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nueve

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Es verging eine Woche bis sich die beiden jungen Menschen wiedersahen. Beide waren froh, über den Abstand.

Chiara teilte man mit, dass José bis spät in den Feldern arbeiten musste, da die Jahreszeit günstig war, um die Sommerkulturen zu pflanzen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Unterrichtsstunde alleine zu verbringen. Sie las oder ging anderen Aufgaben im Kloster nach, die aber aus keinen besondere Pflichten bestanden.

Im Laufe der Woche hatte sie genügend Zeit darüber nachzudenken, was sie in den vergangenen Tagen so nervös gemacht hat. Sie konnte keine Antwort finden: Einerseits war ihr Gehirn nicht in der Lage, einzugestehen, dass es Josés Gegenwart war, andererseits wusste das Herz, was es mitzuteilen hatte. Doch Chiara schenkte ihm keine Aufmerksamkeit.

Die einfachsten Antworten sprechen eine schwierige Sprache.

Einige Tage später fühlte sie beim Erblicken von José während dem Angelusgebet in ihrer Brust einen Stich und sie verstand endlich was beziehungsweise wer es war, der sie aufwühlte.

Was wenn José kein guter Mensch ist, wie sie von ihm dachte? Was wenn er ein böser Mensch ist? Warum sonst fühlte sie sich in seiner Gegenwart derart eigenartig?

Chiara dachte nach und betrachtete ihn stirnrunzelnd. Ihre Mutmaßung hielt nur kurz an. Wenig später fühlte sie sich mies, solche Gedanken über ihn zu haben. Es war unmöglich.

Nein, José ist ein guter Mensch.

Es war schwer zu sagen, ob es wahre Intuition oder echte Liebe war. Tatsache war, dass Chiara José anders sah, als ihr Verstand vorgab. Vielleicht vertrauen wir aus diesem Grund einer Person, obwohl wir sie erst seit Kurzem kennen.

Schlecht erwidertes Vertrauen verletzt wie ein Sturz auf steinigem Boden“, gab ihr ihre Mutter als Lebensweisheit mit auf den Weg. „Ein Sturz auf die nackten Knie ist empfindlich wie der Kampf des Lebens. Deshalb Chiara, sei vorsichtig, wem du dein Vertrauen schenkst!“

Chiara wusste nicht warum, aber bei José hatte sie sofort beschlossen, das Risiko einer Enttäuschung in Kauf zu nehmen.

An diesem Abend schaute sie ihn an. José bemerkte sie nicht oder zumindest tat er, als würde er sie nicht sehen. Das kränkte Chiara: Sie war über sein offensichtliches Verhalten enttäuscht. Beim Einschlafen versuchte sie einen plausiblen Grund für Josés Verhalten zu finden.

Warum hat getan, als würde er mich nicht sehen?‘, dachte sie. ‚ Ist er gekränkt, weil ich neulich weggegangen bin? Hat er mich falsch verstanden? Guter Gott, was denkt er von mir?‘

Er ist unvergleichlich attraktiv, intelligent ... Nein! Was habe ich für Gedanken?

Wie naiv von mir! Ich muss mich über solche Gedanken nicht sorgen, sie entstehen durch eine Liebe, die ich für jedes Geschöpf Gottes empfinde.

Ja, José ist attraktiv und hell wie die Sonne.‘

Chiara brauchte eine Stunde bis sie endlich einschlief. In diesen meditierenden Stunden fragte sie sich kein einziges Mal, warum sie so oft José dachte.

Am fünften Morgen ihrer Distanz verspürte sie eine seltsame Sehnsucht nach dem Unterricht, den sie José Velasco erteilte. Es war eine neue Erfahrung.

Ein Hauch neuer Luft - Das ist der Grund, der einen seltsamen Knoten in mir verursacht.‘

Auf der anderen Seite empfand José die vorübergehende Distanz ebenfalls als therapeutisch.

Bei Schwester Chiara, wie die anderen Ordensschwestern sie nannten, fühlte er sich machtlos. Diese ehrlichen Augen schüchterten ihn ein und ließen ihn bei seiner Suche nach dem Schlüssel in der Klosterbibliothek schuldig fühlen (welch verschwendete Zeit Gewissensbisse sind).

