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Coryn Leynier erwachte aus einem Traum mit Feuersbrünsten, die von den Höhen herabfegten. Der Traum hatte ganz friedlich begonnen, wenn auch mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit, wie so viele seiner Träume, seit sein Körper sich in der Jugend zu verändern begonnen hatte. Anfangs schwebte sein Gleiter unter Darkovers großer Blutiger Sonne dahin, die seidigen Segel weit über zerbrechliche Holzleisten gespannt. Im vergangenen Sommer hatte sein ältester Bruder Eddard, der Erbe der bergigen Verdanta-Ländereien, ihm beigebracht, wie man für kurze Entfernungen auf Luftströmungen reiten konnte. In seinem Traum flog Coryn frei umher. Er verspürte keine Angst vor der Höhe, lediglich Vergnügen an dem grenzenlosen Himmel.

Ein Sommergewitter blitzte in der Ferne auf, über den Hellers. Die Luft knisterte vor Energie. Rauch kräuselte sich von einem Hain mit Harzbäumen himmelwärts. In Coryn wuchs die Spannung. Solange er zurückdenken konnte, hatten seine Brüder und er stets nach Waldbränden Ausschau gehalten und manchmal sogar darin gewetteifert, als Erster Alarm auszulösen.

In seinem Traum bemühte sich Coryn, den Gleiter zu wenden, um mit den Neuigkeiten nach Burg Verdanta zurückzukehren. Doch der Apparat aus Holz und Leder reagierte nicht. Er kämpfte wie ein Lebewesen dagegen an, krümmte und wand sich in seinem Griff.

Coryn bemerkte den Sternenstein, einen funkelnden Fleck, der in die Querstreben geschlagen war. Er sah aus wie jeder andere Sternenstein auch, den man einem Kind nach alter Familientradition beim Mittwinterfest im Anschluss an seinen zwölften Geburtstag schenkte, doch dieser, so wusste er, war sein eigener. Als er ihn ansah, flammte blaues Licht darin auf, als würde er ihn erkennen. Er hatte gehört, dass ein ausgebildeter Laranzu mit einem solchen Stein einen Gleiter überallhin schicken konnte, wohin er wollte, nicht nur dorthin, wohin die unsteten Winde ihn trugen. Diese Vorstellung berührte ihn seltsam, erweckte eine sprachlose Sehnsucht in ihm.

Dorthin fliegen, wohin man will, nicht dorthin, wohin der Zufall einen trägt

Coryn starrte den Sternenstein an und stellte sich vor, wie der Gleiter auf sein Geheiß nach Hause zurückkehrte. Ein blaues Feuer flackerte in der Tiefe. Seine Nerven kribbelten, und sein Magen verkrampfte sich, ebenso rebellisch wie der Gleiter. Doch er hielt den Blick unverwandt auf den Sternenstein gerichtet und versuchte tiefer vorzudringen, immer tiefer.

Das Feuer änderte seinen Lauf, wogte die Berghänge hinab, setzte über die Feuergräben hinweg, die durch Nachlässigkeit seltsam überwuchert waren. Im Nu hüllte es Sträucher und Dickicht ein, sprang über alles hinweg, was ihm im Weg stand. Gras verglühte zu Rauchwolken. Harzbäume loderten auf. Als die Taschen voll entflammbaren Saftes sich entzündeten, explodierten die Bäume einer nach dem anderen und verstreuten lebendige Asche in alle Richtungen. Rauch, dicht und ätzend, stieg aus dem Wald auf.

Weit entfernt erklangen Alarmglocken, immer und immer wieder, als jeder Besitz in den Hellers, von Aldaran bis zum Fluss Kadarin, geweckt wurde.

Beim nächsten Herzschlag saß er aufrecht in seinem Bett in Burg Verdanta und fröstelte, als wäre es tiefster Winter und nicht Hochsommer, während der Alarm in seinen Ohren gellte.

Coryn stieg in seine Stiefel und stürmte geradewegs die Treppe hinunter. Tessa, seine älteste Schwester, eilte mit einem Tablett voll kalter Fleischklöpse durch den Korridor. Sie trug ein altes graues Kleid, mehrere Zentimeter zu kurz und aus den Fetzen noch älterer Gewänder zusammengeflickt. Sie hatte sich ein weißes Kopftuch um das Haar geschlungen, das sie mehr wie eine Küchenmagd aussehen ließ und nicht wie die älteste Tochter des Lords. Coryn schnappte sich einen Klops und stopfte ihn sich in den Mund, während er sich das Hemd überstreifte. Ausnahmsweise erhob sie keinerlei Einwände.

