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DER GOBLINMARKT, ONYXPALAST 30. März 1884

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Selbst auf dem Goblinmarkt schenkten wenige Leute einem Hund Beachtung.

Sie waren zu gewöhnlich dafür. Der Onyxpalast besaß einige echte Streuner – hauptsächlich Haustiere, die von Feenbesitzern ausgesetzt wurden, wenn sie ihrer leid wurden. Katzen schlüpften manchmal, obwohl niemand es erklären konnte, durch die verborgenen Eingänge, doch es war selten, dass ein Hund durch eines der Löcher im Material des Palasts stolperte. Es gab auch Feenhunde, Kreaturen mit einiger Intelligenz, aber nicht der Fähigkeit, ihre Gestalt zu wandeln. Und dann gab es Fae wie den Toten Rick, die ebenso gut als Menschen wie als Hunde herumliefen: Skriker, Padfoots, Galley-Trots und so weiter. Es war möglich, die verschiedenen Arten zu unterscheiden, aber nur, wenn der Beobachter aufmerksam war.

Also konnte der Tote Rick das Labyrinth, das den Goblinmarkt beherbergte, durchqueren, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, und tat es auch. Viel weniger Aufmerksamkeit, als wenn er nach Cyma gefragt hätte, vor allem wenn er eine solch spezielle Frage an sie hatte. Schließlich erschnüffelte er eine Spur, die mehr oder weniger frisch roch, und folgte ihr in einen ruhigeren Teil des Labyrinths, bis sie vom überwältigenden Geruch nach Opium überdeckt wurde.

Der Tote Rick zog es kurz in Erwägung zu warten. Er hasste die Opiumhöhle. Sie war voll von Sterblichen im Delirium in verschiedenen Stufen geistigen Verfalls, leichte Beute für die Fae, die sie nach unten gelockt hatten. Und wenn Cyma es selbst geraucht hatte, war sie vielleicht nicht in der Verfassung, ihm zu helfen.

Aber er wollte keine Zeit verschwenden. Und wenn er sich dicht am Boden hielt, unterhalb des schlimmsten Rauchs, konnte er hinein und wieder herauskommen, ehe es zu sehr auf ihn wirkte. Der Tote Rick schürzte verärgert die Lippen und schlüpfte durch die bestickten Seidengardinen, die die kaputte Tür der Höhle ersetzten.

Das Licht drinnen war düster, teilweise durch den Rauch, teilweise durch die verschiedenen Abdeckungen, die man über den Feenlichtern platziert hatte: geölte Tücher, gefärbtes Glas, alles, um jenes kühle Strahlen weicher und wärmer zu machen. Er konnte über dem Opiumgestank jedoch gar nichts riechen und war froh, dass ihm die reichlichen Schatten eine nützliche Deckung gaben, bis sich seine Augen genug daran gewöhnt hatten, dass er sich seinen Weg durch den Raum bahnen konnte.

Die meisten Leute, die er sah, waren Sterbliche. Seit der Einführung von Feenopium aus China war dies das übliche Mittel geworden, um Träume zu ernten: Männer und gelegentlich eine Frau lagen mit schlaffen Gliedern betäubt auf schmalen Klappbetten, und von Zeit zu Zeit nahmen in der verrauchten Luft über ihren Köpfen Gestalten Form an. Sobald sie in Flaschen gefüllt waren, waren diese auf dem Markt einiges wert, wenn auch nicht so viel wie das saubere Produkt. Und außerdem waren die einzige Art von Leuten, die Fae gewöhnlich hier herunterlocken konnten, der Abschaum von London, Bettler und Krüppel und Wahnsinnige, arme Leute, die ihre Seelen verkauft hätten, um ihre Probleme für eine kurze Weile zu vergessen. Aus solchen Vorräten konnte man nicht viel Unterschiedliches bekommen.

Die Fae, die sich zwischen ihnen herumdrückten, waren nicht Nadretts Leute. Die Opiumhöhle stand unter der Kontrolle eines chinesischen Fae mit einem langen, komplizierten Namen, der bald zu Poh abgekürzt worden war, und er machte nur mit Lacca, einem weiblichen Boss auf dem Goblinmarkt, Geschäfte. Zusammen verteidigten sie den Opiumtraumhandel gegen Nadretts Versuche, ihn zu übernehmen. Aber sie erlaubten Einzelpersonen, die Höhlen gegen Bezahlung zu nutzen, und, wie der Tote Rick vermutete, Cyma war unter ihnen.

Sie befand sich in einer hinteren Ecke, lehnte sich gegen ein niedriges Sofa und half einer jungen blonden sterblichen Frau in einem Nachthemd, eine aus Elfenbein geschnitzte Opiumpfeife zu halten. Die Pupillen in Cymas Augen waren etwas zusammengezogen, aber er glaubte, dass das nur das Resultat davon war, zu lange in diesem Raum zu sitzen. Die junge Frau war im Gegenzug völlig in der Droge verloren. Nach einem langen Zug an der Pfeife schlug sie die Augen auf, sah den Toten Rick und verfiel in hilfloses Kichern. Er fühlte sich über ihre Reaktion verärgert: Er war immerhin ein Todesomen, nicht das idiotische Schoßhündchen irgendeiner Lady. Aber vielleicht war dies das Werk des Opiums.

