Читать книгу Forensische Psychiatrie interdisziplinär - Manuela Dudeck - Страница 18
2.5 Moral und Recht
ОглавлениеDie Hauptaufgabe der Rechtsphilosophie ist die Klärung, was das Recht eigentlich ist, und hat ihre Anfänge in der Antike. Seitdem stehen sich zwei große Denkrichtungen, die die Voraussetzungen für eine Rechtsordnung definieren, gegenüber. Die Naturrechtstheorie geht von der Existenz eines von menschlichen Interessen und Idealen vorgegebenen, absolut geltenden Sittengesetzes aus ( Kap. 2.4.1). Die zweite Richtung, und zwar die des Rechtspositivismus, betrachtet Rechtsnorm und Rechtsordnung primär als empirische Gegebenheiten der sozialen Wirklichkeit. Dabei nehmen die Vertreter dieser Richtung eine begriffliche Trennung zwischen Recht und Moral vor. Ob eine bestimmte Norm mit gewissen moralischen Anforderungen übereinstimmt, erscheint ihnen für ihren Rechtscharakter unerheblich (Hoerster 2016). Wenn man allerdings Recht und Moral nicht miteinander in Beziehung setzen möchte, muss man sich als Rechtspositivist mit Begriffen wie Macht, Zwang und Gewalt auseinandersetzen, wobei innerhalb der Denkrichtung keine Einigkeit besteht. Drei Hauptvertreter dieser Richtung sind John Austin (1790–1859), Hans Kelsen (1881–1973) und H.L.A. Hart (*1907). Allen dreien gemeinsam war die Idee, zu der naturrechtlich-moralbehafteten Konzeption des Rechtsbegriffs eine konstruktive Alternative auszuarbeiten. Bei John Austin nahm der Begriff des Befehls in der Analyse des Rechtsbegriffs eine zentrale Rolle ein. Für ihn sind alle Rechtsnormen Befehle eines politischen Souveräns und Befehle sind mit einer Übelandrohung verbundene Willensäußerungen. Da unklar blieb, wie aus einem Befehl als eine rechtliche Verbindlichkeit ein Sollen abzuleiten ist, modifizierte Hans Kelsen die Befehlstheorie. Er schlussfolgerte, dass die Gültigkeit oder Verbindlichkeit einer Norm durch nichts anderes als eine weitere, höherrangige Norm begründet werden kann. So kam er zu dem Ergebnis einer höchsten, hierarchisch aufgebauten Rechtsordnung, die als ganze legitimierende Grundnorm gelten kann. Allerdings ist in seinem Denkmodell der Zwang zur Charakterisierung des Rechts nicht weniger wichtig. Hier richten sich die einzelnen Rechtsnormen nicht allgemein an den Bürger (indem sie ihm unter Androhung eines Zwangsaktes ein bestimmtes Verhalten abverlangen), sondern an die staatliche Amtsperson (indem sie ihr zum Vollzug eines Zwangsaktes ein Gebot oder eine Ermächtigung erteilen). H.L.A. Hart führt dazu aus, dass sich eine Rechtsordnung im Normalfall nur als System von zwei sehr unterschiedlichen Typen von Normen adäquat verstehen lässt. Es gibt für ihn die primären Normen, die jemanden zu etwas verpflichten und die sekundären Normen, die jemanden zu etwas Befugnis verleihen. An der Spitze steht in diesem System immer eine sekundäre Norm, die ein bestimmtes Organ zum Erlass weiterer Normen befugt oder ermächtigt. Diese höchste Norm einer Rechtsordnung gilt jedoch nicht Kraft einer vorausgesetzten Grundnorm wie bei John Austin, sondern einfach aus dem Grund, weil sie de facto innerhalb der betreffenden Gesellschaft von den Amtspersonen zur Regelung des Rechtslebens akzeptiert wird (Hoerster 2016).