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Priesterschule

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In der Tat erwiesen sich die Befürchtungen von Elena als begründet.

Es verging geraume Zeit, bis sich Michele und Elena sahen. Elenas Besuche an der Priesterschule waren durch die religiöse sowie väterliche Strenge begrenzt.

Michele war in eine Priesterschule gezogen, die wenige Stunden vom Zuhause entfernt war. Die kurze räumliche Distanz musste mit der Theologie wetteifern, welche die religiöse Welt von der gewöhnlichen trennte.

Das erste Mal als Elena in einen Zug stieg, der in Richtung des Dorfes fuhr, in das Michele gezogen war, war an einem regnerischen Sonntag im Oktober, mehrere Wochen nach dem Aufbruch ihres Bruders.

Elena wusste, dass ihre Eltern ihr nicht erlaubten, ihren Bruder zu besuchen. Sie schlich sich somit bei Sonnenaufgang heimlich aus dem Haus, wobei sie einen Zettel, den sie aus einem Schulheft gerissen hatte, auf der Konsole neben der Tür hinterließ. Er enthielt folgende Notiz:

Ich bin mit Maria an den See gegangen, bis heute Abend.

Elena

Ehrlich gesagt bezweifelte sie, ob ihre Eltern das glauben würden, aber um ihren Bruder zu besuchen, war sie bereit, das Risiko einzugehen.

Sie stieg somit in den gleichen Zug, den Michele vor ein paar Wochen genommen hatte. An einem Fenster sitzend, genoss sie die Bilder, die draußen an ihr vorbei schnellten.

Distanz bedeutete Freiheit.

Elena glaubte zu fliegen. Endlich ging sie fort, auch wenn nur für einen Tag, fort von diesem Käfig, der ihre Flügel zwang, geschlossen zu bleiben.

Aber dieser Tag gehört nur mir und Lele. Endlich! Wie als wir Kinder waren und zum See gingen, um Steine ins Wasser zu schmeißen, wetteifernd, wer am weitesten wirft.

Elena musste in diesem Moment an eine Anekdote in ihrem Leben denken: Als Kinder war sie mit Michele an einem Fluss entlang gelaufen, um auf einen kleinen Wasserfall zu stoßen, von dem ein kleines Rinnsal Wasser bergab floss. Zuerst sind sie ihm bergab gefolgt, der wenig geneigt war. Schließlich erreichten sie den See, der dem heißen August unbeeindruckt widerstand.

Schritt für Schritt, teilweise mit der Hilfe des anderen und teilweise allein kamen sie am Fuße des Wasserfalls an und sprangen in den flachen See. Als sie auftauchten, wollte Elena für sie beide eine Hütte bauen, in der sie sich zurückziehen würden, wenn sie der Vater ausschimpfte.

Auf, setzen wir den ersten Stein!“, rief die kleine Nymphe und zeigte auf ein paar Felsen in der Nähe.

Sie verbrachten die nächsten paar Stunden, indem sie Steine aufeinander setzten und versuchten vergeblich, die Struktur eines Hauses nachzubauen. Schließlich betrachteten die Geschwister erschöpft ihr ausgesprochen enttäuschendes Ergebnis.

Und wenn wir uns hier ohne Hütte zurückziehen?“, hatte Michele belustigt gefragt und betrachtete das Stonehenge in Miniatur.

Elena lachte von ganzem Herzen.

Der Zug war am Ziel angekommen und die Passagiere stiegen mit ihrem Gepäck, Mänteln und Hüten aus. Die Edelmänner trugen Spazierstöcke mit Silberknauf bei sich, die Damen bestickte Sonnenschirme.

Elena trug weder Gepäck noch Sonnenschirm, sondern ihre kleine Ledertasche und eine Tüte mit Süßwaren für Michele.

Sie verließ den Bahnhof und durchlief zu Fuß das Dorf. An der Stadtmauer angelangt, die den Ort umgrenzte, fragte sie einen Mann auf einem Fahrrad, wo sich die Priesterschule befände.

Die liegt zu Fuß 20 Minuten entfernt, Fräulein. Folgen Sie der Hauptstraße und biegen Sie in die Abzweigung auf der linken Seite. Von dort ist sie beschildert.“

Vielen Dank!“

Schönen Tag!“, antwortete der Mann, betrachtete Elena und dachte sich, dass eine solche Schönheit besser der Priesterschule fern bleiben sollte.

* * *

Große, hellwache Augen in den Farben einer Haselnuss. Helles Haar, in der Farbe nicht vollkommen reifer Kastanien. Ein dünner, schlanker Körper in einem roten Mantel, der sie wie eine Puppe aussehen ließ.