Cyma drehte sich um, um zu sehen, worüber ihre Sterbliche lachte, und sah den Toten Rick finster an. »Was machst du hier?«, flüsterte sie.

Es war möglich, in Hundegestalt zu sprechen, aber nicht einfach. Der Tote Rick verwandelte sich zurück, dann sagte er: »Das wollte ich dich fragen.« Auch er hielt seine Stimme leise, aber nicht aus Rücksicht auf die Opiumraucher. Falls irgendeiner von ihnen wach genug war, um ihn zu beachten, wollte er nicht, dass sie mehr als nötig mithörten. »Solltest du nicht irgendwo hingehen? Weg von hier?«

»Bald.« Ein unfokussiertes Lächeln breitete sich über ihr Gesicht aus. Die Droge hatte doch eine Wirkung auf sie. »Bald bin ich sicher. Ich bin damit fertig, für Nadrett Sterbliche zu jagen … London wird mir gehören, und ich werde ihn nicht mehr brauchen.«

Der Tote Rick hatte keine Ahnung, was sie mit dem meisten davon meinte, aber eine Sache war klar genug, um seine Neugier zu wecken. »Auf wen hat er dich angesetzt?« Seine Aufmerksamkeit wanderte zu dem Mädchen auf dem Sofa. »Die da?«

»Nein!«, rief Cyma. Das war abrupt genug, dass er es glaubte, besonders durch die Art, wie sie ihr Gewicht verlagerte, als wolle sie das Mädchen beschützen. Für einen Augenblick dachte er, dass sie vielleicht mehr sagen würde. Aber Cyma war nicht so benebelt, dass sie ihre Geheimnisse so einfach ausplaudern würde. »Nadretts Angelegenheit«, murmelte sie und entspannte sich wieder. Bildete er sich die Schuldgefühle in ihrer Miene gerade ein? »Es war ein Mann, den er wollte, und hatte mit dir nichts zu tun.«

Konnte dies etwas mit dem Plan zu tun haben, von dem die Stimme gesprochen hatte? Der Tote Rick bezweifelte es. Nadrett setzte seine Lakaien ständig auf Leute an. Gresh erntete sie regelmäßig aus dem East End, für Brot und weniger angenehme Dinge. Rewdans Auftrag war etwas weniger Gewöhnliches gewesen. »Cyma … redest du immer noch mit jenem Kerl drüben in der Akademie?«

»Yvoir?« Cymas Blick wurde schärfer, und mit einer Stimme, die eher wie ihre übliche klang, sagte sie: »Was willst du, Toter Rick?«

Er hatte die Lüge geübt, bis er sie überzeugend erzählen konnte: »Ich möchte gerne wissen, wie ich einige Chemikalien aus dem Feenland in die Hände bekomme. Aber ich bin kein Wissenschaftler. Ich weiß nicht, wofür sie gut sind. Und das bedeutet, dass ich nicht weiß, was sie wert sind. Ich hatte gehofft, dass du das vielleicht für mich herausfinden könntest.«

»Was für Chemikalien?«

»Satyrgalle. Lunarlauge. Vielleicht einige andere, aber diese beiden sicher.«

Die Hand der Sterblichen tastete von dort aus, wo sie sich auf die Couch hatte sinken lassen, geistesabwesend durch die Luft. Cyma nahm sie, dann hielt sie sich daran fest, als könne sie die Antwort auf die Frage des Toten Rick in der Handfläche der jungen Frau lesen. Er hielt die Luft an und wartete. Cyma war die einzige Person, der er halbwegs vertraute. Wenn sie ihm nicht helfen konnte – oder wollte –, würde er die Antwort von jemand anderem kaufen müssen. Valentin Aspell verkaufte Informationen, aber sie hatten einen hohen Preis.

Cyma runzelte die Stirn. »Wird dein Herr nicht zornig werden? Wenn du hinter seinem Rücken Geschäfte machst?«

Nicht halb so zornig, wie er sein wird, wenn er herausfindet, was ich wirklich mache. »Ich kann es mir nicht leisten, mich in Sicherheit zu bringen, Cyma.« Er machte eine Geste, die grob seine Umgebung erfasste: die Opiumhöhle, den Goblinmarkt, den Onyxpalast. Vielleicht London selbst. »Alles zerfällt, oder nicht? Nadrett hat mich jetzt an sich gekettet, klar, aber ich bin nicht dumm genug zu glauben, dass mir das viel helfen wird, wenn das Ende kommt. Er wird mich absaufen lassen, das weiß ich. Ich muss bereit sein, allein zu fliehen.«

Cymas Blick wurde sanfter. Eine Hand streckte sich, um ihm über die Wange zu streichen. Er zuckte zurück. Zu seiner Überraschung sah er das helle Glitzern von Tränen in ihren Augen. »Wir sollten nicht fliehen müssen«, flüsterte sie.

