Читать книгу Forensische Psychiatrie interdisziplinär - Manuela Dudeck - Страница 15
2.4 Das Problem der Moral
ОглавлениеDie Moral bezeichnet das sittliche Empfinden und Verhalten des Menschen. Bezogen auf die Gesellschaft stellt Moral die Gesamtheit von ethisch-sittlichen Normen, Grundsätzen und Werten dar, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft regulieren, die von dieser als verbindlich akzeptiert werden. Laut Bernhard Williams (1929–2003) macht die Moral den Menschen glauben, dass es ohne Verpflichtungen nur Neigungen und ohne Freiwilligkeit nur Zwang geben könne (Williams 2011). Offenbar ist, dass Menschen nicht immer Regeln und Pflichten benötigen, um richtig zu handeln. Evolutionsbiologen und Neuroökonomen postulieren, dass unsere moralischen Dispositionen im Gehirn angelegt sind.
Charles Darwin (1809–1882) hingegen nahm an, dass sich beim zivilisierten Menschen die natürliche Auslese von der Wirkung der moralischen Prinzipien sogar verdrängen lässt und die natürliche Auslese so nicht mehr der alleinige Motor der Evolution ist. In seinem 1871 veröffentlichten Werk »Die Abstammung des Menschen und die sexuelle Selektion« schreibt er im fünften Kapitel »Über die Entwicklung der geistigen und moralischen Fähigkeiten während der Urzeit und der zivilisierten Zeiten«: »Der Vorteil, den disziplinierte Krieger vor undisziplinierten Horden haben, beruht hauptsächlich auf dem Vertrauen, das jeder einzelne zu seinem Gefährten hat. Gehorsam ist […] von höchstem Werte, denn jede Form von Regierung ist besser als gar keine. Selbstsüchtige und zänkische Menschen werden nicht zusammenhalten, und ohne Zusammenhalt kann nichts erreicht werden […] Die sozialen und moralischen Eigenschaften werden daher die Tendenz haben, langsam fortzuschreiten und sich über die Welt zu verbreiten« (Darwin 2012).
Für die Neurophilosophin Patricia Churchland (*1943) ist die Moral »anscheinend ein natürliches Phänomen«. Nach Ihrer Auffassung beruht die Moral weniger auf Regeln, sondern vielmehr auf Werten, die in unserem sozialen Bindungsverhalten begründet sind (Văsek 2017). Die britische Philosophin Elizabeth Anscombe (1919–2001) fand das Konzept moralischer Verpflichtung entbehrlich bis sogar schädlich und forderte die Moralphilosophen auf, erst nach einem angemessenen Konzept der Psychologen weitere Denkmodelle zu entwickeln.