Vielleicht war dies der Grund, warum er abends in der Kantine vortäuschte, sie nicht zu sehen. Er wusste, wenn er sie anschauen würde, dass er nachts nicht in der Lage wäre, sich in die Sala de los Libros zu begeben.

Der Abstand von der jungen Frau war auf jeden Fall ein Hauch frischer Luft.

Die fehlende geistige Ablenkung brachte ihn eifrig und zügig mit dem Durchsuchen verschiedener Bände weiter. Am Ende der Woche hatte er den Band aber nicht gefunden. Entmutigt und nervös begann er sich zu fragen, ob seine Arbeit umsonst war.

Vielleicht hatten sie es verliehen, entsorgt oder es hat nie existiert. In der siebten Nacht ging von der harten Arbeit geschafft sofort schlafen. Er hatte weder Kraft noch den Willen, die Suche in der Bibliothek fortzuführen.

Am nächsten Morgen gestand er sich ein, Sehnsucht zu verspüren.

Er erinnerte sich nicht an die Details seiner Träume dieser Nacht, aber ihm ging das Gesicht nicht mehr aus dem Sinn, das er gesehen hat kurz bevor er seine Augen öffnete. Es war kein anderes als das von Chiara.

Warum sollte er die Freundschaft zu diesem Mädchen mit dem lebhaften Blick aufgeben?

Was machte ihn in Chiaras Gegenwart nervös? Sie konnte keine Gedanken lesen, abgesehen davon, war sie eine Nonne, weder böse noch hinterhältig. Er gab keinen Grund, sich von ihrem Verhalten beunruhigen zu lassen, das außerordentlich ehrlich und direkt war.

Außerdem musste er weiter Italienisch lernen, um sich zu verbessern, redete er sich selbst ein, somit musste er den Unterricht mit Schwester Chiara wieder aufnehmen.

Beschlossen.

Wenn nach diesen arbeitsreichen Wochen die Äbtissin weiterhin den Unterricht verschiebt, würde er ihr anbieten, eine Stunde früher aufzustehen und das Doppelte zu arbeiten, um den Italienischunterricht besuchen zu können.

Doch sind die Gedanken schnell, sind die Taten umso träge.

Es war Montag-Nachmittag als sie sich endlich begegneten.

Chiara war in das naheliegende Dorf gegangen, um Einkäufe für das Kloster zu besorgen, darunter Nudeln, Milch, Mehl und Obst. Auf dem Rückweg schlug sie einen Weg durch die Äcker ein. Indem sie sich an dem Mai-Spaziergang beglückte, versuchte sie, das faltige Gesicht des Ladenbesitzers zu vergessen.

Herr Salvatore war ausgesprochen unhöflich zu den Ordensschwestern des Klosters. Seine Verachtung für das Gewand, das sie trugen, war nicht zu übersehen.

Als Chiara den Laden betreten hatte und er sich hinter der Theke umgedrehte, verdrehte er mit gereiztem Ausdruck sofort die Augen. Dann hatte er eine Dose mit Süßwaren auf das Regal knallen lassen, während seine Frau Michaela mit einem entschuldigenden Blick Chiara anschaute und mit den Schultern zuckte.

„Ähm, guten Morgen“, grüßte die junge Nonne höflich, aber es antwortete nur Michaela. Salvatore war beschäftigt, sich eine andere leere Dose zu nehmen und tat als würde er sie sauber machen.

„Guten Morgen“, versuchte es Chiara erneut, dieses Mal mit mehr Nachdruck, von seinem Verhalten aber leicht verstimmt.

„Ähm … Tag“, brummte er ohne aufzublicken.

„Ich hätte gerne einige Packungen Mehl. Können Sie sie wie gewohnt in das Kloster liefern?“

„Uff.“

„Ich nehme an, das ist ein Ja?“, kommentierte Chiara. „Ich benötige außerdem Zucker, bitte.“

„Drüben“, murmelte er und deutete mit einem Wink mit dem Kopf in eine Ecke des Ladens.

