Читать книгу Apostasie - Marie Albes - Страница 10

dos Vor zwanzig Jahren, zehn Jahre nach Elena.

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Die freundlichsten Stimmen nannten sie Schönauge; Skeptiker, die im Schönsein einen Fehler sahen, nannten sie das Mädchen mit den sonderbaren Augen. Bezaubernd waren Chiaras Augen auf jeden Fall. Ihre dunklen, südländischen Wimpern wurden durch ihre braunen Haare betont, die von honigblonden Strähnen markiert waren. Das seltsame der Augen waren die verschiedenfarbigen Iris. Die Iris von Chiaras rechtem Auge war schimmernd hellbraun wie Tee. Das linke Auge hingegen war zur Hälfte mit tannengrünen Flecken gesprenkelt und mischte sich mit der Teefarbe wie ein Tropfen Öl mit Wasser: die Transparenz der Flüssigkeit kontrastiert sich zur energischen Welle.

Wer Chiaras Augen begegnete, blieb nicht gleichgültig gegenüber diesen beiden Perlen ihres reinen, aufmerksamen Blicks, derart hoben sie sich in ihrem lächelnden Gesicht ab.

„Um Gottes Willen, wie kann ich Nein sagen, wenn du mich so ansiehst?“, war der Satz, den sich ihr Vater regelmäßig sagen hörte, wenn das süße Mädchen ihn um ein Geschenk wie eine Puppe oder ein Buch bat.

Vielleicht wurde sie als kleines Mädchen aus diesem Grund von allen in ihrem Geburtsort derart geliebt. Selbst diejenigen, die sie „das Mädchen mit den sonderbaren Augen“ nannten, blieben von den honigfarbenen Locken verzaubert, welche weich das Wesen der achtjährigen Chiara widerspiegelten. Oft spielte sie am Brunnen des Dorfplatzes und machte sich nass wie ein Entenküken.

Jedes Mal wenn sie durchnässt nach Hause kam, wurde sie von ihrer Mutter ausgeschimpft. Chiara hielt den Kopf gesenkt. Sie starrte ihre Füße an, die mit Heu und Erde beschmutzt waren, schuldig, wie ein ertappter Welpe, der in einer schlammigen Pfütze geplanscht hat. Schließlich schaute sie mit tränenden Augen auf. Selbst die Mutter konnte nicht mehr mit ihrer Predigt fortfahren, sondern schloss sie in ihre Arme und brachte sie zur Badewanne. Nach dem Trockenrubbeln flocht sie ihr gewöhnlich die Haare zum Zopf, den sie selbst nach zwanzig Jahren auf dieselbe Weise trug.

Jeden Sonntag besuchte sie die Messe.

In ihrem Dorf, fern von Großstädten, die sie ausschließlich aus Bildern kannte, waren alle Einwohner streng katholisch gläubig. Und mit allen meine ich alle: vom Metzger zum Leichenbestatter, vom Gemüsehändler bis zum Dieb, vom Friseur bis zur Hure. Seltsam war, die Dorfbewohner in der kleinen Dorfkirche vereint zu sehen, nahe beieinander und kunterbunt in ihrer verschleierten Heuchelei.

Menschen, die sich hassten, Menschen, die sich fürchteten, Menschen, die sich betrogen. Aber sie waren anwesend, um sich gemäß Gottes Wille das Zeichen des Friedens auszutauschen.

Am Morgen eines Feiertages begriff Chiara, wie ergeben sie sich gegenüber der Person fühlte, die im Himmel lebte (dies war ihr Bild von Gott). Chiara wusste nicht, was Heuchelei ist und betrachtete die Zusammenkunft der Menschen als ein kostbares Geschenk, das nicht zu verachten war.

Vor wenigen Tagen hatte sich ihr Vater mit dem Onkel gestritten, der nahe bei ihnen wohnte. Nach einem regen Wortgefecht, welches Chiara in einem Nachbarzimmer mitgehört hatte, redeten die beiden Brüder nicht mehr miteinander. Die Zimmerwand hatte sie vor dem Anblick geschützt, aber nicht vor der Enttäuschung. Die Erwachsenen verhielten sich eigenartig!

„Es kann nicht wahr sein, Gott“, hatte sie mit Tränen in den Augen geflüstert, „die sind blöd!“

An diesem Sonntag, aus irgendeinem seltsamen Grund, reichten sich im Haus des Herrn im Zeichen des Friedens ihr Vater und ihr Onkel die Hände und redeten seitdem erneut miteinander. Sie waren überzeugt, auch zukünftige Streitereien, die ihnen das Leben bringen würde, zu bewältigen.

Denn es gibt nicht ausschließlich die Heuchelei; es gibt auch die Vergebung.

„Du hast mich erhört!“, bemerkte sie an diesem Abend glücklich bevor sie schlafen ging und krempelte sich die Bettdecke bis zum Mund hoch. „Du weißt, wie wichtig mir ihr Frieden ist. Danke, dass du mich erhört hast!“.

Von diesem Moment an wusste Chiara, dass Gott alles vollbringen konnte. Sie war überzeugt, egal was sie ihn fragte, sofern Gutes, dass er es ihr gewähren würde, einschließlich dem Glücklichsein.

Apostasie

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