wir gehen morgen erst einmal nach Süden. Vielleicht treffen wir unterwegs noch jemanden, der uns berichtet, was Sache ist. Ansonsten gilt, was ich zu Micka gesagt habe: Wir müssen nicht nach Heimstadt hinein. Es wäre zwar besser, wenn wir vor dem Weg über das Gebirge Vorräte und Ausrüstung kaufen, aber es muss nicht sein.“

„Wir haben kein Geld“, warf Zzorg ein. „Wir könnten sowieso nichts kaufen.“

„Ich kenne ein paar Leute in Heimstadt, die mir Geld leihen würden. Aber wie gesagt: Wenn es sicherer ist, die Stadt zu meiden, dann tun wir es.“

Sie machten es sich bequem für die Nacht. Macay übernahm die erste Wache und wurde später von Zzorg abgelöst. Am frühen Morgen weckte ihn dann Rall.

„Wir müssen verschwinden“, sagte der Katzmensch. „Die Bauern kommen auf die Felder. Los, greif deinen Rucksack und dann weg hier.“

Da überall auf den Feldern gearbeitet wurde, stellte es sich auf die Dauer als schwierig heraus, die Begegnung mit Bauern und Knechten zu vermeiden. Zwei Mal versuchten Menschen, hinter ihnen herzurennen und sie einzufangen. Macay, Rall und Zzorg hätten sich leicht wehren können, aber sie zogen es vor, die Flucht zu ergreifen und niemanden zu verletzten.

So gelangten sie zu der Weggabelung südlich von Heimstadt, die ihnen Micka beschrieben hatte. Ein großer alter Baum stand hier. Knapp über dem Erdboden war sein Stamm um einen Felsblock herumgewachsen.

„Die Leute in der Gegend behaupten, der Felsen sei ein Meteor, der vor vielen Jahrzehnten vom Himmel fiel und den Stamm des damals jungen Baumes spaltete“, erzählte Rall. „Andere sagen, der Baum habe den Felsen beim Wachsen aus der Erde hochgedrückt.“

Egal, welche Erklärung stimmte, der Baum galt als etwas Besonderes. Wanderer, die hier vorbei kamen, ritzten ihre Namen in seine Rinde oder kritzelten ihn auf den Felsen. Das galt als gutes Omen für die weitere Reise.

Sie machten kurz Rast. Niemand störte sie. Nur in der Ferne sahen sie einen Wagen, der von einem Esel gezogen wurde, dann aber vom Weg abbog. Sie machten sich keine Gedanken darüber, sondern aßen, ruhten sich aus und folgten, nachdem die Sonne untergegangen war, dem Weg nach Süden, der sie um Heimstadt herum durch die Ausläufer des Alten Waldes zum Gebirge führen sollte.

Sie kamen nicht weit. Als sie zu einer Biegung des Weges gelangten, wo sie nicht erkennen konnten, was vor ihnen lag, fiel ein Netz aus den Bäumen. Sie verhedderten sich darin. Bevor sie sich mit ihren Waffen freischneiden konnten, waren die Feinde über ihnen.

Es war ein kurzer, heftiger Kampf, bei dem es Verletzte nur auf Seiten der Angreifer gab. Offenbar wollten sie ihre Opfer lebend haben und versuchten sie deshalb zu schonen. Auch waren sie unerfahren im Kampf, also keinesfalls kaiserliche Soldaten. Doch ihre schiere Überzahl verschaffte ihnen einen entscheidenden Vorteil. Sie schafften es gleich in den ersten Sekunden, Rall bewusstlos zu schlagen.

Macay bekam einen Hieb auf den Kopf, der ihn taumeln ließ, aber er hatte Glück und entging dadurch den nachfolgenden Schlägen. Es gelang ihm, sich die Gegner mit seinem Kurzschwert vom Leib zu halten. Zzorg konnte seine Feuerkünste nicht anwenden, er und Macay wären selbst verbrannt. Doch seine Körperstärke reichte aus, um das Netz zu zerfetzen.

Während Zzorg und Macay sich wehrten, trugen Männer den bewusstlosen Rall weg.

Die Angreifer sammelten sich schließlich zu einem geordneten Rückzug, wobei sie sich gegenseitig deckten und zu einem zweirädrigen Karren gingen, auf dem Rall lag. Der Karren wurde von einem Esel davon gezogen. Zzorg wagte es nicht, dem abziehenden Feind einen Feuerball nachzuschicken, weil er befürchtete, dadurch auch Rall zu verletzen.

