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Emotionen und Entscheidungsfindung

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Der Affekt ist nicht nur notwendig, um Weisheit zu erlangen; er ist auch unwiderruflich in das Gewebe jeder Entscheidung eingewoben.

— Antonio Damasio, Neurowissenschaftler, University of Southern California

Haben Sie jemals eine schlechte Entscheidung getroffen? Sie haben auf Ihr Bauchgefühl gehört, und als es sich als falsch herausgestellt hat, haben Sie sich vor die Stirn geschlagen und gesagt: „Das war wirklich dumm von mir! Was habe ich mir dabei gedacht?“ Es war ein mentaler Aussetzer, oder vielleicht hatten Sie nur nicht richtig darüber nachgedacht. Im Nachhinein ist klar zu erkennen, was Sie nicht berücksichtigt haben. Hoffen wir, dass Sie eine Lektion gelernt haben.

Es ist vernünftig, sich das zu wünschen – aber was war die Lektion?

Wir glauben, dass unsere Fähigkeit, rational zu denken und zu argumentieren, unsere höchste mentale Kraft ist, die unserer unbändigen emotionalen Seite überlegen ist. Dies ist nur ein Streich, den uns unser Gehirn spielt – tatsächlich üben unsere Emotionen einen großen, wenn auch meist unbewussten Einfluss darauf aus, wie unser Verstand funktioniert. Diese Tatsache wird besonders deutlich, wenn es um den Entscheidungsprozess geht.

Es gibt die offensichtlichen Fälle, in denen Emotionen allein unser Handeln bestimmen. Wenn wir Flugangst haben, fahren wir mit dem Auto, obwohl es gefährlicher ist. Wenn uns die Leidenschaft mitreißt, vergessen wir vielleicht unsere üblichen Maßnahmen zur Verhinderung einer unerwünschten Schwangerschaft oder als Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten.

Doch der Einfluss der Emotionen geht weit darüber hinaus. Die meisten Entscheidungen sind Versuche, zukünftige Ergebnisse vorherzusagen: Wir sollten dieses Haus kaufen. Ich werde diesen Job nicht annehmen. Nudeln sind eine gute Wahl. In jedem Fall ziehen wir alle Optionen in Betracht und wählen diejenige, die am ehesten zu einem günstigen Ergebnis zu führen scheint. Zumindest theoretisch.

In Wirklichkeit bestimmen unsere Emotionen weitgehend unser Handeln. Wenn wir etwas Positives fühlen – Zuversicht, Optimismus, Zufriedenheit –, kommen wir zu einer Schlussfolgerung darüber, was wir tun sollten. Wenn unsere Emotionen negativ sind – Angst, Wut, Traurigkeit –, kann unsere Entscheidung ganz anders ausfallen, auch wenn wir mit den gleichen Fakten arbeiten.

Die sich daraus ergebenden Muster sind ziemlich vorhersehbar. Wie bereits weiter oben in diesem Kapitel erörtert, schränkt Angst unsere Aufmerksamkeit ein und verbessert unsere Konzentration auf Details. Sie lässt uns voraussehen, was schiefgehen könnte. Das mag nicht gerade ein Gefühl sein, das wir begrüßen, aber es ist eine gute Gemütsverfassung, wenn wir Aufgaben ausführen, bei denen es um Zahlen geht, wie zum Beispiel Finanzen. Wenn wir uns entscheiden, ob wir eine Investition oder eine größere Anschaffung tätigen, könnte uns eine sonnige Stimmung dazu bringen, die Risiken zu vernachlässigen und etwas zu tun, das wir später bereuen werden. Negative Emotionen veranlassen uns, Fakten sorgfältig abzuwägen und lieber übervorsichtig zu sein.

Positive Emotionen hingegen erfüllen uns mit dem Gefühl, dass das Leben so läuft, wie wir es uns wünschen. Wenn wir uns stark, überschwänglich und energiegeladen fühlen, stützen wir uns bei unseren Entscheidungen eher auf Heuristiken beziehungsweise auf unser Bauchgefühl in diesem Moment als auf umfassende Begründungen. Das ist eine nützliche Einstellung, wenn wir eine Geburtstagsfeier planen oder wenn jemand moralische Unterstützung braucht, aber vielleicht nicht so hilfreich, wenn wir unsere Steuererklärung ausfüllen.

Die wahre Rolle der Emotionen bei unserer Entscheidungsfindung wurde in Experimenten ausgiebig untersucht. Forscher erzeugen eine Stimmung bei ihren Probanden, indem sie sie zum Beispiel etwas Fröhliches oder Trauriges lesen oder sehen lassen – und sie dann bitten, Entscheidungen zu treffen. In einer Studie saßen die Probanden in Räumen, die entweder gemütlich oder ungemütlich waren und wurden dann nach ihrer Zufriedenheit mit ihrem Leben gefragt. Die Personen, die in gemütlichen Räumen saßen, berichteten, dass sie zufriedener seien. In einer anderen Studie nahmen die Probanden, wenn sie sich traurig fühlten, einen Berg als steiler wahr, als er tatsächlich war. Und in einer Studie über die Zulassung zum Medizinstudium wurde festgestellt, dass Bewerber eher an sonnigen Tagen zugelassen wurden als wenn es regnete. Ja, die Entscheidung der Zuständigen wurde durch das Wetter beeinflusst!

