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25.Dhahran (Saudi Arabien) – 11. Oktober, 22:47 Uhr Ortszeit

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Die große Flügeltür des Haupteingangs öffnete automatisch. Ein korpulenter zweiundfünfzigjähriger Mann mit weit aufgezogener Krawatte und verschwitztem Hemdkragen trat ins Freie. Mit dem rechten Arm umklammerte er eine schmale Aktentasche und bemühte sich, seinen Schritten keine Eile anmerken zu lassen. Auf der Fußgänger­brücke blickte er sich um. Die hell erleuchtete Lobby war menschenleer und die Abendluft war vom warmen Wüstenwind erfüllt. Nach einem kurzen Blick zu den Fensterreihen des sechsstöckigen Gebäudes ging Parker Stapleton weiter auf den Parkplatz, wo er im hinteren Bereich seinen alten Ford-Geländewagen geparkt hatte. Seine Augen mussten sich an die Dunkelheit gewöhnen und das Licht der wenigen Laternen beleuchtete nur Ausschnitte des großen Parkplatzes. Hinter dem Gelände ragte das mit hellem blauen Licht erleuchtete Minarett der Moschee des Saudi Aramco Komplexes in den Nachthimmel.

„Sir!“, rief eine Stimme aus der Dunkelheit. Stapleton erfasste ein heißer Schauer. Der Schweiß schoss ihm aus allen Poren, als sich sein Herzschlag beschleunigte.

„Sir, kommen Sie hier herüber.“

„Wer sind Sie? Was wollen Sie?“ Stapleton umklammerte die Aktentasche mit beiden Händen. Gegen das schwache Licht der hinter dem Parkplatz gelegenen Moschee konnte er einen mittelgroßen, kräftig gebauten Einheimischen erkennen.

„Später. Kommen Sie. Sie werden bereits erwartet, Mister Stapleton.“ Der stämmige Mann ging langsam voraus zu einer am Rand des großen Parkplatzes abgestellten Limousine. Stapleton sah sich hektisch nach allen Seiten um und suchte nach Anzeichen für die Anwesenheit anderer Menschen. Außer dem kräftigen Saudi und der dunklen Limousine war nichts und niemand zu erkennen. Zögerlich folgte er dem Mann, der inzwischen an der hinteren Tür der S-Klasse angekommen war. Als er den Wagen ebenfalls erreicht hatte, öffnete der Einheimische die Hinter­tür und Stapleton erkannte im Schein der Innenbeleuchtung ein bekanntes Gesicht.

„Parker, habe ich mir doch gedacht, dass ich Dich hier treffe.“

Stapleton schnaubte vor Wut, brachte aber kein Wort heraus. Stattdessen beugte er sich in den Innenraum und hievte seine zweihundertfünfzig Pfund mit einem Keuchen in den Wagen. Mit schnaufenden Atemzügen rutscht er auf den Rücksitz der Limousine und schloss die Tür mit dumpfem Klacken. „Mensch Bill. Du hast mir einen Schrecken einge­jagt“, prustete Stapleton und beobachtete das knappe Zeichen, mit dem Brighton den Fahrer zum Losfahren anwies. Als der Wagen angefahren war, schloss Brighton die Scheibe, die die vorderen Sitze vom Fonds der Luxuslimousine abtrennte.

„Konntest wohl nicht bis morgen warten, Bill?“, brummte Stapleton und sah Brighton durchdringend an.

„Die Sache ist zu wichtig für mich“, erklärte der Grauhaarige mit vielsagendem Geschichtsausdruck. „Ich habe damit gerechnet, dass Du heute Abend hier sein wirst, um sie Dir zu besorgen.“

„Das hätte auch schiefgehen können.“

„Ist es aber nicht. Oder?“

„Nein, ist es nicht. Du weißt doch, dass Du Dich auf mein Wort verlassen kannst.“

„Ja, das weiß ich, Parker. Das weiß ich.“

Stapleton und Brighton blickten sich eine Weile wortlos an während der Wagen die Stadtgrenze hinter sich ließ. Dann griff Stapleton nach seiner schmalen kalbsledernen Aktentasche, die das Firmenlogo von OilTech zierte – eine einprägsam stilisierte Ölförderpumpe über dem Schriftzug der Firma – und holte eine gebundene Unterlage hervor: „Das ist die Studie, Bill. Hab’ dafür einiges an Argumenten gebraucht.“

Brighton griff ungeduldig nach der einhundertfünfzig Seiten starken, als strictly confidential gekennzeichneten Unterlage und las sekundenlang schweigend den Titel: The Future of Saudi Aramco Oil Supply – Ghawar Enhanced Oil Recovery Potential and Technological Weaknesses.