Draußen im Hof warf der Morgendämmer schummrige Schatten auf das frisch gerechte Erdreich. Eine jähe Brise trug die ersten Anzeichen der Tageshitze heran.

Im Hof herrschte rege Betriebsamkeit. Wer alt genug war zum Gehen, hatte sich eingefunden, und alle eilten in unterschiedliche Richtungen, trugen Schaufeln und Mistgabeln, Harken, Säcke und Kübel, zusammengelegte Decken und zerschlissenes Leinen als Verbandszeug. Federvieh gackerte, flatterte und wirbelte noch mehr Staub auf. Einer der Hunde der Burg tollte kläffend vorbei. Die Menschen bemühten sich, Schaufeln und Harken an den Sätteln der Pack-Chervines zu befestigen. Padraic, der Burg-Coridom, stand am Rand des größten Wassertrogs und brüllte Befehle.

Coryn blieb mit klopfendem Herzen auf der Schwelle stehen. Einen schrecklichen Augenblick lang schien der Hof seitwärts zu kippen. Er schluckte, schmeckte Galle und schwankte auf den Beinen.

Nicht schon wieder!, tobte er innerlich. Er wollte nicht, dass ihm übel wurde, das durfte nicht geschehen. Nicht jetzt, wo jedes gesunde männliche Wesen über zehn Jahren, ob Familienangehöriger, Bediensteter oder Gast, zur Bekämpfung des Feuers gebraucht wurde.

»Du begleitest mich zu den Feuerschneisen, mein Junge.« Eddard trat auf den Hof hinaus und bedeutete Coryn ihm zu folgen. »Mach die Pferde bereit!« Eddard war für den Ritt in eine geschmeidige Lederhose und entsprechende Stiefel gekleidet und trug zwei Pergamentrollen, die in geölte Seide eingeschlagen waren. »Petro!«

Coryns älterer Bruder Petro hatte sich schon auf den schlanken Rappen aus der Armida-Zucht geschwungen, das schnellste Pferd in den Ställen. Sein Gesicht war rot angelaufen, und sein schwarzes Haar stand, ganz anders als Coryns heller Kupferschopf, in alle Richtungen ab und verlieh ihm ein Furcht erregendes Aussehen, ließ ihn aber auch aufgeregt erscheinen.

Eddard drückte Petro eine der Pergamentrollen in die ausgestreckte Rechte. »Die hier ist für Lord Lanil Storn, eine unverhohlene Bitte um Hilfe.«

»Hilfe?«, fragte Petro ungläubig. »Von Storn? Ist unsere Lage schon so verzweifelt?«

»Wir berufen uns dabei auf Feuer-Waffenruhe. Es scheint das schlimmste Feuer seit Menschengedenken zu werden«, sagte Eddard mit sichtlichem Unbehagen. »Nur ein Narr würde zulassen, dass das Haus seines Nachbarn abbrennt, und sich selber sicher wähnen.«

Feuer-Waffenruhe, wiederholte Coryn bei sich. Würde sie denn halten? Verdanta und Kinnally überfielen die Ländereien des jeweils anderen schon seit so vielen Jahren, dass sich kaum noch jemand an die Ursache des Streits erinnerte. Er glaubte ja, dass es mit dem Besitz eines Nussbaum-Hains zusammengehangen hatte, der längst an Wurzelfäule zu Grunde gegangen war, weil die Luftwagen aus Isoldir versehentlich Keime über die Berge getragen hatten.

»Außerdem bittet dich Vater, zum Turm von Tramontana weiterzureiten. Wenn Lord Storn dich ziehen lässt«, sagte Eddard und verzog dabei den Mund, was deutlich machte, wie unwahrscheinlich ihm das erschien, »solltest du dieses zweite Pergament dem Bewahrer Kieran übergeben. Richte ihm auch verwandtschaftliche Grüße aus, denn er ist ein Aillard und mit der Familie deiner Großmutter verwandt.«

Petro schob die Pergamentrollen grimmigen Blicks unter seinen Gürtel. »Wenn Dom Lanil der Meinung ist, er könnte einen Vorteil über uns erlangen, indem er abwartet, während wir unsere Kräfte auf dieses Feuer konzentrieren, oder indem er Tramontanas Hilfe vereitelt, dann wird ihn auch eine bloße Pergamentrolle nicht umstimmen.«

