Читать книгу Die Kraft der Gefühle - Marc Brackett - Страница 12

Emotionen und Gesundheit

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Emotionale Krankheit vermeidet die Wirklichkeit um jeden Preis. Emotionale Gesundheit stellt sich der Wirklichkeit um jeden Preis.

— M. Scott Peck

Es ist drei Uhr morgens und Sie sind wach und starren an die Decke, weil Sie sich wegen eines ernsten Problems Sorgen machen. An Schlaf ist nicht zu denken. Das haben wir alle schon erlebt. Sie stehen zu sehr unter Druck und sind zu durcheinander, um auch nur an Sport zu denken, und außerdem haben Sie zu viel anderes zu tun, sodass Sie den Besuch im Fitnesscenter ausfallen lassen, obwohl Sie wissen, dass Sie sich dabei gut fühlen. Hilft nichts. Sie essen unregelmäßig. Statt an das Abendessen zu denken und es zu planen, dafür einzukaufen und zu kochen, holen Sie sich auf dem Heimweg von der Arbeit eine Pizza. Das passiert in letzter Zeit oft. Und nachdem das erledigt ist, müssen Sie sich erholen, also essen Sie einen Becher Eiscreme und bleiben eine Stunde vor dem Fernseher sitzen. Bis es endlich Zeit fürs Bett ist und Sie erneut um drei Uhr morgens an die Decke starren …

Vergessen Sie für einen Moment Ihre emotionale Gesundheit – stellen Sie sich vor, was Sie Ihrer körperlichen Gesundheit antun.

Wenn wir den Einfluss von Emotionen auf unser Wohlbefinden betrachten, müssen wir zunächst daran denken, dass unser Gehirn – wo die meisten unserer Gefühle ihren Ursprung haben – genauso Teil unseres Körpers ist wie jedes andere Organ und ebenso von Blut, Sauerstoff und Nährstoffen gespeist wird. Unsere Emotionen sind mit physiologischen Reaktionen in unserem Gehirn verbunden, bei denen Hormone und andere starke Chemikalien freigesetzt werden, die wiederum unsere körperliche Gesundheit beeinflussen, was wiederum Auswirkungen auf unseren emotionalen Zustand hat. Alles ist miteinander verbunden.

Deshalb können körperliche Krankheiten die Folge sein, wenn unser Kopf unter emotionalem Stress steht. Es gibt aber auch das entgegengesetzte Phänomen: körperliches Wohlbefinden, das durch positive Gefühle gefördert wird. Beides unterstreicht, wie wichtig es ist, dass wir uns um unser Gefühlsleben kümmern.

Sogar unsere Einstellung zu Stress kann gesundheitliche Folgen für uns haben, von Gewichtsverlust bis zu Schlaflosigkeit. In einer Studie wies Alia Crum, Assistenzprofessorin an der Stanford University, nach dem Zufallsprinzip 300 Mitarbeiter eines Finanzunternehmens an, sich zwei verschiedene dreiminütige Videos über Stress anzusehen. Die Hälfte der Probanden sah sich ein Video an, das die negativen Aspekte von Stress verstärkte; die anderen sahen sich ein ähnliches Video an, aber die Botschaften verstärkten die positive Seite. Nach vier Wochen wurden die Beschäftigten befragt: Die „Stress ist schlecht“-Gruppe hatte mehr negative Gesundheitssymptome als die „Stress ist gut“-Gruppe.

In unserem Gehirn werden Hormone und andere neurochemische Stoffe ein- und ausgeschaltet, je nachdem, was wir gerade fühlen. Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde-Achse (HPA), die sich im Mittelhirn befindet, ist eines der wichtigsten neuroendokrinen Systeme, die steuern, wie wir auf Stress reagieren, und auch Emotionen und Stimmungen regulieren. In der HPA-Achse haben auch bestimmte Hormone, wie Adrenalin und Cortisol, ihren Ursprung. Forscher, die diese Hirnregion untersucht haben, haben herausgefunden, dass die Exposition gegenüber milden, alltäglichen Stressoren im frühen Alter unsere zukünftige Fähigkeit, Emotionen zu regulieren, verbessert und uns lebenslange Belastbarkeit verleiht. Aber die Exposition gegenüber extremem oder lang anhaltendem Stress bewirkt genau das Gegenteil – sie induziert Hyperaktivität in der HPA-Achse und eine lebenslange Anfälligkeit für Stress.