Zzorg und Macay blieben alleine an der Wegbiegung zurück, umgeben von fallengelassenen Waffen und Ausrüstungsgegenständen ihrer Gegner und den Resten des Netzes, mit dem man sie übertölpelt hatte. Sie hatten gesiegt, aber Rall war gefangen.

„Weg hier, bevor Verstärkung kommt“, sagte Zzorg, nachdem er die Gegenstände auf dem Boden untersucht und nichts davon für verwertbar erachtet hatte. Immerhin fand er Ralls Rucksack, den der während des Angriffs fallengelassen hatte.

„Aber wir müssen doch herausfinden, wohin sie Rall bringen“, wandte Macay ein.

„Nach Heimstadt, wohin sonst. Wir werden dem Wagen nicht folgen, sonst laufen wir in die nächste Falle.“

Macay gab widerwillig zu, dass Zzorg recht hatte. Sie verließen den Weg und gingen tief in den Wald hinein, wobei sie darauf achteten, so wenige Spuren wie möglich zu hinterlassen. In einem Versteck ruhten sie sich aus bis zum nächsten Morgen.

Es war beiden klar, dass sie Rall so schnell wie möglich aus den Händen der Heimstädter befreien mussten. Die würden ihn den Kaiserlichen übergeben, und dann war das günstigste, was Rall zustoßen konnte, eine weitere Verbannung in die Lassach-Arbeitslager an der Küste. Andererseits waren die Menschen in Heimstadt sicherlich auf einen Befreiungsversuch vorbereitet. Wie also sollten sie Rall befreien, ohne selbst in Gefangenschaft zu geraten?

„Sie warten auf uns“, sagte Zzorg, als sie ihre weiteren Pläne besprachen. „Wenn ein Echser und ein junger Mensch in die Stadt kommen, wird man sie sofort gefangen nehmen.“

„Dann werde ich alleine gehen. Ein Menschenjunge wird in einer großen Stadt nicht auffallen. Jedenfalls nicht, wenn ich es geschickt anstelle. Ich spioniere die Stadt aus und stelle fest, wo Rall gefangengehalten wird. Dann komme ich zurück und wir beraten über die Möglichkeiten, ihn zu befreien.“

„Das geht nicht“, behauptete Zzorg. „Du bist kein Einheimischer, das werden die Leute sofort merken.“

„Dann gebe ich mich als Bauernjunge aus, der zum ersten Mal in die Stadt darf. Vielleicht um am Markt teilzunehmen, vielleicht um etwas zu besorgen.“

„Gut. Achte darauf, nichts Verräterisches zu sagen, also rede möglichst wenig“, riet Zzorg. „Hör dich um. Deine Waffen und die andere Ausrüstung musst du hier lassen.“

„Und Geld?“

„Wir haben keines. Schau zu, wie du in der Stadt ohne Geld zurechtkommst.“

„Das konnte ich in Mersellen auch ganz gut“, sagte Macay selbstbewusst. „Aber es macht die Sache gefährlicher.“

„Uns bleibt keine Wahl. Wir gehen um die Stadt herum. Dabei bleiben wir im Wald, damit uns keiner sieht. Dann näherst du dich von Westen und siehst zu, wie du nach Heimstadt hineinkommst.“

Bedauernd ließ Macay seine gesamte Ausrüstung in dem Versteck zurück. Während sie um die Stadt herumgingen, erzählte Zzorg, was er von Heimstadt wusste:

Heimstadt wurde von etwa zweitausend Menschen und vielleicht hundert Echsern und Katzern bewohnt. Es war eine Stadt des Handwerks und des Handels, die größte auf dem Nebelkontinent. Erz kam vom Gebirge, andere Rohstoffe aus dem Umland und aus Port Hadlan. Hier stellte man daraus her, was man zum Leben benötigte. Waffen, Werkzeuge, Stoffe, Gefäße, Salben und Tinkturen, Schmuck, einfach alles. Die Stadt wurde von einem Bürgermeister regiert, den alle fünf Jahre Wahlmänner der verschiedenen Handwerksgilden wählten. Heimstadt hielt sich eine Stadtwehr zur Bewachung der Tore, aber keine Armee.

Die Stadt galt als sehr wehrhaft, weil die Bürger bei Gefahr selbst zu den Waffen griffen - und sie hatten die besten Waffen, denn sie stellten sie ja her. Da außerdem ein Brunnen innerhalb der Stadtmauern ausreichend Wasser für die ganze Bevölkerung lieferte und wegen des regen Handels immer genügend Waren vorhanden waren, um auch eine längere Belagerung überstehen zu können, galt Heimstadt als der sicherste Ort auf dem Nebelkontinent.