»Vergiss nicht, deine Zunge im Zaum zu halten«, sagte Eddard mit scharfem Unterton, »und wiederhole nur, was man dir aufgetragen hat, ohne eine deiner endlosen Reden zu halten. Deine Aufgabe besteht darin, den Mann um Hilfe zu bitten, du solltest ihn nicht in den Bosheiten der modernen Gesellschaft unterweisen.«

Petro lenkte ein. »Ich werde mein Bestes geben. Schließlich sagt Vater immer, wenn man einen Mann so behandelt, als wäre er ehrenhaft, steige die Wahrscheinlichkeit, dass er sich auch entsprechend verhält.«

»Dann gutes Gelingen, mein Junge, und möge Aldones deine Zunge ebenso segnen wie die Hufe deines Pferdes.«

Petro nickte und gab seinem Rappen die Sporen, sodass er mit halsbrecherischer Geschwindigkeit, bei der Erdreich aufwirbelte, durch die Tore preschte.

Eddard deutete auf jemanden, der sich inmitten des Hofes mit dem Geschirr an einem Chervine abmühte. »Nein! Nicht so!«

Lord Leyniers Hengst, massig genug, um selbst einen legendären Hünen tragen zu können, wieherte und tänzelte zur Seite, rammte den Stallburschen, der an seinem Zaumzeug hing, mit der Schulter. Der Bursche landete der Länge nach im Dreck, während der Hengst sich aufbäumte und mit den Vorderläufen die Luft peitschte.

Coryn griff nach den Zügeln, bevor das Tier den Jungen zertrampeln konnte. Die Augen des Hengstes waren weit aufgerissen, der Geruch von Furcht entströmte seinem Leib. Er legte ihm eine Hand auf die Schnauze und zog den Kopf herunter. »Ruhig, ganz ruhig«, murmelte er. Das Pferd schnaubte, und seine Augen blickten weniger wild.

»Gib her.« Lord Beltran Leynier, hoch gewachsen und grauhaarig, doch noch immer mit breiten Schultern, nahm Coryn die Zügel ab und schwang sich in den Sattel. »Erste Gruppe zu mir!« Er galoppierte in Richtung Straße, dicht gefolgt von Reitern und Packtieren.

Als Coryn einen Schritt zurückwich, rempelte er einen Küchenjungen. Die Mütze des Jungen fiel herunter und entblößte hellrotes Haar, das zu groben Zöpfen geflochten einen Dutt bildete. Bei Aldones! Es war seine kleine Schwester Kristlin, in die abgelegten Sachen eines Dieners gekleidet. Sie war erst acht, noch zu jung, um etwas Wichtigeres übertragen zu bekommen als das Aufrollen von Verbandszeug oder das Schneiden von Zwiebeln. Dem Blick nach, den sie ihm zuwarf, würde er Spinnen in seinem Bett vorfinden, wenn er jemandem auch nur ein Sterbenswörtchen sagte.

»Coryn! Wohin wollen diese Gäule?«, brüllte Eddard von der anderen Seite des Hofes.

In der staubigen Enge der Ställe stampften und wieherten die übrigen Pferde. Der Pfleger hatte gerade den Sattelgurt an Eddards klappriger grauer Mähre festgezurrt. Coryn überprüfte sorgfältig Gurt, Brustplatte und Kruppriemen seines Braunen, der auf den Namen Tänzer hörte; der Ritt würde über unebenes Gelände gehen, und ein Sturz aus dem Sattel konnte tödlich enden.

»Nehmt euch in Acht da draußen, junger Herr«, sagte der Pferdepfleger. »So ein Feuer habe ich nicht mehr gesehen, seit Durramans Esel ein Fohlen warf.«

Coryn schwang sich im Hof auf Tänzers Rücken und nahm von Padraic die Führungsleine der Pack-Chervines entgegen. Eddard und er preschten auf der Straße in den heller werdenden Morgen.

Eine Rauchwolke stieg von den bewaldeten Hügeln auf, noch viele Meilen entfernt. Coryn spürte den beißenden Geruch des Blitzes, den schmierigen Rauch aus halb verbrannten Specksträuchern, die Asche auf dem Gesicht.

Die Welt geriet ins Wanken, Himmel und grün-goldene Hügel verschwammen … verschmolzen … Säure biss in der Kehle. Er schwankte im Sattel und würgte.

