Читать книгу Nur ich bin normal - Manuel Wagner - Страница 9

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Ich gehe nicht gerne raus. Es sind meistens zu viele Menschen draußen, aber dieser Ort ist magisch. Die Fantasiewelt im Freizeitpark ist wie für mich geschaffen. Sie lässt jedes Kinderherz höher schlagen. Überall blinken bunte Lichter. Die lachenden Figuren begrüßen mich freundlich. Ich kenne die Figuren aus meinen Comics und den Zeichentrickserien. Es gibt lustige kleine Fahrzeuge, in denen ich mich ganz groß fühle. Alles leuchtet in hellen, freundlichen Farben. Hier existiert kein Grund Angst zu haben. Ich habe mein Königreich gefunden. Es ist voller netter Untertanen, die nur für mich da sind, die mich verwöhnen und bespaßen wollen. Doch irgendetwas trübt meine Stimmung.

Als ich so auf den tropisch fruchtfarbenen Wegen gehe, spüre ich etwas. Bekomme ich einen Herzinfarkt? Aber bin ich nicht noch viel zu jung dafür? Ich fühle ein Ziehen in meinem rechten Arm. Das ist doch ein Anzeichen für einen Herzinfarkt, zumindest hab ich das irgendwo gehört. Ich bekomme Panik, dann wird mir plötzlich alles klar. Das Ziehen ist nur ein Weckruf. Was bedeutet Fantasiewelt? Es bedeutet, dass sie nicht echt ist. Sie ist eine Illusion. Diese Welt existiert nicht. Ich blicke an meinem Arm herunter und stelle fest, dass das Ziehen nicht von einer Herzattacke stammt, sondern von einem Sicherheitsseil, an dem mich jemand festhält. Ich werde von verwandten Personen an der Leine herumgeführt wie ein Hund. Ich bin zurück in meinem fremdbestimmten Leben. In der Fantasie war die Welt beglückend, ja geradezu perfekt. Jetzt erkenne ich den Betrug. Durch diese Leine wird mir bewusst, wie viele Leute um mich herum sind. Geblendet vom bunten Licht und den Grinsegesichtern der Figuren hatte ich die Menschenmasse nicht wahrgenommen. Diese verdammte Leine hat mich aus dem einlullenden Tagtraum geweckt. Sie schreit: »Vorsicht Illusion! Lass dich nicht verarschen!« Jede Attraktion, jedes lustige Fahrzeug, jedes Lachen, jede Figur ist falsch. Nichts wurde für mich gemacht, sondern alles ist Kulisse für viele. Meine kindliche Zeichentrickwelt ist nun eine tote Wüste. Ich bin immer noch an der Leine und werde zum Zuckerwattestand gezerrt. Heute schmeckt die Zuckerwatte nach Zahnarzt. Was soll das? Wie werde ich die Leine los?

Ich will weglaufen und die wahre Zeichentrickwelt finden oder sie erschaffen. Jeder dort soll sich freuen und tun dürfen, was er möchte. Wer einen Berg hinunter rollen will, rollt einfach los und wenn er fällt, dann fällt er weich. Wer Hunger hat, findet immer das Essen, was er mag und kann essen, wann er will und nicht, wann die Großen es wollen. Wozu mit anderen Menschen beschäftigen, wenn es überall Interessantes zu entdecken gibt? Ich werde Tiere beobachten und vielleicht auch jagen. An den Bäumen werden süße Früchte wachsen. Die Welt wird großzügig aufgeteilt. Jeder bekommt ein Stück für sich. Wer möchte, muss nie einen anderen Menschen treffen. Niemand wird beäugt, begutachtet, geächtet, gehypt oder vergöttert. Die Menschen leben friedlich nebeneinander.

Wenn ich diese Welt finden will, muss ich zuerst groß werden. Noch meinen alle um mich herum, dass ich mich anpassen muss. Ich weiß jetzt, dass es anders sein sollte. Ich passe mir die Welt an.

Nur ich bin normal

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