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ОглавлениеKapitel 5
Rache sagt: ... ich will aber Alles, - um jeden Preis!
Manuela Maer 2017
Am alten Schloss: 9. Oktober 2016
Der Blick in den wolkenlosen Himmel lockte ihm ein Lächeln ins Gesicht, wenngleich die kühle Frische an diesem Sonntagmorgen deutlich den nahenden Winter ankündigte. So zeitig zum alten Schloss Hohenbaden nach Baden-Baden zu fahren, war auf jeden Fall die richtige Entscheidung gewesen.
Sein Gang zu den Schlossruinen wurde langsamer, während der Atem zunehmend angestrengter pfiff. Der magadamierte Weg dort hinauf zog sich recht steil dahin, sodass ihm bei der Anstrengung erneut die Schweißperlen auf der Stirn standen.
An diesem Ort hier gestaltete sich alles viel aufregender. Immerhin sollte sich laut den Aufzeichnungen, die er am Vortag in Schmalbach gefunden hatte, das Objekt seiner Begierde hier im alten Schloss befinden.
Außer Atem trat er durch das schmiedeeiserne Tor. Links führte ein Durchgang in einen kleinen Hof, der zu einer Wirtschaft gehörte. Weiter vorn konnte er rechts in den Vorhof des Schlosses eintreten, zumindest in das, was davon noch übrig war. Wer wollte, stieg bis hinauf auf den Turm. Dies lag in diesem Moment nicht in seiner Absicht. Trotz der feuchten Oberfläche, die die Morgenluft auf dem verwitterten Holz hinterließ, setzte er sich keuchend auf eine Bank. Umständlich zog er seine übergroße Umhängetasche auf den Schoß und nahm einen DIN A5 Block heraus, auf dem er schon unzählige Seiten lang Notizen niedergeschrieben hatte. Oben schauten verschiedenfarbige Postits aus dem Block heraus und er wählte den grünen, um die dazugehörige Seite aufzuschlagen. Wie so oft in den letzten Tagen überflog er die Notizen. In den alten Aufzeichnungen, welche er in Schmalbach unter der neunundzwanzigsten Steinstufe entdeckt hatte, war er fündig geworden. Tatsächlich glaubte er, aus den teils verwirrenden Angaben entnehmen zu können, wo er suchen musste – das Lernen alter Schriften hatte sich gelohnt.
Schweiß tropfte aufs Papier, trotz der frischen Temperaturen. Konzentriert sah er sich um. Wenn er diesen Hinweisen also Glauben schenkte, dann war der Fels, auf dem dieses Schloss einst gebaut wurde, von unzähligen Gängen und geheimen Räumen durchzogen. Die Frage, die sich ihm stellte, war: Wie kam er zu diesen unterirdischen Räumen? Da er bei seinen Recherchen auf nichts gestoßen war, was darauf hindeuten könnte, dass diese Räume existierten, nahm er an, dass sie noch immer irgendwo unentdeckt in diesen Gemäuern zu finden seien.
Er fröstelte - die Temperaturen ließen es nicht wirklich zu, untätig auf der Bank zu sitzen. Also kramte er seine Digitalkamera hervor. In den Ruinen umherwandernd knipste er daraufhin alles, was ihm das Gefühl gab, hilfreich zu sein. Ihm war dabei durchaus bewusst, dass er bei Tag die Hinweise auf die verborgenen Räume wahrscheinlich nie finden würde. Er nahm einfach an, dass es sich damit ähnlich verhielt wie mit der Steinstufe bei Mondlicht. Nach über zwei Stunden hatte er genug.
Ihm taten die Füße weh und außerdem plagte ihn der Durst. Mittlerweile waren ihm sogar erste Schlossbesucher begegnet.
Erleichtert saß er kurz darauf in der Schlosswirtschaft. Zu essen, hieß es, würde er noch nichts bekommen, aber einen Kaffee oder etwas anderes zu trinken, sei kein Problem, teilte man ihm freundlich mit. Dankbar bestellte er eine große Flasche Wasser.
Nacheinander betrachtete er auf dem kleinen Kameradisplay die Bilder. Zu Hause würde er sie über den Computer mit dem Beamer an die Wand werfen. Davon versprach er sich einiges. Das Display war zugegebenermaßen sehr klein.
Als er die Wirtschaft verließ, streifte sein Blick das Schild am Eingang: Montag und Dienstag Ruhetag!
***
Stundenlang schon saß er später vor der Wand in seinem Wohnzimmer. Das Sideboard, das normalerweise dort stand, hatte er in den Flur geschoben. Mit klobigen Nägeln hatte er ein weißes Leinentuch an der Wand befestigt. Leicht schimmerte die altmodische Tapete mit dem groben Ornamentenmuster durch den Stoff.