Nein, der Rektor wäre nicht erfreut, sie herein zu lassen, dachte Carlo. Andererseits konnte er Geschwistern einen Kurzbesuch nicht verbieten, es handelte sich immerhin um ein Familienmitglied. Widerwillig ließ er sie eintreten und führte sie zum Innenhof.

Warten Sie hier, Michele wird in Kürze erscheinen.“

Elena wartete unter den Arkaden des Gartens auf ihn.

Michele musste seine Schwester nicht beim Namen nennen. Sobald er den Innenhof betrat, spürte Elena seine Anwesenheit. Sie wandte sich um und beschaute für ein paar Sekunden den jungen Mann, der ihr gegenüber stand. Er war ihrem Bruder, den sie innig liebte, ähnlich und doch anders. Im langen schwarzen Gewand stand Michele vor ihr, hielt das obligatorische Buch in der Hand und betrachtete sie mit sanftem Blick.

Lele!“ Ungestüm lief sie ihm entgegen, um ihn zu umarmen. Dieser zog sie an sich und ließ sie wie zu Kindeszeiten einem Karussell gleichend um sich kreisen. „Gott, was hast du mir gefehlt!“

Du hast mir ebenfalls gefehlt, Elena. Aber bitte erwähne nicht zwecklos den Herrn. Zumindest nicht hier, sonst holen dich meine Brüder.“ Er versetzte ihr einen Klaps auf die Wange, aber Elena stellte sich mürrisch.

Wer hat den Hochmut und nennt dich Bruder ?“

Na tu nicht so! Du weißt, dass wir uns alle Brüder nennen, da wir die Söhne Gottes sind.“

Ich weiß, ich weiß!“, erwiderte sie die Augen verdrehend. „Aber ich habe weiterhin den Vorrang.“

Sohn Gottes zu sein ist auf jeden Fall besser als Sohn unseres Vaters zu sein“, wollte sie noch hinzufügen, schwieg aber.

Sie verbrachten ein paar Stunden im Innenhof, liefen auf und ab, während sie über alles sprachen, was sie sich zu erzählen hatten. Die Zeit vergeht viel zu schnell, wenn wir sie mit dem verbringen, den wir lieb haben. Die Glocken der Priesterschule schlugen zum Angelusgebet und Michele wurde zum Abendessen gerufen.

Ich muss gehen Elena“, bedauerte Michele und drehte sich zur Eingangstür der Priesterschule. „Ich kann dich nicht mitnehmen, aber ich werde den Rektor fragen, ob es möglich ist, dich nochmals hereinzulassen.“

Wer hat behauptet, dass deine hübsche Schwester nicht mit uns essen kann?“, fragte eine autoritäre Stimme hinter ihnen, während sich eine Gestalt vor dem Licht des Innenhofs abzeichnete.

Herr Schuldirektor“, Michele senkte den Kopf, „wie sie gehört haben, bitte ich um Erlaubnis, den heutigen Nachmittag mit meiner Schwester zu verbringen. Sie ist allein gekommen, es würde mir leid tun, sie schon nach Hause schicken zu müssen.“

Er dachte bedrückt: ‚Wo sie keinen umgänglichen Vater vorfinden wird, der ihr die Flucht verzeiht.‘

Ich habe alles gehört und frage mich, warum du sie nicht eingeladen hast, mit uns zu Mittag zu essen“, lächelte er. Er beäugelte sie, Elena aber trat einen Schritt zurück, ohne zu wissen warum. Dann gewann sie ihre Fassung zurück und erwiderte das Lächeln des freundlichen Rektors.

Genau genommen wusste Michele nicht, ob er sich über die Güte des sonst steifen Rektors freuen sollte oder nicht. Er akzeptierte das Angebot und nahm seine Schwester bei der Hand, um sie allzeit zu beschützen.

Sie saßen an einem Tisch neben der Wand und warteten auf das Erscheinen aller anderen „Brüder“, um zu beten. Dabei fühlte sich Elena unwohl und mit ihr Michele.

Es ist schwer, sich vor den Todsünden zu bewahren. Manchmal ist die Unterdrückung nichts anderes als eine Form des Aufrufs zum Begehren. Plötzlich starrte alle (oder fast alle) das junge, hübsche Mädchen mit neugierigen Blicken an, teilweise wenig religiös und zum Teil feindselig.

War es die ungewohnte Anwesenheit von Elena? Michele wusste es nicht. In dieser Situation nahmen sie ein weiteres Hindernis wahr, dass sich ihnen in den Weg stellte, so dass Elena nicht häufig zur Priesterschule kommen konnte.

