Читать книгу Psychische Störungen bei Säuglingen und Kleinkindern - Margarete Bolten - Страница 42
Fallbeispiel
ОглавлениеTom wird zusammen mit seiner Mutter durch den Notarzt in die Universitätskinderklinik eingewiesen. Die Nachbarn hatten die Polizei gerufen, nachdem es in der Wohnung mitten in der Nacht sehr viel Geschrei und Weinen der drei Kinder gegeben hatte. Auf der Notfallstation präsentiert sich der 9 Monate alte Säugling in schläfrigem Zustand und mit wiederholtem Erbrechen. Eine Schädelsonographie zeigt eine deutliche Hirnschwellung.
Auffallend ist zudem auch das »Verdrehen« der Augen und eine Prellmarke an der Stirn. Der Notfallmediziner vermutet sofort eine Gewalteinwirkung, die nach erstem Negieren von der Mutter bestätigt wurde. Gewalt zwischen ihr und ihrem Partner sei immer mal wieder ein Thema, doch da sie sich illegal im Land aufhalte und kein eigenes Einkommen habe, müsse sie zusammen mit ihm und ihren zwei Kindern in einer sehr kleinen Wohnung leben. In letzter Zeit seien die Spannungen zwischen ihnen jedoch immer mehr geworden, vor allem weil Tom sehr viel geschrien habe und nur schlecht schlafe. In der Nacht als das Schütteln passierte, sei ihr Partner komplett ausgerastet. Er habe sie angeschrien, sie solle endlich dafür sorgen, dass ihr Sohn aufhöre zu schreien. Schließlich sei er dann selbst zu den Kindern ins Zimmer gegangen und habe Tom aus dem Bett gerissen. Er habe ihn angeschrien und geohrfeigt. Als Tom immer weiter weinte, habe er ihn drei- bis viermal richtig durchgeschüttelt, dann habe er ihn auf das Bett geworfen. Sie könne sich nicht mehr erinnern, wie lange das gedauert habe. Sie wisse nur noch, dass irgendwann die Polizei an der Tür geklingelt habe.
Der Patient wird nach Aufnahme zusammen mit seinem älteren Bruder notfallmäßig zur Beobachtung und zum Schutz vor weiterer Gewalteinwirkung in der Kinderklinik hospitalisiert. Das Jugendamt wird involviert, welches die Unterbringung beider Kinder in einer Pflegefamilie veranlasst.