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Kapitel 4

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Ich sag: ... es wäre schön, viel zu haben, aber brauch ich das?

Manuela Maer 2017

Rastatt, 6. Oktober 2016, Donnerstagvormittag

Zart erklang das Türglöckchen, als eine hochgewachsene Frau mittleren Alters den Buch- und Antiquitätenladen in der Rappenstraße betrat. Aufmerksam sah sie sich um. Einige Teenager befanden sich im hinteren Bereich und stöberten in einem Buchständer, in dem sich Neuerscheinungen befanden. Pascal Weger, der Mitarbeiter, kam vom hinteren Lager zurück, beladen mit einem Karton. Er stellte die Kiste auf die Ladentheke und erledigte den dazugehörigen Schriftkram, wobei er gleichzeitig der am Tresen stehenden Dame erklärte, welchen Durchschlag der Rechnung sie im Sekretariat ihrer Schule abgeben musste. Kurz schaute er auf, blickte lächelnd zu der Frau, die gerade den Laden betreten hatte. »Einen kleinen Moment bitte. Ich bin gleich für Sie da.«

Erneut betraten Leute den Laden.

»Was ist denn heute los?«, plapperte er vor sich hin, packte alles, was die Dame mit der Schulbestellung benötigte in die Kiste und begleitete sie zum Ausgang. Höflich hielt er ihr die Tür auf und bedankte sich freundlich. Bevor er sich dem nächsten Kunden widmen wollte, nahm er den Hörer des alten Telefons und wählte eine Nummer. »Julia ...! Kannst du runterkommen? Es sind sehr viele Kunden im Laden. Ich könnte deine Unterstützung gebrauchen.« Die Teenager im Auge behaltend wirkte er trotz allem zufrieden. »... danke! Bis gleich!«

Er hatte schon erfasst, dass keiner direkt seine Hilfe benötigte. Alle waren offensichtlich damit beschäftigt, in den Regalen nach lesenswertem Material zu suchen. Er blieb hinter der Theke stehen, beobachtete jetzt aber die Frau, die kurz zuvor hereingekommen war. Sie war wirklich auffallend groß und hatte leicht gewelltes, blondes Haar, welches gekonnt frisiert ihre Schultern bedeckte. Sie wirkte sehr frisch und gutaussehend für ihr Alter, welches er auf Anfang dreißig schätzte. Sie war leger gekleidet und trug zum Rucksack noch eine Kamera um den Hals. Keine gewöhnliche Kamera, das erkannte sogar er.

»Haben Sie auch Rad-Wanderführer, die von hier zum Bodensee führen?« Ein junger Mann unterbrach ihn in seinen Gedanken.

Bevor er allerdings reagieren konnte, nahm sich seine Chefin, die eben in diesem Moment den Laden betreten hatte, des Kunden an. »Kommen Sie, ich zeig Ihnen, wo Sie die Karten finden«, und führte ihn zu einem Ständer, in dem sich eine reichliche Auswahl davon befand. Kurz darauf stand sie bei ihrem Angestellten.

»Unglaublich heute! Für den Nachmittag haben sich inzwischen vier Personen angemeldet, wegen Antiquitäten. Ich war gerade dabei, oben ein wenig Ordnung zu machen, als du angerufen hast.« Kaum hatte sie ihren Satz beendet, winkte einer der Ladenbesucher zu ihnen herüber. »Ich geh schon!«, raunte Pascal ihr zu.

Mit Stolz beobachtete Julia das Treiben im Verkaufsraum. Seit den Vorfällen im vergangenen Frühjahr hatte sie viel mehr Besucher im Laden. Sicherlich hatten die Berichte in der Zeitung dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, und nur allzu gern hätte sie auf diese Art Beachtung verzichtet. Beinahe hätte nämlich ihr Sohn Jan-Steven, der vor ein paar Wochen zwölf Jahre alt geworden war, seinen Geburtstag nicht mehr erlebt. Ein Dämon, der durch einen dummen Zufall freigesetzt worden war, hatte Jagd auf ihn und einige seiner Klassenkammeraden gemacht.