Schlimmer als das Verabschieden war die Heimkehr, wo ihr Vater mit verschränkten Armen und verdrossenem Gesichtsausdruck hinter der Tür saß und auf Elena wartete.

Elena stand vor einer Mauer aus Ärger.

Entschuldigung, ich komme spät, aber ...“ Sie konnte den Satz nicht beenden, als ihr eine schwere Hand ins Gesicht schlug. Elena führte instinktiv ihre schlanken Finger zur brennenden Haut. Ein weiterer Schlag folgte. Geduckt stürzte sie zur Treppe.

Wo warst du, kleine Schlampe?“, fluchte der Vater. Da er ihren Arm nicht erwischt hatte, versuchte er sie an den Haaren zu packen.

Papa, lass mich, bitte!“, schrie Elena, während er sie zu sich heranzog. „Ich habe nichts verbrochen, das schwöre ich! Ich war ...“ Ein weiterer Schlag ließ Blut aus ihrem Mund tropfen.

Lüg mich nicht an! Du warst nicht mit Maria zusammen. Wir haben ihre Mutter in der Stadt getroffen! Wo warst du?! Mit wem warst du zusammen?“ An den Haaren zog er sie zur Couch. Die starke und doch empfindliche Elena schützte sich mit den Händen ihren Kopf und ihr Gesicht.

Wo warst du?“, donnerte ihr Vater erneut, während ihre Mutter sie wortlos von der Küchentür aus anstarrte.

Ich war bei Michele ...“, flüsterte sie resignierend. „Er hat mir gefehlt, deshalb bin ich zu ihm gefahren.“

Warum hast du uns nicht darüber informiert?“, schaltete sich die Mutter ein.

Weil ich dachte, dass ihr mich nicht gehen lasst.“

Für ein paar Sekunden herrschte im Hause Gentile Stille und Elena dachte, dass sie ihre Flucht verstanden hätten. Die Stille und die Illusion weilten nur für einen kurzen Augenblick.

Genau“, fuhr ihr Vater mit kalter Stimme fort. „Hast du dich gefragt, warum wir dich nicht hätten gehen lassen?“

Elena starrte ihm terrorisiert in die Augen.

Schau mich nicht mit diesem gefälscht unschuldigen Blick an!“

Sie senkte umgehend ihren Blick, aber der nächste Schlag ließ nicht auf sich warten und ließ sie wie ein Kaninchen vor dem kreisenden Adler zusammenkauern.

Ich habe nichts Böses getan ...“, flüsterte sie mit fadendünner Stimme. Mutig hielt sie seinem angsteinflößenden Blick stand: „Ich war bloß bei meinem Bruder. Mir ist nicht verständlich, warum ihr euch nicht im Geringsten um meine Gesundheit sorgt. Warum war ich weg ohne es euch mitzuteilen? Ihr fragt euch mit wem ich zusammen war und was ich mache. Warum aber versucht ihr nicht eure Tochter zu verstehen?“

Freche Göre! Wage es nicht nochmal, deinem Vater Widerworte zu geben!“ Er packte sie erneut an den Haaren. „Du sollst deinen Bruder nicht besuchen, weil du eine kleine Dienerin des Teufels bist. Michele soll durch dich keine Probleme bekommen!“

Sie ist zur Priesterschule gegangen!“ Die Mutter richtete ihre Augen und Arme nach oben als wäre das ein schrecklicher Skandal. „Sie ist zur Priesterschule gegangen, um dort mit ihrem Gesicht einer kleinen Hure Unruhe zu stiften!“ Dann verschwand sie in der Küche und murmelte undefinierbare Sätze.

Elena konnte nicht begreifen, was sie ihren Eltern getan hatte, dass diese sie derart verachteten. Sie befreite sich aus dem Griff des Vaters und eilte in Richtung Zimmer. In ihrer Hast rempelte sie an den Couchtisch, auf dem eine fast leere Weinflasche und ein Tulpenglas standen, die zu Bruch gingen.

Blutrot war der Fleck, der sich auf dem Teppich ausbreitete und in die Textur des Gewebes drang. Ein beißender Geruch an Alkohol füllte die Luft. Elena starrte einen Augenblick auf das Szenenbild. Dieser kleine Schaden würde ein weiterer Grund für übertriebene Vorwürfe sein. Sie versuchte nicht das Missgeschick zu beheben, sondern hastete zielstrebig die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, um. weiteren Gräueltaten zu entgehen.

In dieser Nacht erwachte Michele mit schweißgebadeter Stirn und schwerem Atem, da er glaubte, Elena schreien zu hören.

Zum Glück war es nur ein böser Traum!

Apostasie

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