Читать книгу Psychische Störungen bei Säuglingen und Kleinkindern - Margarete Bolten - Страница 43
2.3 Epidemiologie der Schlafstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter
ОглавлениеGemäß einem Literaturreview (Honaker & Meltzer, 2016) berichten bis zu 30 % aller Eltern von Schlafstörungen in der pädiatrischen Praxis. Regelhaftes nächtliches Erwachen über den 6. Monat tritt gemäß Sadeh et al. (2009) bei ca. 55 % aller Kinder auf. Schlafprobleme im Säuglings- und Kleinkindalter sind also ein sehr häufiges Problem. Die Prävalenzzahlen für Schlafstörungen schwanken jedoch sehr stark, abhängig von der jeweils zugrunde gelegten Definition und der untersuchten Population. Beispielsweise berichten asiatische Eltern in der Studie von Sadeh, Mindell und Rivera (2011) deutlich häufiger, dass ihr Kind ein Schlafproblem habe als europäisch-stämmige Eltern (26 % vs. 52 % für Schlafprobleme gesamt; 2 % vs. 17 % für schwerwiegende Schlafprobleme). In einer schwedischen Untersuchun (Thunstrom, 1999) mit insgesamt 2 518 Kindern zwischen 6 und 18 Monaten berichteten 16 % der Eltern von mittleren bis schweren Einschlafproblemen und 30 % berichteten regelmäßiges nächtliches Erwachen. In der Studie von Mersky et al. (2020) berichten 11 % der befragten US-amerikanischen Mütter von mindestens dreimaligem nächtlichem Erwachen bei ihren Kindern in den ersten 12 Lebensmonaten. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um sogenannte verhaltensassoziierte Schlafstörungen (»behavioral sleep problems«). Verhaltensassoziierte Schlafprobleme während des Säuglings und Kleinkindalter sind vor allem verlängerte Einschlafphasen (»bedtime resistence«), nächtliches Erwachen und eine verkürzte Gesamtschlafdauer. Laut Davis et al. (2012) treten solche Störungen bei mehr als der Hälfte der untersuchten Kinder täglich auf.
Für die meisten Eltern von Säuglingen und Kleinkindern sind Schlafstörungen jedoch insgesamt nur ein leichtes Problem (23 %). Lediglich 2 % der Eltern berichteten von schwerwiegenden Schlafproblemen. Dies spiegeln auch die longitudinalen Daten von Eltern zu den Schlafschwierigkeiten ihrer Kinder in den ersten 12 Monaten von Cook et al. (2020) wider. Die Autoren untersuchten 1 460 Erstgeborene Kinder im Alter von 3, 6, 9 und 12 Monaten. Dabei fanden sie bei 24,7 % der untersuchten Kinder keine bedeutsamen und bei 27,3 % moderate Schlafprobleme im Elternurteil. Keine der befragten Eltern klassifizierten außerdem häufiges nächtliches Erwachen ihrer Kinder in den ersten 3 Monaten als problematisch. Erst nach 6 Monaten bezeichneten einige Eltern das häufige Erwachen ihres Kindes als Schlafproblem. Obwohl Schlafprobleme von Säuglingen und Kleinkindern ein so häufiges Phänomen sind, stellen sie also für die wenigsten Eltern eine massive Beeinträchtigung dar und nur wenige suchen aufgrund der Probleme professionelle Hilfe auf (Paavonen et al., 2020). Es zeigt sich aber auch, dass Eltern, welche das Schlafverhalten ihres Kindes als problematisch bezeichnen, selbst häufiger psychosozialen Stressfaktoren ausgesetzt waren (Sadeh et al., 2011) oder stark ausgeprägte Sorgen und Ängste um das Wohlbefinden und die Gesundheit des Kindes hatten, obwohl alle bisherigen pädiatrischen Untersuchungen keinen Anlass dazu gaben und sich die Kinder mit schweren Schlafstörungen nicht hinsichtlich verschiedener Gesundheitsparametern von den Kindern ohne Schlafprobleme unterschieden (Thunstrom, 1999).
Die Prävalenzen für schwere Schlafstörungen im Säuglingsalter (0–12 Monate) gemäß der International Classification of Sleep Disorders (ICSD, 1990) lagen bei 6,2 %, in einer schwedischen Stichprobe (Thunstrom, 1999) und bei 10 % für eine US-amerikanische Stichprobe (0–36 Monate) (Byars, Yolton, Rausch, Lanphear, & Beebe, 2012). Andererseits kann das nächtliche Erwachen eine massive Belastung für Kind und Familie darstellen. In diesem Fall hätte die Störung Krankheitswert, so dass als zusätzliches diagnostisches Kriterium die elterliche Belastung hinzukommen muss.