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Kapitel 3
Оглавление... kannst Du nicht hören, was ich sage? ... kannst Du nicht fühlen, wie es mir geht? Bin ich nichts? ... nun sieh mich doch endlich, schau mich an ...
Manuela Maer 2017
Wie die Dämonen zu Dämonen wurden
Teil 1
»Los, fang mich, mach schon!«
Lockend rannte Maledin zwischen den Bäumen umher. Das Dickicht störte sie dabei nicht. Trotz der Düsternis sah ihr Bruder Wesselo sie deutlich. Ihre langen eisblonden Haare leuchteten förmlich mit ihrem eng anliegenden, körperbetonten Leinenkleid um die Wette.
»Maledin, komm schon, du weißt, dass Vater es nicht mag, wenn er warten muss«, flink wie ein Wiesel änderte er die Richtung und bekam seine Schwester zu fassen. Kraftvoll und dennoch vorsichtig legten sich seine Arme um ihre Hüften, woraufhin sie augenblicklich stillhielt. »Jetzt! Ja, ... jetzt gehen wir zurück«, gleichzeitig zog sie einen Schmollmund und wuschelte mit beiden Händen in seinen ebenfalls blonden schulterlangen Haaren. Es blieb ihr nichts anderes übrig, wie sich zu fügen. Als drittälteste von fünf Geschwistern wurde von ihr ein hohes Maß an Vernunft abverlangt. Besonders, seit die Mutter im Kindbett, nach der Geburt von Wesselo, dem jüngsten Sohn, gestorben war. An ihm hing ihr Herz vornehmlich, womöglich, weil sie ihm seither die Mutter ersetzte.
Umso mehr hasste sie es, wenn der Vater ihre Brüder zusammenrief, um Männergespräche zu führen. Sie wurde meist ausgeschlossen, obwohl sie sehr wohl verstand, was sich im Reich ihres Vaters zutrug.
Dieses prächtige Land erstreckte sich entlang des großen Flusses, der seinen Ursprung in den Alpengebirgen hatte und bis ins gigantische nördliche Seegewässer floss. Die Vorherrschaft dieser fließenden Handelsroute lag seit vielen Generationen in den Händen der Familie.
Gekonnt hielt sich Maledin an der Mähne des großen braunen Pferdes fest, während Wesselo den Koloss sicher zurück zur Burg führte. »Weißt du, was Vater heute von euch will?«, wollte sie wissen. »Nein!«, bekam sie kurz und knapp zur Antwort. Natürlicherweise sorgte diese Reaktion bei ihr für aufkeimenden Unmut. »Sicher hat es damit zu tun, dass du vor ein paar Tagen siebzehn geworden bist«, flötete sie daraufhin in den höchsten Tönen.
»Vielleicht!« Erneut blieb Wesselo wortkarg.
Blitzschnell beugte sie sich nach vorn und patschte ihm auf den Hinterkopf. Sie hatte noch nicht einmal Mühe, ihn zu treffen, da er, wie seine Brüder, groß gewachsen war. Erschrocken drehte er sich zu ihr und sah sie mit seinen stahlblauen Augen grimmig an. Da sie in diesem Moment unschuldig tat, drängte sich ein Lächeln in sein Gesicht. Er konnte ihr einfach nichts übel nehmen.
»Na komm, sag schon, du weißt doch etwas«, säuselte sie erneut, verstummte aber, dessen ungeachtet, abrupt.
Eindeutige Geräusche drangen neben ihnen aus dem Gebüsch. Wesselo duckte sich instinktiv und Maledin rutschte sofort vom Pferd. Langsam, beinahe lautlos, zog sie das lange Schwert aus der Halterung am Sattel. Augenblicklich war es still um sie herum und nicht einmal der Wind vermochte es, ein Rascheln im Blätterwald zu erzeugen. Selbst das Pferd spürte die Anspannung und verhielt sich absolut still. Geschmeidig drängte sich Maledin vor ihren Bruder. Sekunden wurden zu Minuten verwandelt, bis die beiden ein zögerliches Wispern vernahmen.
»Ich bin es doch nur, ... Reverin!«
Verdutzt richtete sich Wesselo auf und Maledin schnaubte ungehalten. Etwas wütend rammte sie das Schwert vor sich in eine Baumwurzel und stützte sich darauf.
»Habt keine Angst! Ich bin es nur!«, ertönte es diesmal lauter.