Dennoch blühte seitdem das Geschäft, und für das, was sie für die Menschen getan hatte, die durch ihr Tun gerettet wurden, war dies zumindest ein kleiner Lohn. Es wusste nur keiner davon, was wirklich geschehen war. Es hätte ihnen wohl auch keiner geglaubt, dass ein Wasser-Dämon namens Leau Craignos sein Unwesen im Murgtal getrieben hatte.

Sie schüttelte sich, um die Gedanken fortzutreiben.

»Haben Sie kurz Zeit für mich?« Julia schaute die großgewachsene Frau mit verklärter Miene an. Sie brauchte einen Moment, um aus ihren Vorstellungen zurück in den Laden zu gelangen.

»Mein Name ist Christiane Klang-Berlioz, ich bin Journalistin einer hiesigen Tageszeitung und gerade dabei, einige historische Begebenheiten in unserer Umgebung zu recherchieren und könnte dabei etwas Unterstützung gebrauchen.« Freundlich und selbstbewusst hielt sie Julia die Hand entgegen. Perplex und gleichzeitig angenehm überrascht ergriff Julia die Hand und erwiderte den festen Händedruck. »Sie sind doch die Ladenbesitzerin?«, hakte die Pressefrau nach. Die weiche Stimme erzeugte zusätzlich Sympathie.

»Ja, ich bin Julia Brunner. Mit was kann ich Ihnen helfen?« Zaghaft, weiterhin die Hand haltend, starrte sie in die wachen blauen Augen der aufgeweckten Dame. Julia war misstrauisch. Die Erlebnisse der vergangenen Jahre steckten in den Knochen und waren noch lange nicht vergessen. Gesunde Skepsis konnte in solchen Situationen Leben retten. Endlich löste sie den Handgriff: »Ich könnte Recherchematerial gebrauchen.« Julias Blick wanderte durch den Laden. Pascal befand sich mittendrin und beriet einen Kunden nach dem anderen. Eben kam eine Frau mit einem Kind im Schlepptau auf sie zu. Sie wollte die beiden Bücher, die sie in der Hand hielt, bezahlen, was Julia sogleich dankend abwickelte. »Frau, ... ähm... wie war noch mal Ihr Name?« Ihr Blick streifte dabei prüfend die Uhr.

Geduldig antwortete die Pressefrau:

»Klang-Berlioz, ... aber bitte, sagen Sie Christiane. Ist einfacher zu merken.«

»Danke, ich heiße Julia. Ähm, also, eigentlich machen wir in einer Viertelstunde Mittagspause. Wenn Sie solange warten wollen, dann nehme ich mir ein wenig Zeit und wir werden nicht dauernd unterbrochen. Wenn Sie möchten, mache ich Ihnen gern einen Tee, dann können Sie sich dort hinten in die Leseecke setzen.«

»Ja danke! Den nehm ich gerne.« Schwungvoll begab sie sich zu dem kleinen runden Tisch.

Um zehn nach zwölf schloss Julia endlich die Ladentür zu.

»Das war ja irre heute Morgen«, stöhnte Pascal, der gerade dabei war, einige Papiere abzuheften. Die Augen auf die Dame in der Leseecke gerichtet, flüsterte er leise: »Was ist mit der?«

»Die ist von der Presse. Sie benötigt wohl Recherchematerial. Ich rede gleich mit ihr.« Julia nahm eine Tasse und ging ebenfalls in die Leseecke.

Die Tür zum Treppenhaus schwang auf und ein großgewachsener, äußerst gutaussehender Mann trat ein. Er war dunkel gekleidet und es mutete an, als würde ihn ständig ein leichter Wind umgeben. Pascal musste seine Unterlagen festhalten. Der Mann, dessen Augen so schwarz waren wie glänzende Kohlestücke, nickte Pascal zu und schaute dann nicht gerade unauffällig um die Ecke des Bücherregals. Fragenden Blickes beobachtete er Julia, wie sie mit einer ihm unbekannten Person lachte und wild bewegt redete. Pascal hatte seine Arbeit beendet und stand inzwischen neben ihm. »Die Frau scheint von der Presse zu sein. Keine Ahnung, was die wissen möchte. ... Ich geh nach oben. ... Bis später vielleicht.«

Er sah Pascal hinterher.