In einem Experiment, das wir in Yale durchgeführt haben, wurden die Lehrkräfte in zwei Gruppen aufgeteilt. Der einen Gruppe wurde gesagt, sie solle sich an positive Erlebnisse im Klassenzimmer erinnern und diese aufschreiben, der anderen wurde aufgetragen, sich an ein negatives Erlebnis zu erinnern. Dann wurden alle gebeten, denselben Aufsatz eines Mittelstufen-Schülers zu benoten. Die Gruppe in positiver Stimmung bewertete den Aufsatz eine ganze Note besser als die Gruppe mit negativer Stimmung. Als wir die Lehrkräfte fragten, ob sie glauben, dass ihre Stimmung Einfluss darauf hatte, wie sie die Aufsätze bewertet haben, verneinten dies 87 Prozent. Beurteilungen, die ein höheres Maß an Subjektivität mit sich bringen, wie zum Beispiel die Benotung eines kreativen Aufsatzes, sind im Allgemeinen mit einem erhöhten Risiko emotionaler Voreingenommenheit behaftet, im Vergleich zu objektiveren Beurteilungen wie zum Beispiel der Benotung einer Mathearbeit.

Und unsere Gefühle können noch lange nach dem Moment verweilen, der sie herbeigeführt hat – und unser späteres Verhalten beeinflussen, ohne dass wir es wissen –, was als „Incidental Mood Bias“ (unbeabsichtigte Stimmungsverzerrung) bezeichnet wird. Wenn Sie sich zum Beispiel beim Frühstück mit Ihren Kindern streiten und während der Fahrt zur Arbeit immer noch wütend sind, könnten Sie aggressiver als sonst fahren und riskante Entscheidungen treffen. Wenn wir uns an glückliche Momente aus unserer Vergangenheit erinnern, treffen wir wahrscheinlich Entscheidungen, die auf Optimismus und Zuversicht beruhen. Wenn wir uns an negative Dinge erinnern, werden wir skeptisch und pessimistisch und entscheiden anders.

Der Einfluss von Wut ist nicht der, den man erwarten würde: In Studien hat man herausgefunden, dass Menschen, wenn sie wütend sind, dazu neigen zu glauben, dass andere Menschen Schuld haben, wenn etwas schiefläuft. Wenn wir traurig sind, ist es wahrscheinlicher, dass wir äußeren Umständen die Schuld geben. Interessanterweise macht Wut die Menschen optimistischer als Traurigkeit, möglicherweise weil wütende Menschen das Gefühl haben, ihr Leben besser im Griff zu haben.

Wir treffen ständig Entscheidungen, den ganzen Tag lang, und die meisten von ihnen sind nicht sehr bedeutend. Wir können nicht über jede einzelne Entscheidung nachdenken, also verlassen wir uns auf unseren Verstand, um schnelle Urteile zu fällen. Diese Fragen tauchen in der aktuellen Forschung über die Funktionsweise unseres Gehirns immer wieder auf. Es gibt das Konzept „schnelles Denken und langsames Denken“, bei dem davon ausgegangen wird, dass unsere Gehirne auf zwei getrennten, aber sich überschneidenden Bahnen arbeiten, von denen die eine ohne jede oder viele Überlegungen sofort reagiert und die andere sich Zeit lässt und die Informationen zuerst abwägt. Wenn wir unser Gehirn für vertraute oder relativ einfache Funktionen einsetzen, kommen wir zu schnellen Antworten, während neuartige Situationen oder komplexe Probleme uns zum Nachdenken veranlassen. Diese schnellen Entscheidungen sind besonders anfällig für unsere Stimmungen und unbewusste Verzerrungen, vor allem, wenn zusätzliche Informationen nicht verfügbar sind. Wir entscheiden oft mit minimalem bewusstem Denken.

All dies soll nicht heißen, dass Emotionen unser Urteilsvermögen von Natur aus trüben. Tatsächlich kann durch ein größeres emotionales Bewusstsein genau das Gegenteil der Fall sein: Unsere Gefühle können als eine weitere Form der Information dienen, die uns wichtige Dinge darüber verrät, wie wir auf eine bestimmte Situation reagieren. Wenn wir vor einer Entscheidung stehen, kann uns die Angst eines sagen, die Begeisterung etwas ganz anderes. Wenn wir dies wissen, können wir unseren emotionalen Zustand berücksichtigen, bevor wir uns für eine bestimmte Vorgehensweise entscheiden. Ist es unsere negative Stimmung, die uns misstrauisch macht, oder haben wir einen echten Grund zur Sorge? Ist unser Selbstvertrauen ein Ergebnis unserer überschwänglichen Stimmung, oder ist dies wirklich die perfekte Entscheidung?

Die Kraft der Gefühle

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