Der Unterschied zwischen gutem Stress und schlechtem Stress hat vor allem mit Dauer und Intensität zu tun. Beispielsweise ist es eine Form von Stress, eine überzeugende Präsentation für einen Kunden vorbereiten zu müssen, aber von der guten Sorte. Er entsteht durch die Herausforderung, ein gewünschtes Ziel zu erreichen, und dauert nur kurze Zeit. Das Ende eines Spiels oder ein wichtiges Ereignis wie eine Hochzeit wirkt in ähnlicher Weise auf uns. Es verursacht Stress, macht aber glücklich. Diese Ereignisse bewirken die momentane Ausschüttung von Stresshormonen, aber dann endet dieser Zustand wieder. Studien an der Stanford University School of Medicine haben ergeben, dass kurze Stressschübe das Immunsystem stärken und die Menge der krebsbekämpfenden Moleküle erhöhen können – und die Wirkung hält noch Wochen nach Beendigung der Stresssituation an.

Wir können evolutionär mit kurzfristigem Stress umgehen – Hormone werden freigesetzt und ermöglichen es uns, erfolgreich auf die Krise zu reagieren, worauf die Hormone wieder heruntergefahren werden. Das ist nicht das, was an manchen Arbeitsplätzen passiert, wo wir vielleicht gezwungen sind, täglich acht Stunden mit einem Chef zu verbringen, der uns das Leben zur Hölle macht, oder an Schulen, wo die Schüler sich vor den Tyrannen auf der Busfahrt nach Hause fürchten. Viele von uns verbringen Stunden und ganze Tage unter emotionalem Druck, bis es zu einem chronischen Zustand wird. Unser Gehirn wird ständig mit Stresshormonen geflutet, auf die uns die Evolution definitiv nicht vorbereitet hat. In diesen Fällen leiden wir nicht nur emotional – auch unsere körperliche Gesundheit ist betroffen.

„Stress versetzt Sie in einen Kampf-oder-Flucht-Zustand, in dem Ihr Körper langfristige Aufbau- und Reparaturprozesse abschaltet“, so Robert Sapolsky, Professor an der Stanford University, in seinem Buch Behave. „Gedächtnisleistung und Präzision sind beeinträchtigt. Wir ermüden leichter, können Depressionen entwickeln und unsere Fortpflanzungsfähigkeit leidet.“

Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Beweise für den langfristigen Schaden, der durch emotionale Traumata in der Kindheit, wie zum Beispiel Mobbing, verursacht wird. Folgen können ein geschwächtes Immunsystem sein, Schmerzen und Störungen im Verdauungstrakt, Kopfschmerzen, Schlafschwierigkeiten, Konzentrationsschwierigkeiten und Depressionen. Diese Auswirkungen können bis ins Erwachsenenalter andauern und zu körperlichen und psychischen Gesundheitsproblemen führen, lange nachdem das Mobbing der Vergangenheit angehört.

Sich „niedergeschlagen“ zu fühlen – Pessimismus, Apathie, Depression – hängt mit einem niedrigen Serotonin- und Dopaminspiegel zusammen, den sogenannten Wohlfühl-Neurotransmittern. Serotonin spielt eine Rolle bei der Schmerzwahrnehmung, was möglicherweise der Grund dafür ist, dass Menschen, die negative Emotionen empfinden, über schwerwiegendere Krankheitssymptome berichten, und fast die Hälfte der Patienten mit Depressionen leidet auch unter Schmerzen.

Negative emotionale Zustände – Angst, Wut, Traurigkeit, Stress – stehen in engem Zusammenhang mit ungesunden Verhaltensweisen wie ungesunder Ernährung, Rauchen, übermäßigem Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und sozialer Isolation, von denen viele der 5.000 Lehrkräfte quer durch die USA in einer kürzlich von uns durchgeführten Studie betroffen waren. Es sind dieselben Faktoren bezüglich unserer Lebensweise, die zu den gefürchtetsten und verbreitetsten Krankheiten beitragen: Herzkrankheiten, Krebs, Typ-2-Diabetes, Sucht, Demenz. Diese Erkrankungen wiederum haben verheerende Auswirkungen auf unser Gefühlsleben, und die Rückkopplungsschleife wird zu einer Abwärtsspirale für unsere Gesundheit, sowohl geistig als auch körperlich. Letztlich verstärken sie die Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, und vereiteln die Hoffnung darauf, dass es uns jemals gelingen wird, unsere Stimmungen oder unsere Gesundheit zu verbessern. Interessanterweise haben wir festgestellt, dass ein positives Arbeitsklima für Lehrkräfte als Puffer für die schädlichen gesundheitlichen Auswirkungen negativer Emotionen dient.

