Читать книгу Psychiatrie in Bewegung - Mario Gmür - Страница 10
Der anspruchslose Paranoide (der Diplomatenmörder)
ОглавлениеAnders sieht es aus, wenn der schizophrene Patient, der so beunruhigende und befremdende Äußerungen macht, keine Forderung nach Veränderungen an seine Umwelt richtet und auch uns davon verschont. Es sind dies oft Patienten, die ihren abstrusen Worten keine Taten folgen lassen, bei denen die Wahnphantasie die entsprechenden Taten geradezu erübrigt. Ein Patient beispielsweise erschreckt den Arzt seit Jahren bei jeder Konsultation mit der Ankündigung, er werde nun «einen Diplomatenmord begehen». Es wäre eine unverhältnismäßige Maßnahme, die Alarmglocke zu ziehen, eine Hospitalisierung zu veranlassen usw. Der Mordvorsatz (in seiner doppelten Großartigkeit, die dem Mord – und erst noch an einem Diplomaten – anhaftet) erledigt sich jedes Mal und hundertfach durch seine wiederholte Ankündigung, die dazu nicht mehr als einen Zuhörer mit aufmerksamer Zurückhaltung braucht. Schizophrene, die ihren Wahn mitteilen, bedürfen oft nur einer Spiegelung ihrer Phantasien und sind überfordert, wenn ihre metaphorisch gemeinten Äußerungen faktisch verstanden und für bare Münze genommen werden. Wir können es einem Patienten nicht verargen, wenn etwa bei jeder Konsultation seine Schrulle vom letzten Mal gegenstandslos geworden ist und einer neuen Idee Platz macht. Er will uns heute einen neuen, abstrus ausgetüftelten Intelligenztest vorführen und macht sich nichts mehr aus seinem überzeugend vorgebrachten Wunsch vom letzten Mal, einen Antiquitätenhandel aufzuziehen. Helas! So gehen wir auf sein aktuelles Thema ein. Ähnlich wie in der psychosomatischen Medizin die Kunst darin besteht, beides, das Somatische und das Psychische, im Auge zu behalten, müssen wir uns beim Schizophrenen auf die Realität und die Phantasie einstellen, ohne das eine gegen das andere auszuspielen.