„Verstanden, ich hole ihn mir“, aber bevor sich Chiara bewegte, hatte sich die nette Michaela erhoben und war zum Regal gegangen.

„Wieviel?“

„Nur zwei Pfund, vielen Dank. Wir haben noch etwas im Kloster. Wissen Sie, ich möchte Plätzchen für die Schulkinder backen und möchte ich nicht die Vorräte verwenden.“

„... gebeten“, murmelte Salvatore und nuschelte Worte vor sich hin.

„Wie bitte?“, Chiara wandte sich zu ihm, der endlich seinen Blick hob, um ihr direkt die Augen zu mustern.

„Das hat sie niemand gebeten“, wiederholte er. „Wir sind nicht an ihren Tätigkeiten als guter Christ interessiert.“

Chiaras Pupillen weiteten sich empört und verdrossen. Sie fühlte die Wut in ihr aufsteigen.

„Können Sie mir erklären, was ich ihnen getan habe?“

Der Mann schaute sie herausfordernd an, antwortete aber nicht. Er wandte sich um und ging in den hinteren Ladenbereich.

„Verzeihen Sie ihm, Schwester“, entschuldigte sich seine Frau. „Manchmal kann er ausgesprochen unhöflich sein. Aber ich versichere Ihnen, er ist ein guter Mensch.“

„Das bezweifle ich nicht“, beendete Chiara das Gespräch. Sie schaute auf den Vorhang der Tür, die zum hinteren Teil führte, der noch wackelte und schließlich still stand.

Als Chiara in die Felder ging, war ihre Wut mittlerweile vergangen und sie dachte an Salvatore, indem sie eine Art Schwermut empfand. Sie verstand nicht, warum dieser Mann sie derart verabscheuend anschaute, als ob sie ihm Schlimmes getan hätte. Chiara war überzeugt, weder ihn noch ein anderes Familienmitglied respektlos behandelt zu haben.

Jedes Mal, wenn sie den Laden betrat, starrte Salvatore sie an als wäre sie ein Insekt, das so schnell wie möglich zerquetscht werden müsse. Die Äbtissin und die anderen Ordensschwestern mieden ebenfalls jenen Ort wegen der feindseligen Blicke. Es war der einzige Laden im Dorf, der gut ausgestattet war, weshalb die Ordensschwestern gezwungen waren, dort einzukaufen.

Jedenfalls war es in dieser Situation wichtig, ein reines Gewissen zu haben. Wenn Herr Salvatore sie und alle Nonnen verabscheute, war es sein Problem und nicht das von Chiara, die sich unschuldig fühlte.

An diesem Montag-Nachmittag bemerkte sie in der Ferne einen Traktor der Arbeiter. Sie näherte sich, um ihnen Obst anzubieten, das sie im Dorf gekauft hatte. Sie konnte ihre Absicht nicht zu Ende führen, denn etwas beziehungsweise jemand beanspruchte ihre volle Aufmerksamkeit, ohne die anderen Arbeiter im Geringsten wahrzunehmen.

José war dort, nicht weit von ihr. Diesmal hatte er sie wirklich nicht gesehen, da er in die Arbeit vertieft war.

Chiara errötete. Sie wusste, dass sie den Blick hätte abwenden müssen, sie betrachtete etwas Verbotenes, konnte aber nicht anders. Sie blieb reglos stehen und schaute ihm ebenso bewegungslos zu. Ihre Hand hielt den Korb mit den Einkäufen fest verschlossen, aus Angst, er würde ihr wegrutschen.

José kniete ohne Hemd, das seinen Oberkörper hätte bedecken können, unter der Sonne. Er säte mit einer solchen Sorgfalt, die ihr das Herz erfüllte.

Dreh dich um!‘, sagte ihr der Verstand. ‚ Du darfst nicht hinschauen!‘ Aber sie konnte ihre Augen nicht von diesem Geschöpf Gottes abwenden. Er hatte einen ausgesprochen attraktiven Körperbau.

Sein Körperbau war perfekt und ausgesprochen muskulös, wie eine Statue einer biblischen Darstellung, zugleich aber diskret.