Es gibt viele medizinische Studien, die zeigen, dass Feindseligkeit und Wut mit Herzkrankheiten zusammenhängen. Männer, die am meisten Wut verspürten, waren mehr als zweieinhalbmal so häufig von kardialen Ereignissen wie einem Herzinfarkt betroffen wie andere Männer. Negative Emotionen wurden mit Bluthochdruck, erhöhter Herzfrequenz, Verengung der peripheren Blutgefäße, ungesunden Blutfettwerten und einer verminderten Funktion des Immunsystems in Verbindung gebracht.

Ein Wutausbruch führt nicht nur zu einem sprunghaften Anstieg des Blutdrucks, sondern unser Blutdruck steigt jedes Mal erneut an, wenn wir uns daran erinnern, was uns so wütend gemacht hat. Einer Studie zufolge kann eine dreißigminütige Auseinandersetzung mit Ihrer besseren Hälfte die Heilungsfähigkeit Ihres Körpers mindestens um einen Tag verzögern. Und wenn Sie regelmäßig streiten, verdoppelt sich diese Verzögerung. Selbst subtile Formen der Wut wie Ungeduld, Reizbarkeit und Griesgrämigkeit können der Gesundheit schaden.

Wir können den Einfluss unserer Emotionen auf unsere körperliche Gesundheit auch auf weniger gravierende Weise sehen. Der Stress, der damit verbunden ist zu wissen, dass man eine Rede halten muss, kann den Schweregrad von Allergiesymptomen für zwei Tage verdoppeln. Sich traurig zu fühlen lässt Krankheitssymptome schlimmer erscheinen und verursacht größere Beschwerden. In einer Studie war die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit weniger positiven Emotionen, die einem Virus ausgesetzt wurden, daran erkranken, dreimal so hoch wie bei Menschen mit mehr positiven Emotionen. Wenn die letztere Gruppe erkrankte, waren ihre Symptome weniger schwer.

Aber unsere Emotionen können auch die Freisetzung vorteilhafter Neurochemikalien und Hormone auslösen. Weinen ist beruhigend, weil es Stresshormone aus unserem Körper herausschwemmt. Dankbarkeitsgefühle erhöhen den Sauerstoffgehalt in unserem Gewebe, beschleunigen die Heilung und stärken unser Immunsystem. Es wurde festgestellt, dass Verliebtsein das Niveau des Nervenwachstumsfaktors erhöht, einer hormonähnlichen Substanz, die das Nervensystem wiederherstellt und das Gedächtnis verbessert. Die Wirkung hält nach Ansicht des Forschungsteams etwa ein Jahr lang an. In einer Studie erhöhte Lachen beim Betrachten einer Komödie die Ausschüttung von Beta-Endorphinen, die unsere Stimmung verbessern, und stimulierte Wachstumshormone, die unsere Zellen reparieren. Sogar die Vorfreude auf das Lachen senkte den Cortisol- und Adrenalinspiegel. Lachen kann auch das Herzinfarktrisiko senken. Sich gut zu fühlen, kann daher ein gesundes Verhalten fördern, was wiederum ein größeres emotionales Wohlbefinden und körperliche Gesundheit begünstigen kann.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurden US-Studierende getestet, und diejenigen, die die positivsten Emotionen – Dankbarkeit, Liebe usw. – erlebten, entwickelten später mit geringerer Wahrscheinlichkeit depressive Symptome. Dies deutet darauf hin, dass Menschen mit positiveren Gefühlen nach einer Krise möglicherweise widerstandsfähiger sind als Menschen, die weniger positive Emotionen erleben.

Wir werden niemals negative Emotionen aus unserem Leben oder dem unserer Kinder eliminieren. Das sollten wir auch nicht. Aber wir müssen uns um das Spiel der positiven und negativen Emotionen kümmern, das für zu viele von uns aus dem Gleichgewicht geraten ist. Wie bereits berichtet, haben unsere Untersuchungen in Yale ergeben, dass Schulkinder, Lehrkräfte und Geschäftsleute bis zu 70 Prozent der Zeit, in der sie in der Schule oder bei der Arbeit sind, negative Emotionen erleben. Ihre Gefühle sind nicht das Einzige, was auf dem Spiel steht – auch ihre Gesundheit steht auf dem Spiel. Was ist nötig, um das Verhältnis von negativen zu positiven Emotionen zu verändern? Wie sieht das Verhältnis bei Ihnen aus?

Die Kraft der Gefühle

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