„Ich glaube aber nicht, dass Du darin Dinge findest, die Du nicht ohnehin schon weißt oder zumindest ahnst“, erklärte Stapleton und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Oberlippe. „Vielleicht nicht gerade vom Timing. Das ist wirklich ein neuer Aspekt.“

„Ich weiß, Parker“, antwortete Brighton. Dabei bog der Wagen auf eine Schnellstraße und beschleunigte. Stapleton wartete auf eine Antwort.

„Mich interessiert auch vielmehr die Schwachstellenanalyse. Gib’ mir ein paar Minuten.“ Dann blätterte Brighton durch die Unterlagen und überflog konzentriert die mit Text, Tabellen und Grafiken gefüllten Seiten.

„Sehr interessant, Parker“, murmelte er, ohne beim Blättern von den Seiten aufzuschauen. Stapleton trocknete währenddessen mit einem Taschentuch seinen Nacken und sah Brighton erwartungsvoll an.

Das 1948 entdeckte Ghawar-Feld ist das mit Abstand größte Ölfeld der Welt und liefert mit fünf Millionen Barrel Rohöl am Tag etwa sechs Prozent der weltweiten Produktionsmenge. Trotz Einspeisung unvorstell­barer Mengen von Meerwasser bereits seit 1965 war die Fördermenge seit Jahren rückläufig. Ein Beben ging durch die Fachwelt als Saudi Aramco offiziell eingestand, worüber die Industrie bereits seit langem spekulierte: Die Förderung hatte bereits im Jahr 1981 ihren Höhepunkt überschritten und sank zuletzt jährlich um acht Prozent. Aus diesem Grund forschten die Ingenieure von Saudi Aramco seit Jahrzehnten fieberhaft an der Weiterentwicklung des sogenannten Enhanced Oil Recovery. Sie suchten nach Möglichkeiten, die Hoffnung auf weitere Ausbeute noch eine gewisse Zeit aufrecht zu erhalten. Der Preis dafür waren weitaus aufwendigere und gefährliche Verfahren und eine deutliche Verschlechterung der Gesamtenergiebilanz. Doch der Erfolg einer um Jahre verlängerten Ausbeute und damit die Fortschreibung des arabischen Ölwunders heiligte die Mittel.

Als die Limousine die Fahrt verlangsamte, legte Brighton die Unterlagen zur Seite. „Sag’ mal Parker, traust Du unseren Freunden zu, dass sie das mit der neuen Fördertechnik hinkriegen? Wie wollen sie die Förder­mengen von Ghawar über die nächsten 15 Jahre stabilisieren, wenn sich jetzt schon die jährliche Abnahme der Förderung kaum noch aufhalten lässt?“, wollte Brighton von dem korpulenten Chefingenieur von OilTech, dem weltweit größten Unternehmen für technische und operative Dienstleistungen für die Erdölindustrie, wissen. Der laute und grobschlächtige Parker Stapleton war für die Technik aller Ölfeld­dienstleistungen im gesamten Mittleren Osten einschließlich dem Irak und den Kaukasusrepubliken der russischen Föderation zuständig. Seine Texanische Herkunft verriet er durch einen grässlichen Südstaatenakzent. Sein saloppes, zum Teil schlampiges Auftreten irritierte seine Gegenüber im ersten Augenblick. Doch er hatte verantwortlich gezeichnet für Planung und Bau hunderter Ölbohr- und Fördereinrichtungen weltweit. Und dabei hatte er alle seine Zusagen, insbesondere von Terminen, gegenüber den sehr anspruchsvollen Kunden aus dem arabischen Raum eingehalten. Damit war es nicht zuletzt sein Verdienst, dass das Ölförder-Geschäft von OilTech seit Mitte der Achtziger Jahre im Mittleren Osten sehr viel schneller als der übrige Markt gewachsen war und die Gesellschaft innerhalb weniger Jahre Marktführer geworden war. Stapleton besaß dadurch alle Freiräume für neue Projekte und die Weiterentwicklung von Fördertechniken. Mit den Jahren hatte sich das Vertrauen zwischen den beiden ungleichen Männern verfestigt. Das hatte Brighton schließlich dazu veranlasst, Stapleton die Verantwortung für das gesamte Geschäft im Mittleren Osten anzubieten, das neben dem Explorations- und Förderbereich auch den Bau und Service von Raffinerien umfasste und alle fünf großen Raffinerien von Saudi Aramco zu seinen Kunden zählte. Doch Stapleton hatte dankend abgelehnt. Er wollte die Dynamik neuer Bohrungen und Fördersysteme nicht gegen lähmende Meetings und Schreibtischarbeit tauschen.