Wegen der Vielzahl von angepassten Bewohnern, die vom Nebelkontinent geduldet wurden, konnten in Heimstadt auch solche Menschen überleben, die ansonsten von der Natur unbarmherzig angegriffen wurden. Das war gut für Macay, denn er brauchte sich innerhalb der Stadtmauern keine Sorgen zu machen. Andererseits war anzunehmen, dass auch der Kaiser das zu schätzen wusste. Vermutlich hatte er Spione und Aufrührer in die Stadt eingeschleust.

„Grundsätzlich gilt: Du kannst in Heimstadt eher den Echsern und Katzern trauen, als den Menschen“, sagte Zzorg abschließend.

„Meinst du wirklich? Es war ein Katzmensch, Micka, der uns in diese Falle gelockt hat“, gab Macay zu bedenken. „Ich glaube, es ist wie in Mersellen: Man kann nur denjenigen trauen, die man genau kennt.“

„Wie du meinst. Wir sind da. Dort drüben ist das Westtor. Wir haben Glück, es herrscht ziemlich viel Betrieb. Vielleicht ist heute Markttag.“

Aus einem Gebüsch heraus beobachteten sie den Weg, der zum steinernen Stadttor führte. Tatsächlich kamen sehr viele Menschen, die in die Stadt wollten. Die meisten trugen Bündel oder Säcke bei sich. Es waren Kleinbauern, die einen Teil ihrer Ernte zum Markt brachten. Es gab aber auch große Wagen, deren Ladung durch Decken geschützt war. Sie wurden von Eseln, teilweise sogar Pferden, gezogen.

„Erztransporte aus dem Gebirge“, erklärte Zzorg leise. „Am besten, du wartest, bis eine größere Gruppe Menschen vorbeikommt, und schließt dich ihnen an.“

Die Stadtmauern von Heimstadt beeindruckten Macay, sie hatten etwas sehr Fremdes an sich. Andererseits war er ein Stadtkind, er würde innerhalb dieser Mauern wesentlich besser zurechtkommen, als in der freien Natur.

„Denk immer daran: Du kannst dich auf dem Nebelkontinent nicht alleine bewegen“, ermahnte Zzorg ihn zum Abschied. „Du solltest möglichst nicht weiter als fünfzig Schritte aus der Stadt heraus gehen, hast du das verstanden? Das ist ein Erfahrungswert, den ich aus früheren Gesprächen mit Einwohnern von Heimstadt und anderen Leuten habe. Merke dir diese Stelle. Hierher kommst du morgen zurück, spätestens übermorgen. Egal was passiert, verstanden? Gut. Dann geht jetzt.“

Macay ging ein Stück die Straße entlang, bis er einen Eselskarren kommen sah, der von einer Gruppe Menschen begleitet wurde. Offenbar ein Bauer und seine Knechte. Der Bauer stolzierte vorneweg und führte den Esel an einem Strick, die Knechte gingen neben und hinter ihm her. Sie schleppten Säcke, die auf dem Karren keinen Platz gefunden hatten.

Wenn er sich mit leeren Händen dieser Gruppe anschloss, würde Macay auffallen. Er sah sich um. Am Straßenrand wuchsen Bäume, die kleine, rötliche Äpfel trugen. Einige waren schon heruntergefallen und lagen im Gras. Macay zog sein Hemd aus, schlang daraus einen einfachen Beutel, sammelte ein paar der Früchte auf und legte sie hinein. Mit schnellen Schritten folgte er dann der Gruppe, die ihn nicht beachtete.

So erreichten sie das Stadttor. Dort standen Wachen, die alle Kommenden scharf musterten. Macay schloss zu den Knechten auf, als wäre er einer von ihnen. Er wusste aus seinen Erfahrungen in Mersellen, dass Wachmänner vor allem auf eines achteten: Leute mit schuldbewusstem Gesichtsausdruck, die ihrem Blick auswichen.

Damit konnte Macay umgehen. Was in Mersellen richtig war, musste auch hier wirken: Ein freches Grinsen ins Gesicht und den Wachen auffordernd in die Augen sehen. Schon wurde man als gewöhnlicher Lümmel vom Lande eingeschätzt und durchgelassen.

Es klappte. Die Wachen warfen nur einen Blick auf den halbnackten Jungen, der sie provozierend angrinste. Dann war Macay auch schon durch und befand sich in den Straßen von Heimstadt.

Macay-Saga 1-3

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