Seine Schulter, sein Arm und das Gesicht waren mit Erdflecken beschmutzt, so dass er wie ein Kind aussah. Chiara bemerkte auf der rechten Seite seines Bauches etwas Ungewöhnliches. Für ein paar Sekunden musterten ihre Augen diese Stelle. Es war eine Narbe, die mehr oder weniger so lang war wie die Kette von ihrem Rosenkranz. Sie gab seinem Körper und Gesicht etwas Bedrohliches, obwohl sein Gesicht nicht bedrohlich aussah.

Er hatte prächtige Haare, zerzaust und zwanglos wie er war. Für einen Augenblick wünschte sich Chiara, sanft mit ihren Händen durch seine Haare streifen zu können, Strähne für Strähne, um ihre Weichheit zu spüren.

Sie errötete noch mehr, während ihr Herz tyrannisch schlug, so dass sie eine Hand an ihre Brust nehmen musste.

Herz, bleib ruhig! Willst du aus meinem Körper herausspringen? Beruhige dich bitte ...‘

In der Arbeit versunken, hatte José sie nicht bemerkt. Er spürte aber, dass Augen auf ihn gerichtet waren. Dieses Gefühl ließ ihn sich umdrehen. Er blickte direkt in einen grünbraunen Regenbogen, der in der Iris einer Frau eingeschlossen war.

Als sein Blick Chiaras Augen begegnete, waren ihre Pupillen geweitet wie bei einem Schock. In der Tat war sie sichtlich erregt. Ohne einen Augenblick länger zu warten, drehte sie sich um, lief zu einem Hain bei den Feldern und versteckte sich dort. Chiara hatte kein klares Ziel. Warum lief sie weg? Sie verspürte ausschließlich, dass sie sich entfernen musste.

Er wird mich missverstehen‘, redete sie sich mehrmals beim Laufen ein, ‚ er wird meinen Blick missverstehen.‘

José zögerte nicht, er nahm sein Hemd, das er auf den Boden gelegt hatte, zog es sich schnell über und folgte ihr bevor sie sich zu weit entfernte.

Als er sie sah, war sie über einen kleinen Fluss gebeugt und tauchte ihre Hände ins kühle Wasser. Sanft bewegte sie die klare Flüssigkeit und spritzte sie sich vorsichtig ins Gesicht, um sich an diesem heißen Mai-Tag zu erfrischen.

José näherte sich ihr. Sie verharrte bewegungslos, obwohl sie seine Gegenwart wahrgenommen hatte.

„Chiara“, sagte José als er hinter ihrer Schulter stand, „¿Por qué te has ido?

Chiara wartete ein paar Sekunden bevor sie aufstand, um sicherzugehen, dass die Röte von ihren Wangen verschwunden war. Sie starrte auf sein welliges Spiegelbild im Wasser.

„Man merkt, dass wir keinen Unterricht mehr hatten“, kommentierte sie, während sie ihm mit den Schultern zugekehrt war. „Du verfällst wieder ins Spanische.“

José lächelte und legte ihr eine Hand auf die Schulter und bemerkte sofort, dass sich ihr Körper anspannte.

„Du hast razón ...“, flüsterte er und wusste, dass er die Hand vom schwarzen Gewand nehmen musste, hatte aber nicht die nötige Willenskraft. „ Entonces denke, wir sollten mit dem Unterricht posible schnell weitermachen.“

Chiara schwieg und konzentrierte ihre gesamte Energie auf seine Hand, die ihre Haut verbrannte, derart empfand sie.

Estás ... Ist alles in Ordnung mit dir?“

Es war Zeit, sich umzudrehen. Chiara legte ihre Hand auf seine, die noch auf ihrer Schulter lag. Sie erhob sich, während die starken Arme des jungen Mannes sie stützten.

Als sie sich einander gegenüber standen, nahm Chiara Josés Hand und begleitete sie an ihren gewöhnlichen Platz und ließ sie schließlich los.

„José, mir geht es gut“, antwortete sie und blickte vom Boden auf, um ihren Blick auf sein Gesicht zu richten. „Meinst du nicht, dass wir uns zu wenig kennen, um die Stimmung des anderen zu deuten?“ Chiaras Ton war ironisch und belustigt. José lachte als er die leichte Arroganz auf den Lippen dieser jungen Monja vernahm, die auf eine Unterrichtsstunde anspielte, die eine Woche zurücklag.

