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Die Zeit verflog wie ein Rosenblatt, das sich an einem Herbsttag aus der Blütenkrone löst und vom Wind in ferne Länder transportiert wird. Die Wochen vergingen schnell ab dem Tag, an dem Chiara und José den Unterricht aufnahmen.

Zwischen Chiaras humanitären Arbeiten und Josés Arbeiten als Landarbeiter erschien der Unterricht von vier bis fünf Uhr als ein Moment der Entspannung.

In diesen 60 Minuten lernten sie neben dem Italienisch mehr voneinander und fanden im jeweils anderen einen Freund, den sie nicht erwartet hatten zu begegnen.

Aber Chiara merkte, dass José etwas aus seiner Vergangenheit vor ihr verbarg. José hingegen fragte sich, warum das hübsche Mädchen beschlossen hatte, ihr Gelübde abzulegen.

Wie dumm ich bin! Wie kann ich mir derart offensichtliche Fragen stellen?‘, fragte er sich. ‚ Sie hat sich es einfach gewünscht.‘

Andererseits fragte sich Chiara, warum er seine Arbeit auf den Schiffen aufgegeben hat, zumal er die Arbeit zu mochte. Warum war er ausgerechnet hier gelandet? - In den weltverlassenen Hügeln von Florenz.

„Wie lange bleibst du?“, hatte sie ihn kurz vor Schluss einer Unterrichtseinheit gefragt.

Er war von dieser Frage überrascht. Er hatte bisher nicht an den Zeitpunkt gedacht, an dem er das Kloster verlassen würde.

Er betrachtete Chiara bevor er ihr antwortete und bemerkte ein leichtes Zittern ihrer Hände, als hätte sie Angst vor der Antwort.

Aber wo denkst du hin‘, dachte er .

„Ich hoffe noch lange Zeit zu bleiben“, gestand er mit ernstem Gesichtsausdruck und ihr Zittern hörte auf.

Was wollte er mit diesem Satz sagen? Chiara konnte ihn nicht verstehen, aber sie errötete sobald Josés Lippen diese Worte aussprachen, obwohl es sie nicht beunruhigte, was er ihr anvertraut hatte.

Chiara errötete, da sie bemerkt hatte, dass sie für einen Augenblick (aber nur für einen Augenblick) seinen Mund intensiv beäugelt hatte.

Wie viele Mädchen hat er geküsst?‘, fragte sie sich als sie seine Lippen betrachtete, die von einem leichten Stoppelbart umgeben waren. ‚ Haben sie versucht José Velasco zu küssen?‘

„Ich muss jetzt gehen“, beendete sie den Unterricht und ging schnellen Schrittes aus der Bibliothek und ließ José ein weiteres Mal entgeistert zurück, der sie schweigend betrachtete während sie sich von ihm entfernte.

Schwester Costanza betrat die Bibliothek von einer Seite, die Chiara und José verborgen war. Sie legte ein Buch des Evangeliums zurück und nahm sich ein neues Buch.

Obwohl das Kopftuch ein Symbol der Güte ist, gab es nicht viel Sanftmut im Herzen von Schwester Costanza. Sie war Chiara abgeneigt, sowie vielen erfreulichen Dingen der Welt.

Missmutig erinnerte sie sich an Chiaras Aufnahme im Kloster als sie noch in normalen Kleidern gekleidet war. Alle hatten sich umgedreht und gefragt, ob es möglich war, dass ein derart hübsches Mädchen ein Gelübde ablegt.

„Habt ihr gesehen, wie bildhübsch sie ist?“, hatte sie nicht nur die Ordensschwestern reden hören, sondern auch die Pilger und Arbeiter.

„Schwester Chiara“, hatte einst jemand in der Post des Dorfes kommentiert, „ist eine der Novizinnen. Man behauptet, sie sei bildhübsch und ausgesprochen freundlich.“ Dann hatte die plaudernde Gruppe die Anwesenheit von Costanza bemerkt und wechselte das Gesprächsthema.

Sie war ebenfalls ein Neuling und hatte das Kopftuch ein Jahr vor Chiara aufgesetzt, aber niemand hatte ihr jemals nachgeschaut, wie alle die fast Zwanzigjährige anstarrten.

Was hat sie, was ich nicht habe?‘, fragte sie sich.

Schönheit konkurriert nicht mit einer Nonne‘, antwortete sie während sie ihre wenig anmutige Figur im Spiegel betrachtete. ‚S olch eine Ordensschwester hat niemals einen wahren Glauben, sondern profitiert von ihrer Schönheit als Werkzeug des Teufels.‘

Nervös bürstete sie ihre dunklen Haare und ging voller Zorn schlafen. Während sie dalag und versuchte einzuschlafen, erinnerte sie sich, wie sie als Kind wegen ihrer Sommersprossen und dem wenig weiblichen Körper verspottet wurde.

Chiara hatte mehrmals versucht, sich mit der jungen Nonne mit dem finsteren Benehmen anzufreunden, aber Schwester Costanza erwiderte es nie. Sie gab es auf und lebte damit, mit einer Person unter einem Dach zu leben, von der sie verabscheut wurde.

Als Schwester Costanza Chiara von diesem attraktiven jungen Mann fortlaufen sah, der sie unter anderem nicht beachtete, ging ihr ein Licht mit einen nicht sehr christlichen Gedanken auf. Dieser Gedanke bestätigte ihre alten Theorien.

Sie war überzeugt, dass es ihr gelingen würde, sie aus dem Kloster zu vertreiben, wo sie nicht hingehörte.

Schwester Costanza konnte nicht nachvollziehen, dass Chiara einen starken Glauben hatte. Sie hatte ein klares Gemüt und war dadurch einfach zu durchschauen.

