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Krieg: Kindlicher Mob

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»Nänänänänänä du hast keine Freunde!«, sagen die anderen Kinder.

Ich möchte rufen: »Nänänänänänä ihr seid nicht alleine!«

Ich laufe so schnell ich kann. Eine Gruppe von Neunjährigen hat es auf mich abgesehen. Normalerweise gehe ich nur noch raus, wenn es nicht anders geht. Heute ist mal wieder so ein Tag, wo ich raus musste, sonst wäre ich nicht so blöd mich dieser Gefahr auszusetzen.

Der Anführer schreit: »Da ist diese arrogante Sau!«

Ich muss das Gerede des kindlichen Mobs zensiert wiedergeben. Die Ausdrucksweise selbst von Kleinkindern ist viel schlimmer als Erwachsene sich eingestehen wollen. Ich verwende keine Schimpfwörter, weil es mir egal ist, dass man dafür von Gleichaltrigen bewundert wird. Ich empfehle Eltern, die ihr Kind soziophob erziehen wollen, ein Fluchglas, in das man für jedes Schimpfwort viel Geld zum Beispiel 50 Cent einbezahlen muss. Wahrscheinlich werden ihre Kinder, dann weniger von Gleichaltrigen bewundert, weil sie weniger Schimpfwörter kennen. Möglicherweise hat mich die Erteilung ähnlicher Ratschläge an andere Kinder in diese Lage gebracht.

Ich laufe also so schnell ich kann und sehr schnell ist das nicht, obwohl ich diese Hetzjagden durchaus gewöhnt bin.

Hinter mir schallt es: »Anders als wir! Anders als wir! Dreschen wir die Doofheit aus diesem Scheiß Hirn!«

Also wie bereits gesagt. Trotz meiner Zensur, klingt es leider noch ziemlich derb, weil ich den Sinn und das Gefühl ansonsten nicht gut wiedergeben könnte.

Für ein vorpubertäres Kind ist es nicht sehr hilfreich, anders zu sein. Ich hatte eigentlich lange Glück. Soziophobie gehört zu den Abnormitäten, die Kindern erst sehr spät auffallen. Aber wenn es erst mal aufgefallen ist, dann befindest du dich in einem dauerhaften Krieg. Kinder sind viel grausamer als Erwachsene, denn sie kennen keine Genfer Konvention. Aber auch Erwachsene sind keine große Hilfe in so einem Krieg, weil sie den Fehler immer bei mir suchen. Wer abweicht, muss damit leben verachtet und gejagt zu werden. Ich gebe mir allerdings auch keine besondere Mühe zu verbergen, was ich von den Menschen halte. Mit jeder Faser meines Körpers strahle ich Anderssein aus. Vielleicht riechen sie sogar, wie sehr mir Kontakt zu anderen Menschen zuwider ist. Nur Worte der Verachtung habe ich den anderen gegenüber nie geäußert.

Aber was denke ich? Ich denke, dass sie nicht Mal den Wert des Drecks zwischen den Zehen besitzen. Also damit meine ich ihre Zehen. Meine Zehen duften nach einer frischen Blumenwiese, die nur aus den edelsten und wohlriechendsten Gewächsen besteht, die die Erde zu bieten hat und alle Menschen frohlockten, wenn sie daran riechen dürften. Was kann ich dafür, wenn ich so denke?

Es ruft von hinten: »Wisst ihr, was die Sau denkt? Die denkt, wir sind weniger Wert als der Dreck zwischen unseren Zehen und dass wir es gut finden würden, wenn wir an ihren Füßen riechen dürfen, die nach frischer Blumenwiese duften.«

Hört, hört, die wissen zumindest fast, was ich denke. Ich hab zwar nicht »gut finden«, sondern »frohlocken« gedacht, aber im Großen und Ganzen, können sie meine Gedanken lesen. Verdammt, warum tun sie das, können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich lese doch ihre Gedanken auch nicht. Sie sind mir doch auch egal, warum brauchen die mich für ihre perversen sozialen Strukturen aus Feinden und Freunden?

Ich laufe also weiter, obwohl es sinnlos ist zu laufen. Einige von den Kindern sind schneller und werden mich früher oder später einholen.

»Gleich haben wir dir du Psycho!«

Dazu kommt leider meine Neigung, Fehler zu verbessern und meinen erklärten Feinden vor Augen zu führen, wie doof sie sind.

Ich schreie zurück »Haben wir DICH du Psycho!« Das kommt nicht gut an. Jetzt rennen sie noch schneller.

Plötzlich reißt es mir die Beine weg und ich falle nach vorne. Ich habe schon damit gerechnet und stütze mich schließlich mit meinen Armen erfolgreich ab. Erfolgreich ist in diesem Fall ein dummer Ausdruck. Es folgen Tritte und Schläge. Ich versuche vergeblich, mich davor zu schützen. Es kümmert sie nicht besonders, dass elf gegen einen unfair ist. Sie werden schlicht davon angetrieben, dass ich es doch verdient habe, so behandelt zu werden. Ich versuche, so schnell wie möglich zu weinen, denn erst diese emotionale Reaktion, lässt zumindest die Mädchen für gewöhnlich ein wenig Mitleid haben. Ich weine, aber auch das hält sie nur vereinzelt davon ab, hart zuzuschlagen.

Der Anführer ruft: »Hey, hab ich aufhören gesagt?« Bevor es noch brutaler wird, hat plötzlich jemand Mitleid mit mir. So interpretiere ich es zumindest, denn ich denke, sie macht das Folgende nur, damit mich die anderen nicht todprügeln. Sie spuckt mir auf den Kopf. Einige davon machen es ihr nach.

»Die Sau hat genug!«

Bald liege ich allein, grün und blau geschlagen im Dreck. Ich habe keine Lust nach Hause zu gehen. Was wird mich denn erwarten? Sowas wie: »Nicht schon wieder.« »Du musst wohl lernen, endlich normal zu sein, sonst hört das ja nie auf«. Also bleibe ich noch ne Weile liegen in der Hoffnung, dass ich allein bleibe und die Schmerzen nachlassen.

Nur ich bin normal

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