Wieder und wieder ließ er die Bilder der Schlossruine durchlaufen. Manchmal trat er sogar ganz nah ran, um Details besser erkennen zu können. Plötzlich fiel ihm ein Funkeln auf. Ein Bild, welches er in den ehemaligen Stallungen des Schlosses gemacht hatte. Der Boden bestand größtenteils aus festgetretenem Lehm und teilweise Sandgestein. Relativ weit hinten in dem großen Raum, genau dort, wo es sehr dunkel war, befanden sich mehrere große Steinplatten im Boden. Das ansich wäre nichts Besonderes gewesen. An dieser Stelle hatte er Bilder mit und ohne Blitzlicht gemacht.
Eine dieser Steinplatten reflektierte jedoch hauchzart den Blitz, und zwar so, wie die neunundzwanzigste Treppenstufe in Schmalbach es im Mondlicht getan hatte. Je schärfer er das Bild stellte, je besser erkannte er die Umrisse, die denen in Schmalbach eindeutig ähnelten - die Umrisse einer Burg.
Sein Herz hüpfte bei dieser Entdeckung. Er hatte einen weiteren Hinweis gefunden. Schnell legte er Fotopapier in seinen Drucker und druckte das Bild aus.
Jetzt stellte er sich die nächste Frage. Wie um alles in der Welt sollte es weitergehen? Er musste wieder dorthin. Natürlich dann, wenn niemand sonst sich an diesem Ort aufhalten würde.
... und diesmal würde er schweres Werkzeug benötigen.
Am Schloss: 10. Oktober 2016
Kurz vor acht am nächsten Morgen schleppte er sich erneut den steilen Weg hinauf zum Schloss. Diesmal hatte er eine bequemere Hose angezogen, in der er mehr Bewegungsfreiheit hatte. Wieder einmal bereute er, dass er es einfach nicht schaffte, seinen inneren Schweinehund zu überwinden, um endlich seinem Übergewicht den Kampf anzusagen. Keuchend erreichte er die Bank, wie schon am Sonntag zuvor, stellte den kleinen Koffer ab und zog den Rucksack, welcher ihm schwer im Kreuz hing, herunter. Sein Atem hinterließ Spuren in der Luft.
Er hoffte, so lang wie möglich auf dem Schlossgelände allein zu bleiben. An einem Montag in der Früh sicherlich wahrscheinlich. Noch zwei Mal lief er zum Auto, bis er alles herangeschafft hatte, was er glaubte, brauchen zu können.
Nachdem er seine Lampen in Betrieb genommen hatte, begab er sich in die dunklen Räume unter der Schlossruine. Aufgeregt fegte er mit einem Handbesen die betreffende Steinplatte ab. Die Größe der Platte kam einer halben Schreibtischplatte gleich. Diesmal hatte er eine Schwarzlichtlampe dabei und warum auch immer, es funktionierte. Sein Versuch, den Burgähnlichen Umriss auf diese Weise sichtbar zu machen, war geglückt. Mit einem Schraubenzieher kratzte er den Dreck aus den Fugen zwischen den Platten - fast fünf Zentimeter tief - dann stieß er auf Widerstand. Immer wieder hielt er inne, weil er befürchtete, jemand könnte das kratzende Geräusch hören. Ein Hochgefühl wallte in ihm auf. Er bemerkte dabei gar nicht, dass seine Nackenhaare schon nass an ihm klebten und die Haut seines Nasenrückens rote Striemen aufwies. Nicht wegen der Kälte, sondern weil er seine Brille ständig nach oben schob. Immer hektischer rutschte er auf den Knien um die freigeschabte Steinplatte herum, fegte sie immer wieder ab und zuletzt begann er sogar mit einem Frotteetuch die Oberfläche förmlich zu polieren. Sein Atem rauschte teils pfeifend über seine Lippen. Das anfänglich kleine Glücksgefühl explodierte nahezu zu einer Ekstase. Nicht im Geringsten kam ihm in den Sinn, dass er vielleicht an der falschen Stelle suchen könnte - ausgeschlossen.
Dann ... hielt er inne.
Sein Blick wandte sich nach oben an die Decke. Auf den Bildern, die er von allen Wänden, Böden und Decken gemacht hatte, fiel ihm auf, dass über diesen Steinplatten dicke schmiedeeiserne Haken aus der Decke schauten. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, während er sich mit dem Ärmel seines Sweatshirts immer wieder übers Gesicht streifte.
Ruckartig stand er auf, begann im Rucksack zu wühlen und zog dann ein wirres Gebinde heraus, dass aus Eisenketten bestand. In der Mitte ein Gelenk. Allerdings hatte er jetzt erst ein Problem. Wie sollte er es dort oben an einen der Haken hängen?
Kurz dachte er nach.
Krachend ließ er das Kettengebinde vor seine Füße fallen und erschrak selbst bei diesem Gepolter.