Eine Faust um die sandfarbene Mähne gekrampft, die andere um den Sattelknauf gekrallt, versuchte Coryn sich auf dem Pferd zu halten. Eddard, der vor ihm ritt, hatte nichts bemerkt. Die Benommenheit verging und hinterließ einen bitteren Nachgeschmack in Coryns Mund.

Coryns Hand fuhr an seinen Hals, wo in einem Beutel aus dicker Seide, den er selbst genäht hatte, sein Sternenstein lag. Er spürte dessen inneres Licht wie eine Hitzewoge, die zwischen seinen Fingern hervordrang.

Er fühlte sich elend. Wenn er gewusst hätte, wie man Sternensteine und Gleiter benutzte – und davon hatte er immer geträumt –, dann wäre es nicht nötig gewesen, Petro im Eiltempo nach Tramontana zu schicken und der Gnade von High Kinnally zu überlassen. Er, Coryn, hätte sich in die Lüfte geschwungen und die kostbaren, durch Laran geschaffenen Chemikalien geradewegs auf die Feuersbrunst abgeworfen.

Bei dieser Vorstellung presste er die Lippen aufeinander, grub die Fersen in Tänzers Flanken und galoppierte weiter.

Coryn bahnte sich mit seinem Bruder Eddard und drei Kleinbauern aus dem zerklüfteten Grenzland entlang der Anhöhen den ganzen Tag lang mühsam einen Weg durch die bestehenden Feuerschneisen und schlug neue. Die Feuer des letzten Sommers waren spärlicher gewesen als sonst, doch der Winter war mild ausgefallen. Dicht belaubtes Unterholz, größtenteils leicht brennbarer Speckstrauch, überwucherte jeden freien Fleck und jede Senke.

Am nächsten Morgen wurde deutlich, dass es zu wenige, zu weit verstreute Menschen gab und das Land zu groß war, um alles Brennbare durch Schneisen zur Eindämmung des Feuers zu schützen. Eine Antwort von High Kinnally stand noch aus. Vielleicht war es einfach zu früh.

Eddard brachte sie zu einer südlichen Anhöhe über dem Feuer, um sich seinen Verlauf anzusehen. Timas, der älteste Kleinbauer, prüfte den Wind, die Dürre des Unterholzes, die Schräge der Kuppel. Er hatte von Kindheit an dafür gekämpft, dass kein Feuer auf Verdanta Übergriff.

»Da«, er deutete die Anhöhe hinauf, »und da. Seht Ihr, Mylord? Das Land ist so gegliedert, dass die Flammen aufwärts getrieben werden, dem Wäldchen zu.«

Coryn, ein Nussbrot in der Hand, das mit Chervine-Butter bestrichen war, folgte kauend der Geste des alten Mannes. Der Wind wehte unbeständig. Wenn er die Richtung beibehielt, sagte sich Timas, würde das Feuer dem steileren Pfad zu einem geschützten Tal folgen, in dem dicht gedrängt Harzbäume und Feuerzapfenpinien standen. Aber wenn er die Richtung änderte …

Auf dem anderen Weg, der seichten, bedächtigen Schräge, gab es nichts als Gras. Nackte Felsen trennten die beiden Pfade voneinander.

Coryns Blick verschwamm, und er konnte die gespenstischen Feuerströme regelrecht spüren. Bilder brandeten auf ihn ein – wie der Wind auffrischte und umschlug. Schmale Flammen züngelten im wogenden Gras auf; es fing Feuer, und das Feuer schoss schneller dahin als ein galoppierendes Pferd. Funken stoben aus winzigen Scheiten, die zerplatzten, und flogen dem eigentlichen Feuer voraus. Er sah, wie sie auf dem kahlen Fels landeten und sogleich erloschen. Das Feuer ließ eine schwarze Kruste zurück, als es die leichte Schräge hinaufzog.

Coryns Blickfeld weitete sich mit dem Feuer aus. Noch mehr Scheite landeten auf der felsigen Trennlinie. Dahinter, für ihn nicht sichtbar, wurde die Felszunge schmaler, war durch den Wechsel von Sommerhitze und Winterkälte mürbe geworden. In einem Spinnennetz winziger Risse wurzelten Windkraut und andere rasch wachsende Gräser, die im Frühlingsregen sprossen und ebenso schnell wieder in der Hitze verdorrten. Ein Funke sprang über – er spürte, wie das Gras Feuer fing, wie die verdorrten Windkrautranken aufloderten. Einen Herzschlag später brannte das Feuer zu beiden Seiten der Grenze und züngelte auf die Harzbäume zu.