Wesselos Gesicht hellte sich auf. »REVERIN! ... komm heraus!«
Zögerlich bewegte sich, inmitten der groben Buschzweige hinter den Baumstämmen, eine zarte Gestalt. Vorsichtig schlängelte sie zwischen den Ästen hindurch. Da stand sie, Reverin, etwas kleiner als Wesselo, mit elfengleichem Gesicht und knielangen braunen Haaren. Ihr Blick hing schuldig an Maledin, die keine Miene verzog. »Mach das nicht wieder. Das ist gefährlich. Ich hätte dich töten können«, raunte diese verärgert, während sie das Schwert zurück in die Scheide bugsierte.
Wesselo schnellte vor und umarmte das unschuldig dreinschauende Mädchen. Die vergrub sogleich sehnsüchtig ihre Hände in seinem blonden Haarschopf und erwiderte seine begierigen Küsse.
Angewidert von so viel Leidenschaft drehte sich Maledin zur Seite, nahm das Pferd mit sich und ging ein paar Schritte weiter. Jedoch konnte sie es nicht lassen und schaute wieder zu den beiden hin, während sie dem gelangweilt schnaubenden Tier ausgiebig den Hals klopfte.
Hingebungsvoll waren die jungen Menschen ineinander versunken. Vollständig vergessen war die Welt um sie herum. Immer wieder flüsterten die zwei aufgeregt und Reverin wirkte schlagartig wie total aus dem Häuschen.
Maledin konnte sich anstrengen wie sie wollte, sie verstand kein Wort. Endlich ließen sie voneinander und Reverin verschwand, von einem Moment zum anderen, wie ein Geist im Dickicht. Sehnsüchtigen Blickes schaute ihr Wesselo hinterher. Ein verschmitztes Lächeln umhüllte seine Lippen.
»Nun komm endlich«, drängte ihn seine Schwester etwas ruppig. »Ich dachte, Vater wartet?« Mit einem Ruck zog sie sich auf den Pferderücken. Wesselo wusste, dass sie eifersüchtig auf Reverin reagierte.
Seit er ihr vor einigen Wochen von seiner Beziehung zu Reverin erzählt hatte, beobachtete sie ihn ständig und ließ ihn kaum mehr aus den Augen. Sicherlich, Maledin hatte nichts dagegen gesagt, trotzdem verrieten ihre Reaktion und der Ausdruck in ihrem Gesicht mehr, als alle Worte aus ihrem Mund.
Lachend trabte er ihr mit leichtem Laufschritt hinterher. Kaum befand er sich auf dem Pfad, blieben seine Beine an einer Baumwurzel hängen, die sich wie eine Schlange aus dem Boden schob. Einige Wurzeln hatten in Windeseile Schlingen um seine Knöchel gewunden. Rumms, da lag er. »MALEDIN, WAS SOLL DAS. LASS DAS SEIN!«, schimpfte er prompt drauf los.
Sie saß mit geschlossenen Augen da, beide Hände weit von sich gestreckt. Leise murmelte sie Beschwörungsformeln und ein leuchtendes Flimmern umgab ihre Hände in kleinen Wirbeln.
»HÖR ENDLICH AUF!«, schrie er sie an.
Unmittelbar beendete sie ihre Hexerei. Ein triumphierendes Lachen konnte sie sich dabei nicht verkneifen.
Maledin beherrschte die weiße Magie.
Sie wusste um die Kräfte der Natur und wie man sich derer bemächtigt. Die Mutter hatte einst dieses Wissen an sie weitergegeben, noch bevor sie im Kindbett starb, und nicht einmal der Vater hatte eine Ahnung davon, dass Maledin dieses Erbe weiterführte.
»Ich dachte, dass man diese Kräfte nicht für Unfug verwenden soll? Du selbst hast mir erklärt, dass man die Elemente nicht missbrauchen darf«. Sich die Erde von den Hosenbeinen klopfend, kam er näher. »Die Kräfte der Natur dürfen nicht entfesselt werden, hast du gesagt.«
»Ist ja gut, Wesselo. Beruhige dich! Das war nichts im Vergleich zu dem, was ich hätte tun können.«
Schmollend nahm er das Halfter und zog das geduldige Pferd mit sich. Er vermied es, weitere Gegenworte zu verlieren, um sie nicht noch wütender zu machen.
Seine Gedanken waren bei Reverin.