Mensch, es war eine Ewigkeit.

¿Cómo se dice? ... Touché!“, fragte er und hob die Hände in den Himmel, während Chiara dieses Mal aufrichtig lachen musste.

Sie fühlte sich ruhig und ungewöhnlich sicher, obwohl der Anspielung an Respekt fehlte, der für eine Nonne angemessen ist. Jetzt war sie in der Lage, mit José ein normales Gespräch zu führen.

Leider schwanken im Leben sichere Situationen und ihre Ruhe hielt nicht lange an.

Sie nahm bald wahr, dass sie ausgesprochen nahe beieinander standen und sein Hemd nicht zugeknöpft war. Ihr Gesicht errötete und sie starrte erneut auf ihre schwarzen Slipper.

José sah auf seinen entblößten Bauch und begriff sofort, dass sie aufgrund dieser Unachtsamkeit verlegen war. Rasch knöpfte er sein Hemd zu und flüsterte ein perdóname für die Umstände. Er machte sich Vorwürfe, wie er sich derart nachlässig verhalten konnte. Ausgerechnet er, der gewöhnlich ein präzises und kontrolliertes Verhalten an den Tag legte.

„So ist es besser“, bestätigte sie. „ Discúlpame für meine Nachlässigkeit und meinen ungepflegten Zustand.“ Er zuckte lässig seine Schultern. Schließlich lächelte er Chiara aufrichtig an, wobei seine Augen leuchteten und auflachten und sanft die Person musterten, der das Lächeln galt.

„Ist schon in Ordnung“, erwiderte sie, starrte noch auf ihre Schuhe und wollte sich von ihm entfernen. Somit drehte sie sich um und ging ein paar Schritte.

No te vayas“, versuchte er sie aufzuhalten, bevor sie zu weit entfernt war. „Geh bitte nicht! Warum setzen wir uns nicht aqui und unterhalten uns? Hast du Lust?“

Chiara zögerte. Sie war sichtlich erfreut, Zeit mit ihrem ‚Lieblingsschüler‘ zu verbringen.

Warum sollte sie auf die Gesellschaft einer netten Person verzichten?‘, dachte sie sich.

Außer der jungen Nonne Claudia hatte sie keine wahren Freunde. Zweifellos waren die Ordensschwestern ein Teil ihres Lebens, aber sie waren ausschließlich geistliche Schwestern. Von ihren Freunden aus ihrer Kindheit hatte sie sich zusammen mit ihrer Familie verabschiedet, als sie dem Kloster beigetreten war.

Aber da erscheint José Velasco als neue Präsenz in ihrem geradlinigen Leben, eine kluge und amüsante Person. Was sollte sie hindern, seine Freundin zu sein? Es gab keinen Grund.

Es war wie die Freundschaft zwischen einem Mönch und einem Pfarrer. Sie sind ebenfalls Menschen. Kein Gesetz verbietet einer Nonne, mit jemandem befreundet zu sein, solange es kein Interesse von bestimmter Art gibt. Ihrerseits gab es kein bestimmtes Interesse für José Velasco. Nichts, Punkt.

„Okay“, antwortete sie und drehte sich mit einem breiten Lächeln um, das ihre Iris in schillernden Farben erleuchten ließ.

José setzte sich an den Fluss und Chiara tat es ihm nach, während sie sich einen halben Meter von ihm entfernt hielt.

Entonces, Chiara. Wann beginnen wir mit den lecciones? Ich will nicht dimenticarme, was ich gelernt habe.“

„Du hattest diese Woche zu tun gehabt, hat man mir gesagt“, erwiderte sie. „Ab der nächsten Woche können wir den Unterricht wieder aufnehmen, wenn die Äbtissin einverstanden ist.“

José riss einen Grashalm ab und nahm ihn in den Mund, legte sich hin und verschränkte seine Hände hinter dem Kopf. Schließlich betrachtete er den Himmel, der sich langsam rot färbte und den bevorstehenden Sonnenuntergang ankündigte.

