Читать книгу Sustainable Impact - Marc F. Bloom - Страница 30
28.Dhahran (Saudi Arabien) – 12. Oktober, 10:49 Uhr Ortszeit
ОглавлениеDer dunkle Sikorsky hob langsam vom Dach des OilTech Hauptquartiers im Mittleren Osten ab und schwebte über die begrünten Häuserreihen von Dhahran nach Westen. Die Sonne hatte die Landschaft bereits auf unerträgliche Temperaturen aufgeheizt. Die Luft flimmerte unter dem Helikopter.
„Da drüben ist wieder eines von diesen neumodischen Kraftwerken, mit denen sie neuerdings die ganze Wüste vollpflastern“, polterte der korpulente Mann auf einem der hinteren Passagierplätze. Dabei deutete er auf die in mehreren Reihen aufgestellten Spiegel, die im Sonnenlicht dunkelblau schimmerten. Die hochreflektiven Parabolspiegel erhitzen ein spezielles Ölgemisch, das in schwarzen Röhren durch den Brennpunkt der Spiegel geleitet wird. In einem zentralen Kreislauf gesammelt erzeugt das mehrere hundert Grad heiße Wärmeträgermedium über einen Wärmetauscher Dampf, der über eine Dampfturbine einen Stromgenerator antreibt.
„Daran werden wir uns gewöhnen müssen“, antwortete der fünfundfünfzigjährige Mitreisende. „Irgendwann ist das Öl am Ende und unserem Klima hilft es auch.“
„Aber ersetzen wird es das Öl nicht“, brummte der Dicke in die Bordsprechfunkanlage. „Die Energiedichte und die unvorstellbar vielen Anwendungsmöglichkeiten von Öl lassen sich niemals durch dieses ganze erneuerbare Zeug ersetzen.“
„Das kannst Du Dir im Moment nur noch nicht vorstellen, Parker. Aber eines Tages – und ich persönlich bin davon überzeugt, dass das nicht mehr so weit in der Zukunft liegt – werden wir gar keine andere Wahl mehr haben. Wir alle werden unsere Einstellung zur Erzeugung und Nutzung von Energie drastisch ändern müssen. Wir brauchen solche neuen Technologien.“
„Diese lustigen Brutzelöfen und ein paar Windräder!“, warf der Dicke ein.
„Nicht nur die. Es wird eine völlig neue Infrastruktur geben. Solare Energieerzeugung, Wasserstoffkreisläufe, chemische Prozessketten, die vollständig auf nachwachsenden Rohstoffen basieren. Derzeit ist die Geschwindigkeit der Migration von unserer alten Infrastruktur auf die neue Technologie noch viel zu langsam. Wir alle werden uns massiv umstellen müssen…“
„Das mag sein, Bill“, fiel ihm der Übergewichtige ins Wort. „Aber vorerst haben wir noch genug Öl. Und wir arbeiten daran, dass es so bleibt.“ Dann verschränkte er die Arme und wandte den Blick aus dem Fenster.
Nach wenigen Minuten kam das Hauptquartier der staatlichen Saudischen Ölgesellschaft ins Blickfeld. In den Gebäuden des mit geschätzten 800 Milliarden Dollar wertvollsten Unternehmens der Welt herrschte zu dieser Tageszeit geschäftige Betriebsamkeit. Saudi Aramco steuert und überwacht mehr als zehn Prozent der Welt-Tagesproduktion an Rohöl. Sekunden später überflog der Helikopter mit knatternden Rotoren die äußersten westlichen Ausläufer der Küstenstadt und nahm Kurs auf die offene Wüste. Dabei überquerten sie eines der Saudi Aramco Residential Camps, wo die meisten der Expats lebten, die das Unternehmen schon seit Jahrzehnten als Experten für die Erschließung und Ausbeutung der reichen Erdölvorkommen ins Land geholt hatte. Vor der Entdeckung der ersten Ölvorkommen in den frühen dreißiger Jahren waren die meisten der heute glitzernden Metropolen am Persischen Golf noch einfache Fischerdörfer. Die Erschließung der reichen Ölvorkommen im Gebiet um Dhahran, mit der Ende der dreißiger Jahre eine kalifornische Ölbohrgesellschaft beauftragt worden war, hatte Saudi Arabien innerhalb weniger Jahrzehnte unvergleichlichen Wohlstand gebracht. Damit verbunden war ein entscheidender Einfluss auf die Wirtschaft der westlichen Industrienationen. Seit jenen frühen Tagen der Erdölindustrie hatten Amerikaner immer wieder entscheidende Positionen als Ingenieure, Geologen und Ölbohrtechniker – aber auch in den Führungsetagen des staatlichen Saudi Aramco Konzerns besetzt.