Nachher, wenn er mit den Brüdern und seinem Vater zusammensaß, würde er ihnen endlich offiziell von Reverin erzählen und den Vater bitten, ihm die Erlaubnis zu geben, das Mädchen um ihre Hand zu fragen. Er rechnete nicht mit einer Absage seines Vaters. Reverin war die Tochter eines Cousins seiner Mutter. Die Brüder Eger und Fories hatten schon ein Weib. Lediglich Wodua fand keine Frau, die ihm genügte.
Für Maledin war dies seit Jahren schon ein schweres Los, denn ein Gesetz in dieser Herrscherfamilie besagte, dass sich die Frauen erst einen Mann suchen durften, wenn ihre Brüder vergeben waren. Sie war immerhin schon fünfundzwanzig Jahre alt, sodass sich dieses Unterfangen immer schwieriger gestalten würde.
So oft hatte sie ihren Vater schon gebeten, dieses Gesetz zu ändern. Er ließ allerdings nicht mit sich reden. Zweifelsohne, weil er befürchtete, dass sich dann niemand mehr um ihn und seine Belange kümmern würde, wenn seine Tochter aus dem Haus ging. Maledin hasste ihn dafür. So sehr, dass sie sich mitunter ausmalte, wie ihm etwas zustoßen könnte. Einzig und allein die Liebe zu ihren Brüdern hielt sie davon ab, selbst einem Unglück nachzuhelfen.
Endlich hatten sie den Fuß des Berges erreicht, auf dem hoch, in den Felsen hineingebaut, die Burg der Familie tronte. Ein älterer Junge kam ihnen entgegengelaufen und nahm ihnen das Pferd ab. Inzwischen ging Maledin neben ihrem Bruder. Sie betraten die einfachen, strohbedeckten Stallungen. Drängten sich zwischen den in den Felsen geschlagenen Vorsprüngen hindurch und eilten dann die steinernen Stufen hinauf, die sich in schier endlos windenden Bögen bis in die Eingangshalle der Burg zogen.
Außer Atem dort angekommen fasste sie ihren Bruder bei den Schultern. »Möchtest du mir jetzt endlich erzählen, was ihr vorhin dort im Wald ausgeheckt habt?«
Wesselo löste sich von ihr und eilte lachend weiter. »Nein, liebe Schwester, du wirst es schon noch früh genug erfahren«, schon war er in den Gängen verschwunden.
Sicher, er dachte sich nichts dabei. Er nahm an, seine Schwester mit dieser schönen Überraschung erfreuen zu können.
Außer Atem erreichte er den großen Saal, in dem in der Mitte ein langer steinerner Tisch stand, umringt von unzähligen schweren, kunstvoll geschnitzten Stühlen aus dunklem Holz. An der Stirnseite trohnte ein stattlicher Mann mit einer unglaublichen lockigen, grau melierten Haarpracht und einem ebenso grauen Vollbart. Wesselo konnte an den Augen erkennen, dass sein Vater sich über sein Erscheinen freute, während er von den Brüdern das übliche, sicher nicht ernstgemeinte, Geschwätz hören musste.
»Haben wir verschlafen?«, grinste ihn Eger an.
»Ich glaube eher, er hat eine heimliche Liebschaft und sie hat ihn nicht fortgelassen!«, meinte dagegen Fories und blinzelte ihm zu. Automatisch blickten alle zu Wodua. Der hatte den Kopf schiefgelegt und schien zu überlegen, ob er etwas sagen wollte, da ergriff der Vater schwer atmend das Wort. »Schön, dass wir nun alle zusammensitzen. Ich freue mich, euch so guter Dinge zu sehen. Wie ihr wisst, hat es einen Grund, dass ich euch zu mir bat.«
»Einen Grund, den ich nicht weiß«, beklagte Wesselo. »Kann denn Maledin nicht auch dazukommen?«
»Nein, mein Sohn! Du weißt, dass die Traditionen anderes verlangen.«
»Aber könnten wir nicht einfach beschließen, dass wir diese Traditionen ...« Sein Vater unterbrach ihn sachte.
»Mein Sohn, ich weiß um deine besondere Beziehung zu Maledin, und es ehrt dich, dass du für sie Partei ergreifst. Dennoch sind mir hier die Hände gebunden.«
»Ach woher, Hände gebunden, du willst es nicht ändern. Dabei hätte sie es verdient«, ungehalten trat er gegen seinen Stuhl. Noch drängte es ihn nicht, sich zu setzen.
»Sei nicht so ein Heißsporn«, beschwichtigte ihn Wodua. »Vater geht es nicht gut und er möchte sicherlich keinen Streit.«
Sogleich senkte Wesselo schuldbewusst sein Haupt und ließ sich endlich auf seinem Stuhl nieder.