Das Opium begann, ihn schwindlig zu machen. Er kämpfte mit bitterem Zorn dagegen an. »Wenn du nicht einen neuen Palast vorn in dein Kleid gestopft hast, dann haben wir nicht viel Wahl. Die verdammten Menschen werden uns unter ihren Füßen zerquetschen und nie erfahren, dass wir da waren.« Er funkelte die geistesabwesende junge Frau auf dem Sofa an.

»Einige von ihnen wissen es«, sagte Cyma und strich über die Hand des Mädchens. »Wenn sie es vielleicht alle wüssten …«

»Was?« Die Haut des Toten Rick juckte plötzlich überall, als ob er, wenn er sich umdrehte, feststellen würde, dass Nadrett eine Waffe auf ihn gerichtet hätte. »Bist du total bescheuert? Sie würden uns töten.«

Cyma deutete ausschweifend auf die schlaffen Gestalten überall in der Opiumhöhle. »Die da nicht. Die in der Akademie nicht. Die Idee ist nicht von mir, Toter Rick. Du wärst überrascht, wer sonst noch zustimmt. Wir sind ein Teil von London, verdammt – das sind wir schon seit Jahrhunderten. Warum sollten wir es nicht zugeben?«

»Weil wir dann Priester hätten, die mit Kreuzen vor unseren Gesichtern herumfuchteln würden, Kerle, die uns für Kuriositätenschauen in Käfige stecken würden, kleine Mädchen, die wollen würden, dass wir in den verdammten Blumen für sie tanzen. Wir sind ein Teil von London? Das sind die Ratten auch. Sogar die Iren und die Juden würden sich anstellen, um auf uns einprügeln zu können.«

Cyma hatte bei seiner Beschwerde über die Blumen angefangen zu kichern und hatte Schwierigkeiten, damit aufzuhören. Sie sagte etwas halb Verständliches darüber, dass niemand mehr in die Kirche ging, aber der Tote Rick hörte ihr nicht zu. Das Problem war, dass er ihr zustimmen wollte. Er wollte hinauf auf die Straßen stürmen und jeden zerreißen, der sein Territorium, den Onyxpalast, bedrohte. Seine Zähne fletschen und sagen: Dieser Ort gehört mir, bis die Sterblichen zurückwichen, die Kehle zeigten, ihn in Frieden ließen.

Dummer Welpe. Es ist nicht dein Territorium. Es gehört denen, die stark genug sind, es zu halten – und die scheren sich einen feuchten Dreck darum, es zu verteidigen, nicht gegen die Bastarde oben. Köter wie du werden in den Graben getreten, von beiden Seiten.

Seine Gedanken mussten sich in seinem Gesicht gezeigt haben, denn Cyma streckte die Arme aus und packte ihn unerwartet an den Schultern, zu fest, als dass er sich locker hätte wegdrehen können. »Toter Rick – ich werde dir helfen, wenn ich kann. Wenn die Zeit kommt.«

»Wie?«, knurrte er und hörte seine eigene raue Stimme, als würde sie aus großer Entfernung kommen. Niemand berührte ihn, außer um ihm wehzutun. Er war sich überhaupt nicht sicher, ob Cyma nicht dasselbe tat, mit etwas anderem als ihren Händen. »Du wirst nicht hier sein, oder?«

»Ich … ich werde eine Möglichkeit finden. Falls das, was ich gerade tue, funktioniert … dann komme ich zurück und erzähle es dir. Vielleicht kann ich sehen, ob ich dir helfen kann, dasselbe zu tun. Ich verspreche, dass ich dir dann alles erklären werde. Und ich werde Yvoir zu den Chemikalien befragen. Du musst mich nicht bezahlen. Reicht das, damit du mir verzeihst, dass ich weggehe? Nur ein kleines bisschen?«

Er musste sich aus ihren Händen befreien, aus diesem Raum befreien, dessen sanfter Rauch ihn verlockte, seine Schutzschilde herunterzunehmen, sich zu entspannen, ins Vergessen zu gleiten. »Sicher. Ein bisschen. Halt es nur geheim. Du hast deine Geheimnisse, und ich habe meine.«

Sie wirkte, als wollte sie mehr sagen, und wollte ihn nicht loslassen. Weil sein Herz zu heftig gegen seine Rippen pochte, verlegte der Tote Rick sich darauf, die Gestalt zu wechseln. Cyma schrie auf und wich vor der Verwandlung seiner Haut und Knochen unter ihren Händen zurück. Als er wieder ein Hund war, floh er in die Schatten, wo er verloren herumstolperte, bis ein Hauch saubererer Luft von den Gardinen ihn zu seiner Rettung führte.

Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit

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