Es vergingen weitere Wochen und der Unterricht ging weiter seinen Lauf. José lernte schnell und nach zwei Monaten sprach er beinah fließend Italienisch. Die beiden jungen Menschen vertrauten sich weitere Details aus ihren Leben an.

Chiara sprach von ihrem Bruder Alberto, mit dem sie häufig telefonierte, auch jetzt, wo er in England Maschinenbau studierte.

Sie erzählte ihm von ihrer Mutter und ihrem Vater, die immer liebenswürdig und verständnisvoll mit ihr umgingen. Selbst ihre Entscheidung hinsichtlich dem Gelübde unterstützten sie ohne Einwände, sondern freuten sich mit ihr. In diesem Augenblick war José kurz davor, sie die Frage zu stellen, die ihn beschäftigte, schwieg aber.

José zeigte ihr ein Schwarz-Weiß-Foto von seiner Mutter, einer attraktiven Frau mit hellen Haaren, die wie seine waren, aber mit tiefen, dunklen Augen.

„Hast du deine Augen von deinem Vater?“, fragte Chiara. „Deine sind nicht so dunkel.“

„Ja“, antwortete er lächelnd, „ tengo el color de ojos de mi padre.

Chiara schaute ihn vorwurfsvoll an, so dass José stöhnte und den Satz dann wiederholte. „Die-Farbe-meiner-Augen-ist-die-meines-Vaters, ¿vale?

Die junge Nonne stimmte lächelnd zu. „ Vale.

José wusste nicht warum, aber er war froh zu wissen, dass Chiara seine Augen wahrgenommen hatte, obwohl es offensichtlich war, zumal sie seit einiger Zeit täglich eine Stunde zusammen verbrachten.

Er war erfreut, dass sie die Details in seinem Gesicht wahrnahm: Die Details sind es, die den Dingen Bedeutung verleihen.

Zumindest bei wichtigen Beziehungen.

¿Relaciones? Me estoy volviendo loco.

Ich werde verrückt.

An was zum Teufel für eine Beziehung dachte er? Für einen Moment runzelte er die Stirn, aber Chiara bemerkte seine Nervosität zum Glück nicht. Sie blätterte im Buch und suchte eine Übung.

Wie hübsch sie war, wenn sie sich auf einen Satz oder ein Wort konzentrierte. Für einen Augenblick wünschte sich José, das Objekt ihres Interesses zu sein; besser noch das Subjekt, um wie ein Buch von Chiaras sanften Augen gelesen zu werden.

In dieser Nacht träumte José erneut, Chiara zu küssen. Dies passierte zu oft. Er erwachte mitten in der Nacht und konnte nicht mehr einschlafen. Er beendete somit seine Suche in der Bibliothek.

Es fehlten noch zwei Regale. Er hatte sich wenige Stunden zuvor ins Bett gelegt, da er zu müde war und die Suche verschieben musste. In seiner Schlaflosigkeit wollte er jetzt die letzten Bücher durchsuchen, die den Schlüssel enthalten müssten.

Bei seinen unerlaubten Streifzügen des Nachts war José nicht immer vom Glück begünstigt. Wenn die Tür zum Innenhof abgeschlossen war, kletterte er an der Klostermauer hoch und ließ sich auf der anderen Seite hinab.

José ahnte nicht, dass ihn in dieser Nacht jemand sah, als er durch die Dunkelheit des Innenhofs huschte und von der Klostermauer herabsprang.

Chiara konnte ebenfalls nicht schlafen und war aufgestanden. Im Morgenmantel ging sie ein paar Schritte im Flur auf und ab. Bis sie einen Schatten von der Mauer hatte springen sehen. Neugierig ging sie zum Fenster, um zu sehen, was es war und wer es war, bevor sie das Kloster aufweckt.

Sie sah José somit - ihren José, der Unerlaubtes beging. Chiara wusste nicht was er trieb, vielleicht wollte sie es nicht einmal wissen, aber sie fühlte sich betrogen.

Ja, sie fühlte sich betrogen. Er tat etwas, was nicht rechtens war. Und wenn er das Kloster betrog, tat er es somit auch ihr gegenüber.

Dann dachte Chiara an die jungen Frauen, die in dem religiösen Institut für eine Probezeit wohnten. Junge Menschen, die mit Gott eine Ehe eingehen wollten, aber ihr Gelübde noch nicht abgelegt hatten. Ergo, sie waren hier, um festzustellen, ob ihr Weg der richtige ist oder nicht.

Chiara hatte diese Phase übersprungen, da sie von ihrer Entscheidung überzeugt gewesen war. Es war eine sehr wichtige Zeit, denn nicht alle Mädchen wurden im Kloster aufgenommen.

War José zu ihnen gegangen? Hatte er eine Affäre mit einem der Mädchen? Chiara wusste, dass sie es nicht zu interessieren hatte; sie wusste auch, dass sie die Äbtissin über ihre Entdeckung informieren musste. Einerseits konnte sie den Zorn nicht zügeln, der sie überkam, andererseits wollte sie für dieses Mal schweigen.

Sie ging mit feurigem Herzen schlafen sowie mit geröteten Wangen, die vor Wut glühten. Sie hasste José Velasco nicht für das, was er tat, sondern weil er das gesamte Kloster beleidigte.

Chiara nahm sich vor, kein Wort mehr mit José zu sprechen.

José hingegen setzte sich entmutigt auf den Fußboden der Bibliothek und lehnte seinen Rücken an die Wand.

„Es ist nicht da“, flüsterte er hoffnungslos. „Das Buch gibt es nicht.“

Für einen Augenblick verzweifelte er. Zumindest hatte er perfektes Italienisch gelernt.

Apostasie

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