„George, die Frage ist doch nicht, ob ich denen glaube was sie da schreiben.“ Stapleton wischte sich wieder mit dem Handrücken den Schweiß von der Oberlippe und benutzte wie immer, wenn er nicht einer Meinung mit Brighton war, dessen Vornamen. „Sie müssen es einfach hinkriegen.“ Er machte einen vielsagenden Gesichtsausdruck. „Wenn Ghawar peakt, dann peakt ganz Saudi Arabien und damit die ganze verdammte Ölindustrie.“

„Schon gut Parker. Ich weiß es ja. Du brauchst mir keine Nachhilfe in Sachen Peak Oil zu geben.“

„Die sind wild entschlossen, das ganze verdammte Feld mit Kohlen­dioxid vollzupumpen. Seit drei Jahren gibt es kein Meeting bei dem wir nicht darüber sprechen. Das Ganze ist echt nicht ohne. Du wirst es morgen selber sehen.“ Stapleton keuchte. „Ich habe ihnen gesagt, dass sie alle Bohr- und Förderstellen noch einmal überholen und absichern müssen, bevor sie beginnen. Aber Abdul hat mich nur ausgelacht.“ Er schnaubte. „Wir hätten nur unser Geschäft im Sinn. Ich wolle ihm nur unsere verdammte Technologie verkaufen, hat er mir vorgeworfen. Du kennst ihn ja.“

„Er ist ein unverbesserlicher Verdränger von Problemen.“ Brighton lachte. „Aber sag‘ mal Parker, wie weit sind sie denn eigentlich mit dem Technologie-Upgrade bei der Steuerungselektronik? Die Schwach­stellenanalyse geht nur am Rande auf die Probleme in der Steuerung der Produktionslogistik ein.“

„Die haben jetzt das Operations Coordination Center in Betrieb, von wo aus sie alle Rigs online kontrollieren können“, erklärte Stapleton.

„Ja, das weiß ich doch. Ich lese auch die Zeitung. Ich meine, wie funktioniert es? Haben sie beispielsweise immer noch diese häufigen technischen Ausfälle der Raffinerien?“

„Nein, das haben sie in den Griff bekommen.“ Stapleton kniff die Augen zusammen. „Ich habe jedenfalls in der letzten Zeit nichts mehr davon gehört.“ Wieder blickte er auf seine Uhr. „Verdammt spät schon, Bill.“ Dann lehnte er sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Der Wagen näherte sich inzwischen ihrem Ziel.

„Zu schade, dass Peter Atkins und Christian O’Sullivan uns verlassen haben“, durchbrach Stapleton nach einer Weile das monotone Geräusch des Zwölfzylinders. „Sie wussten über die Anlagen am besten Bescheid. Sie könnten Dir sofort sagen, wo im Moment die größten Schwachstellen liegen.“ Stapleton seufzte. „Weißt Du eigentlich, wo sie hingegangen sind?“

„Ich habe davon gehört, Parker“, antwortete Brighton. „Gute Männer, diese beiden.“

„Verdammt gute. Ich würde sagen, die besten, die OilTech je hatte.“ Stapleton nickte nachdenklich. „Sie kennen jede verdammte Ölförderung von hier bis hoch an den Kaukasus. Ihr Weggang wird eine ziemliche Lücke hinterlassen. Ich wüsste nur gerne, wo sie hingegangen sind. Hast Du wirklich nichts gehört, Bill?“

Brighton reagierte nicht, sondern schwieg und lenkte seine Aufmerk­samkeit wieder auf die Unterlagen.

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