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2.3 Die entwicklungspsychologische Perspektive

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Da der Konsum psychoaktiver Substanzen fast immer in der Jugendphase aufgenommen, erprobt und teilweise habitualisiert wird, wurden der jugendliche Substanzkonsum und damit eventuell verbundene riskante und abhängige Entwicklungen wesentlich intensiver in den Fokus von Forschung genommen als der Substanzkonsum in anderen Phasen des Lebenslaufs.

Mit dem Fokus auf Jugendliche haben das Konzept der Entwicklungsaufgaben bzw. die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie besondere Bedeutsamkeit erlangt. Die Entwicklung im Jugendalter wird in der entwicklungspsychologischen Perspektive als ein aktiver Prozess verstanden, in dem sich Individuen Entwicklungsziele setzen und diese aktiv verfolgen. Die in der Jugendphase zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben ergeben sich hierbei aus einem Wechselspiel von biologischen Entwicklungsprozessen (z. B. hormonelle Veränderungen), sozialen Anforderungen (z. B. soziale Erwartungen, wann berufliche Weichenstellungen erfolgen sollten) und individuellen Zielen (z. B. bestimmte Hobbys zu entwickeln) (Pinquart und Silbereisen 2002).

Die Entwicklungsphase Jugend stellt an das Individuum besondere Herausforderungen: Kriterien für den Erwachsenenstatus werden zunehmend unklarer, Entwicklungsaufgaben können gesellschaftlich erschwert oder gar verbaut sein (z. B. Vorbereitung auf einen Beruf bei hoher Jugendarbeitslosigkeit) oder sich auch im Widerspruch zueinander befinden (z. B. Kontakte zu Peers vs. Berufsvorbereitung).

Substanzmittelkonsum wird in dieser Perspektive in das Spektrum der »gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen« eingeordnet. Die Grundannahme ist hierbei, dass die meisten gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen funktional im Sinne der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben sind und dass sich gesundheitsbezogene Risikoverhaltensweisen aus Schwierigkeiten bei der Bewältigung dieser Aufgaben erklären lassen. Der Substanzkonsum kann dabei unterschiedliche Funktionen in den genannten Entwicklungsaufgaben übernehmen.

Die typischen Entwicklungsaufgaben des Jugendalters sind in einer Übersicht in der Tabelle 1 dargestellt, ebenso wie die darauf bezogenen Gesundheitsverhaltensweisen. Die in der dritten Spalte aufgeführten »Funktionen des Substanzkonsums im Kontext der Entwicklungsaufgaben« sind abgeleitet aus der Zusammenfassung von einer Vielzahl von empirischen Studien zu den Motiven und Funktionen des Substanzkonsums bei Jugendlichen, die Pinquart und Silbereisen (2002) in einer Übersichtsarbeit zusammengestellt haben. Sie zeigen zusammenfassend, dass die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben ein wichtiges Motiv für den Substanzkonsum sein kann (Pinquart und Silbereisen 2002). Zugleich kann aber auch positives Gesundheitsverhalten durch anstehende Entwicklungsaufgaben angetrieben sein, jedoch steht diese Dynamik hier nicht im Zentrum des Erkenntnisinteresses ( Tab. 1).

Jugendliche setzen also – betrachtet aus einer rein gesundheitsbezogenen Perspektive – kritische und riskante Verhaltensweisen ein, um den Anforderungen dieses Entwicklungsabschnitts aktiv zu begegnen. Der Konsum psychoaktiver Substanzen kann dazu dienen, sich auszuprobieren, neue Erfahrungen zu sammeln, Grenzen zu testen und nicht zuletzt einen verantwortungsbewussten Umgang mit psychoaktiven Substanzen zu erlernen. Dabei kann auch ein kurzfristiger Missbrauch durchaus noch als funktional im Sinne der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben eingeordnet werden. Bis heute konnte nicht abschließend

Tab. 1: Funktionen des jugendlichen Substanzkonsums für die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben


EntwicklungsaufgabeFunktionen des GesundheitsverhaltensFunktionen des Substanzkonsums im Kontext der Entwicklungsaufgaben, Beispiele

Eigene Darstellung

geklärt werden, wie ein »Umschlagpunkt« des entwicklungsgerechten Risikoverhaltens zum (intervenierungsbedürftigen) Missbrauch zu definieren ist. Sicher ist aber, dass hierbei eine Vielzahl von konsumbezogenen, individuellen und lebensweltlichen Faktoren berücksichtigt werden muss (Laging 2005: 375–383).

Ein großer Teil der Jugendlichen stellt nach Abschluss der Jugendphase den riskanten Konsum psychoaktiver Substanzen – wie auch das Praktizieren anderer riskanter Gesundheitsverhaltensweisen – wieder ein. Andere tragen die Konsequenzen riskanten Gesundheitsverhaltens für ihre weitere Entwicklung. Negative gesundheitsbezogene und soziale Verhaltenskonsequenzen sind hier der Preis jugendlicher Problembewältigung.

Jene Jugendlichen, die ein multiples gesundheitliches Risikoverhalten zeigen und die bereits in der Kindheit auffällig waren, weisen auch ein höheres Risiko auf, ihr problematisches Verhalten im Erwachsenenalter fortzusetzen (Pinquart und Silbereisen 2002). Desgleichen ist zu beobachten, inwieweit der Substanzkonsum noch tatsächlich funktional – im Sinne der Entwicklungsaufgaben – ist. Probleme oder ein Scheitern bei der Bewältigung der multiplen Entwicklungsaufgaben können zu einer Zunahme bzw. Verfestigung des Substanzkonsums führen. Dies steigert das Risiko eines schädlichen Gebrauchs oder Suchtverhaltens. Aus dieser Perspektive lässt sich für die Prävention die Notwendigkeit ableiten, mit spezifischen und unspezifischen Ansätzen Jugendliche bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben zu unterstützen.

Soziale Arbeit in der Suchthilfe

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