»Danke Wodua! ... Weshalb ihr heute hier seid«, tief atmete der Vater durch, » ... Ich möchte euch mitteilen, dass ich mein Herrscheramt niederlegen möchte ...«, er erntete überraschte Blicke. In diesem Moment hätte man einen Strohstängel fallen hören können. Damit hatten alle vier nicht gerechnet. Noch nicht einmal Fories konnte etwas sagen, so perplex machte ihn diese Aussage.
»Ich bin alt und geschwächt ...«, fuhr er fort, »... und es ist nur eine Frage der Zeit, dass ich zu eurer Mutter gehe.«
Eger sprang auf, »Vater!«
»Sch...sch...!« Besänftigend hob der Vater seine Hände und deutete seinem Ältesten an, sich wieder zu setzen.
»Wenn ich die Aufgaben jetzt regle, kann ich euch noch eine Weile mit Rat und Tat zur Seite stehen. ... Ich habe euch dazu erzogen, gute und gerechte Herrscher zu werden. Ein jeder soll seinen Anteil bekommen und daher habe ich beschlossen, das Reich unter euch vieren aufzuteilen. Jetzt, wo unser Jüngster siebzehn geworden ist, glaube ich, dass dies für mich ein guter Weg ist, um meine letzten noch verbleibenden Tage in Ruhe zu genießen. Wesselo wird mit eurer Unterstützung sein Amt ebenso gut ausfüllen wie jeder Einzelne von Euch.«
Betretene Stille durchzog die Halle. Nach einem unbedeutenden Handzeichen des Vaters trat einer der Diener an den Tisch und stellte vor jeden einen Kelch, gefüllt mit frisch gepresstem Traubensaft, der allerdings schon gährig roch. Der nächste Hausbursche trat vor, ein Tablett mit vier reich verzierten groben Ketten vor sich hertragend. Abwartend stellte er sich neben seinen Herrn. Man sah ihm an, dass er mit dem Gewicht der Ketten kämpfte. Jetzt öffnete sich die dicke Holzpforte und Roog trat ein, gefolgt von vier dunklen Gestalten.
Gekleidet in schwarze Gewänder, die wie Kutten bis auf den Boden reichten. Um den Hals trugen sie ausladende Krägen, die an Gold und Silber Verzierungen nicht sparten. Auf den kahl geschorenen Köpfen trugen sie schwarze, glänzende Hauben - Druiden!
Fories ergriff das Wort zuerst. »Du willst das jetzt tun? ... Willst du uns nicht erst einmal Zeit geben, darüber nachzudenken? Vielleicht wollen wir noch gar nicht ...«
Ruckartig erhob der Vater eine Hand. Sofort verstummte sein Sohn und senkte ergeben seinen Kopf.
»Mein Entschluss steht. Da gibt es keine Reden mehr zu führen. Ich habe alles veranlasst und auch die Götter darum gebeten, euch zur Seite zu stehen, wie sie mir immer zur Seite standen.«
Majestätisch erhob er sich.
Seine Söhne taten ihm nach.
Jetzt betrat eine junge Frau die Halle. Andächtig trug sie eine silberne Schale in den Händen und stellte sich hinter den Mann mit dem Tablett.
Der Moment hätte feierlicher nicht sein können, wäre er für die Söhne nicht so unvorhergesehen gekommen. Die großen Leuchter sorgten mit den flackernden Fettkännchen für ein festliches Licht und durch die geöffnete Pforte drang immer wieder der Duft von Gebratenem herein.
Beinahe konnte man die Anspannung spüren, die sich über die vier Brüder ausbreitete. Wesselo, der Jüngste, sah nervös umher. Die anderen standen aber nur ruhig da, die Häupter gesenkt, so versuchte er, in seiner Aufregung, es ihnen gleich zu tun. Er schaffte es aber kaum, still stehen zu bleiben. Ständig bewegte er sich von einem Fuß auf den anderen.
Der Ausdruck um die Augen des Vaters zeigte Güte und Stolz. Sein Vollbart zog sich etwas auseinander, sodass man den Eindruck gewinnen konnte, dass er darunter ein Strahlen verbarg.
Er wandte sich dem Tablettträger zu. Nacheinander nahm er die schweren Ketten mit den unterschiedlichen Edelsteinen, hauchte einen Kuss darauf und übergab sie den schwarz gekleideten Männern, die sich dann reihum hinter den Söhnen verteilten.