Wenn die Harzbäume in Flammen auf gehen, verlieren wir die ganze Bergflanke …

Coryn blinzelte und erkannte, dass viel Zeit vergangen war.

»… aber es wird noch schlimmer, wenn das Feuer erst nach Süden zieht«, sagte Eddard. »Wir dürfen die Bäume nicht in Gefahr bringen.«

Der Alte schüttelte den Kopf, schlug die Augen vor dem Erben seines Lords nieder. »Man kann dem Gras nicht vertrauen«, sagte er hartnäckig.

»Timas hat Recht«, sagte Coryn, ein wenig erstaunt, wie gelassen seine Stimme klang. »Das Feuer – es beginnt beim Gras, doch dabei bleibt es nicht. Da oben bei den kahlen Stellen …« Rasch beschrieb er, was er gesehen hatte. Die anderen verstummten und lauschten ihm.

»Aye, so ist es gewöhnlich«, sagte der Alte nickend. »Ich habe Funken gesehen, die drei Meter und mehr übersprangen. Über Felsen, Flüsse und Feuerschneisen. Doch Ihr, junger Herr, woher wusstet Ihr das?«

»Ich – ich habe es gesehen. Es ist genauso geschehen, wie du gesagt hast.«

»Nein, mein Junge, ich habe nur gesagt, welchen Weg das Feuer einschlagen könnte. Diesen oder jenen, je nach Richtung des Windes.«

Coryn hob das Kinn und wandte sich seinem älteren Bruder zu. »Es wird diesen Weg nehmen. Ich hab’s gesehen.«

»Du glaubst es gesehen zu haben, Chiyu.« Eddard strich sich das dunkelrote Haar zurück, ohne dass es danach weniger struppig wirkte. »Aber wenn wir uns falsch entscheiden und die Harzbäume ungeschützt lassen …«

»Lord Eddard!« Einer der Männer, der den halben Weg hinunter auf das Feuer zugegangen war, deutete aufgeregt und rief: »Der Wind!«

»Zandrus Fluch!«, spie Eddard. Der Wind war umgeschlagen und fauchte die Flammen zu kleinen Feuersbrünsten an, die sogar noch heißer und rascher loderten als zuvor.

Auf den grasbedeckten Hang zu.

»Überlasst ihm ruhig das Gras!.«, rief Eddard und schwang sich aufs Pferd. »Hangabwärts, dorthin, wo Coryn gesehen hat, wie es über den Felsen sprang! Mit etwas Glück treffen wir noch rechtzeitig ein!«

Coryn konnte sich nicht erinnern, schon einmal so benommen vor Erschöpfung gewesen zu sein, so ausgelaugt an Leib und Seele, wie in der dritten Nacht des Feuers, als er und der alte Timas in das provisorische Lager taumelten. Sie hatten die ganze Nacht und den nächsten Tag ununterbrochen gearbeitet, neue, breitere Feuerschneisen geschlagen und Gras und Gestrüpp zur Seite geräumt.

Die Harzbäume hatten sie retten können, nur um zwei weitere Bergflanken und einen Teil des Nussbaum-Wäldchens zu verlieren. Coryn sah die Angst in den Augen der Kleinbauern, die auf das, was ihre Kinder in den Wäldern sammeln konnten, angewiesen waren, um ihre Familien während der schlechten Jahreszeiten durchzubringen. Die nächsten Winter würden hart werden, bis die Nussbäume, die nicht zu stark verbrannt waren, wieder Früchte trugen.

Lord Leynier war ein großzügiger Mensch. In Zeiten der Not pflegte man auf der Burg Vieh zu schlachten, die älteren und schwächeren Tiere, um das Fleisch zu verteilen und den Bedarf an Futterweizen zu verringern.

Nun, gegen Ende des dritten Tages, brachte ein junger Mann auf einem Pony Kunde von Lord Leynier, dass die Leute, die mit den ersten Gruppen ausgezogen waren, sich ausruhen sollten. Von den kleinen Besitztümern im Süden und Osten war eine Hand voll Helfer gekommen. Doch auf Hilfe von High Kinnally durften sie nicht hoffen. Lord Land Storm hatte den Männern und Petro das freie Geleit nach Tramontana verwehrt.

Bei dieser Kunde erhob sich ein Aufschrei der Entrüstung unter den Kleinbauern. Von weißer Asche verschmierte Gesichter wurden noch blasser.