„Berichte mir aus deinem vida, Chiara“, bat er sie, während die Sonne ihren Abstieg ins Reich der Dämmerung nahm.

Chiara hatte nicht mit einer solchen Frage gerechnet, zumal ihr Leben nicht aufregend war. Konnte ein Mann wie er an ihrem Leben interessiert sein?

Sie war sich nicht ganz überzeugt und José stellte sich die gleiche Frage. Er wollte in diesem Augenblick nichts anderes tun, als die Augen schließen und Chiaras Stimme lauschen. Selbst seine Planung, wie er den Schlüssel finden könne, konnte warten.

„Es tut mir gut, italienische Wörter zu escuchar“, fügte er hinzu, um seine Neugier zu verbergen und sie nicht weglaufen zu lassen.

Zum Lernen bestimmt‘, dachte Chiara und begann zu erzählen.

Sie erzählte ihm von ihrem kleinen Dorf, das einer Krippe glich und nicht zur wahren Welt gehörte.

„Es gibt ein paar Orte auf der Erde, an denen die Zeit stillsteht“, erklärte sie mit klarer Stimme. „Wenn du dort wohnst, fühlst du dich weit entfernt von den Metropolen und vom Chaos der Welt, die uns umgibt. Es ist wie in einer Oase, José: Nichts Schreckliches kann dir etwas anhaben. Zumindest denkst du es als Kind.“

Josés Hand zitterte, während er ihr zuhörte, wie sie mit Überschwang erzählte. Er öffnete seine Augen und fühlte sich nah bei Chiara, die konzentriert das fließende Wasser betrachtete. Er hätte sie an sich drücken wollen, um ihr für einen Augenblick den Eindruck zu schenken, sich in einer friedlichen Oase zu befinden.

Er rührte sich nicht und schloss seine Augen.

Chiara wandte sich um und prüfte, ob José ihr noch zuhörte. Sie befürchtete ihn zu langweilen. Als sie ihn mit geschlossenen Augen sah, war sie wie von einer Kugel im Herzen getroffen: Wie blöd sie war, als würde er sich für das Leben einer Nonne interessieren. Natürlich schlief er.

„Erzähl weiter“, forderten Josés Lippen auf. „Deine Stimme entspannt mich, Chiara, sie ist hermosa.“

Chiara schwieg und José versuchte noch mit geschlossenen Augenlidern sein Kompliment richtigzustellen, das ein weiteres Mal unangemessen klang. „Man merkt, dass ihr im Kloster die Redekunst gut estudiar habt.“

„Das stimmt“, antwortete sie erleichtert und zugleich enttäuscht.

Wie von José gewünscht, erzählte sie weiter und berichtete von den ersten Jahren im Kloster, von den Gefühlen und vom Glauben, der von Herzen kam. José schwelgte sich in der offensichtlichen Güte und in dem kindlichen Ton, als sie berichtete, wie sie sich zum ersten Mal das Kopftuch aufsetzte.

„Wir müssen jetzt gehen“, bemerkte Chiara und setzte ihrer Abgeschiedenheit ein Ende, die zu lange angehalten hatte. „Beim nächsten Unterricht berichtest du mir aus deinem Leben. Das ist ein fairer Kompromiss, meinst du nicht?“

José stand auf, zog sich den Grashalm aus seinem Mund und warf ihn ins Wasser. Dann beobachtete er, wie ihn die kalte Strömung in Richtung Meer zog. Er drehte sich zu Chiara um und betrachtete sie mit seinem üblichen Lächeln, das seine Verehrung überspielte, die er für Chiara empfand.

Er nahm eine rebellische Haarsträhne wahr, die ihr aus dem Kopftuch entwichen war, ein Detail, das ihr stets entging. Ohne zu zögern näherte José eine Hand Chiaras Gesicht und steckte die Strähne unter ihr Kopftuch, um sie vor der so feindseligen und betrügerischen Außenwelt zu schützen.

Chiara spürte die Wärme seiner Hand, welche dieses Mal in der Nähe ihrer Schläfe war. Sie stand still, denn sie konnte nicht jedes Mal wegrennen.

