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Abspaltungsprozess
ОглавлениеUnter Abspaltung wird ein weitgehend unbewusster Prozess verstanden. Zu Abspaltungsprozessen kommt es, wenn existenziell bedrohliche Hilflosigkeitserfahrungen und die damit verbundenen Gefühle nicht thematisiert oder in anderer Weise aufgearbeitet werden können – sie werden dann »abgespalten«.
Abspaltungsprozesse können sich nach außen richten, z. B. als Aggressivität und Gewalt, oder aber sich auch nach innen wenden und sich beispielsweise als Selbstverletzung, Ernährungsstörung, Medikamentenmissbrauch und Depressivität äußern. Männer neigen zu externalisierenden Bewältigungsmustern, während Frauen eher internalisierende Muster entwickeln.
Menschen haben dann oftmals keinen direkten, bewussten Zugang mehr zu den die Abspaltungsprozesse auslösenden Gefühlen, leiden aber gleichwohl an den Folgen der Abspaltung (Böhnisch 2016: 21–26).
Differenziert beschreibt Böhnisch die Alkoholsucht bei Männern (als einzige Suchtform, auf die er näher eingeht), die er den nach außen gewendeten Abspaltungsprozessen zurechnet. Einer Alkoholerkrankung gehen nach Böhnisch Verlusterfahrungen in sozialen Bezügen und Dimensionen und die Erfahrung damit verbundener innerer Hilflosigkeit voraus (Böhnisch 2016: 175), die jedoch abgespalten und damit nicht mehr der bewussten Wahrnehmung zugänglich sind. In der Entwicklung einer Suchterkrankung stellt nun für den Mann die Erfahrung des Kontrollverlustes den entscheidenden Bruch dar. Das männliche Bewältigungsprinzip der Kontrolle versagt damit nicht nur in Form von Hilflosigkeitserfahrung und sich anschließenden Abspaltungsprozessen, sondern nun auch bei der Kontrolle über das eigene Trinkverhalten. Nun setzen alkoholabhängige Männer alles daran, die Erfahrung des Kontrollverlustes nicht ins Bewusstsein treten zu lassen, selbst dann nicht, wenn das soziale Umfeld – Arbeit, Freunde, Selbstrepräsentanz in der Gemeinde – längst weggebrochen ist. Der alkoholkranke Mann trinkt, um die Erfahrung des Kontrollverlustes nicht ins Bewusstsein treten zu lassen, und nimmt für diese illusionäre Kontrolle den Kontrollverlust über den Alkoholkonsum in Kauf (Böhnisch 2016: 173f). So tritt der Realitätsverlust zum doppelten Kontrollverlust hinzu. In diesem Sinne kann das abhängige Trinken auch als ein Versuch gewertet werden, die Abspaltungsprozesse, die an die Bewusstseinsschwelle zu treten drohen, aggressiv ins Reich des Unbewussten zurückzudrängen.
Böhnisch widmet sich in diesem Zusammenhang auch den Auswirkungen des männlichen Alkoholismus auf das nähere soziale Umfeld der Männer – meist Partnerinnen und/oder andere Familienmitglieder. Das familiäre Umfeld wird in die oben beschriebene psycho-soziale Dynamik einbezogen, das heißt in die illusionäre Aufrechterhaltung von Kontrolle bzw. der Verdeckung des erfahrenen Kontrollverlustes. Beschädigung oder gar Verlust von Selbstwert und Handlungsfähigkeiten der Partnerinnen und die soziale Isolation der Familien sind häufige Folgen (Böhnisch 2016: 175; Kap. 10).