»Vai dom«, sagte ein Mann, »wie ist es möglich, dass sie uns gegen – gegen Feuer nicht beistehen wollen?«

Eddards Kiefer spannten sich, und einen Moment lang sah Coryn, wie die Augen des Vaters seinen Bruder anfunkelten. »Ich weiß nicht, ob ihm daran gelegen ist, dass wir unsere Kräfte auf das Feuer konzentrieren und er dann, wenn wir schwach genug sind, zuschlagen will, oder ob er ein solcher Tor ist zu glauben, dass das Feuer sich auf unsere Ländereien beschränken wird.«

Coryn dachte an das alte Sprichwort: Feuer folgt seinen eigenen Gesetzen. Dann fiel ihm ein, dass Kieran, der Bewahrer von Tramontana, ein entfernter Vetter der Aillards war. Blutsbande waren in den Hellers stark ausgeprägt. »Vielleicht«, sagte er in einem dieser quecksilbrigen Gedankensprünge, die mittlerweile viel zu oft auftraten, »befürchtet er ja, dass der Turm uns außer Chemikalien zur Brandbekämpfung noch anderes überlässt.«

»Du meinst Waffen?« Eddard blickte grimmig drein. »Wenn sie es doch nur täten! Das heißt, sofern nach dem Feuer noch etwas von uns übrig ist.«

Eddard wandte sich den wartenden Pferden zu, doch Coryn blieb noch für einen Moment bei Timas. Dem alten Mann standen Tränen in den Augen, als striche nach wie vor der Rauch über sie hinweg.

»Das ist ein hartes Geschäft«, platzte Coryn heraus, sich seiner Unbeholfenheit bewusst. Er wollte nur irgendetwas sagen, um die unausgesprochene Not des anderen zu lindern.

»Aye, mein Junge, das ist es.« Timas’ Stimme war heiser vom Rauch, doch Coryn spürte den gefühlsmäßigen Widerhall zwischen den Worten. »Doch Feuer zu bekämpfen ist nicht wie Krieg. Da streichen die Lords allen Ruhm ein, und wir, das arme Volk, müssen dafür bezahlen.«

»Aber«, sagte Coryn und wiederholte Worte, die er von seinem Vater gehört hatte, »würdet ihr unter einem ungerechten Herrscher denn nicht viel mehr leiden? Nicht jeder Lord kümmert sich so sehr um sein Volk wie mein Vater. Nach allem, was ich hörte, würde Storn eure Kinder verhungern lassen, während er in seiner Burg sitzt und Feste feiert. Ist es nicht wert, dafür zu kämpfen?«

Seufzend schüttelte Timas den Kopf. »Wie wenig Ihr doch wisst, mein Junge.«

»Iss, so viel du kannst, und leg dich dann schlafen«, sagte Eddard, als sie ihre stampfenden Pferde in das provisorische Hauptquartier lenkten. Das Lager befand sich auf ebenem, mit Fels durchsetztem Grund an einer Bergflanke, die ein Dutzend Jahreszeiten vorher gebrannt hatte, sodass hier nur Gestrüpp und Schösslinge wuchsen. Eine Quelle lieferte Wasser zum Kochen und zur Behandlung von Verbrennungen.

Die Frauen und kleineren Kinder der Burg hatten Zäune gezogen und eine Küche im Freien sowie ein paar Zelte errichtet. Tessa und ihre nächstjüngere Schwester Margarida bewegten sich flink zwischen den Zelten umher, trugen Bandagen und Salben gegen Verbrennungen, Schüsseln mit Waschwasser und Packungen für Muskelzerrungen. Da ihre Mutter bei Kristlins Geburt gestorben war, nahm Tessa in Abwesenheit von Lady Leynier die Aufsichtspflichten über das Gesinde wahr und verteilte an, alle auf dem Besitz Kräuterarzneien. In schlichtem Kleid und Schürze, die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, gab sie unablässig Anweisungen, wie die Verletzten zu versorgen seien. Margarida folgte ihr auf Schritt und Tritt wie ein Schatten mit weit aufgerissenen Augen.

Schon früher eingetroffene Männer hingen, die Gesichter und Kleidung voll Asche, über Schalen mit Haferbrei und ein paar Brocken Fleisch oder lagen erschöpft, alle viere von sich gestreckt, auf Decken.