Erst als alle an ihrem Platz standen, begab auch er sich zurück an die Stirnseite des Tisches.
Seelenruhig hob er seine Arme etwas an. Er wirkte sehr beherrscht und entschlossen. »Im Angesicht dieser Zeugen hier möchte ich verkünden, dass ich, Wittro Esok Fork - Herrscher über den großen Fluss - mein Amt niederlege und es mit dem heutigen Tag zu gleichen Teilen an meine Söhne übergebe. Diese Ketten ...« Er zeigte auf die Druiden, die in diesem Moment nacheinander den jungen Männern die schweren Geschmeide umlegten. »... sollen als Zeichen für eure Herrschaft dienen. Eger erhält den Bernstein - der seine Entscheidungsfähigkeit stärken und erhalten soll. Wodua erhält den Saphir - den Stein, der seine Weisheit, Treue, Klugheit und Vernunft erhalten wird. Fories bekommt den Granat - damit sein Talent, Freundschaften und Bündnisse einzugehen, immer Unterstützung erfährt. Für Wesselo habe ich den Lapislazuli - damit sein Einfallsreichtum und grenzenloses Denken keine Schranken kennt.
Diese Steine stehen für eure Eigenschaften und euer Können, mit dem ihr euch in Zukunft in euren Aufgaben gegenseitig unterstützen und bestärken sollt. Wacht gut über das Land und das Wasser.« Dann senkte er ebenfalls sein Haupt und eine ehrfürchtige Stille umhüllte die Szenerie. Einige Minuten lang verharrte er in dieser Position und somit jeder in seinen Gedanken. Wesselo wagte kaum zu atmen. Sein Herz schlug, wie das der Brüder so sehr, dass er glaubte, laut schreien zu müssen, um die Anspannung loszuwerden. Der Vater erhob sachte die Stimme. »Tretet hervor und kniet nieder!«
Eger stand zuerst hinter seinem Stuhl, drehte dem Tisch den Rücken zu und tat, wie sein Vater verlangte. Die Brüder folgten dem Gebaren ihres Bruders.
Sowie alle vier auf dem Boden knieten, nahm der Vater die Dienerin mit sich, trat zuerst an Eger heran. Tauchte seine Finger in die Asche, die sich in der silbernen Schale befand und presste sanft den Daumen auf die Stirn des ältesten Sohnes, woraufhin er einen Abdruck hinterließ.
»Mit der Asche deiner Mutter sei besiegelt, was ich gesagt und getan habe. Sie wird mithilfe der Götter über dich wachen und im Herzen bei dir sein. ... Gelobe mir, dass du immer wachsam über dein Land und den Menschen darin wachen wirst.«
»Ich gelobe es!«, sprach Eger mit fester Stimme.
Danach wiederholte der Vater bei jedem seiner Söhne diese Handlung. Wesselo war so aufgeregt, dass ihm beinahe die Stimme versagte. Zuletzt stellte sich der Vater wieder zurück an seinen Platz. »Steht auf ..., von nun an seid ihr die rechtmäßigen Herrscher, ... von nun an sollt ihr dem Land dienen und das Land euch ...«, harsch und lautstark wurde er unterbrochen. Die grelle Stimme einer Frau schmetterte durch die Halle.
»VATER? ... VATER, WAS TUST DU DA?« Maledin eilte herein, ihr Gesicht war zornesgerötet. Der Blick hasserfüllt auf ihn gerichtet, weil sie nicht verstand, weshalb er sie ausgeschlossen hatte. »WARUM? WESHALB ERFAHRE ICH NICHTS DARÜBER? WARUM WERDE ICH VOR VOLLENDETE TATSACHEN GESTELLT?«
Voller Wut fegte sie mit dem Arm über den Tisch und erwischte dabei den Kelch ihres Vaters und den von Eger, die beide im hohen Bogen von dannen flogen und polternd ihren Inhalt über den Steinboden ergossen.
Eger wollte seine Hand auf ihre Schulter legen, um sie zu beruhigen, sie jedoch schlug seine Hand einfach weg.
»WAS HABE ICH DIR GETAN, DASS DU MICH IGNORIERST. WAS?«, schrie sie ohne Umschweife weiter. Tränen der Entrüstung drängten in ihre Augen. Eger wollte eingreifen, jedoch noch bevor er etwas sagte, hob der Vater beschwichtigend seine Hände.
