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bb) Garantenstellung
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Fraglich ist aber, ob S eine Garantenstellung innehat. Eine solche besteht nur bei Personen, die gesetzlich dazu berufen sind, an der Strafverfolgung mitzuwirken.[19] § 152 Abs. 2 StPO begründet für die Staatsanwaltschaft die Pflicht, wegen einer verfolgbaren Straftat einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Gemäß § 170 Abs. 1 StPO muss die Staatsanwaltschaft schließlich die öffentliche Anklage erheben, sofern ein hinreichender Tatverdacht besteht (Legalitätsprinzip).[20] Offen ist aber, wer darüber befindet, ob insoweit eine verfolgbare Straftat i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO vorliegt. Hierbei kann das Problem entstehen, dass die Staatsanwaltschaft das Verhalten entgegen der Rechtsprechung für straflos hält oder umgekehrt.[21]
Vorliegend ist S entgegen der Rechtsprechung davon überzeugt, dass das „schlichte Schwarzfahren“ nicht unter den Tatbestand des Erschleichens von Leistungen nach § 265a Abs. 1 Var. 3 StGB fällt. Fraglich ist, ob er an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden ist. Dies ist umstritten.
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(1) | Im Schrifttum wird eine Bindung teilweise verneint.[22] Argumentiert wird dabei mit der Stellung der Staatsanwaltschaft, welche nach § 150 GVG von den Gerichten unabhängig ist.[23] Ihr obliege es deshalb, die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen einer Straftat in eigener Verantwortung zu beurteilen.[24] Das Legalitätsprinzip begründe zwar die Pflicht der Staatsanwaltschaft strafbare Handlungen zu verfolgen, besage aber nicht, dass die Staatsanwaltschaft über die Strafbarkeit nicht nach ihrer eigenen Auffassung urteilen dürfe.[25] |
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(2) | Die Rechtsprechung und ein Großteil der Literatur gehen hingegen von einer Bindungswirkung aus.[26] Dafür sprechen das Prinzip der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens sowie die Gleichbehandlung vor dem Gesetz i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG.[27] Außerdem sei diese dem Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2, § 170 Abs. 1 StPO) geschuldet.[28] Für eine Bindungswirkung wird auch das Prinzip der Gewaltenteilung angeführt, weil durch Nichtanklage der Fall der Judikative entzogen werde, welche allein für die Rechtsprechung zuständig ist, Art. 92 GG.[29] |
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(3) | Die besseren Gründe streiten für die zweite Ansicht. Der Staatsanwaltschaft wird ihre Unabhängigkeit nicht genommen, vielmehr steht es ihr frei, eine gegenteilige Rechtsauffassung im Gerichtsverfahren zu vertreten und einen Freispruch zu beantragen.[30] |
Damit war S verpflichtet, an der Strafverfolgung mitzuwirken. Die Voraussetzung für eine Garantenstellung ist erfüllt. Folglich hat S den objektiven Tatbestand des § 258 Abs. 1, § 258a Abs. 1 StGB durch Unterlassen verwirklicht.