Coryn ließ sich zu Boden gleiten und reichte Tänzers Zügel dankbar einem der Burgleute. Der Essensgeruch schickte eine Welle der Übelkeit durch seinen Bauch. Er folgte Eddard zu dem groben Tisch, an dem Lord Leynier mit seinem Coridom über Landkarten saß und grübelte. Links von ihm stand ein Fremder und beobachtete ihn schweigend. Die Kapuze seines dunkelgrauen Mantels verbarg seine Züge.

»Wir haben das Feuer entlang dieser Linien eingegrenzt«, sagte Padraic und zog diese auf der Karte nach. »Aber wir können nicht die gesamte Front bewachen, selbst wenn wir rechtzeitig dort einträfen. Wenn wir die Sache weiterverfolgen, wenn wir diesen Teil des Waldes zu retten versuchen, dann besteht die Gefahr, dass wir an anderen Stellen noch mehr Gelände verlieren.«

Müde Männer sind achtlos. Coryn wiederholte bei sich, was sein Vater so viele Male gesagt hatte. Und Feuer kennt keine Gnade.

»Wenn wir darauf warten, dass das Feuer von selbst erlischt«, sagte sein Vater elend, »wer weiß, wie viel es vorher noch verzehrt? Dann wird es in den nächsten Jahren im Winter noch mehr Hunger und Kälte geben.«

Coryn empfand jähen Stolz auf seinen Vater und darauf, wie er für Land und Leute sorgte, die seiner Verantwortung unterstanden.

»Die Turmbewohner werden rechtzeitig eintreffen, um Euren Wald zu retten«, sagte der Fremde.

»Vater«, warf Eddard stirnrunzelnd ein. »Wir haben gehört, dass Petro nicht nach Tramontana durchkommen konnte. Wenn ich richtig verstanden habe, können wir von dieser Seite ebenso wenig Hilfe erwarten wie von dem sechsfach gezeugten Ombredin in High Kinnally.«

»Wir können von Glück reden, dass Dom Rumail so bald hier eintraf«, sagte Leynier mit einer Ehrerbietung, die Coryn erstaunte. »Und dass er die Fähigkeit besitzt, über seinen Sternenstein mit dem Turm Verbindung aufzunehmen.«

»Ich tue nur meine Pflicht.« Der Fremde streifte die Kapuze seines Mantels nach hinten und enthüllte ein Gesicht, so lang und runzlig, dass es aus Leder hätte bestehen können. Coryn fand, dass er nie einen freundlicheren Menschen gesehen hatte, auch wenn die grauen Augen in den tiefen Höhlen von einem inneren Feuer brannten.

»Es liegt im Interesse meines Bruders, die Ländereien seiner künftigen Schwiegertochter zu schützen«, sagte Dom Rumail.

Ein Laranzu! Coryn erspähte das Funkeln eines Sternensteins am Hals des Mannes. Er war noch nie einem Zauberer mit Laran-Gaben begegnet und starrte ihn ganz verzückt an.

»Komm schon, Kleiner.« Eddard legte seinen Arm um Coryns Schultern. »Wir verhungern noch, wenn wir hier länger herumstehen. Lass uns etwas essen!«

Coryn ließ sich auf der zusammengelegten Decke zwischen zwei Schlafenden, seinem Bruder Petro und einem der Stallburschen, nieder und nahm von Kristlin, die noch immer die abgelegte Reithose eines Jungen trug, eine Schale mit Eintopf und getrocknetem Obst entgegen.

Beim ersten zögerlichen Bissen überfiel Coryn ein mörderischer Hunger. Er schlang die ganze Portion hinunter. Jemand brachte ihm einen weiteren Teller und obendrein noch einen Krug verdünntes Ale. Er spürte kaum, wie ihm der Kopf nach vorn sank, man nahm ihm Geschirr und Becher aus den Händen, dann spürte er gar nichts mehr.

Rufe weckten ihn, und einen verwirrten Augenblick lang fragte er sich, ob die letzten drei Tage nicht auch wieder ein Traum gewesen waren. Mühsam richtete er sich auf und blinzelte in den wolkenlosen anbrechenden Tag hinein. Ein anderer Mann, nicht Petro, schnarchte neben ihm, doch das restliche Lager war schon hellwach.

»Sie sind da!« Margarida, Coryns mittlere Schwester, lief rufend umher. »Tramontana ist gekommen!«

Coryn warf den Kopf zurück und suchte die Stelle, auf die sie deutete. Vier – nein, sechs Gleiter zogen flink und lautlos wie Falken am klaren, leeren Himmel dahin. Die Umrisse der Gestalten vor dem schmerzhaft hellen Blau wirkten regelrecht aufgedunsen durch die Säcke mit Chemikalien zur Brandbekämpfung, die sie trugen.