Einer von ihnen war Hank Towers, ein sechsundvierzigjähriger Ingenieur aus Houston. Und er war dem schwergewichtigen Parker Stapleton noch mehr als einen Gefallen schuldig. Vor Jahren hatte Stapleton den damals noch jungen Ingenieur, der kurz zuvor zum Leiter des Explorationsteams befördert worden war, bei einer Manipulation überführt, die OilTech das Geschäft gekostet und Hank Towers eine schöne Stange Geld eingebracht hätte. An einem Wochenende, als eine neue Explorationsbohrung bei 6.500 Fuß kurz vor dem Abschluss stand, hatte Towers seinen Plan umsetzen wollen. Er hatte die Pumpenanlage für die Bohrflüssigkeit, die normalerweise für eine reduzierte Reibung und die Kühlung des Bohrgestänges sowie den Abtransport der Bohrrückstände sorgte, außer Betrieb gesetzt. Innerhalb weniger Minuten hatte sich der Bohrkopf festgefressen und das Bohrgestänge war gebrochen. Auf diese Weise hoffte er, die Erfolgsserie von OilTech als Drilling-Contractor am Ghawar-Ölfeld zu stoppen und damit die Position OilTechs als bevorzugtes Dienstleistungsunternehmen für Ölbohrungen zu schwächen. Hank Towers war dabei äußerst vorsichtig vorgegangen und hatte einen Kurzschluss der Pumpenanlage für die Bohrflüssigkeit mit einer in die Steuerung eingesprühten Rußschicht provoziert. Als der Kurzschluss die Anlage lahmlegte, saß er bereits wieder im Kontrollraum und hatte ein Alibi. Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass Parker Stapleton genau an diesem Abend einen seiner bei allen Arbeitern gefürchteten unangekündigten Besuche der Rigs machte. Schnell hatte Stapleton den Schuldigen identifiziert und dessen Motiv durchschaut. Bald darauf war auch derjenige Wettbewerber identifiziert, der Towers eine stattliche Summe geboten hatte, um ins Geschäft zu kommen. Doch Hank Towers hatte nach der Sabotage des Bohrlochs nicht mit der Hartnäckigkeit Stapletons gerechnet. Dieser übernahm höchstpersönlich die Leitung der Ersatzbohrung und arbeitete zusammen mit seinem Team Tag und Nacht, um den zugesagten Abschlusstermin zu halten.
Eigentlich hätte es nur eines Anrufs bedurft und die Tage des aufstrebenden Talents in der mit bestätigten 260 Milliarden Barrel an Rohölreserven größten Ölgesellschaft der Welt wären gezählt gewesen. Und jeder hätte Verständnis für eine Terminüberschreitung gehabt. Aber Parker Stapleton schwieg. Und das irritierte Towers. Es verunsicherte ihn auf das Äußerste. Währenddessen sammelte Stapleton Beweise. Beweise für die Manipulation durch Hank Towers und den Bestechungsversuch durch seine Wettbewerber. Doch er verspielte sein Ass nicht sofort. Er hatte gelernt zu warten. Als Towers einige Jahre später zum Leiter der Explorationsabteilung aufgestiegen war, erhielt er einen Anruf. Und es passierte genau das, womit Stapleton gerechnet hatte. Er fraß ihm aus der Hand. Doch Stapleton hatte sein Wissen seit jenen Tagen nur äußerst maßvoll eingesetzt und den Bogen niemals überspannt. Das genügte ihm. Denn es nutzte ihm mehr, bei Hank Towers einen Kredit zu haben, der erst kürzlich zum verantwortlichen Vizepräsidenten für die globale Ölförderung aufgestiegen war. Und in der vergangenen Nacht hatte Stapleton diesen Kredit gezogen, als er ihm die geforderten Geheimunterlagen besorgt hatte.
Nach mehr als einer Stunde Flug über die immer gleiche sandgelbe Wüste ging der Helikopter langsam tiefer und der Pilot folgte einer schnurgerade durch die Einöde verlaufenden Fernstraße. Sie befanden sich etwa 250 Kilometer im Landesinneren der Arabischen Halbinsel.
„Da vorne liegt das Jaham Feld“, erklärte der Pilot durch seine Freisprecheinrichtung und zeigte auf einige vor dem Helikopter liegende Gebäude.
Brightons Blick folgte der ausgestreckten Hand nach vorne durch die Kanzel. Es brauchte einen Augenblick, um sich in dem bei hochstehender Sonne wenig kontrastreichen Meer aus Sand zu orientieren. Dann, als er das Ölfeld ausgemacht hatte, erschrak er. Über der Förderstelle stand eine ausgedehnte flimmernde Luftmasse. Wie über einer heißen Teerstraße im Sommer. Nur um unglaubliche Dimensionen größer.
„Da Parker. Hast Du das gesehen?“ Brighton stand der Schreck ins Gesicht geschrieben. Er deutete mit ausgestrecktem Arm nach vorne.