Vollkommen ruhig und besonnen legte er seinen Arm um ihre Schultern und entfernte sich mit ihr um ein paar Schritte. Sie ließ ihn gewähren, obwohl sie voller Groll war und brodelte vor Wut. »Mein Kind ...«, begann er leise, »... wie kann ich dir nur begreiflich machen, dass ich dich über alles liebe und dass dies alles nichts damit zu tun hat, wie ich zu dir stehe. Es hängt ausschließlich damit zusammen, wie schon seit Generationen unsere Gesetze funktionieren. Da sind die Bestimmungen eben derart, dass du als Frau andere Aufgaben hast wie die Männer ...«
»Aber du könntest es ändern ... warum tust du das nicht? Ich wäre auch in der Lage zu herrschen.«
»Das glaube ich dir gern, mein Kind, und bei allem Verständnis, deine Aufgabe wird sein, an der Seite eines Mannes zu wirken, und zwar ab dem Zeitpunkt, wenn alle deine Brüder vergeben sind. Dann darfst du einen Mann deines Herzens wählen.«
Mit weinerlicher Stimme antwortete sie.
»... auch das könntest du ändern, Vater. Bis meine Brüder alle vergeben sind, bin ich zu alt. Alsdann will mich keiner mehr.«
Wesselo kam hinzu, er konnte und wollte sich nicht mehr zurückhalten. »Ich habe jemanden. Vater, ich bitte dich um die Erlaubnis, das Mädchen fragen zu dürfen, ob sie mich will.«
Maledin drehte sich entsetzt herum. Ihr Blick sprach Bände, damit hatte sie nicht gerechnet - ihr kleiner Wesselo?
Das war einfach zu viel.
Überrascht schaute der Vater ihn an. »Ja wen möchtest du denn fragen?«
»Reverin, die Tochter von Mutters Cousin Begwin. Wir lieben uns und sind schon seit Langem ein Paar ...«, etwas leiser fügte er hinzu, »... heimlich!«
Nach unendlich anmutenden stillen Sekunden klopfte ihm der Vater auf die Schulter und lachte erfreut auf. »Das freut mich außerordentlich, mein Sohn. Du hast natürlich meine Erlaubnis, obwohl du sie ja jetzt nicht mehr benötigen würdest, wo du jetzt Herr eines eigenen Gebietes bist. Allenfalls müsstest du dich mit deinen Brüdern darüber beraten«, belustigt schaute er in die Runde, »... jedenfalls, so wie ich das sehe, haben sie nichts dagegen.«
Nacheinander kamen sie heran, herzten ihn grob und beglückwünschten ihn zu seinem Entschluss. Sie wollten wissen, wie lang seine Liebschaft schon andauerte. Einzig und allein Maledin stand abseits, das Gesicht wie zu Eis gefroren, mit einem Blick, wie er kälter nicht hätte sein können.
Es war schon hart genug für sie zu erfahren, dass ihr Vater seine Herrschaft an die Brüder übergab, ohne ihr Wissen und Beisein. Jetzt musste sie nebenbei erfahren, dass ihr kleiner Wesselo beabsichtigte, Reverin zu seinem Weib zu machen. So sehr hatte sie gehofft, dass sich diese Liebschaft zerschlagen würde. Falls nicht, hätte sie zumindest erwartet, dass er sie als Erste in sein Vorhaben einweihen würde. Das Geschehen hier und heute sprengte das Maß dessen, was sie zu ertragen bereit war.
»ICH HASSE EUCH ... ICH HASSE EUCH ALLE!«, schrie sie aus heiterem Himmel in die traute Runde, drehte sich theatralisch herum und rannte hinaus.
»MALEDIN!«, rief Wesselo ihr nach, wollte schon hinter ihr herlaufen, doch der Vater hielt ihn zurück.
»Lass sie, sie wird sich wieder beruhigen. Lasst uns anstoßen auf die guten Nachrichten und vor allem, lasst uns euer neues Amt begießen. ... BRINGT WEIN UND ESSEN FÜR ALLE!«, rief er ausgelassen.
So kam es, dass die vier Brüder von diesem Zeitpunkt an über das gesamte Flussland herrschen sollten und obendrein Wesselo mit Reverin ein großes Fest feiern würde.
Tage zogen ins Land, Absprachen wurden getroffen und Planungen vorgenommen. Alle waren so in ihren Aufgaben versunken, dass keinem recht auffallen wollte, dass Maledin verschwunden schien.
Maledin!
Sie war nicht wirklich verschwunden.