Im Lager stand der Fremde in der grauen Robe etwas abseits von den anderen. Die Lippen bewegten sich, obwohl kein Laut aus seinem Mund drang. Etwas an seiner Haltung zog Coryn an, lockte ihn näher. Die Hände des Mannes umschlossen etwas hellblau Schimmerndes. Er starrte es mit einer Eindringlichkeit an, die den Jungen gleichermaßen faszinierte und abstieß. Am Himmel trennte sich das Geschwader der Gleiter, und einige strebten den beiden Feuerlinien zu, die am heftigsten bedrängt wurden.

»Schon in Ordnung, ich fresse keine Kinder.« Dom Rumail blickte auf. Ein flüchtiges Lächeln erhellte seine Züge. Er hob die Hand, die den Sternenstein hielt. »Und das hier fügt dir auch kein Leid zu. Es ist kein Hexenwerk, weißt du?«

»J-ja, das weiß ich«, sagte Coryn, auf einmal schüchtern. »Ich habe auch einen. Bis auf Kristlin, die noch zu jung ist, haben wir alle in unserem zwölften Lebensjahr beim Mittwinterfest einen Sternenstein bekommen.«

»Darf ich ihn sehen?«

Coryn wusste nicht, weshalb er sich weigern sollte, und doch zog er den Sternenstein nur widerstrebend aus dem Seidenbeutel um seinen Hals und hielt ihn dem Fremden hin. Zu seiner Erleichterung machte der Laranzu keinerlei Anstalten, ihn zu berühren, sondern beugte sich lediglich über das leicht flackernde Juwel, um es zu betrachten.

»Ja, du bist darauf geeicht, wenn auch nur grob. Wer hat dir das beigebracht?«

»N-niemand. Vater war zu beschäftigt. Und Eddard –«

»Eddard!«, schnaubte Dom Rumail, ein Geräusch, das Coryn von seinem Pferd her kannte. »Und die Hülle – warst du das auch?«

Coryn errötete. Seine älteren Brüder und Schwestern trugen ihre Sternensteine alle auf der bloßen Haut, wenn sie sie überhaupt trugen. Margarida behauptete, ihr Stein verursache ihr einen Ausschlag, und hatte ihn in einen Fetzen Samt aus dem Mittwinter-Gewand der verstorbenen Lady Leynier gewickelt. Coryn war einmal zu seiner Schwester gegangen und hatte sie um Rat gefragt, als er einige Wochen nach seinem Geburtstag aus Albträumen erwacht war. Er hatte geträumt, dass schattenhafte Gestalten seine Brust mit einem Schwert aus geschmolzenem blauem Stahl durchbohrten. Als er es mit dem Samt versuchte, wurden seine Albträume noch schlimmer. Die Ringe unter ihren Augen zeigten, dass es auch ihr nicht geholfen hatte. Es war seine Idee gewesen, es einmal mit Seide zu versuchen, obwohl Margarida die Flicken stibitzt hatte, die vom Hochzeitskleid ihrer Großmutter stammten und eigentlich für eine Steppdecke bestimmt gewesen waren.

»Deine Stiche verraten dich, mein Junge«, sagte Dom Rumail mit weniger barscher Stimme. »Leg ihn einstweilen zur Seite und sorg dafür, dass niemand ihn berührt. Von nun an dürfen nur du und dein Bewahrer damit hantieren. Ich muss mit deinem Vater sprechen.«

Erleichtert begab Coryn sich wieder an die Arbeit. Die Gleiter von Tramontana waren verschwunden, nachdem jeder seine Säcke mit Chemikalien abgeladen hatte. Der Rauch hatte schon seine Farbe geändert. Coryn ging zu einigen jüngeren Leuten, darunter seinem Bruder Petro, die sich ein wenig hangaufwärts über dem Lager eingefunden hatten. Von hier aus konnte er sehen, wie rostfarbene Schwaden durch die kohlschwarzen Wolken zogen.

Es würde noch viel Arbeit geben, zermürbend und lang, wenn sie mühsam die Asche durchsuchten, um sicherzugehen, dass keine glimmenden Scheite mehr übrig waren, die wieder zum Leben erwachen konnten. Aber die eigentliche Schlacht war geschlagen.

Der Untergang von Neskaya

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