Stapleton bewegte seinen schweren Körper vom Sitz in die Mitte und blickte durch die Frontscheibe. „Eine Dichteschwankung der Luft.“
„Aber wodurch wird sie hervorgerufen?“, rief Brighton aufgeregt in das Bordfunknetz. „Ich habe so etwas noch nie gesehen.“
„Sieht aus wie… wie eine Schlierenbildung durch Konvektionsströmungen bei stark unterschiedlichen Temperaturen der einzelnen Luftschichten – oder so etwas ähnliches“, murmelte Stapleton und beobachtete das Ölfeld durch die Helikopterkanzel.
„Ist das austretendes Gas? Was kann das sonst sein? Wir müssen das unbedingt untersuchen!“, erklärte Brighton in die Freisprecheinrichtung.
„Ich glaube nicht. Sie haben nach meinen Informationen noch gar nicht mit der Einbringung begonnen“, antwortete Stapleton ruhig. In kritischen Situationen zeichnete ihn eine seinem Gegenüber mitunter aggressiv machende Gelassenheit aus. „Warten wir’s ab, Bill. Wir sind ja gleich da.“
Die Einbringung, von der Parker Stapleton sprach, bezeichnete das Einpumpen von Kohlendioxid in ein versiegendes Ölfeld, die dritte Stufe der Ausbeutung einer Öllagerstätte. Zu Beginn der Förderung schießt das Öl meist unter dem eigenen Druck an die Erdoberfläche. Fällt der Eigendruck ab, verbleiben noch etwa neunzig Prozent des Rohöls im Reservoir. Durch die Einleitung von Wasser wird der Druck in einer zweiten Stufe erhöht, um das Rohöl zu den Förderstellen zu pressen. Nach einer weiteren Ausbeute von bis zu vierzig Prozent des Reservoirs reicht auch diese Methode nicht mehr aus, um die Förderrate aufrecht zu erhalten. In einer dritten Stufe werden neben thermischen Verfahren auch chemische Lösungsmittel und in erster Linie Kohlendioxid eingesetzt, um die Fließeigenschaften des verbleibenden Rohöls zu verbessern und den Ertrag über einen längeren Zeitraum zu stabilisieren. Das Jaham-Feld war eine kleine, im Vergleich zu den übrigen Feldern Saudi Arabiens unbedeutende Quelle. Es hatte keine strategische Bedeutung für die Erreichung der täglichen Zielfördermengen. Weit abgelegen von den anderen Feldern war es daher von Saudi Aramco zum geheimen Testfeld für die Erprobung und Weiterentwicklung dieser dritten Stufe der industriellen Rohölproduktion erklärt worden.
„Aber ich habe doch den Jungs erklärt, dass sie jetzt keine weiteren Testreihen durchführen sollen…“, murmelte Brighton nachdenklich. Mit besorgtem Gesichtsausdruck strich er sich über das Kinn.
„Von welchen Testreihen sprichst Du, Bill?“, fragte Stapleton interessiert nach.
„Ach nichts“, versuchte Brighton seine unbedachte Äußerung herunterzuspielen. „Ich habe nur laut über ein anderes Projekt nachgedacht.“
Der Sikorsky näherte sich langsam den Förderanlagen und war dabei noch tiefer gegangen. In weniger als einhundert Metern Höhe hielt der Pilot die Maschine über einer der Förderstellen. Brighton blickte nach unten und konnte Details erkennen, die ihn erschrecken ließen. Neben einer der Injektionsanlagen für das Kohlendioxid, direkt an der Steuerungseinheit, lagen fünf Personen regungslos am Boden. Das war genau diejenige Stelle, an der das Kohlendioxid mit hohem Druck durch ein Bohrloch in den Untergrund gepresst wurde.
„Wir müssen runter und nachsehen, was passiert ist“, erklärte Brighton über das Bordfunknetz.
„Wir müssen vor allen Dingen sehen, dass uns nichts passiert, George!“, entgegnete Stapleton mit kühlem Unterton. „Wenn da wirklich Kohlendioxid ausgetreten ist – was ich wohlgemerkt nicht glaube, da die Tests noch gar nicht beginnen sollten – dann sollten wir uns da unbedingt fernhalten. Kopfschmerzen und Schwindel sind das Günstigste, was uns in so einem riesigen CO2-See passieren kann.“
„Aber ich muss ausschließen, dass es nicht etwas ganz anderes war“, erklärte Brighton angespannt.
„Ich kann noch etwas weiter runter gehen“, mischte sich der Pilot in die Unterhaltung über die Bordsprechanlage ein.
„Gut, machen Sie das“, befahl Brighton.
„Nein. Ich verbiete es Ihnen. Drehen Sie um“, unterbrach Stapleton und griff nach Brightons Arm. „Sei vernünftig, Bill. Das ist nun mal der Preis für das Öl.“