Ciertamente Chiara ...“, flüsterte José. „Nächste Vez werde ich von meinem Leben erzählen.“

Dann stand er auf und ging fort, während er sie alleine und verwirrt zurückließ.

José wusste, dass es nicht geschickt gewesen wäre, zusammen zurückzukehren. Denn ein falsches Auge hätte alles missverstanden und er wollte nicht das Ansehen von Chiara beflecken. Außerdem wusste er nicht, wenn er länger mit ihr zusammen geblieben wäre, ob er ihren verführerischen Lippen widerstanden hätte. Er entfernte sich somit beherrscht von einem leichten Gefühl des Unbehagens. Dieses Gefühl stand im klaren Widerspruch zur Ruhe, die er bis vor kurzem empfunden hatte.

Am selben Abend ging er zur Äbtissin und fragte sie, den Unterricht aufnehmen zu dürfen.

Obwohl Chiara ihm vergewisserte, dass sie ihn bald beginnen würden, hatte er Zweifel. Er begab sich somit zum Büro der Oberin und versprach ihr, dass er morgens früher aufstehen würde, damit er den Unterricht wieder aufnahm, denn er benötigte weiter Unterricht in der italienischen Sprache.

Die Äbtissin war verblüfft über das starke Interesse an der Kultur; anders als die anderen Arbeiter, die im Kloster arbeiteten. Sie merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.

„Ich sehe sie sehr interessiert, Herr Velasco“, kommentierte sie, ohne ihren Missmut zu verbergen.

Quiero aprender el idioma, para in Italien integrieren“, antwortete er schnell, eventuell zu schnell.

Die Äbtissin seufzte. Obwohl ihr eine innere Stimme redete ihr ins Gewissen, dass ihre Nachsicht Schaden anrichten würde, riet ihr eine andere Stimme, den Menschen zu vertrauen.

Chiara wäre für die Klausur bereit, wenn sie wollte‘, dachte sie. ‚S ie trägt einen Glauben, den ihr niemand nehmen kann.‘

Sie stimmte somit zu.

Gracias Abadesa ...“, beendete José das Gespäch und wandte sich zur Tür.

„Ist schon gut“, antwortete sie mit einem weiteren Seufzer des Unbehagens. José schloss die Tür und ließ sie in ihren Gedanken versunken zurück.

* * *

In dieser Nacht ging José nicht in die Bibliothek. Die Suche konnte einen Tag warten. Er bevorzugte es, im Bett zu bleiben, den Himmel im Fenster zu betrachten und diesen Frühjahrsnachmittag in Gedanken Revue passieren zu lassen.

Wie gern hätte er ihr das Kopftuch von den Haaren entnommen, um sie endlich in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Er dachte an die süße Stimme, die einem Wiegenlied glich, während sie ihm aus ihrer Vergangenheit berichtete. Insbesondere dachte er an ein Detail, das Chiara in ihrem Bericht ausgelassen hatte: Warum hatte sie das Gelübde abgelegt? Zweifellos hatte sie den Zeitraum vor dieser harten Entscheidung übersprungen.

Er schlief ein und träumte von Chiaras Mund, dem er sich genähert hatte, als er ihr die Haarsträhne unter das Kopftuch gesteckt hatte. Im Traum näherte er sich ihr nicht wie in der Realität sondern zog sie an sich, um sie zu küssen. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten.

Als er aufwachte, wusste José am nächsten Morgen nicht mehr, was Traum und was Realität war. Dann aber erinnerte er sich und erkannte mit Bedauern die Realität: Es war ein Traum, Diablo, nur ein Traum.

Nachdem er seinen Kopf unter den kalten Strahl des Wasserhahns gehalten und sich die Haare getrocknet hatte, schwor er sich ab jetzt Ordnung in seine Gedanken zurückkehren zu lassen. Er wollte Chiara nicht mehr als normale junge Frau betrachten.

Aber José wusste nicht, dass menschliche Versprechen kurzlebig sind und sich sogar die gepriesene Gottheit zu fadenscheinigen Versprechen entpuppte.

Apostasie

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