Recht behände, was man ihm gar nicht zutrauen würde, wenn man ihn sah, eilte er hinaus. Erst oben im Hof machte er Halt und sah sich orientierend um. Tatsächlich, er hatte es richtig in Erinnerung. Am hinteren Ende dieser Eingangsfront stand ein kleines Gerüst aufgebaut. Darunter, an der Schlossmauer, lehnte eine Leiter. Solch eine, die man in verschiedenen Varianten aufklappen konnte. Keuchend schleppte er sie hinunter.
Schnell hatte er daraufhin den mitgebrachten Seilzug an den Haken gehängt. Die Kälte des Eisens spürte er sogar durch die dicken Handschuhe.
Wieder auf den Knien tastete er mit seinen wurstigen kurzen Fingern den Spalt ab, den er zuvor freigekratzt hatte. Leider konnte er partout nichts spüren, was auch nur auf die kleinste Kerbe hindeuten könnte. Trotzdem lächelte er, denn er hatte damit gerechnet. Siegessicher zog er einen mittelgroßen Akkubohrer aus dem Koffer.
Unter erhöhtem Kraftaufwand bohrte er in die vier Ecken der Platte Löcher in den Stein, die er anschließend mit speziellen Dübeln fütterte. Mühelos schraubte er schließlich die mitgebrachten dicken Ösen hinein. In bewundernswerter Geschmeidigkeit tänzelte er um seinen Arbeitsbereich herum, und endlich, als er zufrieden vor seinem Werk stand, war klar, was er vorhatte.
Der rechte Ärmel seines Pullis war nass. Seine Brille hatte er mittlerweile herunter genommen und zur Seite gelegt.
Immer wieder aufhorchend, ob jemand käme, gönnte er sich zunächst ein paar Schluck aus der Wasserflasche, bevor er den ersten Versuch wagte.
Erst überprüfte er den Aufbau. Alles schien fest verschraubt. Jetzt merklich angespannt trat er an das wagenheberähnliche Teil heran, welches er ebenfalls fest am Boden verankert hatte. Seine Hände zitterten, nicht nur von der, für ihn ungewohnten, Anstrengung. Langsam bewegte er den langen Hebel nach unten. Die Ketten spannten sich deutlich an. Das wiederholte er zwei Mal, bevor er auf richtigen Widerstand stieß. Nun würde sich zeigen, ob er recht behielt mit seiner Annahme.
Vorsichtig und dennoch mit all seiner verfügbaren Kraft drückte er den Hebel wieder nach unten.
Ein dumpfes PffffPop, dann drang das Kratzen von aneinander reibenden Steinen an seine Ohren.
Es funktionierte, die Steinplatte hob sich. Über ihm knirschte es plötzlich bedenklich. Mit bangem Blick nach oben drückte er den Hebel erneut nach unten und diesmal genügte die Hubhöhe. Die Platte schwang frei, wenige Millimeter über dem Boden. Noch ein oder zwei Mal, beschloss er, dann würde er seine präparierten Bretter darunter schieben können.
Wenige Minuten später besah er sich stolz sein Werk. Die schwere Steinplatte lag auf zwei dicken Brettern, unter die er kleine Rollen geschraubt hatte. Jetzt konnte er die Platte seitlich wegschieben. Fasziniert und von einem unbeschreiblichen Hochgefühl übermannt, sah er in die Tiefe. Aus dem schwarzen Loch, das sich unter der Platte aufgetan hatte, drang kalter, modriger Geruch. So stoßartig sein Atem die ganze Zeit über gegangen war, so ruhig und sanft floss er in diesen Sekunden.
War er am Ziel?
Wie ein Ruck durchzog es ihn von einem Moment auf den anderen. Schnell band er ein dünnes Seil an eine seiner Lampen, markierte das Seil und ließ die Lampe hinab in das Loch tauchen. Der Boden der Kammer, die sich offensichtlich unter ihm befand, war etwas mehr als zwei Meter unter ihm, was er an den Markierungen seines Seiles abschätzen konnte. Er setzte seine Brille wieder auf.
Um ohne Probleme hinabzusteigen, würde er die Platte, die danebenlag, auch noch heraushiefen müssen, wurde ihm schmerzlich klar, als er eine Weile lang den hellen Kreis um die Lampe dort unten betrachtet hatte.
Beflügelt von dem, was ihn erwartete, gelangen ihm die Handgriffe viel leichter, und so hatte er die zweite Platte in beinahe der halben Zeit herausgehoben.
Er hängte sich zwei weitere Campinglampen an seinen, eigens für diesen Zweck gekauften, Gürtel, zwei Taschenlampen und zuletzt einen kleinen Beutel mit Kerzen, Streichhölzern und dem Notizbuch. Dann klappte er die Leiter komplett auf, schob sie in das Loch und ohne zu zögern trat er den Weg in die Tiefe an.
Eine unheilvolle Tiefe.