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bb) Tatsituation: bei Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache

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S müsste in seiner amtlichen Eigenschaft damit betraut gewesen sein, eine Rechtssache zu entscheiden oder zu leiten. Eine Rechtssache ist jede Angelegenheit mit Rechtsbezug, bei der mehrere Beteiligte mit – jedenfalls möglicherweise – widerstreitenden rechtlichen Interessen einander gegenüberstehen und über die in einem rechtlich vollständig geregelten Verfahren nach Rechtsgrundsätzen zu verfahren und zu entscheiden ist.[1] Für eine Leitung oder Entscheidung der Rechtssache kommt es auf die Stellung des Amtsträgers im konkreten Verfahren an. Sie erfordert eine beherrschende Stellung des Täters in dem jeweiligen Verfahren, dessen Neutralität sowie einen gewissen Grad sachlicher Unabhängigkeit in seiner Person.[2] Die entfaltete Tätigkeit darf nicht als bloßer Rechtsvollzug erscheinen.[3] Die Betrauung des Staatsanwalts mit einer Rechtssache und mithin dessen rechtliche Erfassung durch den Tatbestand der Rechtsbeugung sind umstritten.

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(1) E.A. nach kann einem Staatsanwalt bereits keine Leitungs- oder Entscheidungsfunktion in einer Rechtssache zukommen. Er erscheine vielmehr als Ankläger und als Anwalt des Staates. Er ist daher selbst Partei des Strafverfahrens.[4] Insbesondere eine bei der Entscheidung unabhängige Position, die der des Richters nach Art. 97 GG gleichkomme, scheide schon wegen der Weisungsgebundenheit gemäß § 146 GVG aus.

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(2) Nach der h.M. und Rspr. kommt auch ein Staatsanwalt grundsätzlich als Täter der Rechtsbeugung im Rahmen des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens bei allen verfahrensabschließenden Entscheidungen Betracht, wie etwa bei der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO.[5] Der einzelne Staatsanwalt habe hierbei die Entscheidungskompetenz über eine Rechtssache inne, da die Staatsanwaltschaft in diesem strafprozessualen Stadium als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ über weitreichende Entscheidungskompetenzen hinsichtlich des weiteren Verfahrensfortgangs verfüge.

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(3) Stellungnahme: Der h.M. ist zuzustimmen. Das staatsanwaltschaftlich geführte Ermittlungsverfahren kommt in jedem Fall als Rechtssache in Betracht, da es als Teil des Strafverfahrens auf die rechtsstaatliche Durchsetzung des öffentlichen Strafanspruchs gerichtet ist. Vor allem den verfahrensabschließenden Entscheidungen kommt die Qualität der Entscheidung über eine Rechtssache zu (vgl. die §§ 153, 153a, 170 StPO).[6] Der Staatsanwalt ist bei der Leitung des Ermittlungsverfahrens und seinen Entscheidungen zur Neutralität verpflichtet (vgl. etwa § 160 Abs. 2 StPO).[7] Zwar ist er aufgrund seiner Einbindung in die behördliche Hierarchie nicht so unabhängig wie ein Richter, jedoch viel freier als ein anderer Amtsträger, der zur Entscheidung von Rechtssachen berufen ist, sodass seine Stellung zumindest mit der eines Richters vergleichbar ist.[8] Das Abstellen auf eine Stellung, die mit der des Richters nach Art. 97 GG nahezu identisch erscheinen muss, schränkt den Anwendungsbereich der Rechtsbeugung entgegen ihrem Wortlaut (Amtsträger) und dem Schutzzweck der Norm zu stark ein. Die Rechtsbeugung soll dem Schutz der innerstaatlichen Rechtspflege vor Angriffen „von innen“ dienen.[9] Derartige Angriffe können ohne Weiteres auch durch den Staatsanwalt innerhalb des Ermittlungsverfahrens erfolgen. Dass der Staatsanwalt bei seiner Entscheidung über die Anklageerhebung laut h.M. an die Rechtsansichten der höchstrichterlichen Rechtsprechung gebunden sein soll, steht dem nicht entgegen (zu diesem Streit sogleich unten). Die Wirkung der Einstellungsverfügung für das Strafverfahren ist mit der des gerichtlichen Nichteröffnungsbeschlusses im Zwischenverfahren vergleichbar; ebenso ist der Beurteilungsmaßstab bei beiden Entscheidungen ungeachtet des Entscheidungsträgers nahezu identisch.[10] Eine durch die Bindung an Präjudizien eingegrenzte Kompetenz in der Rechtsanwendung bei im Übrigen uneingeschränktem Entschließungsspielraum lässt den erforderlichen Grad an sachlicher Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung nicht entfallen, zumal der Regelung des § 339 StGB kein Erfordernis entnommen werden kann, dass ein Täter in seiner amtlichen Funktion zwingend der judikativen Gewalt angehören muss.

Somit war S bei seiner Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens mit der Entscheidung einer Rechtssache betraut.

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