Langsam trat er näher an die beiden Frauen heran. Fast gleichzeitig schauten sie ihn an. Julia reagierte sofort.

»Oh, schön, dass du kommst. ... Das ist Christiane, sie ist von der Presse und benötigt Recherchematerial über einige Orte in und um Baden-Baden, ... und ...«, belustigt strahlte sie die Dame an, »... wir haben festgestellt, dass wir gar nicht so verschieden sind. ... Das ist ...«, sie wollte ihn vorstellen. Er dagegen nahm ihr das Wort ab.

»Ilya Duvent ist mein Name. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Er streckte Christiane seine Hand hin. Die tiefe melodische Stimme und sein unverschämt gutes Aussehen zogen die Pressefrau sofort in den Bann. Galant hauchte er einen zarten Kuss auf ihren Handrücken.

»Wo um alles in der Welt haben Sie denn diesen Mann ausgegraben?« Ihre Faszination konnte man von ihrem Gesicht ablesen. »Mit meinem Weg hierher könnte man unzählige Bücher füllen ...«, grinste er sie an.

Etwas irritiert und beinahe peinlich berührt zog sie ihre Hand weg. Dann stand sie auf, immer wieder den Blick in seine stechend schwarzen Augen suchend.

»Ich ..., ähm, ... ich muss jetzt gehen. Wir sehen uns dann am Wochenende«, sagte sie zu Julia gewandt. »Und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Das hilft mir sehr.« Schnell hängte sie sich ihre Kamera um den Hals, den Rucksack um die Schultern und verließ eilig den Laden.

So eingenommen sie sich in seiner Gegenwart gefühlt hatte, als sie auf der Straße stand, fühlte sie sich plötzlich leer. Ihr ganzer Körper sehnte sich das wohlige Gefühl von eben zurück. Kopfschüttelnd starrte sie auf den Laden, dann ging sie zu ihrem Auto. Julia dagegen wirkte mit einem Mal wütend.

»Sag mal, weshalb machst du das? Du kannst nicht immer einfach auftauchen und alles an dich reißen. Es sind meine Kunden und meine Geschäftsbeziehungen. Ich kann denen wohl kaum unterbreiten, dass du ein Dämon bist und verantwortlich für so einiges, was vor zwölf Jahren passiert ist.«

Wütend räumte sie den restlichen Tee und die Tassen zusammen und ging zurück zur Ladentheke. »Ich fürchte nur, dass sie nicht ganz ehrlich zu dir ist.«

»Woher willst du das wissen? Sie sucht nur altes Lesematerial ... und ja, mir ist auch klar, dass sie von der Presse ist und vielleicht nur versucht herauszufinden, was im vergangenen Frühjahr wirklich hier los war.«

»Dass dein Sohn beinahe einem Wasserdämon zum Opfer gefallen ist? Dass die Toten, die es gab, einem Wesen zuzuschreiben sind, das nicht von dieser Welt ist? ... Glaube mir Julia, es gibt noch so viele Ungereimtheiten und es wird immer wieder Menschen geben, denen das auffällt.«

»Glaubst du nicht, dass ich wachsam genug bin, um selbst auf mich aufzupassen? ... Und was willst du tun? Willst du sie etwa alle umbringen?« Auffordernd blickte sie ihn an. Sein verschmitztes Grinsen wühlte sie noch mehr auf, gerade weil sie ihn mehr mochte, als sie zugeben würde. Mit geröteten Wangen verließ sie den Verkaufsraum.

Ein Windwirbel umhüllte den Dämon, der sich in einer Nebelwolke auflöste und mit dem Wind forttragen ließ.

Ilya Duvent

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