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c) Bekenntnistreue

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Die Bekenntnistreuen, später meist mit dem Begriff «Positive» bezeichnet, setzten sich für ein traditionelles Verständnis des Christentums ein und kämpften für den Erhalt des traditionellen christlichen Glaubens sowie für «die Weckung und Pflege des religiös-sittlichen und kirchlichen Lebens in den Gemeinden».164 Die Bekenntnistreuen deuteten in ihren Zeitschriften die soziale Frage sozialpatriarchal als eine Folge der Sünde: «Die Ursache der Noth sucht man meistens im Aeussern, statt wo sie wirklich zu suchen ist in den Herzen, man vergisst, dass gerade die feineren Sünden des Hochmuths, der Gottentfremdung eine Quelle nicht nur der sittlichen Zerrüttung, sondern |53| auch des ökonomischen Verfalls werden können.»165 In Ergänzung zur weit verbreiteten Ansicht im Protestantismus, wonach die Sünde der Arbeiter die Hauptursache der sozialen Frage sei, vertraten die Bekenntnistreuen die Überzeugung, nicht nur der sündhafte Lebenswandel der Arbeiter, sondern auch derjenige der Unternehmer sei eine Ursache der sozialen Frage. Der deutsche Industrielle Carl Mez (1808–1877)166 brachte an einem Treffen der Bekenntnistreuen in Baden deren moralischen Zugang auf den Punkt, indem er selbst­kritisch die soziale Frage als Folge der schlechten Moral der Unternehmer bezeichnete: «Wir sind lieblos, unweise in Genüssen, z. B. Tabak.»167 Die Be­­kenntnistreuen waren jedoch durchaus auch der Überzeugung, dass die Arbeiter durch ihre Sünde und Gottlosigkeit die soziale Frage mit verursachten, denn «was hilft’s, wenn die Arbeiter ihre Freistunden und zwar bis spät in die Nacht hinein mit Vorliebe in Localen der denkbar schlechtesten Atmosphäre zubringen»?168 Sie propagierten die sozialpatriarchale Haltung zur Lösung der sozialen Frage: Die Unternehmer sollten ihre Arbeiter als Erweiterung ihrer Familie betrachten und sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geistlich für sie verantwortlich fühlen. Die Bekenntnistreuen forderten deshalb, dass die Unternehmer mit ihren Arbeitern «Tisch und Bett» teilten, gemeinsam mit ihnen Hausgottesdienste feierten und auf ihren moralischen Lebenswandel achteten.169 Sie waren zudem der festen Überzeugung, dass die Sorge ums geistliche Wohl der Arbeiter auch im wirtschaftlichen Interesse der Unternehmer läge, denn «ein glaubensloser Arbeiter ist das ärmste Geschöpf; durch alle Mittel sucht er im Diesseits zu profitieren.»170 Des Weiteren stellten die Bekenntnistreuen einen direkten kausalen Zusammenhang her zwischen einer konsequent gelebten Frömmigkeit eines Unternehmers und seinem wirtschaftlichen Erfolg. Beispielsweise erklärte ein Aufsatz den Aufstieg eines Handwerkers zum Meister mit seiner tadellosen Moral und eifrigen Frömmigkeit: «Der Mann, von dem ich erzähle, der hat es erfahren und bei seinen Kindern bewährt sich’s auch, weil sie in gleichem Sinn und Geist fortfahren.» Zwischen den einzelnen Teilen dieser Erfolgsgeschichte wurde regelmässig festgehalten: «Der Segen Gottes blieb nicht aus.»171 Eindringlich betonten die Bekenntnistreuen, dass die soziale Frage nur durchs Evangelium gelöst werden könne und Gottes direktes Eingreifen dafür nötig sei: «Nicht die Natur |54| thut’s, nicht der Mensch thut’s, Gott thut’s.»172 Die Bekenntnistreuen wehrten sich vehement gegen eine Intervention des Staates zur Lösung der sozialen Frage,173 denn dieser könne sie nicht lösen: «Auch die staatliche Hebung der betreffenden Klassen und ihre Unterstützung durch Liebesthätigkeit sind diesem Feinde gegenüber ohnmächtig, ja sie vermehren nur die Begehrlichkeit, wenn nicht von innen ein anderer Grund gelegt wird. Mag ein Fabrikgesetz noch so luftige Räume vorschreiben, was hülfe ein kürzerer Normalarbeitstag zur Pflege des Familienlebens denen, welche ihre freie Zeit nie den Ihrigen schenken oder stets Streit mitbringen, wenn sie nach Hause kommen? Bringt das an sich so schöne Vereinsrecht der Mehrzahl wirklich geistige Bildung und Veredelung, oder befördert es bei ihnen die materielle Genusssucht?»174 Im sozialpatriarchalen Sinn stellten sie auch Karl Sarasin als Vorbild eines christlichen, patriarchalen Unternehmers hin und propagierten, ein solcher Unternehmer sei «eine tatsächliche Antwort» auf die soziale Frage: «Arbeiter, mit denen so gesprochen und gehandelt wird, werden sich schwerlich von den Socialisten verführen lassen; und wenn, so wäre es ihre Schuld und ihr eigener Schaden.»175 Die Bekenntnistreuen vertraten von allen theologischen Richtungen am entschiedensten die sozialpatriarchale Haltung und solidarisierten sich am unkritischsten mit den Unternehmern – beispielsweise mit Sarasin.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Das Richtungswesen führte zu einer Pluralisierung des schweizerischen Protestantismus. Dies hatte bei den theologischen Parteien die Herausbildung unterschiedlicher sozialpolitischer Haltungen zur Folge. Die Reformer plädierten für eine staatliche Intervention zur Lösung der sozialen Frage und vertraten insofern die sozialkonservative Haltung. Die Vermittler und Bekenntnistreuen blieben beide in der sozialpatriarchalen Haltung verhaftet, wobei die Bekenntnistreuen vehement gegen jegliche staatliche Intervention kämpften und sich für eine Lösung der sozialen Frage durch christliche Unternehmer stark machten. |55|

Protestantische Unternehmer in der Schweiz des 19. Jahrhunderts

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